Protokoll der Sitzung vom 28.05.2015

(Heiterkeit DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich würde zur Kenntnis nehmen, dass die CDU sich von der SPD hat dazu treiben lassen, den Mindestlohn einführen zu müssen, ja.

(Zwischenruf Ramelow, Ministerpräsident: Die Gewerkschaften haben den Anfang ge- macht!)

Selbst eine Zustimmung – das wissen Sie doch auch, Herr Ministerpräsident, aber Sie können ja dann noch reden, wenn Sie der Kollegin Lehmann beispringen wollen.

(Unruhe im Hause)

Dann die zweite Frage.

Herr Ministerpräsident, ich darf noch mal darum bitten, der Abgeordnete Voigt stellt eine Zwischenfrage, Frau Abgeordnete Lehmann antwortet und Sie können selbstverständlich auch das Wort ergreifen.

Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass unser Antrag nicht den Mindestlohn infrage stellt, sondern sogar begrüßt. Würden Sie nicht darin übereinstimmen, dass wir die Bürokratieüberbordung, die Dokumentationspflichten, brandmarken in dem Antrag und nicht über den Mindestlohn generell diskutieren? Das wäre nett. Danke.

Herr Voigt, wenn Sie mich hätten zu Ende reden lassen, ich komme als Nächstes genau zu diesem Punkt.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Das ist ja wunderbar!)

Ja, das ist sehr erfreulich; wir freuen uns nämlich darüber, dass der Mindestlohn kommt, nicht nur deshalb, weil die Beschäftigten in Thüringen davon profitieren, sondern auch, weil es eine Erleichterung für die öffentlichen Kassen ist. Das IAB – und das IAB ist sicherlich keine linksextreme Organisati

on – geht davon aus, dass wir bis zu 5,5 Milliarden Euro Mehreinnahmen haben dadurch, dass der Mindestlohn kommt. Da sind die 50 Millionen Euro, die wir für die stärkeren Kontrollen brauchen, sicherlich zu verkraften.

Herr Voigt, nur weil Sie es eben angesprochen haben, ich möchte jetzt noch mal darauf eingehen. Wir brauchen uns da nichts vorzumachen. Es ist nicht die CDU, die den Mindestlohn eingeführt hat, sondern die SPD hat den Mindestlohn in den Koalitionsvertrag im Bund verhandelt, und zwar gegen den Willen der CDU, und wir haben ihn auch nur gegen den Willen der CDU, also mit Ihren Stimmen, aber nicht mit Ihrem Willen im Bundestag durchsetzen können.

(Beifall SPD)

Das war auch in Thüringen so. Auch das Thüringer Mindestlohnmodell, das haben Sie nicht freiwillig gemacht, das war nicht Ihr Wille, das haben Sie nicht gewollt, sondern das war der politische Druck, der so groß war, dass Sie einfach nicht mehr anders konnten, als dem zuzustimmen. Das, was Sie wollten, war eine Lohnuntergrenze, ein Flickenteppich, der nach Branchen und der nach Regionen unterscheidet. Das ist etwas ganz anderes als das, was wir jetzt im Bundestag eingeführt haben.

(Heiterkeit CDU)

Nur weil das nicht geklappt hat, versuchen Sie jetzt, den Mindestlohn aufzuweichen, wo es geht. Das ist der Grund, aus dem Sie diese Bürokratiedebatte hier führen und den Mindestlohn damit immer wieder infrage stellen. Und es ist sicherlich so, dass es Schwierigkeiten gibt bei der Einführung, da würde ich Ihnen zustimmen. Das ist aber immer so, wenn man große Reformprojekte macht.

(Beifall DIE LINKE)

Genau das ist der Grund, warum das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gesagt hat: Wir wollen natürlich, dass die Länder sich damit beschäftigen, wir wollen mit den Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Probleme reden, die es da gibt. – Das ist der Grund, aus dem wir hier in Thüringen einen Runden Tisch haben, der sich genau mit den Schwierigkeiten beschäftigt und genau die Probleme auch an das Bundesministerium weitergeleitet hat.

