Protokoll der Sitzung vom 28.05.2015

Sie müssen auch nicht Scharen von Experten bemühen, um strategische Rahmenbedingungen abzustecken,

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

um Potenziale des Radverkehrs als Wirtschaftsund Tourismusfaktor empirisch zu untersuchen.

(Zwischenruf Abg. Primas, CDU: Das ist rich- tig!)

Sie müssen nur weiter in die Radinfrastruktur investieren, dann erhöht sich der Anteil des Fahrradfahrens am gesamten Individualverkehr von ganz alleine. Oder glauben Sie wirklich, dass die Menschen mehr Rad fahren, allein, weil Sie in Ihrem Radfahrkonzept für den Modal-Split-Anteil eine Vorgabe von 15 Prozent des Radverkehrs am gesamten Verkehr machen? Ich finde es fast schon lustig, dass Sie den Thüringern wenigstens ein Zwischenziel von 12 Prozent bis 2025 zubilligen. Aber wehe, liebe Thüringer und Thüringerinnen, ihr haltet euch nicht an unsere Vorgabe! Wir, die Grünen, mit unserem Oberlehrer, meinen es doch nur gut mit euch!

Werte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie doch die Kirche im Dorf. Man kann Thüringen, wo die größte Stadt aus maximal 200.000 Einwohnern besteht und der Rest ländlicher Raum ist, nicht mit Metropolen wie etwa München, Hamburg oder Köln/Bonn vergleichen. Die Arbeitswege der Thüringer sind aufgrund unserer Siedlungsstruktur deutlich länger, wenn Sie allein die täglichen Einpendlerzahlen aus den Landkreisen in die Städte betrachten. Ihre Feststellung, dass die Hälfte der Fahrten mit dem Pkw kürzer als 5 Kilometer sind, ist vielleicht im Durchschnitt Ihrer Fraktion so, aber bei Weitem nicht die tägliche Praxis im Flächenland Thüringen.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir fahren Rad, im Ge- gensatz zu Ihnen!)

(Beifall CDU, AfD)

Dass Sie anführen, dass das Pendeln und Einkaufen mit einem Fahrrad sicher und bequem möglich sein soll, ist vielleicht für die Alleinlebenden in Ihrer Fraktion vorstellbar, aber nicht für den ländlichen Raum, wo die Mehrzahl der Thüringer in Familien lebt und keine Einkaufsmöglichkeiten um die Ecke hat.

(Beifall CDU, AfD)

Diese Forderungen von Ihnen deuten ganz klar auf städtisches Abgeordnetendenken Ihrer Fraktion und vernachlässigen den tatsächlichen Bedarf. Ich bin sehr dafür, den Anteil an Nutzern im Radverkehr zu erhöhen, gerade auf kurzen Strecken, aber wir müssen uns auch realistische Ziele setzen.

(Beifall CDU)

Dazu braucht es Infrastruktur statt gutmenschenhafter Vorgaben und Bevormundung. Lassen Sie die Menschen doch frei entscheiden, wie sie zur Arbeit kommen und wie sie sich in ihrer Freizeit fortbewegen wollen. Bleiben wir also realistisch und streuen den Menschen in diesem Land keinen grünen Traumsand in die Augen.

(Beifall CDU)

Gestatten Sie mir noch, auf einige Punkte Ihres Antrags einzugehen, damit kein falsches Bild über die Radverkehrspolitik im Freistaat Thüringen entsteht. Verbesserung der Radinfrastruktur, Schlauchautomaten, Luftpumpenstationen etc. Zu Ihrer Forderung, Schlauchautomaten, mobile Reparaturservices, Luftpumpenstationen und Fahrradwaschanlagen einzurichten: Ich bin nicht der Meinung, dass das Land der bessere Fahrradmechaniker ist. Glücklicherweise haben wir in Thüringen ausreichend qualifizierte Einzelhandels- und Handwerksbetriebe, die einen hervorragenden Service bieten. Gute Ideen, wie zum Beispiel ein Automat, an dem ich außerhalb der Geschäftszeiten einen neuen Fahrradschlauch ziehen kann, setzen sich auch oh

ne einen freistaatlichen Schlauchautomatenausbauplan durch. Ich bin überzeugt, dass die meisten Thüringer und Thüringerinnen zur Not auch noch selbst wissen, wie man einen platten Reifen flicken kann.

