Aber auch das gehört zur Wahrheit und wurde uns schon im letzten Thüringen-Monitor zur Anschauung gebracht. Einstellungen und Meinungen sind ambivalent. Weit über 80 Prozent der Befragten sehen in der Demokratie die beste Staatsform. Neonazistisches Gedankengut verfängt bei lediglich 8 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer. Ambivalenz beschreibt auch das Verhältnis vieler Thüringer zu Fragen der Flüchtlings-, Einwanderungsund Integrationspolitik. Jeweils die Hälfte der Befragten sagt einerseits, dass Ausländer unseren Sozialstaat ausnutzen wollen, und verlangt andererseits, wir sollten uns in Zukunft den Wertvorstellungen anderer Kulturen stärker öffnen – die ersten knapp unter der und die zweiten knapp über der 50-Prozent-Marke. Das ist also ein von außen betrachtet widersprüchlicher Befund, aber in Wirklichkeit nur ein Befund der Unsicherheit und ein Befund, mit dem wir umgehen müssen.
Einerseits finden 60 Prozent, dass die meisten Ausländer und Flüchtlinge nicht integrierbar seien, andererseits ist aber fast die Hälfte zugleich der Auffassung, Zuwanderer sollten ihren Lebensstil beibehalten können. In diesem Zusammenhang unterscheiden sich übrigens Junge und Alte in unserer Gesellschaft signifikant. Von den Jungen halten nur 31 Prozent Ausländer für nicht integrierbar. Es macht mir keine Freude, diese Zahlen vorzutragen und die mit ihnen verbundenen Probleme zu benennen. Aber es ist nun mal so. Man schafft unangenehme Wahrheiten nicht aus der Welt, indem man sie ignoriert.
Eines jedenfalls zeigt sich meines Erachtens ganz deutlich: Es bleibt eine dauerhafte Aufgabe aller Demokraten unabhängig von politischer Farbe und Parteibuch, für Toleranz und Humanität zu werben und umgekehrt den Wortführern antidemokratischen Gedankenguts eine deutliche Abfuhr zu erteilen. Wir werden Versuche, die Geschichte umzuschreiben, bei uns in Thüringen ebenso wenig dulden wie die Relativierung und Verharmlosung des
Die Landesregierung wird deshalb ihre nächste Kabinettsitzung ganz bewusst in der Synagoge in Erfurt abhalten, um dort mit dem Antisemitismusbeauftragten des Bundes genau über diese Fragen zu reden und uns auch mit ihm damit auseinanderzusetzen, was wir konkret tun können und tun müssen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf die thematischen Schwerpunkte dieses Thüringen-Monitors zu sprechen kommen. Weit über 90 Prozent aller Befragten des diesjährigen Thüringen-Monitors ist ihre Heimat wichtig oder sehr wichtig. 90 Prozent! Diese Verbundenheit gilt der Gemeinde, der Region, dem Land und der Nation. Das ist ein überaus beachtlich hoher Wert.
Er liegt deutlich über den deutschlandweiten Zustimmungsraten, die das Allensbach-Institut vor einiger Zeit mit 77 Prozent ermittelt hat. Ich behaupte, wenn wir noch abfragen würden, ob sich unsere Bürger als Franken, Menschen der Rhön, Vogtländer oder Eichsfelder wahrnehmen, würden sie einen noch viel höheren Zustimmungswert haben. Das finde ich sehr positiv und sehr gut. Es ist – das gebe ich gern zu – zudem ein Wert, der mich persönlich mit Freude erfüllt, umso mehr als die Verbundenheit zu Europa sehr deutlich zugenommen hat, von 46 Prozent im Jahr 2012 auf nunmehr 68 Prozent. Das ist doch ein gutes Signal im Hinblick auf die Europawahl im kommenden Jahr.
Ich glaube, viele Menschen wissen, dass ihnen Europa guttut, soziale Standards garantiert, strukturell benachteiligten Regionen hilft, Arbeitsplätze und Freizügigkeit schafft. Darauf sollten wir aufbauen. Wenn man überall sieht, wo in unseren Dörfern und Gemeinden Neubauten oder regionale Pflasterarbeiten oder andere Dinge gemacht worden sind und die Europafahne dabeisteht, merkt man doch, Europa wirkt bei uns ganz konkret und positiv.
