Protokoll der Sitzung vom 26.04.2018

(Beifall DIE LINKE)

Da lohnt es sich, ab und zu mal reinzugucken.

(Beifall DIE LINKE)

Das fällt mir ein, wenn ich zum Beispiel sehe, wie Thüringen auf der Hannover-Messe vertreten ist, wo es um künstliche Intelligenz, digitale Transformation und weitere Schlüsseltechnologien geht. Da ist Thüringen gut dabei. Thüringen soll aber auch weiter in die Lage versetzt werden – das geht nicht ohne den Menschen –, hier voranzugehen. Bei diesen gigantischen Prozessen, bei den Herausforderungen, vor denen wir stehen, macht das schon vielen Menschen Angst. Dazu kommt auch die Frage, die immer wieder eine Rolle spielt, dass uns die Arbeit ausgehen würde, dass wir gar nicht die Fachkräfte haben, dass wir in einer von Fachkräftemangel geprägten Gesellschaft leben. Ich glaube, das ist nicht der Fall. Auch mit dieser Mär wollen und müssen wir in dieser Debatte aufräumen.

Tatsächlich gibt es einen Fachkräftebedarf. Es gibt auch in bestimmten Berufen, ich sage nur mal als Stichwort „Pflege“, einen Mangel. Dem müssen wir uns stellen. Die „Süddeutsche Zeitung“ formulierte vor wenigen Tagen die Überschrift „Der Fachkräftemangel ist hausgemacht“. Dem kann ich nur zustimmen. Die sagen, Zitat: „Die Lösung für das Problem auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist eigentlich offensichtlich. Doch es bräuchte ein grundsätzliches Umdenken: Bei Politikern, Unternehmen – und bei einigen Bürgern selbst.“ Man soll sich auf diese Potenziale, die wir haben, besinnen. Der vielbeschworene Fachkräftemangel macht sprachlos. Warum macht er sprachlos? Noch immer sind bundesweit – auch in Thüringen – viele Menschen arbeitslos, oftmals auch länger als ein Jahr. Ja, wir haben in Thüringen einen guten Arbeitsmarkt. Wir verfügen über eine gute Statistik, wir sind in Thüringen Spitze in den neuen Bundesländern mit weni

(Abg. Rietschel)

ger Arbeitslosen und auch weniger Langzeitarbeitslosen. Dennoch gibt es über 100.000 Menschen, die Arbeit suchen, von fairer Entlohnung und guten Arbeitsbedingungen mal ganz zu schweigen. Insofern lösen die Fachkräfteklagen der Unternehmen bei vielen Menschen auch Bitterkeit aus, zum Beispiel, weil sie sich bei der Jobsuche wegen ihres Alters unerwünscht vorkommen, weil sie Einschränkungen haben und sozusagen nicht die perfekten Arbeitnehmer sind, weil es Defizite gibt und sie auch nicht bedingungslos funktionieren können oder weil sie als Vater oder Mutter Beruf und Kinder so vereinbaren möchten, dass keines von beiden übermäßig leidet, oder eben auch, weil ihnen die begehrte Qualifikation fehlt und vielleicht auch noch das Angebot. Insofern müssen wir die Diskussion tatsächlich so führen, dass wir einerseits die Anforderungen der Unternehmen ernst nehmen, aber andererseits eben auch die vielseitigen Interessen und Bedürfnisse der Menschen selbst, denn sie sind die Fachkräfte. Wie groß sind die Probleme wirklich? Deswegen reicht es nicht aus, das nur beim Thema „duale Ausbildung“ mit Vorschlägen zu untermauern oder bei der Frage Unternehmertum, sondern wir müssen gemeinsam überlegen, wie Wirtschaft und Politik hier tatsächlich vorankommen können und worüber wir, wie das die „Süddeutsche Zeitung“ gefordert hat, neu und weiter nachdenken müssen.