(Beifall CDU, AfD)

10 Prozent des Straßenbauetats für Radwege einsetzen – bei der Umsetzung dieser Forderung wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte – nur zu! –, aber wenn Sie in den Haushaltsentwurf von 2015 schauen, finden Sie einen Haushaltsansatz für den Bau und die Unterhaltung von Radwegen an Landesstraßen von 1 Million; im Übrigen die gleiche Zahl wie in 2014. Das ist deutlich unter 7 Prozent des Straßenbauetats. Also entweder kommt hier Ihr Antrag zu spät oder selbst Ihre Landesregierung findet diese Forderung einfach nur unrealistisch. Ganz aktuell haben wir uns die Zahlen über die Einzelpläne geben lassen. Hier sind die Projekte aufgegliedert; für Neu-, Um-, Ausbau und Erhaltung von Radwegen – Auflistung der Baumaßnahmen 2015, da steht bei allen Projekten ein „F“ für Fortführung und es steht bei keinem Projekt ein „N“ für Neubaubeginn.

Radverkehr und ÖPNV: Ein weiterer Punkt greift die Integration zwischen Radverkehr und dem ÖPNV auf. Bei dem Punkt könnte man fast denken, dass Thüringen an dieser Stelle Neuland betritt. Über die Hälfte der Bahnhöfe sind mit Bike-and-Ride-Anlagen ausgestattet. In diese wurde in den vergangenen zehn Jahren über eine halbe Million Euro investiert. Im Rahmen der ÖPNV-Investitionsrichtlinie fördert der Freistaat zudem ÖPNV-Haltepunkte und Fahrzeuge. Entscheidendes Kriterium ist dabei die Barrierefreiheit, welche es auch Radfahrern ermöglicht, sowohl Haltestellen als auch Fahrzeuge bequem zu nutzen. Allein mit diesen vier Punkten, die bundesweit mit Sicherheit kein Standard sind, wurden optimale Voraussetzungen geschaffen, damit Berufspendler mit dem Zug und dem Fahrrad zur Arbeit gelangen und für Freizeitradler Zugangshemmnisse sowohl zum landesweiten Radwegenetz als auch zum ÖPNV beseitigt wurden.

Zur Fahrradmitnahme im Regionalbusverkehr: Ich bin schon der Meinung, dass die Verkehrsunternehmen die Nachfrage auf ihren Linien und insbesondere auch das Potenzial an Nutzern einschätzen können, um zielgerichtete Angebote auch für Fahrradfahrer zu unterbreiten. In Niederflurbussen, welche zumindest auf den Hauptrelationen zum Einsatz kommen, bekommen Sie zwar nicht das ganze Feld der Thüringer Burgenrundfahrt unter, aber die Möglichkeit einer Mitnahme ist mit Sicherheit gegeben.

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Oft- mals haben sie nur keinen ÖPNV zum Fah- ren!)

An der Stelle, Herr Harzer, sollten die Aufgabenträger und Unternehmen vor Ort entscheiden, wie sie ihre Angebote insbesondere unter Prämisse einer kostendeckenden Nachfrage ausrichten.

Öffentlichkeitsarbeit zur Verbesserung des Verkehrsklimas: In einem weiteren Punkt fordern Sie Öffentlichkeitsarbeit zur Verbesserung des Verkehrsklimas zwischen den unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern und eine Aufklärungskampagne zu Verhaltensregeln für die Verkehrsteilnehmer. Ich bin der Meinung, dass es viel wichtiger ist, gerade Kinder und Jugendliche für die Gefahren im Straßenverkehr zu sensibilisieren und für Sicherheit zu werben. Angefangen bei einem Helmschutz, der für Kinder verpflichtend sein müsste, über ein verkehrssicheres Fahrrad mit ordentlicher Beleuchtung und Reflektoren bis hin zum Verhalten im Straßenverkehr sollten wir Kinder im Straßenverkehr auch weiterhin gezielt unterrichten und auf sie den Fokus unserer Öffentlichkeitsarbeit legen.