Aber – und das ist das eigentliche Problem – der Stundennachweis, den Sie hier immer heranziehen – wir haben ihn eben schon mal gesehen, Sie sollten ihn eigentlich kennen. Für die, die ihn nicht kennen: Ich habe ihn auch noch mal ein bisschen größer mitgebracht. Das ist der Stundennachweis, den Sie von der Landesverwaltung für Ihre Beschäftigten im Wahlkreis zur Verfügung gestellt bekommen. Das zeigt einfach noch mal: Das ist kein Bürokratiemonster, sondern es ist einfach lächerlich, das als

ein Bürokratiemonster zu bezeichnen. Der Stundenplan von einem Grundschüler ist komplexer als dieser Zettel.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das macht es aber nicht weniger wichtig, denn diese Dokumentationspflicht aufzuheben

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Aber das, was man in einer Firma machen muss, ist deutlich mehr. Wir müssen schon bei der Wahrheit bleiben, junge Frau!)

hören Sie mir doch zu –, diese Dokumentationspflicht aufzuheben, das bedeutet die Unwirksamkeit des Mindestlohngesetzes. Wenn ich nicht mehr nachweisen kann, wie lange mein Mitarbeiter oder meine Mitarbeiterin arbeitet, dann kann ich auch nicht mehr sagen, wie viel er in der Stunde verdient.

Wenn wir ehrlich sind, dann ist das genau der Grund, aus dem Sie diesen Antrag hier eingebracht haben. Deswegen wollen Sie diese Dokumentationspflicht abschaffen, weil Sie den Mindestlohn nicht wollen, aber Sie sich nicht mehr trauen, dies öffentlich zu sagen. Sie hätten übrigens die Gelegenheit gehabt, Ihre Fragen, die offensichtlich immer noch ungeklärt sind, bei einer Kundgebung des DGB – vor Kurzem vor Ihrer Landesgeschäftsstelle – zu klären. Es war leider niemand von Ihnen da, aber eine Mitarbeiterin von Ihnen hat das Ganze aus dem Fenster aufgezeichnet. Vielleicht haben Sie bei Gelegenheit noch mal die Möglichkeit, sich das anzusehen.

Ich will noch mal ganz deutlich sagen, welche Debatte wir hier eigentlich brauchen. Wir brauchen sicherlich eine ehrliche und konstruktive Debatte um die Schwierigkeiten in der Umsetzung des Mindestlohns – und vor allem darüber, wie wir diese lösen. Wir brauchen eine Debatte um wirksame Kontrollen und zur Einhaltung des Mindestlohns. Wir brauchen eine Debatte um das Verbandsklagerecht, weil sich eben immer wieder zeigt, dass die Hürden einer individuellen Klage sehr hoch sind und das dazu führt, dass Beschäftigte ihren Anspruch hier nicht wirksam machen. Und wir brauchen vor allem eine Debatte darüber, wie wir den Mindestlohn ausweiten und wie wir die Ausnahmen, die wir bisher darin formuliert haben – für Minderjährige und für Langzeitarbeitslose – aussetzen, weil auch sie verdient haben, dass sie gute Löhne bekommen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

All das macht der Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, nicht. Aus diesem Grund werden wir dem Votum des Ausschusses folgen und den Antrag ablehnen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Lehmann. Das Wort hat nun der Kollege Möller von der AfD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, zunächst mal etwas ganz Grundsätzliches zum Thema Mindestlohn aus Sicht der AfD: Die AfD setzt sich ohne Weiteres für eine angemessene Bezahlung von Arbeitnehmern ein. Das bedeutet, dass Löhne und Gehälter eine Existenzsicherung der Beschäftigten sowie ihrer Familien ermöglichen müssen – so steht es schon in unserem Wahlprogramm. Ich mache keinen Hehl daraus, wir würden das Ganze natürlich gern ohne einen Mindestlohn hinbekommen, aber allein mit der Tarifautonomie ist das heute so gar nicht mehr möglich. Warum ist das so? Es liegt an unserem überregulierten Sozialstaat.

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: Das ist doch kein Sozialstaat! Wo leben Sie denn?)

Wir merken eigentlich daran schon, wie weit wir mit der sozialen Marktwirtschaft gekommen sind, dass wir eben nicht mehr auf den Streit der Tarifpartner setzen können, sondern hier überregulierend eingreifen müssen. Das haben wir im Übrigen den Kollegen der Umverteilungsparteien, die hier in diesem Bereich sitzen, zu verdanken.

Wo wir gerade beim Grundsätzlichen sind: Es ist überaus bedenklich, dass das Mindestlohngesetz im Grunde von einem generellen Verdacht gegenüber Unternehmern ausgeht. Der Verdacht besteht darin, dass die Unternehmen letztendlich nur daran interessiert seien, Regeln zu umgehen und die Arbeitnehmer um ihre Rechte zu bringen.

(Zwischenruf Abg. Leukefeld, DIE LINKE: Viele machen das ja auch!)