Da will ich ein paar Fragen stellen, die noch nicht beantwortet worden sind. Warum passen denn Stellenangebote, Nachfrage und Arbeitssuchende oftmals nicht zusammen? Warum gibt es mehr Ausbildungsstellen als Bewerber und dennoch bleiben viele junge Leute ohne Berufsausbildung? Warum – das ist schon gesagt worden – ist die Abbrecherquote in bestimmten Bereichen so hoch, zum Beispiel im Gaststättengewerbe und in der Hotellerie? Da beträgt die Abbrecherquote bei Köchen und bei Restaurantfacharbeitern 50 Prozent. Das kann doch nicht an den Menschen liegen, sondern da müsste man – und das kritisiert die Gewerkschaft NGG zu Recht – über Ausbildungsqualität und Ausbildungsbedingungen nachdenken und fragen, wie man die verbessern kann.

Wie sieht es mit der Entlohnung aus? Wir haben immer noch, auch wenn die Zahl zurückgegangen ist, einen großen Teil von Aufstockern. Wir haben durch den Mindestlohn zwar Lohnzuwächse zu verzeichnen, aber der Mindestlohn von 8,84 Euro reicht nicht aus. Das sagen mittlerweile alle. Und er wird auch nicht überall gezahlt. Auch das muss, glaube ich, in Thüringen weiter hinterfragt werden. Und wir wissen auch, dass die Tarifbindung in Thüringen vor allen Dingen bei kleinen und mittelständischen Unternehmen sehr gering ist.

Qualität der Arbeitsplätze, Leiharbeit, Befristung, ungewollte Teilzeit in Größenordnungen sind ebenfalls Themen, die hier weiter untermauert werden

müssen. Genauso wie die Frage, dass es ein komplexes Weiterbildungsprogramm, eine Weiterbildungsstrategie, die sich am Bedarf der Unternehmen einerseits und an den Interessen und Möglichkeiten der Beschäftigten andererseits orientiert, so auch nicht gibt. Lebenslanges Lernen, meine Damen und Herren, soll keine Drohung sein, sondern ein Angebot, was man auch wahrnehmen kann. Und darüber wollen wir mit Betriebsräten und Gewerkschaften auch in Zukunft weiterarbeiten. Dazu gehört natürlich auch die Frage der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ich denke, im Zusammenhang mit dem Landesprogramm, was sicherlich auch hier in der Diskussion eine Rolle spielen wird, und den Kommunen vor Ort ist das ein wichtiges Thema, um hier weiterzukommen.

Zu Potenzialen will jetzt nicht allzu viel sagen, weil das ja dann auch Gegenstand der weiteren Diskussion sein soll. Aber warum pendeln noch immer viele Menschen aus Thüringen heraus? Reichen die Bemühungen und die Angebote, die zum Beispiel die ThAFF macht? Wie sieht es aus mit den 5.000 Menschen mit Behinderung, die gern auf dem ersten Arbeitsmarkt …

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Kei- ne Rede von 2011 halten!)

Das ist keine Rede von 2011, das muss ich Ihnen …

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Schauen Sie sich die Pendlerströme mal an!)

Es sind immer noch genug Menschen, die auspendeln, auch wenn wir mehr Leute haben, die einpendeln. Ich rede mit denen, auch denen, die auspendeln, ganz konkret. Wissen Sie, warum die auspendeln? Weil sie dort mehr verdienen und weil es sich dennoch rechnet mit dem, was sie auch an Mehrausgaben haben. Viele wollen ihre Heimat, ihr Zuhause in Thüringen nicht ganz aufgeben.

Zum Potenzial der Menschen mit Behinderung: Ich sagte es gerade, 5.000, die gern auf den ersten Arbeitsmarkt gehen würden. Das ist nicht nur eine Frage, dass es für Unternehmen nicht möglich ist, das zeigen auch genügend Beispiele, dass man dieses Potenzial besser erschließen kann.

Vorangekommen sind wir bei der Einbeziehung von älteren Arbeitnehmern. Dennoch werden viele schneller gekündigt und bei den Erfordernissen, die ältere Arbeitnehmer in den Unternehmen brauchen, muss man auch einen Schritt weitergehen, denn wir brauchen bessere Möglichkeiten für Gesundheitsund Arbeitsschutz und Anpassungen der Arbeitsbedingungen, gerade an ältere Arbeitnehmer.

