Diese Rechtsverordnung des Bundes gibt es bis heute nicht. Und wenn Sie jetzt die Landesregierung auffordern wollen, selbst eine solche Rechtsverordnung auf den Weg zu bringen, unterschlagen Sie ganz einfach, dass auch die Landesregierung an die rechtlichen Voraussetzungen für eine solche
Rechtsverordnung gebunden ist wie der Bund. Eine solche Verordnung ist nämlich nur dann zulässig, wenn von einer übertragbaren Krankheit mit schweren Verlaufsformen Teile der Bevölkerung bedroht sind und – wie gesagt – mit epidemischer Verbreitung zu rechnen ist. Im Falle der Masern sind aber angesichts der zurückgehenden Zahlen weder große Teile der Bevölkerung betroffen, noch müssen wir in einem großen Umfang mit schweren Folgen rechnen. Bei der Mortalität – also der Sterberate aller von der Krankheit Betroffenen – reden wir von 0,1 Prozent. Das ist etwas ganz anderes als weiland bei den Pocken, der Pest oder sonstigen schweren Erkrankungen, wo wir von 20 bis 30 Prozent und höheren Mortalitätsraten sprechen mussten.
Die von Ihnen immer ausgeführte Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Impfpflicht kommt auch zu dem Schluss, dass eine generelle Impfpflicht bereits an Artikel 2 Grundgesetz scheitern würde. Das Infektionsschutzgesetz bezieht sich auf den Seuchenfall. Und wir haben keine Masernseuche. Die Sterblichkeitsrate ist, wie gesagt, gering. Sie beträgt nach Auskunft des RKI 0,1 Prozent. Die Masernfälle, die auftreten, treten in Wellen auf; in den letzten 19 Jahren mit sinkender Tendenz. Die letzte größere Welle war 2015. Da lag ein Schwerpunkt auf Berlin mit 1.500 oder 1.400 Fällen, wobei aus Berlin und vom RKI zu hören war, dass die Mehrzahl der erkrankten Kinder aus Bosnien-Herzegowina und aus anderen Balkanländern stammte und diese Kinder überwiegend nicht geimpft waren.
Wir haben also hier insgesamt ein großes Diskussionsfeld. Ich freue mich sehr auf die Debatte dieses gesellschaftlich und auch für die Thüringer Landespolitik so wichtigen Themas im Ausschuss. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, wenn ich jetzt diese beiden vorliegenden Anträge beurteilen muss – der eine von der CDU-Fraktion, der andere von der Koalition eingereicht –, kann ich das nicht nur als Politiker tun, ich muss es mit Blick auf meinen beruflichen Werdegang auch ein Stück weit als Arzt tun. Ich habe zwei Jahre lang die größte Thüringer Impfstelle geleitet. Ich habe zur Po
ckenschutzimpfung promoviert. Ich kann das nicht ausblenden, wenn ich jetzt hier darüber diskutiere. Und wenn ich jetzt die beiden Vorredner gehört habe, dann muss ich sagen, es ist eben nicht so, dass wir so tun können, als probieren wir jetzt mal eine forcierte Aufklärung aus und das wird schon helfen. Wir wissen, was wirkt, um eine Krankheit auszurotten.
Die allermeisten hier im Raum werden es nicht wissen, aber am 8. Mai feiern wir nicht nur die Befreiung vom Faschismus, am 8. Mai vor 39 Jahren – also vorgestern vor 39 Jahren – hat die WHO die Ausrottung der Pocken verkündet. Das wäre ohne eine Impfpflicht nicht möglich gewesen. Ich habe eben zweimal gehört, das ist verfassungsrechtlich bedenklich. Bis 1976 galt in der Bundesrepublik die Pockenimpfpflicht, das war verfassungsrechtlich auch möglich.
Also da bin ich mal gespannt – das Grundgesetz wurde ja diesbezüglich nicht verändert –, wieso das jetzt auf einmal nicht mehr gehen sollte. Ich glaube, wir sollten da mal mit einer gewissen Sachlichkeit darüber nachdenken.
