Protokoll der Sitzung vom 27.05.2015

Gibt es den Wunsch nach Begründung zum Gesetzentwurf? Herr Abgeordneter Blechschmidt, bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren, am 8. Mai 1945 endete mit Unterzeichnung der Kapitulationsurkunden in Berlin-Karlshorst ein durch Deutschland, durch die Deutsche Wehrmacht ausgelöstes Schlachten in Europa von bis dahin unvorstellbaren Ausmaßen, das sogar die Gräuel des vorangegangenen Ersten Weltkriegs in den Schatten stellt. Deutsche Wehrmacht, SS und Polizeiverbände hatten besonders in den osteuropäischen Ländern, in den Staaten des Balkans einen beispiellosen Vernichtungsfeldzug geführt, dessen Opfer Millionen zählen. Weitere Hunderttausend gingen als verschleppte Arbeitssklaven in der Rüstungsindustrie des Deutschen Reichs zugrunde. Parallel dazu betrieb Nazideutschland ein planmäßiges und industrielles Vernichtungsprogramm gegen europäische Juden, Sinti und Roma sowie andere sogenannte Minderwertige wie Angehörige slawischer Volksgruppen, geistig und körperlich Behinderte, Verfolgte, politisch Andersdenkende, Pazifisten, Demokraten, Angehörige religiöser Minderheiten.

Für all diejenigen, die diese Torturen, die Vernichtung durch Arbeit, den systematischen Massenmord, überlebt hatten, bedeutete der 8. Mai 1945 einen Tag der Freude und des Sieges über ihre Peiniger.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Auch die Deutschen, die nicht im Widerstand waren, die nicht aus rassischen oder ideologischen Gründen ausgesondert wurden, verdanken dem 8. Mai – und ich zitiere den ehemaligen Bundesprä

sidenten Richard von Weizsäcker – die Befreiung „von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“.

(Beifall DIE LINKE)

Millionen hatten der NSDAP ihre Stimme gegeben, waren ihrem Führer willig in den Krieg gefolgt und standen in jenem Frühjahr 1945 buchstäblich vor einem Trümmerhaufen. Es war ein schmerzlicher Prozess der Aufarbeitung, des Neubeginns und der Anerkennung von Schuld, die Deutschland auf sich geladen hatte. Und er, dieser Prozess, ist auch heute noch lange nicht abgeschlossen.

Meine Damen und Herren, die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke haben daher entschieden, Ihnen ein Gesetz zur Änderung des Thüringer Feiertagsgesetzes vorzulegen, um den 8. Mai als Gedenktag im Freistaat Thüringen für die Zukunft fest zu verankern. Der 8. Mai ist damit kein arbeitsfreier, kein ideologisierter Feiertag, vielmehr soll er in seiner Funktion als Tag des Gedenkens, der Besinnung, aber auch der Freude über das Ende der zwölfjährigen Nazibarbarei gestärkt und im öffentlichen Bewusstsein verankert werden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Der 8. Mai unterstreicht in erster Linie die hohe Symbolkraft und Relevanz, die auch im Freistaat Thüringen diesem einschneidenden Datum in der deutschen und europäischen Geschichte zugemessen wird und dass wir gewillt sind, uns der Lehren aus der deutschen Geschichte anzunehmen. Verantwortungsvolles Handeln in diesem Sinne beinhaltet konsequent auch, im Hier und Heute gegen Antisemitismus, Antiziganismus sowie jede andere Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, für Grundrechte, Frieden und Demokratie einzustehen. Das sind wir gerade auch im Schatten von Buchenwald den Opfern schuldig. Der Volksmund sagt: „Wer sich der Vergangenheit erinnert und gedenkt, wird eine glaubhafte Zukunft gestalten.“ Danke.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Blechschmidt.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Herrn Abgeordneten Fiedler von der CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben heute den Punkt „Erstes Gesetz zur Änderung des Thüringer Feiertagsgesetzes“ – den Rest muss man hier nicht mehr vorlesen.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Das wäre aber wichtig!)

Meine Damen und Herren, die Regierungsfraktionen planen mit ihrem Gesetzentwurf die Einführung eines Gedenktags für die Befreiung vom Nationalsozialismus am 8. Mai. Ja, meine Fraktion teilt die Einschätzung, dass die Welt, Europa und das deutsche Volk im Mai 1945 durch die Alliierten von der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft befreit wurden.

Gestatten Sie mir an der Stelle, bevor ich weiter im Text gehe, Herr Kollege Blechschmidt: Ich kann nicht alles teilen, was Sie gesagt haben. Sie haben zum Beispiel gesagt – wenn ich Sie richtig verstanden habe, es kam so rüber –, dass die Deutsche Wehrmacht diejenige war, die das Ganze angezettelt hat. Das war nicht die Deutsche Wehrmacht, sondern das waren Hitler & Co. Ich verkürze es einfach mal. Es war nicht die Deutsche Wehrmacht.

(Beifall CDU, AfD)

Wissen Sie, es gibt noch viele,

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Die Wehrmacht hat aber doch mitgemacht!)

die im Krieg Menschen verloren haben und wo man das nicht so einfach pauschaliert hinstellen kann, so unter dem Motto

(Unruhe DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE)

Sie können doch erzählen, was Sie wollen, kommen Sie doch vor.