Zur Frage nach ausländischen Arbeitskräften ist hier schon ausgeführt worden. Ich denke, wenn wir uns der Zukunftsaufgabe komplex stellen wollen, lohnt es sich, all das, was bisher hier auch disku

tiert wurde, die Vorschläge von den Akteuren, aufzugreifen. Deshalb freue ich mich auf eine Anhörung im Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit und auch auf die Mitwirkung der anderen beiden Ausschüsse. Ich denke, der 1. Mai in wenigen Tagen soll auch für die Diskussion dieses Themas genutzt werden. Wir wollen Vielfalt und Gerechtigkeit, wir wollen Solidarität statt Spaltung und wir wollen eine Zukunft, in der Menschen, die hier in Thüringen leben, entsprechend ihren Möglichkeiten auch eine Mitwirkung im Prozess der Arbeit und damit ihrer eigenen Existenzsicherung haben. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächste Rednerin erhält Abgeordnete Pfefferlein, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Gäste, es ist noch nicht alles gesagt, zumindest nicht von mir.

(Beifall CDU, DIE LINKE)

Deshalb gestatten Sie mir noch ein paar Anmerkungen zum Antrag „Fachkräftegewinnung in Thüringen: Beschäftigte halten, bilden und fördern“. Ich finde es ganz wichtig und gut, dass wir heute viel über Fachkräfte gesprochen haben. Herr Bühl braucht auch nicht traurig zu sein, wir werden uns noch weiterhin darüber in den Ausschüssen unterhalten und da kommt jeder noch mal zu Wort. Ich finde es auch gut, dass wir das weit fächern, weil es übergreifend und ein wichtiges Thema ist, und die CDU ist herzlich dazu eingeladen, sich daran zu beteiligen. Ich glaube, wir haben hier noch viel Potenzial, das wir noch nicht genutzt haben.

Natürlich ist es eine gute Nachricht: Die Beschäftigungsquote in Thüringen ist hoch, die Arbeitslosenquote – ich sage auch noch mal ein paar Zahlen – ist im Monat März um 0,6 Prozent gesunken und beträgt aktuell 6 Prozent. Das Thüringer Landesamt für Statistik meldet seit Monaten Umsatzzuwächse in fast allen Branchen. Die Wirtschaft boomt und die Einnahmen sprudeln, aber da erzähle ich Ihnen nichts Neues. Doch so erfreulich diese Meldungen auch sind, dürfen wir uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich daraus ein wichtiger Auftrag für uns ableitet: Die erfolgreiche Arbeit kann nur so weitergehen, wenn auch genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen. Immer lauter werden auch die Rufe aus der Wirtschaft nach qualifizierten Fachkräften.

Die Bundesagentur sagt, dass sich die Zahl der Erwerbspersonen deutschlandweit bis 2030 selbst bei moderater Zuwanderung um 3,6 Millionen reduziert. Der Fachkräftemangel hat noch nicht alle Branchen und Berufe erreicht, und trotzdem ist absehbar, dass das Problem zunehmen wird, da viel mehr Menschen den Arbeitsmarkt verlassen als neue dazukommen. Wenn wir wollen, dass die gute wirtschaftliche Entwicklung in Thüringen anhält, dann brauchen wir ausreichend gut ausgebildete Menschen, die hier arbeiten wollen und können. Bis heute hat Thüringen leider das Image als Niedriglohnland noch nicht verloren, das Werben der Wirtschaft mit niedrigen Löhnen im Bundesvergleich rächt sich heute umso mehr. Die Attraktivität der Beschäftigungsverhältnisse in Thüringen muss dringend erhöht werden. Die Landesregierung unterstützt daher die gemeinsame Initiative – das wurde auch schon gesagt – der Allianz für Berufsbildung und Fachkräfteentwicklung und möchte geeignete Rahmenbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Thüringen schaffen.

