Protokoll der Sitzung vom 31.01.2019

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion hat Abgeordnete Marx das Wort.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Scherer, Sie haben sich darüber beschwert, Sie meinten, als angekündigt wurde, dass Sie einen Versammlungsgesetzentwurf bringen, wäre gleich reflexhaft gekommen: Oh nein, oh Schreck, das machen wir nie und nimmer. Ich meine, es gibt tiefgreifende Probleme, wenn man so etwas anfasst. Das haben Sie selbst vor eineinhalb Jahren auch noch gesagt, das zitiere ich Ihnen auch gleich noch einmal wörtlich.

(Abg. Adams)

Ich habe gesagt: Wir gucken mal, was uns da vorgelegt wird. Als es dann kam, wurde es auch nicht besser, sondern eigentlich eher schlimmer. Sie haben jetzt in der Einführung noch mal gesagt – Kollege Geibert geht vielleicht noch ausführlicher darauf ein –, Sie wollen die unliebsamen Rechtsrockkonzerte hier aus dem Land vertreiben, Sie wollen verhindern, dass die Kasse machen, dafür ist die Versammlungsfreiheit nicht gedacht. Super, da jubeln wir alle, dahinter können wir uns alle versammeln.

Dann guckt man aber in Ihren Entwurf hinein und was steht denn da also an „heißer Luft“ – ich muss es mal leider so bezeichnen? Sie haben in § 2 Ihres Entwurfs einen Passus aufgenommen, dass sich die Tatsache, ob eine Versammlung vorliegt, die überhaupt nach Artikel 8 des Grundgesetzes zu schützen ist, maßgebend entscheidet – da steht dann wortwörtlich –, „nach dem 1. kommunikativen Anliegen des Veranstalters oder der Teilnehmer, 2. Gesamtgepräge bei mehrfachen Zwecken (öffentli- che Einflussnahme oder Unterhaltung), wobei die öffentliche Meinungsbildung gegenüber dem Unterhaltungszweck nicht in den Hintergrund treten darf, sowie 3. nach dem Grad und Umfang der Kommerzialisierung.“ Und das soll uns jetzt einen Maßstab geben, nach dem wir konkret irgendwie festlegen können, dass Rechtsrockkonzerte nicht mehr stattfinden können. Also das ist nicht das, was Sie hier in Ihrem Vorwort und auch in der Einführung und in der öffentlichen Debatte versprochen haben. Das soll der große Wurf sein, „nach dem Grad und Umfang der Kommerzialisierung“?

Sie haben ja noch nicht mal einen Vorschlag gemacht, wo Sie den Grad ansetzen wollen. Sie haben das deswegen nicht gemacht, weil Sie wissen, dass Sie das nach der Rechtsprechung zu den Versammlungsgesetzen, die wir bisher schon haben, oder auch nach tatsächlichen Versammlungen auch gar nicht hinbekommen. Denn es gibt ja schon jetzt die Möglichkeit, den kommerziellen Charakter in den Vordergrund zu stellen. Das ist einmal bereits aufgrund des Bundesgesetzes bei der Loveparade gemacht worden. Das ist auch durchgegangen, da haben die sich auch darauf bezogen. Da hat das Bundesverfassungsgericht schon 2001 gesagt: Bei euch ist der meinungsbekundende Gehalt so weit im Hintergrund, dass das hier eigentlich mehr nur eine große Fete ist.

Dann gab es allerdings ein anderes Urteil, das haben Sie nicht zitiert, weil wahrscheinlich der Titel ein bisschen witzig ist, das heißt, Frau Präsidentin, das Fuckparade-Urteil – das muss ich dann auch leider hier so nennen. Das wollen Sie wahrscheinlich nicht, dass „Fuck“ in Ihrem Antrag drinsteht. Da wurde ein gemischter Charakter anerkannt, bei dem es zwar auch um kommerzielle Interessen und Spaß geht, aber der Charakter der Meinungskundgabe – da ging es damals um Kritik der Zustände in der Berliner Technoszene – wäre eindeutig zu er

kennen. Aufgrund dieses Urteils werden Veranstaltungen mit gemischtem Charakter wie in Themar bis heute leider als Versammlungen gewertet. Wie wollen Sie das jetzt mit Ihrer Formulierung ändern? Gar nicht.

