Protokoll der Sitzung vom 24.08.2015

Selbstjustiz und Vorfälle wie diejenigen in Suhl sind in jeder Hinsicht inakzeptabel. Damit und vor allem auch mit den Angriffen auf Polizei, Sicherheitspersonal, Feuerwehr oder Rettungsdienste wurde eine rote Linie maximal überschritten. Das habe ich an jeder Stelle und an jedem Punkt in Suhl immer wieder betont. Es ist jetzt Aufgabe von Polizei und Strafverfolgungsbehörden, Täter zu ermitteln und zur Verantwortung zu ziehen. Wer in unserem Land Schutz vor Krieg, Verfolgung, Diskriminierung sucht, muss sich selbstverständlich auch an die elementaren Regeln des Zusammenlebens in diesem Land halten. Dies gilt ohne Wenn und Aber und ohne jede Einschränkung.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung, dass auch in Zeiten wie diesen eine humane Migrations- und Flüchtlingspolitik gestaltet werden kann. Menschen in Not zu helfen, ist nicht nur eine rechtliche Verpflichtung, sondern ein Gebot des menschlichen Anstands. Ohne Solidarität mit den Schwachen und Hilfsbedürftigen kann keine Gesellschaft funktionieren.

Ich fordere daher an dieser Stelle noch mal ausdrücklich alle demokratischen Parteien in diesem Haus auf, diesen Grundgedanken unseres Gemeinwesens zu achten und zu einer sachlichen Debatte ohne populistische Parolen zurückzukehren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Lauinger. Ich eröffne die Beratung zur Regierungserklärung und die Aussprache zum Antrag der Fraktion der CDU sowie den Alternativanträgen. Das Wort hat Abgeordneter Mohring für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! 60 Millionen Menschen sind auf dieser Welt auf der Flucht. In Syrien sind von 21 Millionen Einwohnern 15 Millionen auf der Flucht. Aus dem Libanon fliehen von circa 4 Millionen Einwohnern 1,5 Millionen Menschen. Das ist eine humanitäre Katastrophe größten Ausmaßes. Wir sind starken Bildern ausgesetzt, die uns zu starken emotionalen Empfindungen führen: Ertrinkende im Mittelmeer, Not leidende Kinder, Gewaltexzesse, wie wir sie in der Nacht der vergangenen Woche von Mittwoch auf Donnerstag in Suhl gesehen haben. Wir sind erhitzten Debatten ausgesetzt, die unter den

schrecklichen Vereinfachern und Ideologen leiden. Den schrecklichen Vereinfachern, die ihre Fremdenfeindlichkeit und ihren Rassismus vor Asylunterkünften austoben und brüllen „Alle raus!“. Das ist falsch und es ist unzulässig und es gehört sich dagegen aufgestanden.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber die Debatten leiden auch unter den schrecklichen Vereinfachern, die bei jeder Problemanzeige – etwa wenn Thüringer Landräte sagen, dass sie mit dem Problem der Asyl- und Flüchtlingsströme allein gelassen werden – wie auf Knopfdruck die Rassismuskeule schwingen und ebenso falsch rufen: „Alle rein!“. Gefragt ist Differenzierung. Es gibt kein Schwarz oder Weiß. Die Welt ist vielfältiger und die Welt ist bunter.

(Beifall CDU)

Wie sieht die Lage aus? Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt zu Recht: Die Flüchtlinge werden uns mehr beschäftigen als Griechenland. Die Thüringer Menschen wollen den Menschen helfen, die in existenzieller Not sind. Sie wollen Schutz für die Schutzbedürftigen. Das ist unsere humanitäre Verpflichtung. Die Menschen wissen auch, dass Deutschland Fachkräfte braucht. Sie wissen aber auch, die Bitte um Asyl und die Suche nach Arbeit sind zweierlei Paar Schuhe. Und sie wissen und sagen es laut und zu Recht: Behaltet die Integrationsfähigkeit dieses Landes, unseres Landes im Blick. Das gilt finanziell, sozial und kulturell.

Schon wird gefragt in diesen Tagen: Was ist das eigentlich, was wir gerade in Deutschland und in Europa erleben? Ist es eine Episode wie zu Anfang der 90er-Jahre oder ist es gar eine neue Epoche? Wenn das so wäre, was heißt das dann eigentlich für uns? Ist es dann wirklich die zentrale Debatte, so wie wir sie eben aus der Regierungserklärung gehört haben, dass es allein um Kosten geht? Wenn sogar manche von Völkerwanderung sprechen, reicht es dann aus, in seiner Erklärung zur Regierung ausdrücklich nur von Kosten zu sprechen oder geht es nicht vielmehr um die Zukunft unseres Landes? Ich will sagen, lieber Herr Justizminister, Ihre Regierungserklärung hat darauf keine Antworten gegeben.