Ich bin davon überzeugt, dass wir noch immer nicht alle Potenziale ausgeschöpft haben. Hier sollten wir dringend überprüfen, ob es nicht sinnvoll ist, mehr in die duale Ausbildung – das wurde auch schon gesagt – von Jugendlichen zu investieren. Eine frühe Orientierung junger Menschen in dem sich rasant wandelnden Arbeitsmarkt bietet viele Chancen. Doch wir müssen auch denjenigen, die in der Arbeitswelt aktiv sind, einen passenden Rahmen bieten.

Gute Arbeitsverhältnisse mit einer gerechten Entlohnung, das sollte bei den aktuellen Umsatzzuwächsen der leichteste Teil der Abmachung sein. Mit einer qualifizierten Berufsberatung muss es uns gelingen, für jeden und jede eine passende Tätigkeit zu finden, gute berufliche Bildung schützt Fachkräfte vor Arbeitslosigkeit und Unternehmen vor dem Fachkräftemangel. Wir brauchen eine Ausbildungsgarantie, damit endlich kein Jugendlicher mehr ohne Ausbildung bleibt. Die Unternehmen sind gefragt, genügend Ausbildungsplätze anzubieten und ihren Beschäftigten regelmäßige Weiterbildung zu ermöglichen. Dabei geht es nicht nur um genügend Fachkräfte für die Wirtschaft, für die meisten Menschen ist Erwerbsarbeit ein ganz zentraler Teil ihres Lebens. Sie stecken Energie, Lebenszeit, Können und Kreativität in ihre Aufgaben. Bei guter Arbeit wissen sie, dass sie gebraucht werden und sie finden dort auch Anerkennung. Fast jeder wünscht sich eine Arbeit, die gut ins Leben passt, die finanziell absichert, erfüllt und Freude macht.

Ein weiterer Aspekt soll hier nicht unerwähnt bleiben, die Anstrengungen für die Integration von Menschen mit Behinderung in den Regelarbeitsmarkt dürfen gern noch ein wenig erhöht werden. Außerdem sehe ich ein großes Potenzial darin, den

(Abg. Leukefeld)

Arbeitsmarkt endlich für Menschen mit Migrationshintergrund zu öffnen und gleichzeitig an der Verbesserung der Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen zu arbeiten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit Blick auf die Bundesregierung bleibt hier zu konstatieren, statt eines Einwanderungsgesetzes gibt es heute nur ein Sammelsurium von komplizierten und bürokratischen Regelungen, die die Fachkräfteeinwanderung eher behindert als fördert.

Und noch ein Aspekt scheint bei einer umfassenden Betrachtung des Fachkräftemangels von Bedeutung: Gelingt es uns, bessere Angebote für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterbreiten, könnten wir sicherlich insbesondere Frauen nach einer Familienphase wieder in Vollzeit beschäftigen. Heute bleiben sie oft unfreiwillig in Teilzeit hängen, flexiblere Arbeitszeitangebote wären hier ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es gibt hohes und noch nicht gehobenes Potenzial an Erwerbstätigen am Arbeitsmarkt, die mehr arbeiten wollen, aber nicht zum Zug kommen.

Mit dem heute vorliegenden Antrag bieten wir in Thüringen Unternehmen politische Strategien zur Fachkräfteentwicklung an. Aber ich sage hier auch sehr deutlich: Der Arbeitsmarkt und das Fachkräfteangebot sind keine Einbahnstraße. Die Wirtschaft muss ihren Teil dazu beitragen, dass Thüringen ein attraktiver Standort sowohl für Unternehmen und Unternehmerinnen als auch für Beschäftigte wird.

