Ich glaube, an diesem Punkt sollten alle demokratischen Parteien die Gemeinsamkeit haben – und deswegen liegt hier der Gesetzentwurf vor –, dass wir als Änderung des Thüringer Feiertagsgesetzes in Ergänzung einen § 2 a – Gedenktage – mit einbinden wollen: „Der 8. Mai ist Gedenktag anlässlich der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des 2. Weltkrieges“.
Ich sage an dieser Stelle auch: Ja, Wolfgang Fiedler und die Kolleginnen und Kollegen der CDUFraktion, es ist für mich auch nach wie vor wichtig, dass der 17. Juni nach wie vor ein Gedenktag ist.
Als Tochter eines ehemaligen politischen Häftlings, der zu DDR-Zeiten vier Jahre in Waldheim abgesessen hat, möchte ich an dieser Erinnerung und an dem, was folgte, nicht vorbei. Ich möchte es nie vergessen und auch an dieser Stelle sagen, wir müssen alle dafür Sorge tragen, dass so etwas nie wieder passiert.
Ich sage an dieser Stelle auch deutlich – und das ist ein anderer Antrag, den wir morgen oder übermorgen sicherlich noch diskutieren unter Punkt 14 der Tagesordnung dieses Plenums, der jährliche Bericht der IMAG Aufarbeitung im Plenum, wo es auch um die Frage der Aufarbeitung geht: Ja, ich bin auch gern bereit, darüber nachzudenken, wie zum Beispiel der 17. Juni noch intensiver gewürdigt werden kann oder auch andere Termine, denn – das sage ich auch für mich ganz persönlich – diejenigen, die am 17. Juni den Aufstand gewagt haben, waren und sind für mich heute immer noch die Vorkämpfer derjenigen, die dann 1989 die friedliche Revolution umsetzen konnten.
In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen, denke ich aber, dass wir die gemeinschaftliche Feststellung treffen können: Der 8. Mai war der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Deswegen sollte es ein Gedenktag werden und er sollte nicht nur zur Rückerinnerung führen, sondern er sollte auch dazu führen, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, dafür Sorge zu tragen, dass, wie ich schon angesprochen habe, so etwas nie wieder passieren kann, was damals von Deutschland aus losgetreten worden ist. Letztendlich bleibt – auch das habe ich im letzten Plenum schon gesagt: Ein Gedenktag allein macht es natürlich auch nicht. Wir müssen jeden Tag wieder für unsere Demokratie eintreten und dafür kämpfen. Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Pelke. Als Nächster hat Herr Abgeordneter Kießling von der Fraktion der AfD das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, werte Gäste! Der uns vorliegende Gesetzentwurf beginnt mit der Begründung: „Zum 70. Mal jährt sich in diesem Jahr der Tag der Befreiung Deutschlands vom nationalsozialistischen Regime“, wohlbemerkt „nationalsozialistischen Regime“. Vor einem Monat haben wir an dieser Stelle über die Bedeutung des 8. Mai 1945 und darüber hinaus debattiert, wie in der öffentlichen Erinnerungskultur mit diesem Tag angemessen umzugehen ist. Nun haben die Regierungsfraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Thüringer Feiertagsgesetzes eingebracht, mit dem in einem Gedenktag anlässlich der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des Zweiten Weltkriegs gedacht werden soll. Wenn es darum geht, einen Gedenktag zum Kriegsende einzuführen, so stellen wir uns keineswegs hiergegen. Gewalt und Krieg sind keine Mittel der Demokratie, definitiv nicht.
Wenn dieser Gedenktag aber zugleich als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus festgeschrieben werden soll, so zeigt dies, dass die Regierungsfraktionen nicht imstande sind, der Ambivalenz dieses Tages gerecht zu werden – eine Ambivalenz, an die die AfD-Fraktion in der Plenardebatte vor einem Monat ausdrücklich erinnert hat.