Deswegen – wir haben bereits den Hinweis vom Kollegen Adams gehört –: Es hat umfangreiche rechtliche Prüfungen auch in der Koalition gegeben. Auch wir hätten gern eine Regelung, die es uns ermöglichen würde, Rechtsrockkonzerte – einfach Häkchen dran – zu untersagen. Aber wir haben den Stein des Weisen nicht gefunden und Sie schon gar nicht. Denn in den vielen Gutachten, die wir eingeholt und uns angeschaut haben, muss man feststellen, dass bei allen gemischten Veranstaltungen, bei denen sich kommunikative und unterhaltende Aspekte verbinden, ganz überwiegend der kommunikative Zweck und damit die Bewertung als Versammlung bejaht wird. Daher kommt eine Ablehnung des Versammlungscharakters bei einem Rechtsrockkonzert nur in Betracht, wenn die mit einem Rockkonzert verbundene Einwirkung auf die Meinungsbildung offensichtlich vorgetäuscht oder von erkennbar marginaler Bedeutung ist.

Nun mag man vielleicht manchmal meinen, Nazis seien nicht so besonders intelligent, aber ich glaube, dass sie so intelligent sind, dass sie das noch hinbekommen, den Mischcharakter so weit aufrechtzuerhalten, dass wir keine Maßgabe haben, einfach zu sagen, da ist jetzt gar nichts mehr an Meinungsbildung. Deswegen haben wir das Problem, Rechtsrockkonzerte nicht mit dem Versammlungsrecht einfach so in Übereinstimmung bringen zu können. Das Problem können wir so einfach nicht lösen. Und mit Ihrer Formulierung: „Ob eine Versammlung vorliegt, entscheidet sich maßgebend nach dem […] Gesamtgepräge […] sowie […] nach dem Grad und Umfang der Kommerzialisierung“ – also wie gesagt, ohne Auslegung der Rechtsprechung, von der Sie ja jetzt sagen, Sie wollen die Rechtsprechung ja endlich mal aufnehmen, aber das steht da gar nicht drin, ist das sozusagen nichts wert.

Und dann kommen aber eben diese Ortsverbote, auf die der Kollege Adams schon hingewiesen hat. Dann kommt aber noch was anderes, das finde ich auch noch mal ein bisschen krass. Es werden nicht nur Orte verboten, sondern auch bestimmte Tage, bzw. werden sie nicht generell verboten, aber da wird dann einfach gesagt: An diesen Orten und Tagen können Veranstaltungen verboten werden. Da haben Sie geschrieben, dass solche Verbote in Betracht kommen können, wenn Versammlungen an einem Tag stattfinden – das ist jetzt in § 16 Abs. 2 Nr. 2 –, „der 1. an die Schrecken der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder der SED-Diktatur erinnert oder 2. unter diesen Regimen besonders begangen wurde“. Also erst einmal: Mit dieser Extremismustheorie habe ich ja an dem Punkt auch

meine Probleme. Aber wenn Sie jetzt sagen, dass an allen Tagen, die in der SED-Diktatur als Feiertage besonders begangen wurden, nicht mehr demonstriert werden darf, dann sind wir nicht nur bei der Problematik des 9. November oder des 17. Juni, sondern da sind wir auch beim 1. Mai, das war ja der Großkampftag der Arbeiterklasse hier für gelernte DDR-Bürger. An dem Tag dürfte man also künftig auch nicht mehr demonstrieren. Dann könnte man also nach Ihrem Gesetz auch Demonstrationsverbote erwägen, das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein.

Auf noch etwas möchte ich Sie hinweisen: Wenn Sie sozusagen versuchen, konkrete Orte, wo Ihnen der Kollege Adams schon gesagt hat, was da fehlt, oder konkrete Tage zum generellen Anknüpfungspunkt zu machen, dass da nicht in einer Art und Weise demonstriert werden dürfte, die die Würde und Ehre von Opfern verletzen würde, dann schaffen Sie ein einzelfallbezogenes Recht, das den fahrlässigen Umkehrschluss von Veranstaltern zulässt, dass man es an allen anderen Tagen aber ruhig machen könnte. Das ist die Gefahr, wenn Sie sozusagen versuchen, konkrete Tage und Anlässe oder Orte zu benennen, die zudem auch noch unvollständig oder ungeeignet sind.