(Beifall AfD)

Iron Curtain Trail – schönes Wort: Lassen Sie mich noch Ihren Punkt 10 zum europäischen Radweg entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs aufgreifen. Denn das ist richtig, was Sie dort wollen. Thüringen hat sich beim Bund dafür eingesetzt, genau diesen Radweg in das Radnetz Deutschlands aufzunehmen und diesen im Nationalen Radverkehrsplan zu berücksichtigen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass ihn der Freistaat in sein eigenes Radfahrkonzept aufnimmt, fördert, ausbaut und auch touristisch vermarktet. Ich denke, da sind wir auf dem richtigen Weg, damit das Grüne Band erlebbar und befahrbar gemacht wird.

Ihren Wunschzettelantrag in Gänze müssen wir ablehnen. Einer Überweisung an den Ausschuss werden wir zustimmen und dort unsere Punkte noch einmal klar deutlich machen. Vielen Dank.

(Beifall CDU, AfD)

Vielen Dank, Herr Malsch. Aus den Reihen der Abgeordneten liegt mir noch eine Wortmeldung vor. Frau Kollegin Tasch, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Diskussion heute hat sehr gut gepasst. Ich habe mich sehr über den Antrag gefreut

(Beifall SPD)

und möchte vorwegstellen: Die Gemeinden und Städte leisten viel, haben in der Vergangenheit viel geleistet, um hier Radwege, überregionale, aber auch Straßenbegleitfahrradwege zu schaffen. Sie haben große Unterstützung vom Land gehabt und

ich hoffe, dass das in Zukunft auch so bleibt. Aber jetzt habe ich bei den Wortbeiträgen viel Theorie gehört von Herrn Kobelt, von Herrn Warnecke und von Frau Lukasch. Ich habe vor fünf Minuten eine E-Mail vom Landratsamt Eichsfeld zum Stand des Baus des Kanonenbahnradwegs bekommen. Im Südeichsfeld gibt es eine ehemalige Bahnstrecke, die beginnt an der Unstrutquelle und geht bis nach Hessen, bis zum Anschluss an den Werra-Radweg. Dieses Teilstück soll zu einem überregionalen Radweg ausgebaut werden. Ein Bahngleis ist noch da, dort läuft erfolgreich seit Jahren ein Draisinenbetrieb mit 40.000 bis 50.000 Besuchern aus ganz Deutschland, aus Europa jedes Jahr. Die Anliegergemeinden haben zusammen mit dem Kanonenbahnverein und dem Landkreis Eichsfeld ein Konzept auf den Weg gebracht, was sehr schwierig war, es sind Tunnelbauten, es ist über Lengenfeld unterm Stein das Viadukt – wer sich auskennt –, die große Brücke über das Dorf. Sechs Gemeinden sind beteiligt aus dem Landkreis Eichsfeld, aus dem Unstrut-Hainich-Kreis. Der Landkreis Eichsfeld hat 100.000 Euro investiert, um das Projekt auf den Weg zu bringen. Wir haben jetzt unsere Eigenanteile im Haushalt eingestellt – oder wir sind dabei – und sind bis vor zwei Wochen davon ausgegangen, dass wir eine 90-prozentige Förderung erhalten. Im Moment habe ich die E-Mail bekommen, dass wir nicht mehr mit einer 90-prozentigen Förderung rechnen können, sondern dass im März klammheimlich die Förderrichtlinie geändert worden ist. Es gibt nur noch 75 Prozent. Da möchte ich hier gern sagen, wie sehr das die Gemeinden belastet. Ich sage es in einer Summe, Frau Ministerin. Eingeplant waren 351.302 Euro für die fünf Gemeinden, sie sollen jetzt 878.256 Euro zahlen. Dann kommt jetzt dieser schöne Antrag, was alles gemacht werden soll für den Radwegebau. Aber wenn von jetzt auf gleich die Fördersumme so heruntergefahren wird – scheinbar hat das auch keiner gewusst, weil ich zweimal zwischengerufen habe, sonst wäre man darauf eingegangen. Deswegen freue ich mich auch, dass der Antrag an den Ausschuss überwiesen werden soll. Ich hoffe dann auf die Koalitionsparteien und auf die CDU, die hoffentlich unterstützen, dass es bei 90 Prozent bleiben wird, denn – da bin ich kein falscher Prophet – es wird viele Gemeinden geben – bei der Aufbaubank liegt ein Stapel Anträge –, die ihre Projekte nicht umsetzen können. Das kann nicht unser gemeinsames Ziel sein.