(Beifall CDU)

Die Landesregierung ist, und der Ministerpräsident hat das bestätigt, mit der Aufgabe der Bewältigung der Asyl- und Flüchtlingsproblematik überfordert. Sie ist unprofessionell, sie ist hilflos, sie ist uneinig, sie ist ideologisch und ohne Programm, die Probleme dieses Landes zu lösen.

(Beifall CDU)

Diese Regierung kann diese Aufgabe nicht.

(Minister Lauinger)

Wir haben diese Sondersitzung beantragt, weil dieses Problem der Asyl- und Flüchtlingsproblematik die Menschen in diesem Land bewegt – landauf, landab. Wer in diesem Sommer in Thüringen unterwegs war, der weiß, es gab kein anderes Thema und es gibt kein anderes Thema, was die Menschen in Thüringen mehr bewegt, als die Frage: Wie gehen wir humanitär und wie gehen wir aber auch so damit um, dass Recht und Gesetz bei uns in Thüringen weiter Anwendung finden? Die Landesregierung hat keine klare Linie. Seit Dezember liefert sie ein dissonantes Konzert ideologischer Bekenntnisse, wohlfeiler Empörung über kritische Anfragen, Kampf-gegen-Rechts-Rhetorik, zurückgenommener Versprechungen, arroganten Gehabes gegenüber den kommunalen Spitzenverbänden und – und das ist das Positive – vor allem eine SPD mit einer spürbaren Annäherung an die Wirklichkeit statt ein differenziertes Bild. Rot-Rot-Grün ist sich nicht einig, aber wir sind froh, dass es einen Partner gibt, der die Realität dieses Landes mehr zur Kenntnis nimmt, als die anderen beiden Partner.

(Beifall CDU)

Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen. Monatelang hat die Landesregierung nach ihrem Amtsantritt den Eindruck erweckt, als sei jeder Asylantragsteller ein Integrationsfall. Der Innenminister lässt sich damit vernehmen, dass das Instrument der Abschiebung konsequenter genutzt werden soll. Und auch der Landrat von Schmalkalden-Meiningen, ebenfalls der SPD angehörig, fordert konsequente Abschiebung, derweil der Integrationsminister dieses Instrument für untauglich hält und grüne Landtagsabgeordnete auf Twitter gar nicht heftig genug dagegen hacken können. So unterschiedlich ist die Wahrnehmung bei Rot-Rot-Grün. Während der Staatskanzleiminister bei Twitter einen neuen, bis vor wenigen Tagen angekündigten Winterabschiebestopp bei Schleswig-Holstein bejubelt, sagt der SPD-Landesvorsitzende, einen weiteren Winterabschiebestopp kann man nicht noch einmal vornehmen und daraufhin verkündet eine SPD-Landtagsabgeordnete Tweets mit dem Hashtag „Bausewein stoppen“. Unterschiedlicher können die Positionen in dieser Landesregierung nicht sein.

(Beifall CDU)

Im Bundesrat argumentiert Thüringen zuletzt gegen die Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, was von der Großen Koalition mit Hilfe, also auch Partner, die hier in Thüringen Verantwortung tragen, auf dem Weg und für dringend notwendig erachtet wird. Der Ministerpräsident spricht sich für eine ethnisch-religiöse Trennung von Asylbewerbern aus, während grüne Landtagsabgeordnete dagegenhalten. Der gleiche Ministerpräsident, der sich für diese ethnisch-religiöse Trennung von Asylbewerbern ausspricht, ist aber dagegen, wenn es Vorschläge gibt, Menschen vom

Westbalkan mit schlechter Bleibeperspektive in einer Einrichtung zu versammeln und dort die Asylentscheidung herbeizuführen. Sie müssen sich einigen, was Sie sagen! Sie können nicht einen Tag dies fordern und den anderen Tag im Regierungshandeln das Gegenteil machen. Verlässliche Regierungspolitik sieht wahrlich anders aus.

