Gesetz zur Einführung einer landesrechtlichen Regelung über Versammlungen sowie weitere versammlungsrechtliche Bestimmungen Gesetzentwurf der Fraktion der CDU - Drucksache 6/6659 ERSTE BERATUNG
Wünscht die Fraktion der CDU das Wort zur Begründung? Herr Abgeordneter Scherer, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben diesen Gesetzentwurf durchaus in dem Bewusstsein eingebracht, dass das Versammlungsrecht ein Kernstück einer demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft ist. Für die geschichtlich Interessierten unter Ihnen brauche ich wohl nicht zu betonen, dass dieses Recht in unserer deutschen Geschichte hart erkämpft worden ist. Ich erinnere an die deutsche Revolution von 1848/1849 und das Hambacher Fest von 1832.
Dieses Versammlungsrecht sowie das ebenfalls fast immer tangierte Recht auf freie Meinungsäußerung gilt es natürlich auch weiter zu schützen. Genau diesen Schutz bietet das Versammlungsrecht des Bundes, so wie es heute existiert, nach unserer Auffassung nicht mehr. So hat das Bundesversammlungsgesetz deutliche Schwächen und ist vor allen neuen Entwicklungen von Versammlungen nicht mehr gewachsen. Insbesondere hat es der Bund in den letzten Jahren versäumt, das Versammlungsgesetz an die anspruchsvolle Rechtsprechung der Verfassungsgerichte, insbesondere der Karlsruher Richter, anzupassen. Auch ist die versammlungsrechtliche Praxis heute deutlich stärker durch eine kaum mehr zu überschauende Einzelfallrechtsprechung geprägt. Es fehlt die gesetzliche Grundentscheidung zu diesen Einzelfallentscheidungen.
Wenn ich an die bedenklichen Entwicklungen bei Veranstaltungen aus den extremistischen Bereichen im Freistaat seit 2014 denke, dann hält das Bundesversammlungsgesetz meist nur unzulängliche Antworten parat. Diesem Zustand und dieser insbesondere für Thüringen negativen Entwicklung wollen wir durch ein zeitgemäßes Versammlungsgesetz entgegentreten. Wie ein Vergleich mit den Ländern Bayern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein zeigt, sind wir mit diesem Vorhaben keineswegs auf Irrwegen oder fernab der Verfassung unterwegs.
Das Versammlungsrecht hat immer das Recht umfasst, sich friedlich und ohne Waffen in der Öffentlichkeit zu versammeln, und das soll mit diesem Gesetzentwurf in der Zukunft natürlich auch weiter gewährleistet werden. Nicht nachvollziehen kann ich deshalb die von einzelnen Koalitionsvertretern reflexartig geäußerte Kritik unmittelbar nach der medialen Ankündigung des Gesetzentwurfs. Da war zum Beispiel zu lesen, der Gesetzentwurf komme zu spät oder die CDU würde demokratiefeindliche Bestrebungen durch Demokratiebeschränkungen auf absurde Weise bekämpfen und ähnlich Argumente. Dann kam natürlich noch das Argument, das oft kommt, man habe verfassungsrechtliche Bedenken. Das ist ja schön, wenn man Bedenken hat, wenn sie aber unbegründet sind, bringt das auch nichts.
(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Wir und alle führenden Juris- ten haben verfassungsrechtliche Bedenken, Herr Scherer!)
Wenn ich verfassungsrechtliche Bedenken habe, dann sage ich, welche das sind, und sage nicht nur das Schlagwort, ich hätte verfassungsrechtliche Bedenken. Sie wissen das genau.
(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Das mag für Sie zutreffen, aber für Ihre Fraktion nicht! Ich sage nur: Haushaltsberatung 2020!)
Wenn Sie sich an gestern erinnern, habe ich die verfassungsrechtlichen Bedenken in meiner Rede ausdrücklich weggelassen und habe sogar darauf hingewiesen. Ich habe die einzelnen Mängel Ihres Gesetzes gestern hervorgehoben und die verfassungsrechtlichen Bedenken beiseite gelassen. So war das, Sie müssen es nachlesen.
Mit unserem Gesetzentwurf soll natürlich weiter garantiert werden, dass sich jeder im Rahmen der Verfassung frei versammeln und seine Meinung sagen kann und ein Verbot einer solchen Versammlung nicht möglich ist. Und wenn man hier etwas anderes unterstellt, dann ist das aus meiner Sicht schlicht böswillig. Aber – und das ist die Hauptintension unseres Gesetzentwurfs – wir wollen kein Versammlungsrecht, das Extremisten und Chaoten in unserem Freistaat für ihre Zwecke ausnutzen können. Deshalb wollen wir es künftig erschweren und im besten Fall verhindern, dass insbesondere Rechtsextremisten unter dem Deckmantel der Versammlungs- und Meinungsfreiheit mit kommerziellen Veranstaltungen Kasse machen.