Vor der Debatte – was hilft, Pflicht oder Aufklärung? – möchte ich das mal an zwei Beispielen – wir haben Unmengen an Beispielen dafür – deutlich machen. Ich nehme mal eines aus der Geschichte: In den 20er-Jahren des 19. Jahrhunderts hatten wir in Thüringen ganz viele kleine Staaten, die alle ihre eigenen Gesetze hatten. Da hat, ich glaube, 1824 war das, das Herzogtum Sachsen-Coburg-Saalfeld eine Regelung eingeführt, dass die Pfarrer bei der Taufe den Eltern der Kinder die Impfung nahelegen und zweimal im Jahr von der Kanzel predigen sollten, bitte lasst euch impfen. Das hat nicht viel gebracht, also mussten sie viermal von der Kanzel predigen
(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir reden doch jetzt nicht über eine Predigt, das ist doch ein Vergleich, der hinkt!)
und dann sechsmal von der Kanzel predigen. Im Nachbarland Sachsen-Meiningen gab es eine Impfpflicht. Man durfte nicht zur Schule gehen, man durfte keinen Beruf erlernen, man durfte auch nicht irgendeinen qualifizierten Beruf ausüben und innerhalb von zehn Jahren gab es keine Pocken mehr. So hat es funktioniert.
Und wenn ich mir das für die Masern anschaue, schaue ich mal in die DDR. Da gab es eine Masernimpfpflicht und keine Masern – wir hatten in der
DDR praktisch keine Masern. Dann wurde die Pflicht durch die Aufklärung ersetzt und wir haben wieder Masern. Es ist jetzt auch nicht so, dass wir in Deutschland kaum Masern haben, wir haben alle paar Jahre einen größeren Ausbruch. Wir haben allein seit 2001 sechs Jahre mit mehr als 1.000 Masernfällen und vier Jahre mit mehr als 2.000 Masernfällen. In den Jahren dazwischen liegt die Zahl der Masernerkrankungen durchschnittlich bei 576. Also wir haben sehr wohl Masernerkrankungen hier in Deutschland.
Das ist auch insofern nicht verwunderlich, weil ja die Kinder, die eben nicht geimpft in die Schule gehen, auch im Erwachsenenalter in der Regel nicht geimpft werden. Somit sammelt sich immer weiter ein Potenzial von Leuten, die empfänglich für Impfkrankheiten sind. Für solche Ausbrüche – und das sind 2.000 oder 2.500, wir hatten im Jahr 2001 auch mal 6.000 Erkrankte – braucht es ein Potenzial, und das sammelt sich alle paar Jahre an. Wenn der Impfschutz nachlässt, hat man wieder eine genügend große Zahl von Menschen, die sich anstecken können und dann geht so ein Zug durchs Land.
Es mag ja sein, dass 6.000 oder 2.500 nicht besonders viel ist, aber die Konsequenzen – es gibt ja nicht nur den Tod, es gibt schwere körperliche Schädigungen, Schädigungen des Gehörs, des Gehirns usw. Es ist keine leichte Kinderkrankheit, das ist eine schwere Erkrankung mit erheblichen Risiken. Und es ist auch nicht so, dass wir durch die Aufklärung jetzt immer so Raten zwischen 92 und 97 Prozent haben. Wir hatten in Deutschland im Jahr 2006 eine Impfquote bei der zweiten Impfung bei der Einschulung von 85 Prozent – 10 Prozent unter dem, was wir brauchen, um die Masern zu eliminieren. Es ist sicher nur ein Zufall, dass in dem Jahr in Deutschland 2.300 Masernfälle aufgetreten sind – deutlich mehr als die durchschnittlichen 570, die es sonst haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht hier nicht nur darum, Leute aufzuklären, damit sie sich selbst schützen. Da gibt es ja dann immer dieses schöne Argument: Wieso soll ich denn die Geimpften gefährden, wenn ich mich nicht impfen lasse, sollen die sich doch impfen lassen, wenn sie das unbedingt wollen. Das ist ein sehr, sehr egoistisches und ein sehr falsches Argument. Es gibt eine relativ hohe Zahl von Menschen, von Kindern, die aufgrund von Allergien, Immundefiziten und anderen Problemen nicht geimpft werden können, und die profitieren – das ist ja auch gesagt worden – vom Herdenschutz.
Darüber hinaus gibt es immer eine Dunkelziffer von Impfversagen. Das hat nichts damit zu tun, dass die
Impfung an sich nicht wirkt, es gibt immer wieder Menschen, die nicht reagieren. Ich weiß das aus eigener Erfahrung, ich bin als Chirurg natürlich gegen Hepatitis B geimpft und ich brauchte fünf Impfungen, bis ich einen Impfschutz aufgebaut hatte. Wir prüfen das bei den Kindern ja gar nicht, ob sie einen Impfschutz aufbauen, wir tun das den Kleinen gar nicht an, ihnen Blut abzunehmen, um zu schauen, seid ihr jetzt wirklich immun oder nicht. Das heißt, wir haben mindestens eine Dunkelziffer von einem Prozent, möglicherweise sogar höher.
