Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Pfefferlein von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, kein Thema im Gesundheitsbereich wurde in den letzten Tagen und Wochen so kontrovers diskutiert wie das Thema „Impfen“ – konkret gegen Masern.
Und warum ist das so? Weil es uns alle angeht, weil alle mitreden können, weil der eine solche und die anderen solche Erfahrungen damit gemacht haben, Geschichten und Fakten kennen, die es möglich machen, eine ziemlich definierte Meinung dazu zu bilden.
Wir beraten heute auf Antrag der CDU‑Fraktion über die Einführung der Impfpflicht gegen Masern. Wir von der Grünen-Landtagsfraktion stehen diesem Vorschlag skeptisch gegenüber. Deshalb gibt es auch einen Alternativantrag von uns. Warum? Das haben uns in den vergangenen Wochen viele gefragt und ich möchte Ihnen gern meine Position dazu erklären. Als ich den Antrag von der CDU las, drängte sich die Frage auf, wie die von Ihrem Parteikollegen Spahn geforderte Impfpflicht denn wohl aussehen soll und wie, bitte schön, soll eine solche Impfpflicht denn in Thüringen durchgesetzt werden. Sollen die Kinder – ich überziehe jetzt bewusst – mit Polizeischutz in die nächste Kinderarztpraxis verfrachtet werden, um dort den Impfstoff verabreicht zu bekommen oder kommt die Kinderärztin unter Geleit der Staatsmacht in die Elternwohnung oder in die Kindergärten, Schulen und Horte, um dort die benötigten Impfdosen an das Kind zu bringen?
Spahn sprach sich für eine Geldbuße von 2.500 Euro aus, die die Eltern für ihre ungeimpften Kinder aufgedrückt bekommen könnten. Im Straßenverkehr wäre das ja auch so üblich, wenn andere gefährdet werden, so seine Begründung. Nachdem ihm dafür wieder böser Wind aus allen Richtungen entgegenwehte und er nach konkreten Vorschlägen zur Umsetzung gefragt wurde, wurde das Thema erst mal beiseite gelegt. Verzeihen Sie mir diese Überspitzung dieser Darstellung, doch manchmal muss das Mittel der Überspitzung eben auch von diesem Platz herhalten, um den Scheinwerfer auf die Denkfehler mancher Ideen zu richten.
Ich denke da selbst an meine Kindheit und das macht mir das immer wieder bewusst. Im Kindergarten, wir konnten gar nicht widersprechen, wurde halt durchgeimpft, ob das Kind erkältet war oder nicht. Und das ist genau diese Diskussion, die wir hier gerade mit den Masern führen müssen. Was ist, wenn im Kindergarten die zweite Impfung nicht verabreicht werden kann? Denken wir mal weiter. Kommt das Kind dann nicht in die Schule? Das fehlt mir in dieser Debatte komplett. Hier wird eine Impfpflicht rausgehauen, aber wie soll das umgesetzt werden?
Ich möchte das nicht wieder. Und deshalb ist das auch meine Begründung dafür. Und was ist es nächstes Jahr? Sind es die Röteln, Influenza, ich weiß es nicht. Wie ist es dann in den Betrieben? Die Antwort ist mir der Antrag an dieser Stelle schuldig geblieben. Aber wir reden darüber und das ist gut und wichtig. Und ich will an dieser Stelle auch noch mal unmissverständlich klarstellen: Impfungen sind eine äußerst wirksame Präventionsmaßnahme. Wer sich impfen lässt, schützt sich selbst und die anderen Menschen vor schweren Krankheiten. Das unterschreibe ich mit meiner vollsten Überzeugung.
Ich habe noch ein paar Fakten für Sie, die das vielleicht in ein anderes Licht stellen: In Deutschland bestehen die größten Defizite beim Impfschutz von Kindern gegen Keuchhusten, Hepatitis B und den zweiten Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln. Warum also sollen nur die Masern beimpft werden? Studien besagen, dass bei einer verpflichtenden Impfung gegen eine Krankheit die Impfquoten für die anderen lediglich empfohlenen Impfungen in den Keller gehen. Und die Impfpflicht ist scheinbar ein nur unzureichend geeignetes Mittel, um eine Krankheit in Schach zu halten.