Genau nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wollen wir im Gesetz fixieren, dass Veranstaltungen, die nicht überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung oder Meinungskundgabe gerichtet sind, auch nicht die Privilegien von Versammlungen in Anspruch nehmen können. Zusätzlich wollen wir es erschweren, dass Extremisten Versammlungen an geschichtlich besonders sensiblen Tagen oder Orten durchführen und dabei auf unerträgliche Art und Weise die Würde der Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes oder der SED-Diktatur verletzen.
Auf die Einzelheiten und Veränderungen gegenüber dem Bundesversammlungsgesetz wird mein Kollege Jörg Geibert nachher in der Aussprache noch eingehen. Ich würde mir abschließend …
Noch einen Satz: Ich würde mir abschließend wünschen, dass gerade die Linkskoalition, in deren Regierungszeit die rechten Konzerte im Freistaat massiv zugenommen haben, dem Vorhaben der CDU nicht ablehnend gegenübersteht, sondern mit uns anhand des Gesetzentwurfs in einen Diskurs eintritt, wie dem Missbrauch des –
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Gäste hier im Thüringer Landtag! Die CDU hat einen Versammlungsgesetzentwurf vorgelegt und ich habe die Beurteilung schon, als der Entwurf vorgelegt wurde, deutlich vorgenommen: Die CDU überschreitet hier den Grad von einer populären Forderung hin zu einer populistischen Forderung. Dieses Gesetz erfüllt niemals das, was Sie, Herr Scherer, versucht haben, jetzt nahezulegen, was es erfüllen sollte. Und das, was mich dabei bedrückt, ist, dass Sie es wissen. Ich weiß, das ist ein harter Vorwurf und ich will versuchen, ihn ein bisschen zu begründen.
Ich glaube erst mal, dass diese Forderung populär ist. Niemand hier im Raum wird diese Zurschaustellung der Gemeinheit auf den Rechtsrockkonzerten, das Verherrlichen, Relativieren der Barbarei, die von unserem Land ausgegangen ist, bestreiten wollen. Die widerlichen Texte und die Sorge von Sicherheitsbehörden, dass es immer wieder im Rahmen solcher Rechtsrockkonzerte zu Verabredungen von Straftaten kommt, das alles bestreitet niemand.
Die Menschen in Mattstedt und in Themar bitten uns: Macht doch irgendetwas im Thüringer Landtag, um das verbieten zu können! Wer wollte den Menschen das versagen? Niemand wird das machen. Niemand wird das versagen wollen. Dennoch müssen wir uns dem kritisch stellen. Das Wesen der Demokratie unseres demokratischen Rechts
staats ist doch nicht, Meinungen, die einem unerträglich sind, zu verbieten oder nicht zuzulassen, dass sie ausgesprochen werden. Sondern Wesen dieses demokratischen Rechtsstaats ist es: Das darf man sagen, auch wenn es die meisten oder viele unerträglich finden, man darf das sagen, muss aber natürlich auch den Widerspruch aushalten. So wollen wir es halten. Deshalb ist der Vorschlag der CDU, Herr Scherer, an bestimmten Tagen, an bestimmten Orten etwas nicht mehr ausdrücken zu dürfen, nicht mehr in den Meinungsstreit, in die Mitte der Gesellschaft zu stellen, der absolut falsche Weg.
Wissen Sie, Herr Scherer, Sie haben vorhin während Ihrer Einführung weggelassen, dass Sie vor zwei Jahren die Landesregierung noch gemahnt haben, keine verschärfenden Regelungen auf den Weg zu bringen, sondern geltendes Recht einfach anzuwenden. Da frage ich mich, woher Ihr Sinneswandel jetzt kommt. Da sind wir dann schnell beim Populistischen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer in diesem Landtag den Mattstedtern und den Themarern zur Seite stehen will – ich denke, das sind fast alle –, der muss sich immer wieder der Frage stellen, welche Grenzen uns das Grundgesetz, unsere Verfassung und die dazugehörende Rechtsprechung aufgeben. Es kann gar keinen Zweifel geben – Herr Scherer, Sie als langgedienter Jurist und als guter Jurist, so wie ich Sie kennengelernt habe, wissen das auch –, das Bundesverfassungsgericht lässt niemals einen Zweifel daran: Jede Auslegung des Grundrechts auf Demonstrationsfreiheit muss eine versammlungsfreundliche Auslegung sein.
Es darf niemals zu einer Auslegung kommen, die sagt: Wo kann ich denn verbieten? Das Gesetz, das Sie vorschlagen, ist ein Gesetz, das sagt: Wo kann ich denn verbieten?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Verbotsversuch der CDU ist zusätzlich auch extrem willkürlich und damit ungeeignet, Demokratie einen guten Dienst zu leisten. Sie können nicht erklären, warum Sie – um nur ein Beispiel zu nehmen – das Grenzlandmuseum Teistungen in den Katalog der Orte, wo keine Demonstrationen stattfinden sollen, aufnehmen, aber Mödlareuth und Schifflersgrund, die sind Ihnen egal. Erklären Sie das mal! Das ist Willkür, meine sehr verehrten Damen und Herren. So darf man mit dem Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit nicht umgehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum sage ich, dass die CDU hier populistisch handelt? Weil die CDU genau weiß, dass sie Orte nicht verbieten kann. Sie weiß das!