Ich habe schon gesagt, wir möchten diesen Antrag gern an die Ausschüsse überweisen, die wir angekündigt haben, und ich freue mich auf die dortige Debatte. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus den Reihen der Abgeordneten liegen mir jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Für die Landesregierung hat Ministerin Werner das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich will zunächst ganz kurz auf Herrn Bühl eingehen und vielleicht noch mal darauf hinweisen, dass ich noch nie in einem Ausschuss erlebt habe, dass Anzuhörende gesagt haben, dass ein Antrag wirklich schlecht wäre. Sie haben ihn, denke ich, zur Kenntnis genommen, aber – und das ist das Problem – der Antrag geht an dem aktuellen Diskussionsstand vorbei, wir sind schon ein ganzes Stück weiter. Wir sind dabei, mit den Partnerinnen und Partnern eine Landesstrate

gie zur praxisnahen Berufsorientierung zu entwickeln. Insofern denke ich, ist der Antrag der regierungstragenden Fraktionen ein wichtiger Antrag, um tatsächlich umfassend und ausführlich über dieses Thema reden zu können. Ich würde mich sehr freuen, wenn es zu diesem Antrag eine breite Zustimmung gibt. Denn dieser Antrag spiegelt das Anliegen der Landesregierung wider: Beschäftigte halten, bilden und fördern. Das ist Fachkräfteentwicklung für den Freistaat Thüringen.

Lassen Sie mich deshalb vonseiten der Landesregierung zum Antrag Stellung nehmen. Herr Bühl, Sie haben beklagt, dass es keinen Sofortbericht gegeben hat. Hätten wir jetzt einen Sofortbericht gehalten, wäre das eher eine Art Regierungserklärung geworden. Ich glaube, das ist heute hier nicht nötig, sondern was wir gern möchten – und so verstehe ich den Antrag –, ist, in den verschiedenen Ausschüssen das Thema fundiert gemeinsam zu diskutieren.

Das Thema „Arbeits- und Fachkräftesicherung“ hat sich zu der Herausforderung unserer Zeit entwickelt und tritt damit in der Priorität neben die lange Zeit vordringliche Aufgabe des Abbaus der Arbeitslosigkeit und im Besonderen der Langzeitarbeitslosigkeit. Insofern begrüße ich die Initiative der drei antragstellenden Fraktionen, dieses für Thüringen so wichtige Zukunftsthema hier gemeinsam zu beraten und zu diskutieren. Die Bertelsmann Stiftung hat dieses Thema gar zu einem der Megatrends benannt, im Übrigen gemeinsam mit den Themen „Digitalisierung“, „Globalisierung“, aber auch „soziale Ungleichheit“.

Vor dem Hintergrund des starken demografischen Rückgangs der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und der guten wirtschaftlichen Entwicklung im gesamten Bundesgebiet wird die Frage nach der Deckung des wachsenden Fachkräftebedarfs zunehmend akut. Dies gilt bereits jetzt verstärkt für Thüringen. Mit seinem insgesamt hohen Facharbeiteranteil und den qualifizierten Fachbetrieben im Mittelstand und im Handwerk bildet es das Industrieland Deutschland, wenn auch nur im Kleinen, aber exemplarisch ab.

In zahlreichen Bereichen werden in Thüringen bereits jetzt gut qualifizierte Fach- und Arbeitskräfte händeringend gesucht. Dazu gehören nicht nur Industrie und Handwerk, sondern auch verstärkt die Sozialwirtschaft mit den Pflegeberufen. Meine Vorrednerinnen haben schon über die Fachkräftestudie, die von meinem Haus in Auftrag gegeben wurde, berichtet, die Fachkräftestudie „Willkommen in Thüringen – Entwicklung des Fachkräftebedarfs bis 2030 und Strategien der Fachkräftegewinnung“. Ich möchte darauf gern etwas genauer zu sprechen kommen.