Wir sehen das recht schön an den Zahlen aus unseren Nachbarländern. In Italien, da gibt es eine Impfpflicht, mit 60 Millionen Einwohnern und einer
staatlichen Impfpflicht wurden im vergangenen Jahr 2.517 Masernfälle registriert, in Frankreich, auch Impfpflicht, mit 65 Millionen Einwohnern 2.913 Fälle, in Deutschland, wir sind 82 Millionen Einwohner, hatten wir 543 Fälle.
Impfpflicht führt nicht zu höheren Impfraten, sondern vor allem zu mehr bürokratischem Aufwand. Die meisten Menschen sind doch bereit und verantwortungsbewusst genug, auch zum Schutz der eigenen Gesundheit den Impfschutz nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission vollständig zu halten. Wir brauchen hohe Impfquoten, wir wollen hohe Impfquoten für alle gefährlichen Infektionskrankheiten und nicht nur für Masern. Wer geimpft ist, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch seine Mitmenschen, aber nicht mit Zwangsimpfung, sondern durch transparente, vernünftige, niedrigschwellige und sich oft wiederholende Informationszugänge für alle Bevölkerungsgruppen.
Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können, sind auf den ausreichenden Herdenschutz angewiesen. Deshalb ist es nicht nur im Eigeninteresse, sich impfen zu lassen, sondern eine moralische Pflicht gegenüber der Gesellschaft. Aber wir werden niemanden dazu zwingen, was bei der derzeitigen Impfquote auch nicht notwendig ist, da die fehlenden Prozente ziemlich sicher mit einer umfangreichen Informations- und Aufklärungsarbeit eingeholt werden können.
Ich persönlich sehe das immer – das sage ich auch an der Stelle – daran: Mein Zahnarzt schickt mir zweimal im Jahr eine Karte, da steht drauf, dass mein Termin wieder fällig ist, und da fällt mir ein, „Ja, stimmt!“, und da rufe ich an und sage, „Vielen Dank für die Erinnerung“, und genau das Gleiche könnte beim Impfen auch gemacht werden.
Statt einer aufgeregten Debatte über Impfpflicht mit angedrohten Bußgeldforderungen brauchen wir eine angeregte Debatte, wodurch der Impfgleichgültigkeit mit geeigneten Informationskampagnen mit der Beratung, die durch gute Argumente überzeugt, begegnet werden kann, und die
auch Erwachsene erreicht, um die Impflücken bei Jugendlichen, jungen Erwachsenen, älteren Menschen zu schließen.
spruch verwehrt würde. Die Forderung, dass zur Aufnahme in die Kita eine Schutzimpfung zwingend vorgesehen ist, konkurriert mit der Bundesgesetzregelung über die Kinderbetreuung in Tageseinrichtungen und dem Rechtsanspruch des Kindes auf frühkindliche Förderung bzw. ganztägige Förderung in einer Kindertageseinrichtung aus dem Thüringer KitaG.
Vielleicht kommt ja der Herr Spahn mal mit guten Ideen um die Ecke. Wir würden es sehr begrüßen, wenn er zum Beispiel auch die längst überfällige Einführung des digitalen Impfpasses befördern würde. Damit nämlich könnten Impflücken schneller auffallen und schneller geschlossen werden. Patientinnen und Patienten könnten ihren persönlichen Impfstatus von überall und jederzeit abrufen und Ärzte könnten auf Grundlage des elektronischen Passes an alle notwendigen Impfungen erinnern. Hier braucht es ein breites Bündnis mit Krankenkassen, Arztpraxen, einen starken ÖGD, von der Geburtsabteilung bis zur Hausarztpraxis, und eben auch elektronische Verstärkung und wir brauchen eben nicht nur Masernschutz, sondern die generelle Impfaufklärung inklusive Appell an das Bewusstsein für die Herdenimmunität. Es ist doch ganz einfach und gut für alle, der eigene Impfschutz für die eigene Gesundheit und den Schutz der Gemeinschaft – freiwillig. Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnetenkollegen, Besucher auf der Tribüne und liebe Zuschauer im Netz! Vorab, bevor ich es vergesse: Frau Kollegin Pfefferlein, herzlichen Dank für Ihre sachlichen und fundierten Ausführungen. Die hier vorliegenden
Anträge der Fraktion der CDU und der vereinigten Linken liegen ja voll im zeitgeistigen Trend, für alle Probleme in Deutschland grundsätzlich nach gesamtgesellschaftlichen Lösungen zu suchen, die jeden einzelnen Bürger fallweise seiner Individualität entkleiden und versuchen, ihn in ein gesellschaftlich definiertes Korsett zu zwängen. Ja, die Linken kennen sich damit aus.