(Zwischenruf Keller, Ministerin für Infrastruk- tur und Landwirtschaft: Noch schlimmer!)

Ich hoffe jetzt auf Ihren Bericht, Frau Ministerin. Ich hoffe, dass noch etwas Bewegung reinkommt. Dann sind wir auf einem guten Weg. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

(Abg. Malsch)

Zunächst mal darf ich noch Frau Dr. ScheringerWright das Wort erteilen.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich noch mal gemeldet, um auf die Ausführungen von Herrn Malsch einzugehen. Herr Malsch, Sie feiern sich hier so ab, was alles in Thüringen erreicht wurde. Da muss man schon sagen: Ja, beim Radwegekonzept ist aus touristischer Sicht auch einiges erreicht worden. Aber meine Vorredner haben schon dargestellt, bei den straßenbegleitenden Radwegen haben die vorhergehenden Landesregierungen einfach viel zu sehr geschlafen. Da gibt es viel zu wenig. Ich möchte das noch mal mit einem Beispiel illustrieren. Gerade im ländlichen Raum sind viele Schulen an Landesstraßen angebunden. Fast kein Elternteil kann guten Gewissens sein oder sein Kind mit dem Rad zur Schule schicken – keines.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wer im ländlichen Raum Kinder hat, weiß, wovon ich spreche. Das ist unzumutbar, denn wenn die Kinder morgens fahren sollen, ist auch der Berufsverkehr. Die Landesstraßen sind nicht dafür ausgelegt, Radfahrverkehr und Autofahrverkehr abzusichern. Das ist ein Riesenproblem. Andererseits diskutiert man in diesem Land, dass Schulkinder – gerade Grundschulkinder – immer dicker werden.

(Zwischenruf Abg. Grob, CDU: Mit dem Bus!)

Ja, natürlich gibt es den Bus und natürlich schicken wir alle unsere Kinder mit dem Bus in die Schule, aber gleichzeitig bemängeln wir, dass unsere Kinder zu wenig Bewegung bekommen. Also da haben wir einen Riesennachholebedarf.

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen ist dieser Antrag auch so wichtig, weil wir zukunftsfähig werden wollen für die Kinder, für die Menschen hier im Land und nicht nur – auch, aber nicht nur – für die Touristen und Besucher. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Frau Dr. Scheringer-Wright, vielen Dank. Nun hat Kollege Malsch noch mal um das Wort gebeten.

Ich möchte nur ganz kurz darauf antworten, Frau Scheringer-Wright, weil Sie es angesprochen haben. Sie führen hier aus, dass die Hälfte der Wegstrecken unter 5 Kilometer sind. Jetzt bitte ich Sie

mal, in die Schulnetze reinzuschauen, wie die Schulen angeordnet sind, und dann zeigen Sie mir die Schulen, die übergeordnet sind und wo Kinder ein fähiges Alter haben, um fahren zu können. Das kann man nämlich nicht in den ersten Klassen machen, die Kinder über Land zu schicken oder auch in die Nachbarstadt. Da möchte ich Sie doch mal bitten zu schauen, wie die Schulnetze aufgeteilt sind und welche Kilometer und Wegstrecken dazwischenliegen. Dann bitte ich Sie, einfach auch mal auf die Karte von Thüringen zu gucken.

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: Habe ich doch gemacht!)

Ich sage Ihnen zum Beispiel: Das nächstgelegene Gymnasium für Bad Liebenstein ist in Ruhla, das andere ist in Bad Salzungen. Wir haben jeweils 12 und einmal 9 Kilometer und es geht einmal über den Rennsteig.

(Zwischenruf Abg. Müller, DIE LINKE: Bad Salzungen!)