Und um diese Kinder zu schützen, brauchen wir eine möglichst hohe Impfquote bei der zweiten Impfung von wenigstens 95 Prozent der Kinder, die in die Schule gehen. Für die Kinder, die ohne eigenes Verschulden oder Verschulden der Eltern nicht geimpft werden können oder die – warum auch immer – auf diese Impfung nicht angemessen reagieren, brauchen wir das. Für diese Kinder brauchen wir den Schutz und dafür haben wir auch Verantwortung.
Ich komme noch mal auf die angeblich nicht bestehende Verfassungsmäßigkeit zurück. Wir hatten eine Impfpflicht, es ist eine schwere Erkrankung und ich kann mich nicht darauf zurückziehen, dass die Pocken viel schlimmer als die Masern sind. Wir haben noch ganz viele Sachen, die mittlerweile auf einem wesentlich höheren Niveau geregelt sind. Früher sind die Leute reihenweise an allen möglichen Erkrankungen wie Blinddarmentzündungen und Ähnlichem gestorben. Wir entwickeln uns weiter. Damit muss auch das Level der Bedrohung, die wir bekämpfen und der wir vorbeugen, steigen. Wir wollen nicht auf irgendeinem niedrigen Level von vor hundert Jahren stehenbleiben und das andere akzeptieren. Wir wollen immer besser werden, wir wollen uns immer weiterentwickeln. Ich glaube, die Ausrottung einer Infektionskrankheit – ich habe ja gesagt, vor zwei Tagen war der 39. Jahrestag der Ausrottung der Pocken – ist ein Auftrag, den wir in den letzten Jahren nicht ernst genug genommen haben. Und den sollten wir wieder ernster nehmen,
vor allem auch vor dem Hintergrund, dass es nicht nur die beste Möglichkeit ist, die Krankheit der Masern zu vermeiden, es gibt auch keine ursächliche Behandlung dafür. Wenn ein Kind die Masern bekommt, dann kann man nur noch beten, wenn man gläubig ist. Es gibt keine ursächliche Therapie für einen Masernausbruch. Es gibt nur noch eine symptomatische Therapie, es gibt die Möglichkeit mit immunstärkenden Mitteln, mit allgemeinen antiviralen Mitteln dem Ausbruch ein bisschen entgegenzu
Meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt haben wir hier zwei Anträge. Beide Anträge sind jetzt aus medizinischer Sicht sicher nicht das Nonplusultra. Der Fehler bei der CDU ist meines Erachtens das Fokussieren allein auf die Masern. Da hätte ich mir auch noch Keuchhusten und wenigstens Kinderlähmung gewünscht. Das ist aber meines Erachtens eine Petitesse, das kann man einfügen, auch im Ausschuss möglicherweise. Der Antrag der Koalitionsfraktionen geht weit über die Masern hinaus, er beinhaltet auch andere Infektionserkrankungen, enthält aber mit keiner Silbe das Wort „Impfpflicht“. Sollte ich mich heute entscheiden müssen, für welchen Antrag ich stimme – ich muss es zum Glück nicht, sie gehen beide an den Ausschuss –, würde ich dem Antrag der CDU-Fraktion auf jeden Fall zustimmen. Bei unserem würde es mir schwerfallen. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich glaube, bei der Einbringung habe ich mich ja schon bei der CDU-Fraktion für diesen Antrag bedankt. Ich habe auch begründet, warum wir unseren noch eingereicht haben.
Eigentlich ist das, wir hier besprechen, ein Thema, das im Deutschen Bundestag ein bisschen anders gehandhabt wird. Vielleicht sollten wir mal darüber nachdenken. Bei solchen Themen wird oft das Abstimmungsverhalten freigegeben. Darüber sollten wir vielleicht mal nachdenken. Ich habe auch in der Diskussion eine Bandbreite kennengelernt.
Ich will mal ganz persönlich beginnen: Ich war 1958 ein dreijähriger Steppke, schöne Kindheit, Mietshaus in Weida an der Weida und jeden Nachmittag kam der Sohn des Vermieters – der war 18 Jahre – von seinem Lehrbetrieb zurück und hat mit mir gespielt. Das war toll. Eines sonntags, es war sogar die 750-Jahr-Feier in Weida, konnte der nicht mehr aufstehen. Er konnte nicht mehr aufstehen und wurde erst auf Rheuma behandelt. Es stellte sich heraus, es war Kinderlähmung. Seitdem war der erst einmal gelähmt. Ich habe jeden Tag mit dem gespielt und sage heute, ein Glück, dass ich die gerade eingeführte Schluckimpfung gegen Kinderläh
mung hatte. Vielleicht wäre ich angesteckt worden und hätte das Gleiche gehabt. Ich war froh, dass ich diese Schluckimpfung bekommen hatte. Ich habe vorhin gesagt, die Krankheit war schon einmal ausgerottet.