Wenn solche Vorstöße von der linken Seite kommen, wie Enteignung großer Wohnungsunternehmen als Placebo gegen Wohnungsnot in überfüllten Großstädten oder die Enteignung höchst erfolgreicher privater Autofirmen, so wundert uns das nicht, kennen wir doch solche Ideen und deren schreckliche Umsetzung aus 40 Jahren DDR-Geschichte. Jetzt allerdings unternimmt die CDU-Fraktion als eilfertiger Sekundant des CDU-Gesundheitsministers in Berlin einen Vorstoß, zu dem sie sich überdies mit der Linksregierung des Bundeslands Brandenburg inhaltlich zusammenschließt. Geplant ist nicht mehr und nicht weniger als ein schwerer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit von Kindern und Erwachsenen im Rahmen einer Zwangsimpfung.
Und weil die CDU und der Herr Minister Spahn, der hier den Kevin macht, in Berlin gerade einmal dabei sind, bürgerliche Freiheitsrechte zu beeinträchtigen, empfehlen sie darüber hinaus zu prüfen, ob die Einführung weiterer Zwangsimpfungen gegen weitere eventuell gefährliche Infektionskrankheiten sinnvoll sei. Bisher wurden bei umfänglicher Beratung und Aufklärung der Eltern in Thüringen bei zugrundeliegender Freiwilligkeit Impfquoten zwischen 91 und 97 Prozent erreicht. Bisher war für den Kindergartenbesuch eines ungeimpften Kinds lediglich der Nachweis einer Pflichtberatung erforderlich. Dabei konnten säumige Eltern zunächst ihre Wissenslücken und danach auch die Impflücken ihrer Kinder schließen lassen. Zusammengenommen haben alle Maßnahmen dazu geführt, dass immer weniger Kinder an Masern und deren Folgeerkrankungen zu leiden hatten.
In der Antragsbegründung liefert die CDU-Fraktion einige Zahlen, die der Begründung des Eingriffs in staatsbürgerliche Grundrechte dienen sollen. Die ganz großen Zahlen verdienen es, genauer betrachtet und ins Verhältnis gesetzt zu werden: Die erwähnten 70.000 Kleinkinder in Deutschland ohne Masernschutz sind weniger als 0,5 Prozent aller Minderjährigen in Deutschland. Die großen Zahlen mit den zunehmenden Erkrankungen beziehen sich darüber hinaus auf die europäische Region der WHO. Die europäische Region umfasst auch solche Regionen wie zum Beispiel die Ukraine, wo ich mich schon vor Jahren mit eigenen Augen überzeugen konnte, dass der Gesundheitsschutz am Zusammenbrechen ist, das Gesundheitswesen nicht funktioniert und privatisiert ist und so etwas wie flächendeckender Impfschutz leider nicht mehr funktioniert.
Natürlich ist es sinnvoll und wünschenswert, die Gesundheit unserer Kinder zu schützen und zu fördern. Dazu können und sollten wir auch allen Kindern und natürlich auch allen Erwachsenen vorbeugende Impfungen als Schutzmaßnahmen als Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen anbieten. Übrigens bin ich an dieser Stelle auch dafür, dass man Fernreisenden diese Impfungen kostenlos anbietet. Das ist im Zweifelsfall billiger, als im Anschluss wegen ausgefallener und eingesparter Impfungen die teuren Reisekrankheiten hier im Inland nachträglich zu behandeln.
