Protokoll der Sitzung vom 08.11.2018

weil das mit politischem Diskurs überhaupt nichts zu tun hat. Es geht hier um das Austauschen von Positionen. Ich vertrete eine andere Position. Ich glaube, dass es gut wäre, das hier auch einfach zu sagen,

(Unruhe CDU)

weil sonst nämlich nur Ihre im Raum steht. Das finde ich schwierig. Ein Fünftel der Befragten, nämlich 18 Prozent, stimmen der Aussage zu: „Der Nationalismus hatte auch seine guten Seiten“. 18 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer würden eine Diktatur unter bestimmten Umständen befürworten. 2017 lag dieser Wert noch bei 14 Prozent. Wir haben also in diesem Bereich tatsächlich signifikante Anstiege. 20 Prozent der Befragten finden, dass sich – wie in der Natur – auch in der Gesellschaft der Stärkere durchsetzen sollte. Es sollte wieder mehr für die Mehrheit der Leute in unserem Land getan werden, anstatt sich um Minderheiten zu kümmern. Das befürworten immerhin 68 Prozent. Diese Zustimmungswerte, meine sehr geehrten Damen und Herren, zeigen vor allen Dingen eins, nämlich autoritäre Einstellungsmuster der Befragten. Als Politikerin verstehe ich das tatsächlich als Warnung.

Die Leipziger Autoritarismusstudie 2018, die jetzt zeitgleich mit dem Thüringen-Monitor in die öffentliche Debatte gekommen ist – sie ist von der OttoBrenner-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung gemacht worden – warnt insbesondere vor diesem Einstellungsmuster. Nach der Auffassung der Autorinnen und Autoren dieser Studie wird die Gesellschaft von einer autoritären Dynamik beherrscht, die das Einverständnis vieler Bürgerinnen und Bürger hat. Diese Dynamik bringt die rechtsextremen Einstellungen hervor bzw. kann in diese gipfeln.

Der populistische Agitator verführe seine Zuhörer nicht, er greife die Bedürfnisse auf. Auch das ist eine Erkenntnis dieser Studie. Das heißt also, der Mythos, dass es jemanden gibt, der die Bürgerin

nen und Bürger dazu verleitet, in irgendeiner Art und Weise rechtsextreme Einstellungen zu haben, trifft nicht zu, sondern er greift es auf, was in der Gesellschaft da ist. Dieser Autoritarismus ist sehr wohl ein Problem.

So wie hier festgestellt wird, ist die Zustimmung der Befragten beim Thüringen-Monitor ähnlich wie bei der Studie der Heinrich-Böll-Stiftung und der OttoBrenner-Stiftung. Was können wir nun damit machen? Was sollten wir damit machen? Da bin ich wieder bei dem, was Herr Geibert heute Morgen kritisiert hat: Ich glaube, wir brauchen einen viel größeren Fokus auf demokratische Bildung, das heißt, wir brauchen noch viel mehr demokratische Bildung in unseren Schulen.

Dabei geht es vor allen Dingen darum, was wir auch immer in der Jugendpolitik anbringen – es geht darum, demokratische Persönlichkeiten in unserem Land zu erziehen, an Schulen Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger in den Vordergrund zu ziehen – Mündigkeit, politische Entscheidungen zu treffen, aber eben auch Mündigkeit, beispielsweise – das zeigt die Studie auch –, Konsum zu reflektieren und generell in einer digitalen Welt zurechtzukommen.

Diese Mündigkeit ist aus meiner Sicht für die Demokratie der Zukunft noch wichtiger, wenn wir auf die Frage blicken. Wir erleben eine Digitalisierung. Viel mehr Meinungsbildung findet mit dem Medium Internet statt. Das führt dazu, dass Menschen viel deutlicher zwischen Propaganda und zwischen dem unterscheiden müssen, was tatsächlich die Wahrheit – oder nennen wir es zumindest annähernd die Wahrheit – ist. Das bekommen wir nur hin, wenn wir tatsächlich mündige Menschen erziehen, die in der Lage sind, genau das zu unterscheiden.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Wer ist „wir“?)

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Na genau, die Grünen!)

Ich glaube, Frau Tasch, wir sind uns doch bestimmt darin einig, dass eine Gesellschaft die Aufgabe hat, Kinder und Jugendliche zu erziehen.

