aus den Reihen der CDU-Fraktion gesprochen wird, dass Geschichtsklitterung – darauf hatte meine Kollegin Astrid Rothe-Beinlich schon hingewiesen – seitens der AfD-Fraktion betrieben wird,
dass man sich schon die Frage stellen muss, wie viel Erkenntnis denn über das vorhanden ist, was der 8. Mai 1945 bedeutet – und zwar nicht nur für uns, die wir heute hier sitzen, sondern insbesondere für diejenigen, die dank des 8. Mai 1945, dank der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation befreit wurden. Ich spreche nicht davon, dass die Mehrheit der Deutschen am 8. Mai 1945 befreit wurde, dazu dürfte uns allen zu sehr bekannt sein, wie viele der Deutschen am Dritten Reich teilhatten, wie viele der Deutschen sich beteiligt haben, wie wenige überhaupt Widerstand geleistet haben und wie wenige überhaupt den Mund aufgemacht haben, gesehen haben und sich auch dazu geäußert haben.
Dass es nicht mal möglich ist für Sie, dass Sie in einer Rede zum 8. Mai Ihre Unterstellungen sein lassen, spricht, glaube ich, eher für Sie und wo man Sie einzuordnen hat als alles andere.
Diejenigen, die am 8. Mai 1945 befreit wurden, sind nämlich insbesondere die Überlebenden aus den Konzentrationslagern. Martha Gellhorn, eine amerikanische Journalistin, hat den 8. Mai im Konzentrationslager Dachau erlebt und in einer ihrer Reportagen dazu geschrieben: „Wir saßen in diesem Zimmer, in diesem verfluchten Friedhofsgefängnis, und
niemand hatte noch etwas zu sagen. Dennoch erschien mir Dachau als der passendste Ort in Europa, um die Nachricht vom Sieg zu hören. Denn gewiss wurde dieser Krieg geführt, um Dachau und alle anderen Orte wie Dachau und alles, wofür Dachau stand, abzuschaffen, und zwar für alle Zeiten.“ Das ist das, was den 8. Mai 1945 kennzeichnet, nämlich die Abschaffung dessen, was die Jahre vorher unter deutschem Regime mit der Mehrheitsbevölkerung in Deutschland stattgefunden hat, die industrielle Vernichtung von Menschen jüdischen Glaubens, die Vernichtung von Sinti und Roma, die Vernichtung von Homosexuellen, politisch Verfolgten, von Christen, von Menschen, die nicht in das Weltbild der Nationalsozialisten passten. Insofern ist der Tag ein Tag der Befreiung und insofern wollen wir den 8. Mai als Gedenktag hier in Thüringen verankern. Und das wollen wir im Jahr 70 nach 1945 auch deswegen, weil im Jahr 70 immer weniger Überlebende da sind, die uns erzählen können von dem, was sie in den Konzentrationslagern erlebt haben, und die uns erzählen können von der Befreiung.
Insofern ist es an uns, Verantwortung zu übernehmen und dafür zu sorgen, dass nie wieder, nie wieder Faschismus weitergetragen wird in der deutschen Gesellschaft und in Europa,
(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) I und das insbesondere angesichts der zunehmenden Übergriffe, die wir heute wieder erleben, angesichts brennender Flüchtlingsheime, angegriffener Flüchtlinge, angesichts marodierender Nazibanden, die – wie erst kürzlich hier in Thüringen – durch Städte ziehen und Menschen willkürlich zusammenschlagen (Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Die anderen waren es nicht?)
ohne Rücksicht, ohne Grenzen zu kennen, ohne die Menschenwürde auch nur im Geringsten zu achten. So halten wir es für notwendig, den 8. Mai als Gedenktag zu verankern, als Tag, an dem wir gedenken, an dem wir erinnern, an dem wir Verantwortung übernehmen und an dem wir – so hatte ich das auch in der Aktuellen Stunden gesagt – ins Handeln kommen und dass wir ihn auch feiern und begehen können als einen Tag des Lebens für diejenigen, die dank des 8. Mai, dank der Unterzeichnung, dank der Kämpfe der Alliierten überleben konnten und mit ihnen, solange sie noch leben, und mit ihren Nachkommen vielleicht auch zusammen feiern können.