In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Beratung und Aufklärung sinnvolle Instrumente zur Erreichung gesundheitspolitischer Ziele sind. Wir sind hier in Erfurt zum Beispiel in der glücklichen Lage, von einer wissenschaftlichen Arbeit von Frau Prof. Dr. Cornelia Betsch Kenntnis zu haben. Frau Betsch hat mit ihren Untersuchungen belegt, dass Freiwilligkeit, Beratung und Aufklärung sicherer und schneller zum Ziel führen als Zwang, Nötigung mit fehlender Erlaubnis zum Besuch einer Kindertagesstätte oder Erpressung mit Geldstrafen von 2.500 Euro.
Wir von der AfD sprechen uns ganz entschieden für Freiwilligkeit in dieser Angelegenheit aus, befürworten natürlich gleichzeitig die ausreichende Finanzierung von Werbemaßnahmen, die ausreichende Finanzierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes für Beratung und Aufklärung und nicht zuletzt die angemessene Bezahlung ärztlicher Beratungsgespräche in ausreichender Länge, die geeignet sind, bei Eltern und Impfinteressierten alle Fragen und Zweifel auszuräumen. Außerdem plädieren wir im Rahmen der Initiative „Thüringen impft“ für eine jährliche Veröffentlichung der Fälle von unerwünschten schweren Nebenwirkungen und anerkannten Impfschäden, um Spekulationen und dem Entstehen irrrationaler Ängste entgegenzuwirken.
Nur so kann sichergestellt werden, dass alle Beteiligten an diesem gesamtgesellschaftlichen Prozess ein offenes und vertrauensvolles Miteinander pflegen, das letzten Endes der Gesundheit unserer Kinder zugutekommen soll. Das wäre auch ein Beitrag gegen die zunehmende Politikverdrossenheit.
Nun ein bisschen was zu den juristischen Aspekten der Angelegenheit: Der bekannte und anerkannte Verfassungsrechtslehrer Prof. Zuck hat bereits 2016 ein Rechtsgutachten zur Frage der Masernpflichtimpfung erstattet. Um es kurz zu machen:
Herr Prof. Zuck kommt mit ausführlicher verfassungsrechtlicher Begründung zu dem Ergebnis, dass eine Masernpflichtimpfung sowohl gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz und auch gegen das Elternrecht aus Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz verstößt.
Das Gutachten von Prof. Zuck ist im Netz frei zugänglich und jeder, vor allem auch die Juristen in der CDU-Fraktion, wären also dringend gut beraten gewesen, vor Einbringung ihres Antrags in diesem Gutachten zu lesen. In dem Zusammenhang muss ich Ihnen leider auch, liebe Kollegen von der CDU, einen Vorwurf machen. Ich hoffe nicht, dass Sie bei der Abfassung an dieser Stelle Herrn Relotius beschäftigt hatten. In Nummer 2 Ihres Antrags schreiben Sie, dass § 20 Abs. 7 des Infektionsschutzgesetzes bis zur Einführung einer bundesrechtlichen Lösung eine Impfung für den Besuch einer Betreuungseinrichtung für Kinder als verpflichtende Voraussetzung vorschreibe. Das stimmt so nicht. Wir sehen uns die Vorschrift an und ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, § 20 Abs. 7 Infektionsschutzgesetz: „Solange das Bundesministerium für Gesundheit von der Ermächtigung nach Absatz 6 keinen Gebrauch macht, sind die Landesregierungen zum Erlass einer Rechtsverordnung nach Absatz 6 ermächtigt. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die obersten Landesgesundheitsbehörden übertragen. Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) kann insoweit eingeschränkt werden.“
Interessant ist für uns zunächst Satz 1 mit seinem Verweis auf Absatz 6 von § 20. Absatz 6 Satz 1 – nur der behandelt die Verordnungsermächtigung und ist deshalb für uns interessant –, lautet nämlich wie folgt: „Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist.“ An der Stelle empfiehlt sich auch das Nachlesen, was die WHO-Definition einer Epidemie ist.
Diese Rechtsverordnung des Bundes gibt es bis heute nicht. Und wenn Sie jetzt die Landesregierung auffordern wollen, selbst eine solche Rechtsverordnung auf den Weg zu bringen, unterschlagen Sie ganz einfach, dass auch die Landesregierung an die rechtlichen Voraussetzungen für eine solche