(Unruhe im Hause)

Nein, ich finde, dass eine Gesellschaft diese Aufgabe auch hat. Ich rede von der Aufgabe. Dass das Recht darauf, die Kinder zu erziehen, bei den Eltern liegt, steht ja außer Frage. Aber wenn Sie ernsthaft infrage stellen, dass es Aufgabe einer Gesellschaft ist, die Kinder und Jugendlichen zu erziehen, dann glaube ich, bewegen wir uns gerade auf sehr unterschiedlichen Ebenen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Tut mir leid. Die Eltern machen ja nicht die Schule, oder? Das machen doch die Lehrerinnen und Lehrer.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Schule bildet die Kinder aus, aber erziehen tun die Eltern!)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, Bündnis 90/Die GRÜNEN: Im Kindergarten beispiels- weise geht es um Bildung, Betreuung und Er- ziehung!)

Ach, meine Güte, also! Was machen die Erzieherinnen denn? Warum heißen die denn „Erzieherinnen“? Erklären Sie mir das mal, Frau Tasch.

(Unruhe im Hause)

Ich bitte um mehr Aufmerksamkeit für die Rednerin!

Ich bin auch gleich fertig.

Es hat sich vielleicht herumgesprochen: Es ist noch ganz viel Redezeit übrig. Jeder kann noch mal nach vorn kommen, wen es hertreibt. Bitte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, worum es mir und meiner Fraktion bei dieser ganzen Geschichte geht, ist tatsächlich eine gewisse Immunisierung der Menschen gegen Propaganda, gegen Rechtsextremismus, Rassismus, gegen Antifeminismus und Homophobie herbeizuführen. Das schaffen wir nur, wenn diese Kinder, wenn diese Jugendlichen die Erfahrung machen, dass sie erstens in der Lage sind, gut von schlecht zu unterscheiden, wenn man es mal so einfach runterbrechen möchte, Propaganda von Wahrheit zu unterscheiden, wenn sie in der Lage sind, tatsächlich demokratisch zu handeln, wenn sie in der Lage sind, Dinge auszuhandeln und wenn sie damit in der Lage sind, für ihr Leben die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, da haben wir noch ganz viel Luft nach oben in Thüringen. Da sind wir alle in der Verantwortung, wir als Politiker, aber auch gerade die Schulen, die Kindergärten und alle Einrichtungen, in denen diese jungen Menschen zusammenkommen. Wir als Politikerinnen und Politiker müssen ihnen ermöglichen, dass sie an der Gesellschaft teilhaben können, dass sie an Politik teilhaben können, und das nicht erst mit 18, sondern schon viel, viel früher.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das halte ich für einen Schlüssel, um gegen bestimmte Einstellungen in dieser Gesellschaft vorzugehen. Damit werden wir – und da bin ich wieder bei Herrn Geibert – das Problem, das der Thüringen-Monitor vielfältig aufzeigt, allein nicht lösen, aber es ist ein wichtiger Baustein. Deswegen möchte ich hier noch mal die Wichtigkeit dieser Sache hervorheben.

Die zweite Sache, die mir noch auf der Seele brannte, war: Wie Herr Höcke hier heute wieder über die Enquetekommission Rassismus gesprochen hat, das spottet schon jeglicher Beschreibung.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich will noch mal ganz deutlich klarstellen: Das Konzept „Rassismus ohne Rassen“ ist kein mystisches Wesen, sondern es ist eigentlich ganz einfach. Wir stellen wissenschaftlich fundiert und soziologisch bearbeitet in den letzten Jahrzehnten fest, dass es eine Verschiebung gibt weg von Rassismus, der sich sozusagen auf biologistische, also auf genetische, äußere oder irgendwie körperliche Merkmale von Menschen bezieht, hin zu einem Rassismus, der sich beispielsweise auf kulturelle Merkmale bezieht. Dabei bedienen sich die Menschen, die diesen Rassismus pflegen, der Tatsache, dass sie Kultur als nicht veränderbares Merkmal eines Menschen festsetzen. Damit tun sie genau das Gleiche, was biologistischer Rassismus tut. Sie sagen, du kannst dich als Mensch nicht ändern und das Merkmal, was ich an dir verachte, kann sich nicht verändern. Das ist genau der Rassismus, den wir auch in der Enquetekommission behandeln, das ist wissenschaftlich sehr gut nachweisbar, die englischsprachigen Räume auf dieser Welt sind bei der Forschung auch schon deutlich weiter. Wir machen dort sozusagen also keinen Hokuspokus, sondern wir setzen uns wissenschaftlich mit diesem Thema auseinander im Gegensatz zu der AfD-Fraktion, das muss ich leider sagen, denn wenn man da teilweise liest, was deren Sachverständige dort teilweise zu Protokoll geben, da kann einem angst und bange werden, das hat mit Wissenschaftlichkeit und mit fundiertem Arbeiten nicht viel zu tun.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich möchte meinen Kolleginnen und Kollegen in der Enquetekommission auch noch mal ganz herzlich danken, die dort an diesem schwierigen und durchaus kontroversen Thema mitarbeiten, weil es ein wichtiges ist und weil wir da einen ersten wichtigen Schritt gegangen sind in dieser Bundesrepublik, das aufzuarbeiten. Viel wichtiger wäre es, tatsächlich das Ganze auch noch auf Bundesebene