Das Thema „Arbeits- und Fachkräftesicherung“ verbunden mit der Stärkung der dualen Ausbildung ist

(Abg. Pfefferlein)

ein zentrales Anliegen der Landesregierung. Seit vielen Jahren begleiten wir Fragen der Fachkräftesicherung zusammen mit den Arbeitsmarktakteuren in Thüringen, aber auch mithilfe wissenschaftlicher Studien, um auf die sich abzeichnenden Entwicklungen rechtzeitig und umfassend reagieren zu können. Seit Erscheinen der letzten Fachkräftestudie im Jahr 2014 gab es aber eine Reihe wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen, sodass eine Neuauflage dringend notwendig wurde. Insbesondere hat sich die Lage auf dem Thüringer Arbeitsmarkt dank einer guten wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten fünf Jahren und aufgrund unserer aktiven Arbeitsmarktpolitik im positiven Sinne gewandelt. Allerdings stellen der fortschreitende demografische Wandel sowie die Digitalisierung der Betriebsabläufe die Unternehmen zunehmend vor Herausforderungen. Daher haben wir in unserer Fachkräftestudie auch ganz gezielt eine Unternehmensbefragung beauftragt. Es wurde also in über 1.000 Interviews direkt mit Unternehmen gesprochen. Es wurden Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer aus Thüringer Unternehmen um Antworten zu Fragen des Fachkräftebedarfs und der Digitalisierung gebeten. Das heißt, die Studie liefert also nicht nur Prognoseergebnisse, die mithilfe statistischer Methoden ermittelt wurden, sondern sie bettet diese Ergebnisse außerdem in die aus den Interviews gewonnenen repräsentativen Erkenntnisse ein. Damit beinhaltet die bereits Anfang März 2018 von mir vorgestellte Studie eine detaillierte Gesamtschau der derzeitigen Lage in Thüringen und der erwarteten Entwicklung in den kommenden Jahren.

Einige Kernaussagen wurden hier schon benannt. Im Jahr 2030 werden in Thüringen rund 345.000 Fach- und Arbeitskräfte benötigt, um Renteneintritte zu kompensieren, aber auch wirtschaftlich bedingte Erweiterungsbedarfe decken zu können. Das ist eine beeindruckende Zahl, die aber keineswegs mit einem Mangel gleichzusetzen ist. Erst wenn der Bedarf nicht gedeckt werden kann, kann partiell Mangel entstehen. Zunächst geht es aber um den Bedarf und das ist ein positiver Arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischer Faktor. Es bieten sich Chancen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Wirtschaft ist auf gutem Weg. Der überwiegende Teil dieses Bedarfs wird im Übrigen durch Renteneintritte von Menschen hervorgerufen, die heute noch im Erwerbsleben stehen. Daneben wird durch die wirtschaftliche Entwicklung in einigen Branchen auch ein Beschäftigungsaufbau stattfinden. Wir prognostizieren hier einen Aufbau von circa 72.000 Personen.

Mit insgesamt jeweils 80.000 benötigten Beschäftigten verzeichnen das verarbeitende Gewerbe sowie das Sozial- und Gesundheitswesen die höchsten Bedarfe. Doch auch im Handel und im Bereich der Erbringung von Dienstleistungen wird es einen

hohen Bedarf an Fach- und Arbeitskräften geben. 79 Prozent des gesamten Arbeitskräftebedarfs wird auf Personen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung entfallen, weitere 14 Prozent auf Personen mit Hochschulabschlüssen. Der Anteil der Personen ohne beruflichen Schulabschluss wird sich in Thüringen auch weiterhin auf niedrigem Niveau bewegen, nämlich bei circa 8 Prozent. Damit zeigt die Studie also unzweifelhaft, dass die duale Ausbildung das Rückgrat der Thüringer Wirtschaft und der Fachkräftesicherung ist und auch über den sich verändernden Bedingungen einer digitalisierten Arbeitswelt weiterhin bilden wird. Die Digitalisierung der Betriebsabläufe hat in Thüringen bereits begonnen. Im Mittel weisen die Thüringer Betriebe der Digitalisierung einen Stellenwert von 6,9 von 10 möglichen Punkten zu. Besonders ausgeprägt ist die Bedeutung natürlich in der Informations- und Kommunikationsbranche. Dort sind es 9,3 Punkte, aber auch im Bereich Verkehr und Logistik sowie im Handel – dort sind es 7,1 Punkte.