Damit negieren wir keineswegs, was nach dem 8. Mai geschehen ist. Aber ich halte es für notwendig, dass wir den 8. Mai als das Ende dessen betrachten, was bis dahin geschehen war. Das bedeutet nicht, auszublenden, was danach in den
heutigen neuen Bundesländern, auf dem ehemaligen Gebiet der DDR, geschah. Das bedeutet überhaupt nicht, auszublenden, wie gefährlich und wie schädlich ein staatlich verordneter Antifaschismus ist. Dass es keinen staatlich verordneten Antifaschismus geben kann und dass dieser falsch ist, das steht zumindest für mich außer Frage. Ein Antifaschismus, der sich für eine freie und offene Gesellschaft einsetzt, kann nur von der Gesellschaft selbst ausgehen und nicht, weil von oben her Entsprechendes formuliert oder in entsprechende Handlungen gegossen wird.
Ich habe eben schon erwähnt, dass wir angesichts der zunehmenden Übergriffe, brennender Flüchtlingsheime und Ähnlichem mehr ins Handeln kommen und Verantwortung übernehmen müssen. Wir müssen das aber auch angesichts zunehmender – und ich kann es nicht anders sagen – geschichtsklitternder Äußerungen. Da möchte ich an einer Stelle dann zumindest doch aus der Kleinen Anfrage des Abgeordneten Mohring zitieren, in der er die Rede des Ministers für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chefs der Thüringer Staatskanzlei, Prof. Dr. Hoff, zur Einordnung des 8. Mai zitiert und dazu Fragen stellt. Ein Beispiel unter Frage 3: Prof. Dr. Hoff sagte „Wir verdanken es der sogenannten Wehrmachtausstellung, […], dass heute keiner mehr sagen kann: Mein Großvater war kein Verbrecher, wenn er über seinen Wehrmachtsgroßvater sprach.“ Dann die Frage von Herrn Mohring: „Ist der Satz dahin gehend zu verstehen, dass die Landesregierung bis zum Beweis des Gegenteils jeden Soldaten der Wehrmacht für einen Verbrecher hält?“ Wissen Sie, Herr Mohring, die Wehrmachtsausstellung hat insbesondere eines erreicht, dass die Legende von der sauberen Wehrmacht, wie sie bis zum Tag der Eröffnung der Wehrmachtsausstellung selbst in Deutschland in der Mehrheitsbevölkerung verankert war, nicht mehr gehalten werden konnte.
(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das sind doch nicht automatisch alles Verbrecher! Ge- nau das Gegenteil! Sie machen aus einer „sauberen Wehrmacht“ eine „Verbrecher- wehrmacht“!)
union, beteiligt war. Sie hat auch gezeigt, dass sie an unzähligen Kriegsverbrechen beteiligt war. Diese Frage zu stellen, erinnert mich dann zumindest an die Kritik, die es in den 90er-Jahren zur Eröffnung der Wehrmachtsausstellung aus rechtsoffenen Kreisen gegeben hat, die unter anderem unter dem Demonstrationsmotto „Mein Großvater war kein Verbrecher, mein Opa war kein Verbrecher“ auf die Straße gegangen sind, um gegen die Wehrmachtsausstellung zu demonstrieren. Ich glaube, es ist an uns, zu sagen, dass die Wehrmachtsausstellung dazu beigetragen hat, dass wir erstmalig kritisch reflektieren konnten und auch wissenschaftlich belegt bekamen, was die Wehrmacht mit verbrochen hat. Anstelle sich jetzt darüber zu unterhalten, ob die Äußerung von Prof. Hoff eine Pauschalverurteilung darstellt, sollten wir vielleicht die Wehrmachtsausstellung hierher nach Thüringen holen,