In den Diskussionen stelle ich fest, die Generationen gehen unterschiedlich an dieses Thema heran. Ich glaube, wir Älteren mit einer gewissen Sozialisierung, die eine Impfpflicht kannten, ich glaube, wir haben weniger ein Problem, da eine Debatte zu führen. Deshalb sage ich persönlich auch an dieser Stelle, auch aus den Erfahrungen
(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die, die in der DDR …, denken vielleicht ein bisschen anders da- rüber!)
Madeleine bitte, ich weiß, wir haben unterschiedliche Auffassungen. Ja, das glaube ich euch. Deshalb habe ich vorhin auch etwas dazu gesagt, wie man mit so etwas hier in diesem Haus vielleicht umgehen kann, ohne dass wir uns die Köpfe einschlagen. –: Ich persönlich bin für eine Impfpflicht.
Aber ich sage nicht nur Masern, sondern wir sollten auch über andere gefährliche Krankheiten nachdenken. Dazu zählen für mich Keuchhusten, Kinderlähmung. Es geht um den Schutz unserer Kinder und es geht um den Schutz der Menschen, die sich so einer Impfung – Kollege Hartung hat es gesagt – vielleicht nicht unterziehen können.
Ich sage allerdings auch – das steht in unserem Antrag drin –, ich muss natürlich vorher auch noch einmal versuchen, mit einer Kampagne und dergleichen mehr die Menschen zu überzeugen. Ich erlebe zum Beispiel ein Argument von jungen Muttis – das kommt sogar aus meiner Familie, da staunst du, aber es ist so –, diese Sechsfachimpfung, die es gibt, ich kann doch meinem Kind nicht diese Dröhnung, Sechsfachimpfung zumuten. Das muss ich erst mal zur Kenntnis nehmen. Da wird nichts gegen die Impfung an sich gesagt, sondern die Sechsfachimpfung. Muss das so sechsfach sein, kann man das nicht auch anders lösen? Also, ich könnte mir vorstellen, das kann man auch anders lösen,
ich muss bestimmt nicht eine Sechsfachimpfung machen. Muss ich? Ich bin kein Arzt, aber ich muss mich doch mit diesem Argument auseinandersetzen. Ich bin kein Arzt, ich muss das ja erst mal zur Kenntnis nehmen. Dann höre ich Argumente, die
Hör auf! Die Pharmaindustrie, klar, die verdient an allem. Das müssen wir erst einmal grundsätzlich sagen. Also wenn ich Hustentabletten nehme und ich muss die auch noch selber bezahlen, verdient die Pharmaindustrie daran. Das ist erst mal Fakt. Aber trotzdem ist das hier ein Produkt, wo ich froh bin, dass es das auf dem Markt gibt und dass ich so eine Impfung nutzen kann, auch wenn da ein Konzern verdient.
Dann, Leute, da bin ich fast vom Fernsehsessel gefallen. „Panorama“-Sendung, und da sagte ein Vater – er bringt sein Kind in eine Privatschule, die fängt mit W an – in die Fernsehkamera: Masern? Was ist denn das? Das ist doch eine ganz normale Krankheit. Wenn mein Sohn Masern kriegt, dann wird er gestählt, das härtet den Körper ab und der wird gestählt. – Na, da dachte ich an der Stelle, der hat ja nicht alle Tassen im Schrank. Aber das war seine Meinung. Auch diese Meinung muss ich zur Kenntnis nehmen. Es ist so.
Aber ich habe meine Position dazu gesagt, ich bin für die Impfpflicht – als mich der MDR zu dem Spahn-Vorstoß gefragt hat. Das war wieder typisch Spahn, wir ballern erst mal was raus. Das Anliegen an sich, ja, aber das mit diesen Sanktionen muss ich schon rechtlich abwägen. Ich bin auch dafür, dass Kindergärten keine Kinder aufnehmen, die nicht geimpft sind,
wenn es nicht einen Grund gibt, warum sie nicht geimpft sind. Das muss ich natürlich abwägen. Dazu zu sagen, da hat der Staat kein Eingriffsrecht: Also da sage ich, wir haben als Staat festgelegt, dass jedes Kind einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz hat. Dann habe ich, glaube ich, als Staat auch das Recht, festzulegen, unter welchen Voraussetzungen ein Kind den Kindergarten besuchen kann und sollte.