Die Versammlungsfreiheit soll allen Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, sich unbefangen und frei öffentlich zu äußern. Sie soll – wie das Bundesverfassungsgericht formuliert – ein Stück ungebändigte und unmittelbare Demokratie sein. Sie dient denen und muss denen dienen, die nicht über eine besondere Macht verfügen, insbesondere diejenigen, die nicht in Lobbygruppen organisiert sind. Wie jedes Recht ist aber auch und gerade das Versammlungsrecht bedroht, einseitig missbraucht und letztlich auch ausgehöhlt zu werden. Die Mütter und Väter unserer Verfassung haben diese Gefahr auch aus der leidvollen Erfahrung unserer ersten Demokratie, der Weimarer Republik, klar erkannt und den Gesetzgeber – also uns – ausdrücklich ermächtigt, dieses Grundrecht durch besondere Regelungen im Interesse der Demokratie zu schützen.
Das für den Freistaat geltende Versammlungsrecht ist gegenwärtig und überwiegend im Versammlungsgesetz des Bundes aus dem Jahr 1953 geregelt. Das Bundesversammlungsgesetz hat mittlerweile deutliche Schwächen und ist vor allem neuen Entwicklungen von Versammlungen nicht mehr in dem Maße gewachsen, wie wir uns dies alle wünschen. Insbesondere hat es der Bund in den letzten Jahren nicht vermocht, das Versammlungsgesetz an die anspruchsvolle Rechtsprechung der Verfassungsgerichte anzupassen, vor allem an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Auch ist die versammlungsrechtliche Praxis heute deutlich stärker durch eine kaum mehr zu überschauende Einzelfallrechtsprechung geprägt. Es fehlt die gesetzliche Umsetzung zu einer ganzen Reihe dieser Einzelfallentscheidungen. Mit der Föderalismusreform I ging die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht 2006 vom Bund auf die Länder über. Bisher haben von der Möglichkeit zum Erlass eines eigenen Landesversammlungsgesetzes fünf Länder Gebrauch gemacht: Bayern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Schleswig-Holstein.
Wir sind mit unserem Thüringer Versammlungsgesetz nicht allein und keineswegs auf Irrwegen fernab der Verfassung.
(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hat ja keiner behaup- tet, aber hilfreich ist es auch nicht!)
Auch das Innenministerium hatte – noch unter dem Vorgänger des derzeitigen Ministers – einen Gesetzentwurf erarbeitet, der sich an das Bayerische Versammlungsgesetz anlehnte, der jedoch leider nicht weiterverfolgt wurde. Mit unserem Gesetz soll selbstredend weiterhin garantiert werden, dass sich jeder im Rahmen der Verfassung frei versammeln und seine Meinung sagen kann und ein Verbot einer solchen Versammlung nicht möglich ist. Unser Entwurf nimmt allerdings Extremisten und Chaoten in den Fokus. Wir reagieren damit auf das unerträglich provozierende Auftreten Rechtsextremer, die die Würde der Opfer des Nationalsozialismus mit den sprichwörtlichen Stiefeln treten.
Bedenklich sind aber auch die Entwicklungen in dem Bereich linksextremistischer militanter Gruppierungen, die Versammlungen missbrauchen, um aus der Menge heraus Straftaten zu begehen. Daher haben wir mit unserem Gesetz auch militante
Zusätzlich wollen wir es erschweren, dass Extremisten Versammlungen an geschichtlich besonders sensiblen Tagen oder Orten durchführen und dabei auf unerträgliche Art und Weise die Würde der Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes oder der SED-Diktatur verletzen.
(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist doch der Hammer, Herr Geibert, dass Sie das gleichsetzen! Das ist eine Relativierung, merken Sie das nicht?)
Meine Damen und Herren, es ist uns vollkommen bewusst, dass dieser Gesetzentwurf aufgrund der nur sehr engen verfassungsrechtlichen Möglichkeiten kein Allheilmittel gegen Versammlungen von Gruppierungen der politischen Ränder ist, und zwar von rechts wie von links. Das wird, kann und soll er auch gar nicht. Derartige Versammlungen wird unsere wehrhafte Demokratie auch weiterhin aushalten bzw. aushalten müssen. Aber wir wollen es Extremisten künftig erschweren und wir wollen im Idealfall sogar verhindern, dass insbesondere Rechtsextremisten unter dem gern zitierten Deckmantel der Versammlungs- und Meinungsfreiheit mit kommerziellen Pseudomusikveranstaltungen Profit machen und dabei noch mit Liedern, Texten und Symbolen Demokratie und Menschenwürde herabwürdigen. Unter Rot-Rot-Grün haben gerade solche Rechtsrockkonzerte im Freistaat massiv zugenommen. Thüringen hat sich in den zurückliegenden fünf Jahren leider zu einem Anziehungspunkt der rechtsextremen Szene aus dem In- und Ausland entwickelt.