Es war am 8. Mai 1949, also vier Jahre nach Kriegsende, als der FDP-Abgeordnete und spätere erste Bundespräsident, Theodor Heuss, in der 10. Plenardebatte des Parlamentarischen Rates die Ambivalenz, die dieser 8. Mai 1945 für die Deutschen hatte, auf einen sinnfälligen Begriff brachte. Heuss konstatierte, ich zitiere: „Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.“ Heuss war sich der Ambivalenz und der Tragik des 8. Mai völlig bewusst. Wir laufen hingegen Gefahr, die Vielzahl von Bedeutungs- und Deutungsaspekten auszublenden, die dieser Tag mit sich führt, wenn wir ihn allein als Tag der Befreiung verstehen. Das wäre ganz unhistorisch und anachronistisch. Wir sind ehrlicher, wenn wir die Widersprüche und unter
schiedlichen Bewertungsperspektiven dieses Tages in Erinnerung behalten und uns gerade damit kritisch mit diesem Ereignis auseinandersetzen können. Denn man muss sich die Frage stellen: Was passierte denn vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs? Wurde denn nicht quasi im Ersten Weltkrieg die Ursache für den Zweiten Weltkrieg gelegt? Und vor allem: Wer finanzierte diese Weltkriege? Man muss mal ganz klar die Frage stellen.
Ja, da muss man fragen: Wer hat denn den ersten Schuss abgegeben, bevor die Kriegserklärung abgegeben wurde, Frau Rothe-Beinlich? Das sollte man mal nachlesen.
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt wird es interessant! Reden Sie weiter, Herr Kießling!)
hören Sie bitte mal zu – lassen sich nicht einfach unter dem Stichwort der Befreiung auf einen Nenner bringen. Das gilt insbesondere für den sowjetisch besetzten Teil Deutschlands, also auch für Thüringen. Hier schloss sich am Ende des Krieges und der NS-Diktatur die Errichtung einer neuen Diktatur, eines neuen Unrechtsstaats an. Auch die millionenfache Vertreibung von Deutschen aus ihrer angestammten Heimat in den verlorenen Landesteilen kann nur von einem Zyniker als Befreiung beschrieben werden, ganz zu schweigen von den zahllosen Vergewaltigungen deutscher Frauen durch alliierte Soldaten oder auch den Morden an Zivilisten und auch den Sterbewellen in zahlreichen Lagern in Deutschland. Aber all diese Sachverhalte gehören eben auch zum 8. Mai 1945, wie die SPD dankenswerterweise vorhin mit ausgeführt hat. Wie gesagt: Wer will das leugnen? Wollen Sie die ganzen Toten nach dem 8. Mai 1945 leugnen?
Ich will abschließend auch daran erinnern, dass es an dieser Stelle schon einmal einen Tag der Befreiung als Gedenktag gab. 1950 bis 1966 nämlich feierte man den 8. Mai in der DDR offiziell als den „Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus“. Damit wollte das DDR-Regime seine antifaschistische Gründungsmythologie oder seinen Gründungsmythos pflegen. Der Feiertag wurde übrigens genau in dem Jahr eingeführt, in dem die Sowjets das Speziallager Nr. 2 in Buchenwald, dem vormaligen KZ, aufgaben. Auch diese Zusammenhänge gehören zur Erinnerungskultur des 8. Mai und es mutet schon merkwürdig an, dass nun eine Landesregierung, die von der SED-Nachfolgepartei
angeführt wird, hier wiederum einen Tag der Befreiung einzuführen gedenkt. Dieses sehr durchsichtige geschichtspolitische Manöver macht die AfDFraktion nicht mit. Auch darf ich an die Mehrkosten bei so einer Einführung erinnern.