um denjenigen, denen die Verbrechen der Wehrmacht nicht bewusst sind, nochmals die Möglichkeit zu geben, sie zu erkennen und vielleicht im Anschluss ihre Fragen anders stellen zu können bzw. zurückzunehmen. Denn in dieser Form gibt es zumindest für mich einiges an Anschlussfähigkeiten hin zu den Äußerungen, die ich aus den 90er-Jahren kenne. Das wünsche und hoffe ich nicht, dass das das Ziel Ihrer Fragestellung ist. Danke schön.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Es gibt nunmehr weitere Wortmeldungen aus den Reihen der Abgeordneten. Als Nächstem erteile ich das Wort Herrn Abgeordneten Gruhner, CDU-Fraktion.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, zunächst will ich sagen, dass es, glaube ich, gut ist, dass wir hier eine Debatte darüber führen, wie wir in unserem Land gedenken und wie auch die Formen des Gedenkens sind. Ich glaube, das spricht durchaus für das Hohe Haus hier, und ich glaube, es ist auch unstrittig, dass es klarer und fester Bestandteil unserer politischen Kultur ist, dass wir des Holocausts angemessen gedenken müssen. Nur sage ich auch – und da will ich das noch einmal aufgreifen, was Frau König gerade hier gemacht hat –, was natürlich nicht geht, ist, dass man immer in so ein Schwarz-weiß-Denken verfällt, sich dann die Kleine Anfrage meines Kollegen Mike Mohring herausnimmt und dann hier versucht, in irgendeiner Art und Weise Revanchismus oder Ähnliches zu unterstellen. Ich finde, wenn man das, was Herr Prof. Hoff hier vor wenigen Wochen ausgeführt hat,
noch einmal genau nachliest, dann ist das, was der Kollege Mohring hier an Fragen vorgelegt hat, mehr als berechtigt. Dieser Debatte werden Sie sich stellen müssen.
Weil Sie hier natürlich auch noch einmal – und das ist Ihr gutes Recht – breit vorgetragen haben, warum Sie diesen Gesetzentwurf vorgelegt haben, will ich schon noch einmal zumindest die Frage stellen, worum es Ihnen offenbar im Kern eigentlich geht. Mein Eindruck ist nämlich, es geht Ihnen im Kern gar nicht darum, dass Sie primär der größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte hier gedenken wollen. Sondern um was geht es Ihnen eigentlich? Ihnen geht es darum, mit Geschichtspolitik – und auch das ist per se nichts Schlechtes –, aber Ihnen geht es darum, dass Sie hier Geschichtspolitik betreiben, um die Geschichtsschreibung der SED in das 21. Jahrhundert zu transformieren.
Das ist Ihr eigentliches Motiv und ich sage ausdrücklich, wir haben schon sehr differenziert zur Kenntnis genommen
Sie machen es durch Geschrei ja nicht besser –, dass Frau Pelke hier deutlich differenzierter argumentiert, als es Die Linke die gesamte Zeit tut, indem sie nämlich auch noch einmal – und das finde ich wichtig – in dieser Debatte den 17. Juni mit angeführt hat.
Und weil ich sage, Ihnen geht es darum, das Geschichtsbild der SED ins 21. Jahrhundert zu transformieren, will ich Ihnen auch sagen, wie das aussah, um Sie noch einmal daran zu erinnern. Willy Brandt – und ich will ihn wiederum zitieren – hat 1965 im Mai sehr treffend Folgendes gesagt, ich zitiere das mal: „Die Einheitspartei versucht, der Welt glauben zu machen, dass bei uns im Westen alles braun sei, während man in der Zone die richtigen Konsequenzen aus Krieg und NS-Diktatur gezogen habe.“ Ich finde, Willy Brandt hat gut zusammengefasst, worum es hier eigentlich ging. Es ging immer
darum, eine gewisse moralische Überlegenheit der SED-Diktatur und der DDR gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in den alten Ländern deutlich zu machen. Es ging darum, die DDR als die bessere Welt darzustellen. Das war auch Gründungslegende der DDR. Deswegen sagen wir ganz klar: Natürlich ging es bei diesem 8. Mai auch um die Legitimation der SED-Herrschaft und genau das und genau dieses Geschichtsverständnis
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das habe ich vorhin ge- sagt! Genau das habe ich gesagt!)
Deshalb ist der Vorwurf, den man hier berechtigterweise erheben kann, ganz klar: Sie wollen bewusst in Ihrem Sinne ins kollektive Gedächtnis eingreifen, Sie wollen Geschichtsbewusstsein verändern und Sie wollen den Menschen weismachen, dass