Protokoll der Sitzung vom 24.08.2015

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Sie haben aber auch gar nichts verstanden!)

(Unruhe CDU)

Klar ist, dass in diesem Zusammenhang auch bestandskräftig und rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, grundsätzlich Deutschland auch verlassen müssen. So sieht es das Aufenthaltsgesetz des Bundes vor.

(Unruhe AfD)

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Lächerlich!)

Gesetzlich geregelt ist aber, und das wird Ihnen schon wieder nicht mehr gefallen, der Vorrang …

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Er macht doch etwas ganz anderes!)

Herr Minister Lauinger, ich darf die Kollegen im Saal mal bitten, dem Herrn Minister bei seiner Regierungserklärung zuzuhören. Sie können sich dann alle an der Debatte beteiligen. Aber nach und nach. Danke. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Gesetzlich geregelt ist in diesem Gesetz aber auch, und das wird Ihnen schon wieder nicht mehr so gut gefallen, der Vorrang der freiwilligen Ausreise vor der Abschiebung. Wenn wir das tun, entsprechen wir ausschließlich und allein der gesetzlichen Grundlage. Schon vor diesem rechtsstaatlichen Hintergrund, aber auch aufgrund der unterschiedlichen Erfolgsquote ist es natürlich richtig, auf das Prinzip der freiwilligen Ausreise zu setzen. Allein die Zahlen belegen dies immer und immer wieder. Im Jahr 2014 wurden insgesamt 299 Personen abgeschoben, dagegen sind 896 Personen freiwillig ausgereist. Von diesen 896 Personen sind 583 Personen mit Fördermitteln des Bundes und des Landes, das heißt der Übernahme von Beförderungskosten und der Gewährung einer kleinen Starthilfe im Heimatland, freiwillig ausgereist. Auch für das Jahr 2015 liegen bisher 398 Anträge auf Förderung zur freiwilligen Ausreise vor. Dem stehen in 2015 bei 393 versuchten Abschiebungen lediglich 79 Fäl

(Minister Lauinger)

le gegenüber, in denen die Abschiebung auch erfolgreich war.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Peinlich!)

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU:... Das ist die Wahrheit!)

Das heißt, Sie haben im Moment in Thüringen die Situation, dass Sie 600 Menschen haben – ganz aktuell Stand 31.07. –, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, also deren Asylantrag abgelehnt wurde und die wiederum keine Duldung haben. Das ist die gesetzliche Lage – 600 Menschen. Dann haben Sie eine Situation, dass wir von 20.000 Flüchtlingen reden, die in diesem Land ankommen, und die Frage, selbst eine Landesregierung, die nicht einen Tag warten würde, die, nachdem feststeht, dass jemand ausreisepflichtig ist, keine Duldung hat und im Asylverfahren abgelehnt wurde, dies am nächsten Tag umsetzen würde, hätte vielleicht 600 Menschen mehr in ihre Heimatländer zurückgebracht. Sie merken selbst, wie das angesichts der Gesamtzahl nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein ist.

(Unruhe CDU, AfD)

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Es wäre schon eine Entlastung!)

Wir haben, um auch der Zahl der ausreisepflichtigen Personen gerecht zu werden, im Landesverwaltungsamt die Zahl der Mitarbeiter erhöht und die personellen Ressourcen dafür geschaffen, um – das sage ich an dieser Stelle auch deutlich, habe ich im Übrigen nie anders gesagt – dem Umstand Rechnung zu tragen, wenn ein Asylverfahren abgeschlossen ist, keine Duldungs- oder Bleiberechtsregelungen greifen, also die Ausländerbehörden keine entsprechenden Duldungs- oder Bleiberechtsgenehmigungen erteilen, eine unmittelbare Ausreisepflicht gegeben ist und das Prinzip der freiwilligen Ausreise nicht greift, dass dann natürlich auch abgeschoben werden muss. Thüringen hat sich die ganzen Wochen über nie anders verhalten, als diese gesetzlichen Grundlagen auch anzuwenden.