Die Zahl extrem rechter bzw. nationalsozialistischer Konzerte bewegte sich zwischen 2007 und 2014 im Durchschnitt bei 25 Konzerten im Jahr. Zwar lag Thüringen im bundesweiten Vergleich bereits damals im vorderen Drittel, gleichwohl ist diese Zahl seit 2015 massiv angestiegen. Im Jahr 2015 verdoppelte sich die Anzahl auf nahezu immerhin 46 solcher Veranstaltungen. Auch in den folgenden zwei Jahren setzte sich diese Entwicklung fort. Im Jahr 2016 wurden 54 und im Jahr 2017 sogar 60 Konzerte gezählt.
Auch wollen wir erschweren, dass Extremisten Versammlungen an geschichtlich besonders sensiblen Orten oder Tagen durchführen und dabei auf eine
unerträgliche Art und Weise die Würde der Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes oder der SED-Diktatur verletzen. Gerne hätten wir unser Versammlungsgesetz in den Fachausschüssen intensiv diskutiert, auch und gerade in Bezug auf die sich ergebenden verfassungsrechtlichen Fragestellungen, um es gemeinsam mit allen demokratisch Gesinnten noch besser zu machen. Aber Rot-RotGrün hat das leider verhindert.
Lassen Sie uns für Thüringen heute den Grundstein für ein modernes Versammlungsrecht legen, das auf den bewährten Regelungen des Bundesversammlungsgesetzes gründet, das die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts weiterentwickelt und das insbesondere für die kommunalen Aufsichtsbehörden größere Rechtssicherheit schafft. Lassen Sie den wohlfeilen vollmundigen Ankündigungen, alles gegen den Missbrauch und die Aushöhlung des Versammlungsrechts unternehmen zu wollen, auch mutige Taten folgen.
Ich lade alle Kolleginnen und Kollegen hier im Haus ein, es uns gleichzutun, und gemeinsam als Demokraten für Thüringen parteiübergreifend ein klares Bekenntnis für wehrhafte Demokratie abzulegen.
Stimmen Sie dem vorgelegten Gesetzentwurf zur Einführung einer landesrechtlichen Regelung über Versammlungen zu. Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Vorbemerkung: Wie wirksam ein Landesversammlungsgesetz bei der
Bekämpfung der Feinde der Demokratie tatsächlich ist, konnten wir am 1. Mai in Plauen in Sachsen erleben.
Ich bin dem Innenminister durchaus dankbar, dass er Position bezogen hat. Ich hoffe, dass wir das in Thüringen auch rechtlich umsetzen können, und zwar ganz ohne eigenes Landesversammlungsgesetz, weil das nämlich eine der wesentlichsten Forderungen ist, im Umgang mit Neonazis den vorhandenen rechtlichen Rahmen auszuschöpfen. Diesen Rahmen haben wir, im Rahmen des Grundrechts und im Rahmen des bestehenden Bundesversammlungsgesetzes. Da braucht es kein Landesversammlungsgesetz und vor allen Dingen keinen falschen Eindruck, Herr Geibert, den Sie versuchen hier zu erwecken, dass wir die Probleme des Neonazismus in dieser Gesellschaft mit einem Versammlungsgesetz lösen können.
Sie haben in Ihrem zweiten Redebeitrag in der ersten Beratung gesagt: „Herr Dittes, ich danke Ihnen für Ihren Beitrag.“ Das ist ja aus meiner Sicht durchaus etwas Überraschendes. Mich überrascht dieser Satz vor allem deshalb, weil ich Ihnen dargelegt habe, wie viele Fehler in Ihrem Gesetzentwurf vorliegen, die uns eben daran hindern, ein so fehlerhaftes Gesetz im Innenausschuss zu beraten.