Wir sollten die heutige Debatte auch nutzen, uns zu vergewissern, was Heimat dem Grunde nach meint und was nicht, welche Ausprägung von Heimat unser Land voranbringt und welche diesem Ziel eher abträglich ist. Heimat ist mehr als ein Ort oder ein Ort, der mehr umfasst als nur die räumliche Dimension. Es ist auch und ganz wesentlich – für mich jedenfalls ganz klar – ein Gefühl, ein Gefühl, zu Hause zu sein, sich geborgen zu fühlen, sicher und aufgehoben. Mich persönlich überkommt dieses Gefühl immer, wenn ich auf der Rückkehr von einer
Reise, ob dienstlich oder privat, entweder von Berlin aus kommend die Leuchtenburg oder von Frankfurt aus kommend die Drei Gleichen sehe. Dann habe ich das Gefühl, in meiner Heimat zu sein.
Eins sollten wir jedoch versuchen, zu vermeiden: Heimat mit „damals“ oder „früher“ in eins zu setzen. Heimat ist für die meisten Menschen nicht lediglich etwas Vergessenes, dem man hinterhertrauert. Alle, die Heimat zu einem Quell seliger Erinnerung erklären, den es ohne Abstriche wiederherzustellen gelte, unterliegen einem gefährlichen Irrtum oder reden wider besseren Wissens.
Als Ministerpräsident unseres Landes sage ich: Ich werde unsere Heimat nicht denen überlassen, die diesen Begriff zu instrumentalisieren versuchen und nur Abschottung und Ausgrenzung das Wort reden. Ich werde für eine Heimat arbeiten und werben, die ihre Tradition lebt, sich erneuert, die weltoffen ist und neugierig auf Neues, die sich verändernden Rahmenbedingungen anpasst und gerade darüber Geborgenheit, Sicherheit und Vertrauen schafft. Ich will es an einem Beispiel sagen: Als ich vor 28 Jahren herkam, gab es in jedem Dorf noch einen Konsum. Viele Menschen sagen mir, sie hätten gern wieder eine Verkaufsstelle. Aber ob sie wirklich das Konsumsortiment wiederhaben möchten, da habe ich durchaus Zweifel. Wir müssen also darüber reden, wie wir wieder Berührungspunkte in den Orten schaffen, dass Menschen Dienstleistungen und Informationen oder Waren bekommen können. Ich werde das noch mal erläutern. Wenn sich also Menschen aufmachen, eine Dorfgenossenschaft zu gründen und dann einen Laden attraktiv gestalten, der auch umsatzstark ist, ist das die richtige Antwort. Aber dazu müssen wir mehr suchen und mehr einladen und mehr Menschen mitnehmen. Ein Zurück zum Konsum als Dorfkonsum wird es weder in West noch in Ost geben, weil sich die ökonomischen Bedingungen für Ladenbetriebe längst verändert haben.
Der diesjährige Thüringen-Monitor gibt uns wertvolle Hinweise. Er kommt zu dem Befund – ich darf zitieren –, „[…] dass eine gute eigene Integration in lokale und regionale Lebenswelten durchaus kompatibel, ja sogar förderlich für eine Offenheit gegenüber ‚Fremden‘ sein kann. Voraussetzung ist aber, dass ‚Heimat‘ nicht als sozial exklusiver Raum wahrgenommen wird und die Hürden für den Zutritt für Außenstehende niedrig gehalten werden.“
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Die Gemeinde Uhlstädt-Kirchhasel, die ich vor einiger Zeit besuchen konnte, hat in ihrer Fußballmannschaft einen syrischen Flüchtling integriert. In einem wichtigen Spiel – ich sage nicht, dass es gegen Saalfeld war – hat das entscheidende Tor Omar geschossen. Die Dorfgemeinschaft, Zugereiste sowie die
dort Geborenen kochten zusammen, backten Kuchen und freuten sich gemeinsam über den Sieg ihrer Fußballmannschaft – und das entscheidende Tor schoss Omar.
Ich denke an den kleinen Ort Burla im Wartburgkreis, in dem eine fünfköpfige Roma-Familie lebt und arbeitet und nun alle zwei Tage Vater und Sohn auf den Kirchturm steigen, um an der Kirche die Uhr aufzuziehen. Ich finde, das ist ein wahnsinnig tolles Beispiel, denn niemand hat sie gezwungen, das zu tun, und trotzdem tun sie es jeden zweiten Tag.