(Unruhe CDU)

An dieser Sachlage änderte auch das am 1. August 2015 in Kraft getretene Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung nichts – im Übrigen ein Bundesgesetz –, ein Gesetz, das selbstverständlich beim Vollzug durch die Ausländerbehörden umfassend beachtet werden muss. Nach wie vor und aus guten Gründen sieht das Aufenthaltsgesetz Fälle vor, in denen eine Abschiebung auszusetzen ist, etwa wenn Passdokumente nicht vorliegen oder gesundheitliche Gründe einer Abschiebung entgegenstehen. Auch ist es das gute Recht von abgelehnten Asylbewerbern, Anträge nach dem Aufenthaltsgesetz auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen zu

stellen und prüfen zu lassen. Auch sogenannte geduldete Flüchtlinge haben einen Anspruch auf eine menschenwürdige Aufnahme in unserem Land und müssen die Möglichkeit haben, sich hier zu integrieren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Auch das wird durch dieses zum 1. August in Kraft getretene Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung geregelt, welches unter anderem darauf abzielt, die Rechtsstellung derjenigen zu stärken, die auch ohne einen rechtmäßigen Aufenthalt anerkennenswerte Integrationsleistungen erbracht haben. Aufgrund der stark gestiegenen Flüchtlingszahlen entbrennt in Deutschland und offensichtlich auch in Thüringen derzeit eine politische Diskussion, die teilweise von Populismus geprägt ist und mangelnder Sachlichkeit sowie Inhumanität.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Und Un- vermögen!)

Sie zielt in Teilen auf rechtlich schlicht und ergreifend nicht zulässige Maßnahmen.

Ich möchte dies an zwei Beispielen deutlich machen. Da ist zum einen die Forderung zur Rückkehr der Ausgabe von Sachleistungen statt Geldleistungen, unabhängig davon, ob ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Asylantrags gefordert oder bereits vorher. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist ein Bundesgesetz. Machen Sie sich das einfach an verschiedener Stelle immer mal wieder klar! Ein Bundesgesetz, das eine schwarz-rote Bundesregierung in Kraft gesetzt hat.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Mit Zustim- mung der Länder!)

Dieses Asylbewerberleistungsgesetz bestimmt unter anderem, dass am Sachleistungsprinzip in der bisherigen Form nicht mehr festgehalten wird.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Zu Recht!)

(Beifall DIE LINKE)

Dies soll die Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Flüchtlinge stärken. Eine Sachleistungs- und eine Gutscheinversorgung aus migrationspolitischen Gründen der Abschreckung ist rechtlich – verstehen Sie das? – nicht mehr möglich und wird daher natürlich auch von der Thüringer Landesregierung nicht angewandt. Denn wir können uns schlicht und ergreifend nicht über das Asylbewerberleistungsgesetz, ein Bundesgesetz, hinwegsetzen.

(Beifall DIE LINKE)

Die weitere Forderung, weitere Balkanstaaten wie den Kosovo, Albanien und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, wird derzeit ebenfalls

(Minister Lauinger)

intensiv auf Bundes- und Landesebene diskutiert. Wichtig bei dieser Diskussion ist allerdings, dass klar bleiben muss, dass das grundgesetzlich geschützte Recht auf Asyl nicht angetastet wird. Es ist das Grundrecht eines jeden Asylbewerbers, dass sein Fall individuell und sorgfältig im Asylverfahren geprüft wird.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und wenn Sie sich dann mal die Mühe machen, mit den Mitarbeitern des Bundesamts zu reden und diese Menschen fragen, ist es eine Arbeitserleichterung für euch, wenn vor euch ein Flüchtling sitzt, der aus einem sicheren Herkunftsland kommt, nehmen wir jetzt mal den Kosovo, ob dieses Land als sicheres Herkunftsland schon festgestellt ist oder nicht, dann sagt Ihnen dieser Sachbearbeiter, das ändert für mich faktisch nichts.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Aber auf der Vollzugsebene!)

Ich bin vielleicht in der Bearbeitung des Antrags 10 Minuten schneller, ansonsten muss ich den genauso anhören, wie ich ihn anhören würde, ob das ein sicheres Herkunftsland ist oder nicht.