Nach alledem muss ich Ihnen leider sagen, dass wir hier auch seitens der SPD keinen Grund sehen, uns mit diesen Formulierungen weiter zu befassen, weil Sie uns sozusagen auch nicht weiter bringen als das, was wir selbst schon vergeblich versucht haben. Wir haben – das muss ich auch noch mal sagen – in Ihren Begründungen, in Ihren medialen Aufschlägen zu diesem Gesetz lesen müssen, dass bisher im Land nicht genügend getan worden sei. Das ist ja nun besonders krass. Das möchte ich hier auch noch einmal ausdrücklich zurückweisen. Wir haben hier in den vergangenen Monaten wirklich vorbildlich durch unseren Innenminister und die mit ihm zusammenarbeitenden Behörden und auch die Mitarbeiter des Innenministeriums versucht, jede Möglichkeit zu nutzen, dem Rechtsrock und den Rechten Einhalt zu gebieten.

Aber wie gesagt, mit Ihrem gesetzlichen Vorschlag kommen wir da keine Minute weiter. Deswegen haben Sie ja auch selbst, Herr Scherer, noch im Juli 2017 dem MDR Thüringen gesagt: „[…] rechtsextreme Konzerte wie das in Themar [sind] ein Ärgernis. Allerdings [hat] das Bundesverfassungsgericht aus gutem Grund hohe Hürden für die Einschränkung der Versammlungsfreiheit gesetzt. [Daher gibt es] für Versuche des Landesgesetzgebers, den Versammlungsbegriff enger zu fassen, letztlich keinen Spielraum. Scherer forderte stattdessen, den bestehenden Rechtsrahmen voll auszuschöpfen.“ Und diese Absicht haben wir auch weiter.

Es gibt dessen ungeachtet natürlich auch noch eine Petition im Petitionsausschuss, in der auch noch

einmal darum gebeten wird, alles zu prüfen, was man vielleicht noch machen könnte, um Rechtsrockkonzerte zu verbieten. Mit dieser Petition werden wir uns natürlich hier im Parlament auch ernsthaft auseinandersetzen. Vielleicht kommt ja in dem Zusammenhang noch der eine oder andere Vorschlag, den wir möglicherweise hier im Land irgendwie umsetzen können, ob gesetzlich oder sonst wie.

Aber diese Zettelansammlung – sorry! –, hat uns hier in keiner Weise vorangebracht und deswegen werden auch wir einer Überweisung an den Ausschuss die Zustimmung versagen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU hat Abgeordneter Geibert das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir zunächst eine kleine Vorbemerkung: Lieber Minister Maier, ich bin froh und dankbar, dass das zuständige Ressort ab dem zweiten Redebeitrag zu diesem doch wichtigen Punkt vertreten war. Zwei Staatssekretäre reichen nicht aus, um eine Präsenz im Landtag zu einem Thema, was an sich ja ein Herzensanliegen wäre, darzustellen. Das ist bezeichnend dafür, wie sich die Landesregierung mit dem Thema beschäftigt, wenn hier leere Bänke sind.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Marx, SPD: Das ist doch lächerlich!)

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Wenn man inhaltlich nichts kann!)

Man muss nicht immer nur vollmundig etwas verkünden, man muss auch an Diskussionen teilnehmen, muss anwesend sein und muss, wenn es darum geht, das Recht zu verteidigen, das Recht auch verteidigen, man muss in die Diskussion eintreten...

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da glänzt Ihre Fraktion ja gerade mit Anwesenheit!)

Ach, Herr Adams, wir sind deutlich mehr, als Sie als ganze Fraktion sind.

(Beifall CDU)

Sammeln Sie sich mal, noch nicht einmal ihre sechs Leute sind vollständig.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kleine Fraktion, mehr Disziplin!)

(Abg. Marx)

Es wäre sehr schön, wenn das Thema jetzt behandelt werden würde.