zu bearbeiten und da, glaube ich, machen wir hier eine ganz gute Vorarbeit. Meine sehr geehrten Damen und Herren, vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächster Redner ist Abgeordneter Blechschmidt, Fraktion Die Linke.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, der Redebeitrag von Herrn Höcke, zumindest jene Stelle, die ich eher als pseudointellektuellen Redeschwall bezeichnen würde, hat mich noch mal hier vorgetrieben.

(Beifall DIE LINKE)

Am Vorabend des 9. November und anknüpfend an die Gedenkstunde, die wir vorhin hier im Thüringer Landtag hatten, muss ich auf Begrifflichkeiten hinweisen, und werde sie dann auch wiederholen, die ich für sehr gefährlich, mithin völlig fehl am Platz halte. Vor und nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus gab es unter anderem zwei Begrifflichkeiten, womit sich der Nationalsozialismus seinen Antisemitismus begründet hat. Das war einerseits der Bolschewismus, der Kampf gegen den Bolschewismus, und zweitens der Kampf gegen das Finanzkapital, in diesem Fall das jüdische internationale Finanzkapital. Das waren Legitimationsbegründungen der Nationalsozialisten, die dann entsprechend über den 9. November, so, wie es heute Morgen hier beschrieben worden ist, zum Holocaust geführt haben. Und dann hören wir folgende Worte hier im Thüringer Landtag: Wehe, wehe, wehe, wenn sich der Neobolschewismus mit dem internationalen Finanzkapital verbrüdert –

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau, das kennen wir ir- gendwoher!)

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Die haben geklatscht da drüben!)

oder hat er das schon getan? Ich halte das für unverantwortlich, für gefährlich

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und mit Blick auf die Opfer für verhöhnend. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht, sodass wir zum Ende dieses Tagesordnungspunkts kommen.

Ich habe Ihnen aber noch etwas mitzuteilen: Ich habe in der gestrigen Aktuellen Stunde der Abgeordneten Rothe-Beinlich einen Ordnungsruf erteilt für den Zwischenruf „Der ist dumm“ als Bezeichnung des Kollegen Henke. Ich muss das zurücknehmen, weil es sich herausgestellt hat, dass ein solcher Zwischenruf nicht gekommen ist von der Abgeordneten Rothe-Beinlich. Allerdings hat die Abgeordnete Berninger, Die Linke, gerufen: „Er ist zu dumm.“

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Ja, das habe ich!)

Und dafür erteile ich jetzt der Abgeordneten Berninger einen Ordnungsruf und den der Abgeordneten Rothe-Beinlich erteilten Ordnungsruf nehme ich hiermit zurück.

Bevor wir in die Mittagspause eintreten, hier noch einige organisatorische Hinweise: Es treffen sich jetzt in der Mittagspause die Obleute der Enquetekommission.

Es trifft sich 5 Minuten nach Beginn dieser Mittagspause der Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz zu einer außerordentlichen Sitzung im Raum F 202.

Und es trifft sich ebenfalls 5 Minuten nach dem Beginn dieser Pause der Freundeskreis Kaliningrad im Raum A 240.