Ich möchte schließen mit einem Zitat von 1985, einer Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, was hier auch in Ihrer Begründung angeführt wurde. Da steht ganz klar drin: „Der 8. Mai ist ein Tag der Erinnerung. Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, dass es zu einem Teil des eigenen Innern wird. Das stellt große Anforderungen an unsere Wahrhaftigkeit. Wir gedenken heute in Trauer aller Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft.“ Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, die regierungstragenden Fraktionen Die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben in der Tat ein Gesetz zur Änderung des Feiertagsgesetzes vorgelegt, weil es uns eigentlich um eine, ja, hoffentlich, Selbstverständlichkeit geht, nämlich den 8. Mai als Tag der Befreiung auch so zu begehen als den Tag der Befreiung, der er tatsächlich ist. Ich gebe zu, nach der Rede von Herrn Kießling, insbesondere wenn er sich vom Manuskript gelöst hätte, bin ich schon in großer Sorge, weil – ich riskiere es jetzt mal – ich das als Geschichtsklitterung verstanden habe, die ich für hochgradig gefährlich halte, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Aber ich glaube, es ist wichtig, bei solchen Themen und gerade auch bei solchen Debatten ganz genau nachzufragen. Deshalb, Herr Kießling: Wer hat denn wann und wie den Krieg begonnen? Ja, wer hat?
Wenn Sie sich die hervorragende Weizsäcker-Rede von 1985 mal ganz genau anschauen – und meine geschätzte Kollegin Birgit Pelke hat gerade schon einiges zitiert, was ich auch vorgetragen hätte –, dann macht er einen Zusammenhang deutlich und den werde ich jetzt auch mit einem Zitat noch einmal aufzeigen. In dieser wirklich wegweisenden Rede – im Übrigen bin ich da sehr froh, eine Weizsäcker-Rede zu zitieren, und ich weiß schon,
warum ich nicht Herrn Heuss zitiere – hat er zum Tag der Befreiung gesagt: „Er hat uns alle befreit“, zitierte auch Frau Pelke schon, „von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ Und er sagte dann aber auch: „Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.“ Das halte ich für extrem wichtig.
Der 70. Jahrestag der Befreiung – wir haben tatsächlich im letzten Plenum im Rahmen einer Aktuellen Stunde schon darüber diskutiert, damals unter den drei Schlagworten „Erinnerung, Gedenken und Verantwortung“. Deutschland hat Europa – ich glaube, da wird niemand widersprechen – mit einem mörderischen, genau genommen mit zwei mörderischen Kriegen überzogen. In unserer Begründung zum Gesetz haben wir das auch noch einmal ausformuliert. Dies bedeutete nämlich für Millionen Menschen den Tod: Millionen Juden, Sinti und Roma, die Zeugen Jehovas, verschleppte Sklaven und Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die Homosexuellen, die politischen Gefangenen, die Christen, die Kranken und Behinderten, eben all jene, die zur nationalsozialistischen Ideologie in Opposition standen, sie wurden versklavt, verfolgt und ausgelöscht.
Man muss sich klarmachen – auch das haben wir in der Begründung zum Gesetzentwurf ausgeführt –, dass der Antisemitismus den Resonanzboden für einen bis dahin unvorstellbaren Zivilisationsbruch abgegeben hat, nämlich der Shoa. Für diese Opfer bedeutete der 8. Mai 1945 das Ende des unmenschlichen NS-Terrors, der Bedrohung mit dem Tode, des industriellen Massenmords, der Vernichtung durch Arbeit. Ich finde es sehr wichtig, sich daran zu erinnern.