Das ist die Art von Heimat, die wir aufbauen sollten, an der wir gemeinsam wirken sollten. Ich denke auch, dafür hilft ein kurzer Blick auf die vom Thüringen-Monitor ermittelten Zahlen. Ich finde sie durchaus ermutigend. Knapp die Hälfte der Befragten fühlt sich in erster Linie als Thüringer – ein Wert, der in den vergangenen 20 Jahren konstant geblieben ist. 90 Prozent – den Prozentsatz finde ich besonders spannend – wollen in Thüringen bleiben. Ich kann mich an andere Zeiten erinnern. 75 Prozent sehen die Zukunft ihrer Region als positiv. Diese Werte enthalten ein großes Kompliment für unser Land und an unser Land. So jedenfalls meine vage Hoffnung. Sie lassen vielleicht all jene einen Moment innehalten, die glauben, aus Schwarzmalerei und Untergangsgerede politischen Profit schlagen zu können. Und sie verweisen darauf, dass Heimatgefühl keine leere Kategorie bloßer Gefühlsseligkeit ist, sondern auf einem harten, materiellen und deshalb soliden Kern basiert: der mehrheitlichen Zufriedenheit der Thüringerinnen und Thüringer in ihren konkreten Lebensumständen.
Ich war selbst überrascht von der Deutlichkeit der Werte. 60 Prozent der Einwohner unseres Freistaats sind mit ihrem Leben völlig zufrieden – 60 Prozent! Das ist mehr als die Hälfte. Weitere 35 Prozent sagen, sie sind überwiegend zufrieden. Das ist eine Zufriedenheitsrate, wie wir sie in dieser Form noch nie hatten. Eine große Mehrheit findet ihre konkreten Lebensumstände – also Bildung, Kultur und Freizeitangebote – gut bis sehr gut. Das zeigt, dass die guten wirtschaftlichen und beschäftigungspolitisch objektiven Rahmenbedingungen auch eine Entsprechung finden im subjektiven Lebensgefühl der Thüringerinnen und Thüringer.
Und wenn mir Unternehmer sagen, dass sie mittlerweile im Durchschnitt sechs Monate brauchen, bis sie eine freie Stelle wieder besetzt haben, zeigt es uns doch, wo die eigentlichen Probleme liegen, dass wir gar nicht genügend Menschen einbeziehen können, wie wir sie brauchen, um den Wohlstand zu halten, den sich unsere Menschen erarbeitet haben.
Wir haben uns seit der Wende hervorragend entwickelt, unsere Wirtschaftskraft seit 1991 um fast 260 Prozent gesteigert. Damit liegt Thüringen hinsichtlich der Dynamik an der Spitze aller Bundesländer. Bei der Anzahl von Industriearbeitsplätzen und Industriebetrieben gehören wir mit zur Spitze in ganz Deutschland. Bei der Anzahl der Forscher, auf 1.000 Einwohner gerechnet, steht Jena auf Platz 1 in Deutschland. Wir sind längst in einer Entwicklungsphase angekommen, in der wir sagen können: Die Zeit des Jammerns ist vorbei.
Heute kann ich für Thüringen feststellen: Der Aufholprozess ist außerordentlich erfolgreich verlaufen. Wir haben sehr viele Unternehmen und Einrichtungen, die klar auf Zukunft ausgerichtet sind. Das gilt auch und gerade für Arbeitsplätze, Beschäftigung und endlich auch bei der Lohnentwicklung. Die Arbeitslosenquote in Thüringen betrug im Oktober dieses Jahres 5,1 Prozent. Das ist ein ausgezeichneter Wert, der für die nahe Zukunft eine Vier vor dem Komma erhoffen und erwarten lässt. Die niedrige Arbeitslosenzahl findet ihre Entsprechung in den positiven Arbeitsmarktdaten. Mehr als eine Million Erwerbstätige wurden im Oktober 2018 gezählt, davon 805.000 oder vier Fünftel in sozialversicherungspflichtigen regulären Beschäftigungsverhältnissen.
Da wir alle uns so schnell an positive Entwicklungen gewöhnen, möchte ich gern noch einmal daran erinnern: Im Jahre 2005 verzeichnete Thüringen 210.000 Arbeitslose, in diesem Jahr sind es circa 60.000.
Jetzt kenne ich die Tücke der Statistik, ich kenne auch die Probleme, die dahinter stehen. Aber die Statistik ist zumindest vergleichbar mit allen anderen Bundesländern. Also ist die Kritik an der Statistik eine Kritik an der Statistik in ganz Deutschland. Wenn wir die Zahlen vergleichen, sehen wir, wir sind genau auf dem richtigen Weg und wir müssen uns um die anderen kümmern, die abgehängt nicht in den Arbeitsmarkt hineinkommen. Das muss Politik leisten, also an der richtigen Stelle einsetzen, und sich nicht an der Statistik abarbeiten. So weit die offizielle Statistik.