Ja, das ist auch ein Teil der Meinungsäußerung hier im freien Rund des Plenums.

(Unruhe DIE LINKE)

Frau Kollegin Henfling kommt auf medizinische Themen des Blutdrucks zu sprechen, wir wollten eigentlich über Versammlungsfreiheit reden, aber es ist vielleicht für Sie auch ein stark emotionales Thema neben all dem, was uns hier sonst beschäftigt.

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Ihre Selbstgefälligkeit ist wirklich nicht zu ertra- gen! Sie sind die personifizierte Selbstgefäl- ligkeit!)

Herr Dittes, was Sie sind, sieht man schon daran, wie Sie dort sitzen.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Was soll das denn heißen, Herr Geibert?)

Den Vorhalt muss er sich doch wohl mal gefallen lassen.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, wir sind jetzt beim Versammlungsrecht und ich bitte wirklich, das auch entsprechend dem Hohen Haus zu würdigen.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Wenn Herr Geibert immer da- mit anfängt!)

Würden Sie nicht dauernd dazwischenreden, würde man ja anfangen können, aber das Thema scheint sich wirklich für Sie als emotionales Thema herauszukristallisieren. Es wäre schön, wenn es sich für Sie als juristisches Thema herauskristallisieren würde.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bevor ich auf den Gesetzentwurf meiner Fraktion näher eingehe, erlaube ich mir, Ihnen zunächst ein paar Fakten und Zahlen zu präsentieren, die, wie ich finde, ein sehr trauriges Bild auf unseren Freistaat werfen. Die Zahl extrem rechter bzw. nationalsozialistischer Konzerte oder besser bekannt als sogenannte Rechtsrockkonzerte bewegte sich zwischen 2007 und 2014 im Durchschnitt bei 25 Konzerten im Jahr. Zwar lag Thüringen im bundesweiten Vergleich bereits damals im vorderen Drittel, gleich

wohl ist diese Zahl seit 2015 massiv angestiegen. Im Jahr 2015 verdoppelte sich die Anzahl nahezu auf immerhin 46 solcher Veranstaltungen und auch in den folgenden zwei Jahren setzte sich diese Entwicklung fort. Im Jahr 2016 wurden 54 und im Jahr 2017 sogar 60 Konzerte gezählt. Für 2018 liegen mir unterschiedliche Zahlen vor, die jedoch nicht wirklich von den Zahlen der beiden Vorjahre abweichen.

Höchststände zeigen sich auch bei einem näheren Blick auf die Teilnehmerzahlen. Beispielsweise fanden 2016 und 2017 in Thüringen je fünf Großveranstaltungen bzw. Open-Air-Konzerte statt, ein Konzertformat, bei dem es der extrem rechten Szene immer wieder gelingt, die meisten Besucher zu mobilisieren. So konnte bei diesen öffentlichen Veranstaltungen in Thüringen bereits 2016 ein Höchststand an Teilnehmern von circa 4.800 Personen verzeichnet werden und 2017 besuchten sogar fast 10.000 Neonazis die fünf organisierten Großevents. Bezüglich der Teilnehmerzahlen bei rechten Konzerten und Versammlungen im vergangenen Jahr verweise ich insbesondere auf die vielen Kleinen Anfragen der Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Regierungsfraktionen. Die Quelle für die von mir genannten Zahlen und Fakten will ich Ihnen natürlich nicht vorenthalten. Es handelt sich um Mobile Beratung in Thüringen, kurz MOBIT e. V., wo die Rechtsrocksituation in Thüringen seit vielen Jahren ganz penibel beobachtet und analysiert wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zusammengefasst und ganz nüchtern betrachtet bleibt damit zunächst erst einmal festzuhalten, dass sich Thüringen in den zurückliegenden vier Jahren rotrot-grüner Regierung zu einem Anziehungspunkt der rechtsextremen Szene aus dem In- und Ausland entwickelt hat.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das war es schon immer, Herr Geibert!)

Es war im vorderen Drittel und jetzt sind wir bedauerlicherweise Spitze. Vielleicht ist nicht ganz unschuldig, was sich dort an der Regierungsspitze so tut.

(Beifall CDU)