Gewiss, es gibt entsprechende schwarze Schafe und es gibt auch Branchen, die für Regelumgehungen anfällig sind. Aber man muss natürlich sagen: Hier wird an dieser Art von Politik, die dem Mindestlohngesetz zugrunde liegt, ein Symptom der etablierten Politik deutlich. Für sie ist nämlich charakteristisch, dass sie sich als Normadressaten von ihren Gesetzen das Bild eines Bürgers aussucht, der nur dann das Richtige tut, wenn er kontrolliert wird und wenn man ihm genau vorschreibt, was er zu tun und was er zu lassen hat.

(Beifall AfD)

(Abg. Lehmann)

Das, meine Damen und Herren, ist das Bild eines Untertanen und eben nicht das Bild des freien, verantwortungsbewussten und gesetzestreuen Bürgers eines demokratischen und liberalen Rechtsstaats. Da sind Sie mit Ihrer Vorstellung vom Normadressaten viel näher an der Kaiserzeit, als Sie es sich eigentlich vorstellen möchten.

(Beifall AfD)

Es ist der freie Bürger, den die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft voraussetzt. Wir werden uns von Ihnen nicht einreden lassen, dass es diesen freien Bürger nicht mehr gibt, dass Sie bzw. der Staat unser Wohl und Wehe lenken müssen mit Gesetzen, und zwar zu jedem einzelnen kleinen gesellschaftlichen Sachverhalt. Abgesehen von diesen grundsätzlichen Erwägungen sind die Folgen des Mindestlohngesetzes offenkundig auch im Detail nicht sorgfältig genug bedacht. Sie treffen bei Weitem nicht nur Unternehmen, denen ja so und so im rot-rot-grünen Lager großes Misstrauen entgegengebracht wird, nein, der Mindestlohn trifft auch Vereine und trifft auch die Sozialwirtschaft, also auch Bereiche, die von Ihnen eigentlich protegiert werden.

(Zwischenruf Abg. Hey, SPD: Wir hätten euch fragen sollen!)

Man glaubt es kaum – jetzt komme ich zu Ihnen, Frau Rothe-Beinlich –, es trifft auch die Fraktionen. Das haben ja gerade Sie im letzten Monat anlässlich einer Ausschreibung eines sogenannten Praktikanten erfahren dürfen. Hätten Sie mal bei Ihrer Kollegin, der Frau Pothmer, in Berlin nachgefragt, die hätte Ihnen gleich erklären können, dass das, was Sie gesucht haben, eine gute qualifizierte Fachkraft ist und eben kein Praktikant.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das haben wir!)

Sie haben sich damals – letzten Monat – ganz gehörig im mitgezüchteten Dickicht der Überregulierung verheddert und ich bin gespannt auf Ihre Ausreden.

(Beifall AfD)

Es sind sicherlich genau dieselben, die Sie immer den Unternehmern vorwerfen.

(Beifall AfD)

War die Rechtslage so kompliziert, schon die Frage zu beantworten, ob überhaupt Mindestlohn zu zahlen ist? Dann sollten Sie schnell umdenken, etwa bei der Kettenhaftung von Auftraggebern für die Einhaltung von Mindestlohnvorschriften durch Subunternehmer. Die entsprechende Regelung widerspricht dem gesunden Menschenverstand, weil ein auftraggebendes Unternehmen wohl kaum die Möglichkeit hat, die Einhaltung des Gesetzes durch ein anderes Unternehmen zu kontrollieren oder

auch nur zu überprüfen. Wenn Sie mir jetzt mit Freistellungsklauseln kommen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann sage ich Ihnen: Freistellungsklauseln sind auch keine Lösung, denn damit erreichen Sie in erster Linie nur mehr Bürokratie, aber keine Lohngerechtigkeit. Auch die vom Gesetz geforderten Dokumentationspflichten bedeuten einen erheblichen bürokratischen Aufwand. Auf den haben die Vertreter der mittelständischen Wirtschaft in ganz Deutschland bereits hingewiesen und werden es auch weiterhin tun. Es ist ja nicht so, der Kollege Wirkner hat es auch schon erklärt, dass die ausufernde Bürokratie erst mit der Einführung des Mindestlohngesetzes erfunden worden wäre. Nein, es existieren bereits weitere Dokumentationspflichten, etwa nach dem Arbeitszeitgesetz und dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Doch offensichtlich hat sich keiner Gedanken gemacht, wie man diese Mehrfachdokumentationspflicht effizient zusammenführt. Das führt eben gerade zu dieser gegeißelten Überbelastung durch Überregulierung.