(Beifall CDU)

Sie ziehen seit Wochen gegen die Bundesregierung zu Felde, weil Sie sagen, dass das Kompromiss zwischen Bund und Ländern ist, dass das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration mit mehr Personal ausgestattet werden muss. Das ist auch richtig – das ist auch Aufgabe des Bundes –, aber gleichzeitig sind Sie nicht in der Lage, in Ihrer eigenen Zentralen Abschiebestelle im Landesverwaltungsamt so viel Personal zur Verfügung zu stellen, dass die dort vorliegenden Abschiebefälle tatsächlich bearbeitet werden können. Bis zu unserem Antrag auf Sondersitzung des Landtags haben wahrlich vier Mitarbeiter in der Zentralen Abschiebestelle gearbeitet, davon zwei dauerkrank. Nach unserem Antrag auf Sondersitzung haben Sie weitere vier Mitarbeiter – Sie haben es eben angekündigt – in diese Zentrale Abschiebestelle abgeordnet. Jetzt muss man es der interessierten Öffentlichkeit dazu sagen: sage und schreibe für ganze zwei Wochen. Glückwunsch! Sie sind unprofessionell, Sie können das nicht und Sie wollen es auch gar nicht können.

(Beifall CDU, AfD)

Da fordern der Ministerpräsident und eben auch der Justizminister in seiner Regierungserklärung mehr Geld vom Bund und nicht einmal das Geld, was es vom Bund mehr gibt – sage und schreibe 26 Millionen Euro in diesem Jahr und 26 Millionen Euro im nächsten Jahr –, stellen Sie den Kommunen zur Verfügung.

(Zwischenruf Ramelow, Ministerpräsident: Das ist falsch!)

Sie haben alles versucht hier vorzurechnen, aber eines haben Sie nicht verstanden: Wenn mehr Flüchtlinge und mehr Asylbewerber in diesem Land Thüringen da sind, dann steigen die Kosten des Landes von allein an und da kann man nicht die Zahlen von 2014 mit 2015 vergleichen. Wir haben ein Vielfaches von Flüchtlingen und Asylbewerbern zu bewältigen und nach unserer Flüchtlingskostenerstattungsverordnung sind dann höhere Aufwendungen notwendig. Was wir aber vermissen und was die Thüringer Landräte, die ich heute auch begrüße, weil sie oben auch auf der Tribüne sitzen, von Ihnen wollen, ist, das Geld vom Bund eins zu eins on top auf die Landesleistung zu geben und nicht mit Landesleistungen zu verrechnen. Das tun Sie nicht!

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Ramelow, Ministerpräsident: Das ist falsch!)

Und ich will weitere Beispiele nennen, bei denen Rot-Rot-Grün sich nicht einig ist. Zu Recht sagt der Wirtschaftsminister Tiefensee: Man muss die Staaten im Westbalkan zu sicheren Herkunftsstaaten erklären. Bei anderen in der Koalition, mindestens bei seinem Nachbarn aus dem Justizministerium, trifft er dabei – eben gehört – auf erbitterten Widerstand. Es soll ja Grünen-Politiker geben, die schon viel weiter sind als der hiesige. Ich kann nur noch sagen: Reden Sie mit Ihren grünen Freunden aus Baden-Württemberg, reden Sie mit Ihren grünen Freunden aus Hamburg, reden Sie mit Ihren grünen Freunden aus Bremen – die sind offensichtlich klüger. Sie stammen ja aus Baden-Württemberg: Ab und zu beim Nachbarn nachfragen, wie es richtig geht, hilft auch Ihnen bei Ihrer Amtsausführung.

(Beifall CDU)

Meine Damen und Herren, auf der praktischen Ebene herrschte über Monate Funkstille. Erst seit unserem Antrag auf diese Sondersitzung überstürzen sich die Ereignisse. Und ich will Ihnen sagen: Wenn das kein politisches Chaos ist, was ist dann politisches Chaos? Diese Sondersitzung soll dazu dienen, dass Sie sich gegenüber dem Landtag erklären, dass Sie die Öffentlichkeit über Ihr Programm informieren, aber ausdrücklich – das will ich namens unserer CDU-Fraktion sagen – bieten wir Ihnen auch die Hilfe an, vor dem nächsten Flüchtlingsgipfel mit der Bundeskanzlerin Ordnung in Ihre Politik zu bringen. Wir helfen Ihnen, wenn Sie bei der Frage allein überfordert sind.