Herr Fiedler, Sie haben darauf hingewiesen, die Rezeption des 8. Mai ist in Ost und West in der Tat sehr unterschiedlich verlaufen. Auch vor der Aufarbeitung dürfen wir uns nicht drücken, in dem Sinne schließe ich mich voll und ganz meiner Kollegin Birgit Pelke an, die sich bereits bedankt hatte für Ihre Sichtweise. Ich will auch noch einiges gerade zur Rezeption in der ehemaligen DDR sagen. Ich sage ausdrücklich – und das habe ich auch schon in der Aktuellen Stunde vor einem Monat hier betont: Uns geht es nicht um verordneten Antifaschismus, der verordnet wird und dann ist alles gut. Denn dass das mitnichten funktioniert, das wissen wir alle. In der DDR war der Tag der Befreiung, so heißt es deshalb auch in unserer Begründung zum Gesetzentwurf, nicht nur ein zentraler Strang zur geschichtspolitischen Untermauerung der SED-Herrschaft, verankert im kommunistischen Widerstand gegen das Naziregime und mit Bezug auf die Rolle der Sowjetunion. Wir wissen, dass der Widerstand von bürgerlichen, kirchlichen und anderen Gruppierungen nur wenig Erwähnung fand und auch die Shoa, auf die ich vorhin schon abgehoben habe,
die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Europas, wurde erst nach 1989 stärker in die ostdeutsche Gedenkkultur aufgenommen. Ich will daran erinnern, dass erst die erste frei gewählte Volkskammer im April 1990 mit einer Resolution Verantwortung übernommen hat. Und in dieser Resolution hieß es wörtlich, ich zitiere: „Wir bitten die Juden in aller Welt um Verzeihung. Wir bitten das Volk in Israel um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Lande.“ Das war erst nach der ersten freien Volkskammerwahl möglich. In der DDR hat diese Rezeption so nämlich überhaupt nicht stattgefunden. Ich habe noch Schulbücher, Geografiebücher, in denen es Israel auf den Landkarten nicht einmal gegeben hat. Das müssen wir uns alle immer wieder vor Augen führen. Deswegen bin ich dankbar für eine ausgewogene Betrachtung. Nichtsdestotrotz, glaube ich, kommen wir doch alle zu dem Schluss, dass der 8. Mai ein Tag der Befreiung gewesen ist, auch wenn danach mitnichten Freiheit für alle herrschte.
Gerade in der ehemaligen DDR, das wissen wir, kann man nicht von Freiheit reden, weil auch dort Menschen eingesperrt, drangsaliert, zersetzt wurden, wenn sie in Opposition zum System standen. Trotzdem darf man das niemals gleichsetzen mit dem industriellen Massenmord, so wie ihn die Nazis über die Welt gebracht haben.
Ich habe neulich einen – wie ich finde – sehr guten Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ gelesen am 12. April 2015 von Heribert Prantl, der steht unter der Überschrift „Befreiung ist nie zu Ende“. Und ich will aus diesem Artikel zitieren. Heribert Prantl hat da geschrieben: „Vor siebzig Jahren wurden die Häftlinge der Konzentrationslager befreit. Sie wurden befreit von ihren Peinigern, aber nicht von dem Grauen, das sie erlebt hatten. Man wünschte, Deutschland sei damals auch vom Rassismus befreit worden, für alle Zeiten. Man wünschte, dass sich Deutschland in den sieben Jahrzehnten seitdem selbst vollends befreit hätte von Fremdenhass und Nazismus. Es ist leider nicht so. Der alte Rassismus ist immer wieder jung; er flammt immer wieder auf – nicht nur in Tröglitz. Der Bundesaußenminister sorgt sich deshalb um das deutsche Ansehen. Es ist schon wahr: Deutschland wird, auch siebzig Jahre nach Hitler, scharf beobachtet.“ Ich denke, dass wir mit der Einführung eines Gedenktags, der zum Erinnern, der zu Verantwortung einlädt, hier in Thüringen genau den richtigen Rahmen bieten. Ich glaube, das ist ein gutes Signal und ich frage mich: Wer kann da dagegen sein?
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Nach dem, was hier zum Teil in den letzten Minuten – und damit meine ich ausdrücklich nicht die Rede meiner Kollegin Astrid Rothe-Beinlich – zu hören war, stellt sich schon die Frage, was eigentlich los ist im 70. Jahr nach dem 8. Mai 1945, dass hier über die Wehrmacht und inwieweit die Wehrmacht wirklich beteiligt war