Deshalb sagt die CDU auch ganz schlau in ihrem Gesetz in § 16 – das ist ein ganz schlimmer Schachtelsatz. Juristen müssen das manchmal so machen, ich will da gar nicht kritisieren, aber ich will ihn sozusagen auf den Kern reduzieren. Der § 16 beginnt damit – Absatz 1 –: „Die zuständige Behörde kann die Versammlung von bestimmten Beschränkungen abhängig machen oder verbieten, wenn […]“. Dann kommen Aufzählungen, nämlich die bestimmten Orte usw., dann geht es weiter. Worauf es dann ankommt, ist die Verletzung der Würde oder Ehre von Personen im Sinne von Satz 1 Nummer 1. Das ist der Kern. Ich sage Ihnen mal, was mein Wunsch an die Versammlungsbehörden ist: Da, wo die Würde und Ehre von Personen verletzt werden, müssen sie immer einschreiten. Da müssen sie immer einschreiten,
egal, ob es der 20.04. oder der 23.04. ist, egal welches Grenzlandmuseum es ist, welcher Ort der Erinnerung an die Barbarei, die von unserem Land ausgegangen ist, und an die Menschen, die der Schoah zum Opfer gefallen sind. Es geht immer um die Würde. Jede Versammlungsbehörde wird das machen. Sie haben gesagt, in Bayern haben wir so ein Gesetz. Genau das kritisiere ich. Sie wissen doch, wie die Urteile dazu aussehen. Die bayrischen Verwaltungsgerichte haben gesagt: Ihr könnt nicht den Ort verbieten, ihr müsst die besondere Schwere der Würdeverletzung, die vorher erkennbar sein muss, für ein Verbot heranziehen. Es geht um die Würde des Menschen und um nichts anderes. Unsere Versammlungsbehörden sind alle stark genug, das erkennen zu können. Man muss es leider sagen: Die Rechten sind leider schlau genug, dass sie diesen Anschein immer wieder versuchen zu vermeiden. Wir wissen, dass es das Ziel der fiesen Liedtexte ist, die Menschenwürde herabzusetzen. Das wissen wir alle, aber wir können es nicht beweisen. Ich möchte, dass in einem Rechtsstaat auch derjenige, dessen Position ich unerträglich finde, und wenn ich alles dafür tun will, mich ihm entgegenzustellen, das trotzdem sagen darf. Das ist das Wesen unseres demokratischen Rechtsstaats.
Ich bin sehr erstaunt, dass die CDU, einfach um im Jahr der Wahl hier noch einmal irgendetwas Schönes vorlegen zu können, diesen Weg verlässt.
Ich bin auch enttäuscht über den Vorschlag der CDU-Fraktion, weil Sie doch mit uns zusammen diskutiert haben – falls das jemand vergessen hat –, weil das so eine populäre Forderung ist, weil es etwas ist, was uns am Herzen liegt. Um den Rechten etwas entgegenzusetzen, hat die rot-rotgrüne Landesregierung mit mehreren Anläufen, mit vielen Gutachtern und einer hochintensiven Debatte, die Sie doch verfolgt haben, nach Möglichkeiten gesucht und musste feststellen: Auf dem Boden des Grundgesetzes gibt es kein Versammlungsrecht, das bestimmte Orte ausschließt, das gar Menschen ausschließt oder das bestimmte Zeiten ausschließt. Es ist auch untauglich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte auf einen Aspekt aus dem CDU-Gesetz noch eingehen, der – finde ich – hier thematisiert werden muss. Ich habe im Augenblick nur über Rechtsrockkonzerte gesprochen. Das ist auch das, was die CDU immer kommuniziert: Dagegen wolle sie etwas tun. Was ich nicht verstehe, ist, dass Sie mir verbieten wollen, am 17. Juni in der Andreasstraße der Opfer des Stalinismus zu gedenken.
Sie eröffnen die Möglichkeit, dort eine Demonstration zu verbieten. Das finde ich falsch. Das darf man nicht tun. Deshalb bin ich dafür, dass Ihr Gesetz gar nicht erst an den Innenausschuss überwiesen wird, weil wir nämlich eine verwässernde Debatte darüber führen, was hier eigentlich Klarheit erfordert. Nämlich die Klarheit, zu sagen: Dieser Vorstoß der CDU ist falsch, dieser Vorstoß der CDU ist ein populistischer Vorstoß, der der Demokratie nicht dient und eher gefährlich ist. Deshalb werden wir von Bündnis 90/Die Grünen dieses Gesetz gar nicht erst an den Innenausschuss überweisen. Vielen Dank.