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Beifall CDU)

Meine Damen und Herren, Heidenau und Suhl verlangen klare Worte. Der Flüchtlingsstrom spaltet die Gesellschaft. Wir erleben Gefühle von Angst, wir sehen Überforderung und es gibt beeindruckende Gesten des Mitgefühls. Dies alles ist zulässig. Was nicht zulässig ist, ist Gewalt. Die Ausschreitungen gegen Asylbewerber im sächsischen Heidenau und gegen Polizisten sind inakzeptabel, sie sind beschämend und erfordern null Toleranz gegenüber Rechtsextremisten. „Gewalt ist das Analphabetentum der Seele“, sagte Rita Süssmuth zu Recht und sie hat auch heute noch recht. Null Toleranz gegenüber Gewalt gegen Asylbewerber und Polizisten in diesem Staat!

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, inakzeptabel sind auch gewalttätige Auseinandersetzungen und Ausschreitungen von Asylbewerbern. Wer hier Asyl sucht, sollte eines wissen: Mit Eisenstangen schlägt hier niemand auf seinen Nachbarn

ein. Das Gewaltmonopol hat der Staat. Bei uns gilt unsere deutsche Rechtsordnung und nicht die Scharia. Das muss jeder wissen, der bei uns Asyl sucht.

(Beifall CDU)

Unsere Rechtsordnung ist das A und O und die muss anerkannt werden!

Ich will gern an dieser Stelle – weil das unmittelbar in den Zusammenhang gehört und der Landtagspräsident hat es zu Beginn der Sitzung gesagt – noch mal ausdrücklichen Dank sagen den Helfern, Dank den Polizisten, Dank den Bürgermeistern, Dank den Landräten, Dank den Mitarbeitern in den öffentlichen Verwaltungen, in den Kommunalbehörden, in den Landesbehörden, aber auch in den Bundesbehörden und Dank den unzähligen freiwilligen Helfern. Diese besondere Herausforderung für diesen Staat in besonderem Maße würde nicht gelingen, wenn wir nicht diese Kräfte hätten, die Tag um Tag diese Problematik vor Ort bewältigen. Dank an alle Helfer in diesem Land!

(Beifall CDU, SPD)

Meine Damen und Herren, wir fordern mit dieser Sondersitzung des Thüringer Landtags ein Sofortprogramm unter dem Eindruck der Ereignisse in Suhl. Ich will vorwegschieben, bevor ich zum Sonderprogramm zu sprechen komme, was ich selbst erlebt habe, bei meinem Besuch einen Tag vor den gewalttätigen Eskalationen in der Suhler Nacht. Die Situation in der Erstaufnahmeeinrichtung am Beispiel Suhl ist unerträglich. Sie ist unerträglich im hygienischen Zustand, sie ist unerträglich, weil es keine Privatsphäre gibt, sie ist unerträglich, weil der schwarze Schimmel an den Wänden bis zur Decke wächst, sie ist unerträglich, weil zentimeterhoch das Wasser in den Gängen ist, sie ist unerträglich, weil quasi jede Tür dort eingeschlagen ist, sie ist unerträglich, weil im vierten Geschoss Fenster ausgeschlagen und nicht erneuert sind und dort Kinder spielen, sie ist unerträglich, weil die Einrichtung überfüllt ist. Und dann muss man sagen, und das gilt wirklich ausdrücklich: Ich will mich nur eine Minute da reinversetzen und überlegen, was wäre, wenn dieser Zustand in Suhl, so wie ich ihn vorgefunden habe, und so, wie ihn die Asylbewerber jeden Tag vorfinden, unter einem Innenminister dieses Landes von der CDU wäre, dann würden Sie nicht aufhören können zu demonstrieren und Sondersitzungen zu beantragen. Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht!

(Beifall CDU)

Nicht nur in der Opposition laut brüllen, sondern auch in der Regierungsverantwortung zur eigenen Verantwortung stehen! Sie lassen das eindeutig vermissen. Christian Herrgott hat das zu Recht gesagt, jeden Tag würden die Königs und die Dittes und die Rothe-Beinlichs dieser Welt demonstrieren

vor diesem Heim, wenn ein Innenminister unserer Partei oder ein anderer verantwortlicher Minister unserer Partei so ein Flüchtlingsheim zu verantworten hätte. Ich bin froh, dass in einer großen Tageszeitung heute auch aufgegriffen wird, was grüne Abgeordnete noch vor zwei Jahren hier in Thüringen zur damaligen Situation in den Flüchtlingsheimen gesagt haben.

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Manchmal reicht es aus, einfach seine eigenen Wortmeldungen von vor zwei Jahren noch mal vorzunehmen, ganz tief in sich zu gehen und zu überlegen, klug nachzudenken, bevor man jedes Mal sofort laut herausbrüllt. Manchmal holt es einen auch alles wieder ein.