Aber auch bei den Menschen, denen es schwerfällt, zurück ins Berufsleben zu finden, gibt es positive Entwicklungen. Langzeitarbeitslose Menschen werden wieder stärker integriert. Auch bei der Inklusion tut sich etwas. Wir werden diese Menschen nicht aus dem Blick verlieren und weiter an Strategien für eine bessere Eingliederung arbeiten.
Fakt ist aber auch, dass der Abstand der neuen Bundesländer zu den alten Bundesländern in den relevanten Parametern immer noch zu groß ist. Der diesjährige Bericht zum Stand der Deutschen Einheit spricht dazu eine eindeutige Sprache. Noch im
mer verdient man im Osten im Durchschnitt 15 Prozent weniger als im Westen unserer Republik, noch immer ist die Steuerquote zu gering, noch immer müssen wir DAX-notierte Unternehmen im Osten mit der Lupe suchen, noch immer sind Führungspositionen in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft überproportional mit Westdeutschen besetzt. Der Abstand wird geringer, wir sind insgesamt auf einem guten Weg. Der Aufholprozess aber ist schwierig und wird noch viel Zeit in Anspruch nehmen.
Der Soziologe Michael Behr hat das Phänomen für den wichtigen Bereich der Frauenerwerbsarbeit eindrücklich beschrieben. Einerseits ist der Fortschritt signifikant; lag die Erwerbstätigenquote bei Frauen in Thüringen 1993 wendebedingt nur noch bei 54 Prozent, stieg sie bis 2014 bereits wieder auf 72 Prozent. Das hat nicht zuletzt seinen Grund in der guten Betreuungsinfrastruktur gerade bei Kleinkindern. Festzustellen ist aber zugleich, dass immer noch über 80 Prozent aller Teilzeitarbeitsplätze von Frauen begleitet werden. Eine Folge ist, dass ihnen Aufstiegsmöglichkeiten vorenthalten bleiben, sodass ostdeutsche Frauen, obwohl hoch qualifiziert, oftmals im unteren mittleren Management hängen bleiben. So weit der Befund von Michael Behr.
Genau das müssen wir ändern, diese strukturelle Benachteiligung, in dem Fall die geschlechtsspezifische Benachteiligung. Vergleichen wir sie aber mit Westdeutschland, kommen wir noch zu einem ganz anderen Befund. Auch das Beispiel der Kindereinrichtung sei immer wieder erwähnt. Wir haben eine Kinderbetreuungsservicezeit von elf Stunden gesetzlich geregelt, in Hessen sind es sechs Stunden, in Rheinland-Pfalz sind es sechs Stunden. Damit sind wir bei dem Thema „Erwerbstätigkeit und Erwerbsmöglichkeit für Frauen“. Genau deshalb müssen wir an dieser Thematik arbeiten.
Wir führten und führen deshalb zu Recht eine lebhafte bundesweite Diskussion über das Verhältnis von Ost und West anlässlich des Tags der Deutschen Einheit. Diese Debatte hat mich ein Weiteres gelehrt. Wir brauchen nicht nur einen ökonomischen Aufholprozess, sondern auch einen mentalen Veränderungsprozess im Verhältnis der beiden Teile des vereinigten Deutschlands. Immer noch – 28 Jahre nach der Einheit – fühlen sich viele Ostdeutsche als Bürger zweiter Klasse. Menschen, die hier leben, machen immer wieder die Erfahrung, dass sie sich rechtfertigen müssen – für alles. Sie sind es leid, andauernd zu betonen, wir sind im Osten doch keine Bittsteller, die immer nur nach mehr Geld fragen, sodass es uns dann dadurch besser geht. Wir leisten doch genauso viel für die deutsche Einheit wie die Menschen im Westen. Die Menschen hier arbeiten länger, erhalten weniger Lohn und müssen sich dann noch anhören, sie seien undankbar. Es geht aber nicht um Dankbarkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es geht
nicht um Dankbarkeit, sondern um Respekt, Respekt vor der Leistung der Menschen, die hier ihren Anteil an der deutschen Einheit tagtäglich leisten.
Ich will ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit nennen: Der neue BDI-Hauptgeschäftsführer, Herr Lang, sagte, dass sich Thüringen wirtschaftlich top entwickelt habe, dass es aber im Vergleich zu westlichen Bundesländern noch an der Produktivität hapere. Das ist im Ton bitter und in der Sache einfach falsch.