Der erste Fehler, der eigentlich über allem steht, der aber Ihrer Motivation für dieses Gesetz zugrunde liegt, ist der, dass Sie glauben, mit einem Landesgesetz die Grundrechtswahrnahme beschränken oder begrenzen zu können. Das ist tatsächlich ein verfassungsrechtlicher Irrglaube,
aber den versuchen Sie auch immer wieder hier in den Vordergrund zu schieben, als Motiv hervorzuheben.
Ich will Ihnen auch noch einmal die Fehler schlaglichtartig hier aus Ihrem Gesetzentwurf wiederholen. Sie formulieren in § 2 Abs. 3, dass das kommunikative Anliegen des Veranstalters maßgebend für die Einordnung einer Veranstaltung als Versammlung zu bewerten oder heranzuziehen ist. Was heißt das denn in der Konsequenz? Dass Sie die Versammlungsbehörden in die Pflicht setzen, im Prinzip das Anliegen, das zugrunde liegende Motiv des Veranstalters auszuforschen, gegebenenfalls diesen sogar in die Situation bringen, seine Inanspruchnahme des Rechts auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit gegenüber der Behörde begründen zu müssen, und das ist schlichtweg mit
Ein zweiter Rechtsfehler in Ihrem Gesetz findet sich in § 11 Abs. 3, wo Sie sich mit Videoaufnahmen von Versammlungen bevorraten wollen und diese noch nicht einmal löschen wollen, wenn keine Vorfälle zu verzeichnen waren, keine Straftaten zu verzeichnen waren, sondern wenn Sie einfach nur annehmen, dass zu besorgen sei, dass von dieser Person erhebliche Gefahren für künftige Versammlungen ausgehen – „zu besorgen sei“. Eine solche Regelung zur Bevorratung mit Videoaufnahmen ist schlichtweg verfassungswidrig. Da gibt es schon einschlägige Urteile auch des Bundesverfassungsgerichts, auch im Übrigen zum Landesversammlungsgesetz Bayern, die ähnlich weitreichende Befugnisse für die Polizei mit verankert haben.
Ein weiterer Fehler in Ihrem Gesetzentwurf: Sie benennen in § 17 bei den Orten, die besonders zu schützen sind, Orte, die es in Thüringen in dieser Form überhaupt nicht gibt. Das ist ein ganz klassischer handwerklicher Fehler. Und ein dritter Fehler: Da sagen Sie, Sie hätten einfach aus dem Bundesversammlungsgesetz abgeschrieben, wenn Sie sagen, dass die §§ 15 und 16 Bundesversammlungsgesetz für Wallfahrten, Bittgänge, Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen nicht gelten, und deswegen kann das doch im Landesversammlungsgesetz nicht falsch sein, wie ich Ihnen vorgeworfen habe. Nur leider haben Sie nicht nur das Bundesversammlungsgesetz zitiert, sondern auch in § 18 Abs. 2 Nr. 3 noch ein weiteres Verbot aufgenommen. Und dann wird eben auch Ihre Übernahme der restlichen Regelungen aus dem Bundesversammlungsgesetz höchst absurd, nämlich Sie haben das Verbot aufgenommen, sich im Anschluss an oder sonst im Zusammenhang mit derartigen Veranstaltungen mit anderen zu einem gemeinschaftlichen friedensstörenden Handeln zusammenzuschließen, und dann dafür eine Ausnahme formuliert, dass das zulässig sein kann, wenn man zum Gottesdienst kommt. Also nach dem Gottesdienst soll das gemeinschaftliche Begehen von friedensstörendem Handeln erlaubt sein. Herr Geibert, das ist doch letztendlich der Grund, weswegen wir aus handwerklichen und rein fachlichen Gründen Ihr Gesetz hier nicht zu einer Grundlage der Beratung im Ausschuss hätten machen können. Hätten Sie sich am Mustergesetzentwurf beim Versammlungsgesetz der Länder orientiert, dann hätten wir tatsächlich im Ausschuss darüber geredet.
Das wird aber nicht Ihrem Anliegen gerecht. Und, Herr Mohring, Sie haben eben bei Frau Henfling erwidert, immer haben Sie geschrien: Wort und Tat stimmen bei dieser Koalition nicht überein, die Koalition redet nur bei der Bekämpfung des Neonazismus; aber Sie handeln!