Es geht mir einfach darum, dass man nicht pauschal alle Soldaten, die teilweise damals gezogen wurden, hier so hinstellen kann. Das verbitte ich mir einfach, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU, AfD)

Herr Abgeordneter Fiedler, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Da trennen sich unsere Auffassungen. Befreiung heißt nach meinem demokratischen Gesellschaftsverständnis auch, dass ein befreites Volk fortan in Freiheit und ohne Repressionen lebt, und überdies, dass der Staat die Würde eines jeden Menschen achtet und respektiert. Selbst die ewig Gestrigen hier im linken Block werden – bei objektiver Sichtweise der deutschen Geschichte nach 1945 – zugeben müssen, dass die DDR im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland alles andere als ein freiheitlich-demokratischer Staat war.

(Beifall CDU, AfD)

Einige von uns haben es durchlebt. Ich sage bewusst nur „durchlebt“. Mit Erlaubnis, Herr Präsident, zitiere ich SPD-Altkanzler Willy Brandt, der 1965 zum 20. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkriegs unmissverständlich feststellte – jetzt sollten die Sozialdemokraten mal in sich gehen: „Für uns bedeutet der [8.] Mai 1945 nicht nur, dass wir frei von etwas, sondern dass wir auch frei für etwas wurden: frei von Zwang, frei für die Würde des Menschen. In diesem Sinne hat die Zone den 8. Mai 1945 erst noch vor sich.“ Das hat der sehr anerkannte Altbundeskanzler Willy Brandt, den ich übrigens sehr schätze, gesagt.

(Beifall CDU)

Weil wir den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen können, wollen wir ihn auch nicht von den Jahrzehnten danach trennen – nicht vom 17. Juni 1953, nicht vom 13. August 1961.

(Beifall AfD)

Es war eben keinesfalls so, dass die Menschen in der DDR das SED-Regime vor allem als Allianz der Befreiten und Befreier empfanden, wie der sehr geehrte Herr Minister Prof. Dr. Hoff an diesem Pult ausführte. Wenn der Chef der Staatskanzlei davon spricht, dass es vor allem darum ging, die Menschenrechte und ihre Unantastbarkeit zu definieren, genau diesen Gedanken in der Mitte der Gesellschaft zu verankern, so steht eines ganz sicher fest: Die SED und die sowjetische Besatzungsmacht leisteten gerade dies nicht. Das Gegenteil war der Fall.

(Beifall CDU)

Zudem stand der sogenannte Tag der Befreiung in der DDR symbolisch auch und vor allem für eine Legitimation der SED-Diktatur und all ihrer Auswüchse, wie zum Beispiel Staatssicherheit etc.

(Beifall CDU, AfD)

Für das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus steht der 27. Januar – und das ist gut so. Es wird Sie daher nicht verwundern, meine Damen und Herren, dass meine Fraktion den Gesetzentwurf und dessen Intention ablehnt. Meine Damen und Herren, ich denke, es muss auch möglich sein, dass man unterschiedlicher Meinung ist. Das sollte man von hier vorne auch sagen dürfen. Denn das haben wir uns 1989 gemeinsam erstritten, die jeweils mitgemacht haben.

(Beifall CDU, AfD)

Ich weigere mich einfach, dass nur das eine gut ist und das andere nur schlecht ist – wir haben das in den zurückliegenden Debatten auch schon gehabt –, sondern es geht einfach um die, die in der DDR gelebt haben, bewusst gelebt haben. Ich habe bewusst dort gelebt. Die haben erfahren müssen,

was dort unter dem sogenannten Sozialismus alles passiert ist. Deswegen, meine Damen und Herren, jetzt den 8. Mai so hochzustilisieren, das können wir nicht teilen, wollen wir nicht teilen und deswegen werden wir dem auch auf keinen Fall zustimmen.

(Beifall CDU, AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Nun hat das Wort Frau Abgeordnete Pelke von der SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr viel ist aus meiner Sicht dem, was André Blechschmidt hier zur Frage „Gedenktag 8. Mai“ vorangeschickt hat, nicht mehr hinzuzufügen. Ich glaube, wir haben auch im letzten Plenum in der Diskussion im Rahmen einer Aktuellen Stunde sehr deutlich die Positionen ausgetauscht. Ich bin an dieser Stelle – das will ich auch sagen – den kritischen Worten von Herrn Primas und auch jetzt von Wolfgang Fiedler dankbar, weil wir uns sicher an solchen Punkten in einer Auseinandersetzung befinden, die noch an vielen anderen Stellen weitergeführt werden muss.

Aber in einem Punkt, lieber Wolfgang, sind wir uns einig – du hast es eben selbst sehr deutlich gesagt –: Ja, der 8. Mai war ein Tag der Befreiung.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich bitte noch mal zitieren, auch wenn Kollege Blechschmidt es schon vorweggenommen hat und ich auch bereits in der Diskussion im letzten Plenum aus der wirklich wichtigen Rede für die Bundesrepublik Deutschland und damit auch insgesamt für Deutschland von Richard von Weizsäcker zitiert habe. Lassen Sie mich noch mal zitieren, ich glaube, an dieser Stelle werden wir – und ich beziehe mich jetzt auf die Fraktionen der Koalition und auf die CDU – die Gemeinsamkeit, denke ich, feststellen können. Ich zitiere: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung.“ Das sagte er wörtlich. Und weiter im Zitat: „Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ – weiter im Zitat – „Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte.“

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)