Denn die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung – wie auch die Steuerabrechnung als Messgröße der Produktivität – wird immer nur am Ort der Konzernzentralen gemessen und gewertet und der liegt in der Regel im Westen. So sind wir zwar exzellente Zulieferer, erhalten aber nicht die gerechten Anteile an den Unternehmenssteuern und werden zu allem Überfluss genau dafür noch als unproduktiv qualifiziert. Wir sollten uns nicht einfach den ständigen Hinweis auf statistisch geringere Produktivität in absoluten Zahlen gefallen lassen. Wir haben gute Gegenargumente. Kein Bundesland hat seine Arbeitsproduktivität in den letzten Jahren derart steigern können wie Thüringen. Auch in Bezug auf die Arbeitsproduktivität pro Erwerbstätigenstunde haben wir enorm zugelegt. Auf diese Leistungen dürfen die Unternehmerinnen und Unternehmer und Kolleginnen und Kollegen in den Unternehmen in Thüringen zu Recht stolz sein. Wir dürfen nicht zulassen, dass es dann immer wieder kleingeredet wird.
Auch gestern habe ich so eine Nachricht wieder im Radio gehört. Gestern gab ein Krankenkassenvertreter bekannt, die Gesundheitskosten in Thüringen seien zu hoch, gemessen am statistischen Durchschnitt. Nur Mecklenburg-Vorpommern hätte gleich hohe Gesundheitskosten wie Thüringen. Gemessen allerdings nicht am Beitrag der Mitglieder, sondern gemessen an der Wirtschaftsleistung, also genau an dem, wovon ich gerade gesprochen habe. An der falschen Statistik festgemacht wird wieder eine Belehrung mit erhobenem Finger, indem man sagt: Ja, die Gesundheitskosten müssen jetzt runter! Es ist ein durchschaubares Manöver, um zu sagen, dann sollen Krankenhäuser geschlossen werden oder andere Dinge gemacht werden, die unsere Menschen selber finanzieren. Deswegen finde ich es so unredlich, wenn man aus diesen statistischen Effekten ständig den Keil zwischen Ost und West weitertreibt, ohne wirklich deutlich zu machen, dass wir 28 Jahre nach der deutschen Einheit auf einem gemeinsamen guten Weg sind.
28 Jahre nach der Wiedervereinigung: Ein junger Mann aus Thüringen – ich sprach mit ihm –, der jetzt in Gießen studiert, äußert, dass er, wann immer er sagt, er komme aus Gera, von seinen Studienkollegen mitleidige Blicke erntet. Er studiert das Gleiche wie seine westdeutschen Kommilitonen, er verfügt über das gleiche Einkommen, aber er wird nicht als Gleicher wahrgenommen. Das macht doch etwas mit Menschen! Es muss uns doch alle aufrütteln, wenn sich heute noch immer zahlreiche Menschen im Osten als Bürger zweiter Klasse fühlen, laut Thüringen-Monitor sind es gemessen 42 Prozent. Ich glaube, genau darüber müssen wir reden – über Respekt, respektvollem Umgang im vereinten Deutschland.
Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben gewaltige Brüche und Umstrukturierungen erfahren müssen. Ich erinnere an die Entindustrialisierung Anfang der 90er-Jahre und an die damit einhergehende Massenarbeitslosigkeit. Ich erinnere an den politischen Sündenfall früherer Landesregierungen, Thüringen als Niedriglohnland bewerben zu wollen und damit gegenüber Anbietern und Investoren als Lockargument ausgesprochen zu werden.
Ich erinnere an die Wirkungen der Agenda 2010, die den Menschen, kaum dass sie sich ökonomisch aufgerappelt hatten, zeigt, wie schnell man unverschuldet aus den sozialen Sicherungssystemen in Hartz IV abstürzen kann.
Die Menschen haben die vielen Schläge weggesteckt, aber die Erfahrungen mit manch windigen Westinvestoren, die den Osten als Beutegebiet für die schnelle Mark ausnutzten, haben sich in den Erinnerungen doch sehr festgesetzt.
Die Bürgerinnen und Bürger haben mit viel Kraft, Energie, Fleiß und Kreativität dieses Land in den vergangenen 25 Jahren weit nach vorn gebracht. Sie haben sich durch eigene Anstrengung das Recht erworben, dass ihre Lebensleistung und ihr Beitrag zur positiven gesamtdeutschen Entwicklung eine verdiente Würdigung erfahren.
Wir als Politiker stehen in der Pflicht, dieses Recht auf der bundespolitischen Bühne einzuklagen und den Interessen der Ostdeutschen aus dieser Perspektive Gehör und Geltung zu verschaffen.