(Unruhe AfD)

Ich sage an dieser Stelle noch mal: Wenn der Bund eine Evaluierung vorlegt, dass diese drei sicheren Herkunftsländer, die man tatsächlich mal bestimmt hat, dazu geführt haben, dass aus diesen Ländern weniger Menschen gekommen sind, dass diese Maßnahme erfolgreich ist, dann ist es unredlich zu sagen, man diskutiert überhaupt nicht über diese Maßnahme. Aber solange die Bundesregierung nicht an einer Stelle nachweist, dass diese Maßnahmen greifen, erfolgreich sind, werde ich mich nicht aus rein populistischen Gründen einer Maßnahme anschließen, von der alle sagen, unterm Strich bringt sie nichts.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Unruhe AfD)

Notwendig ist an dieser Stelle eine langfristige Verbesserung der Lage in den Staaten Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Mazedonien, dem Kosovo und Albanien. Wir alle wissen, die Menschen werden sich nicht deshalb nicht auf den Weg machen, weil wir eine Verwaltungsvorschrift erlassen, sondern sie werden sich möglicherweise dann nicht mehr auf den Weg machen, wenn sie in ihrem Heimatland eine Perspektive haben, wenn dort Stabilität und Wirtschaftswachstum herrschen und wenn diese Menschen das Gefühl haben, in ihren Heimatländern nicht diskriminiert zu werden.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Deshalb schieben Sie nicht ab?)

Diese Zuständigkeit, diese Maßnahmen zu ergreifen, liegt bei der Bundesregierung und der Europäischen Union. Das Land Thüringen unterstützt alle Maßnahmen, die in diese Richtung gehen. Nicht Zäune oder Abschottungen werden das Problem lösen, sondern nur Aufklärung und Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Menschen in diesen Ländern.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Eine weitere dringende Aufgabe der europäischen Staatengemeinschaft ist, sich auf eine tragfähige und menschenwürdige Flüchtlingspolitik zu einigen. Als ein erster kleiner Schritt in diese Richtung darf sicherlich die Europäische Migrationsagenda, die die Europäische Kommission im Mai 2015 vorgelegt hat, betrachtet werden. Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang, dass die Europäische Kommission eine Quote für die Übernahme von Flüchtlingen aus besonders stark belasteten Mitgliedstaaten vorschlägt, denn insbesondere Staaten wie Italien, Malta und Griechenland brauchen angesichts der gleichbleibend hohen Zahl ankommender Flüchtlinge bei der Erstaufnahme und Versorgung von Flüchtlingen europäische Solidarität. Allerdings konzentriert sich die Europäische Kommission abermals primär nur auf Abwehrmaßnahmen. Um aber dem Sterben auf dem Mittelmeer zu begegnen, muss die Europäische Kommission sich dafür einsetzen, dass die legalen Wege in die Europäische Union gestärkt und ausgebaut werden. Zudem muss die Europäische Union endlich gezielter gegen die zahlreichen systematischen Mängel im Asylbereich vorgehen, die den Zugang zu einem fairen Asylverfahren in vielen Mitgliedstaaten unmöglich machen. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, der Europäischen Kommission in diesem Sinne den Rücken zu stärken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss meiner Ausführungen noch etwas zu den Geschehnissen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl am vergangenen Mittwochabend sagen. Ich war am Donnerstagmorgen sofort dort und nach den Erkenntnissen der Polizei handelt es sich bei dem Vorfall um einen religiös motivierten Konflikt. Konflikte werden sich niemals gänzlich vermeiden lassen, besonders dann, wenn in Erstaufnahmeeinrichtungen eine Vielzahl von Menschen unterschiedlicher Nationalität, unterschiedlicher Religion, unterschiedlicher Herkunft auf teilweise engem Raum zusammenlebt. Eines muss aber klar und unmissverständlich sein: Konflikte, auch religiös motivierte Konflikte, auch Menschen, die sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt sehen, können diese Konflikte nicht mit Gewalt lösen. Diese Konflikte müssen gewaltfrei gelöst werden!

(Minister Lauinger)

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Selbstjustiz und Vorfälle wie diejenigen in Suhl sind in jeder Hinsicht inakzeptabel. Damit und vor allem auch mit den Angriffen auf Polizei, Sicherheitspersonal, Feuerwehr oder Rettungsdienste wurde eine rote Linie maximal überschritten. Das habe ich an jeder Stelle und an jedem Punkt in Suhl immer wieder betont. Es ist jetzt Aufgabe von Polizei und Strafverfolgungsbehörden, Täter zu ermitteln und zur Verantwortung zu ziehen. Wer in unserem Land Schutz vor Krieg, Verfolgung, Diskriminierung sucht, muss sich selbstverständlich auch an die elementaren Regeln des Zusammenlebens in diesem Land halten. Dies gilt ohne Wenn und Aber und ohne jede Einschränkung.