So ist das. Der Meinungsbildungsprozess findet am Ende in den Fraktionen statt. Deren Entscheidungen müssten oder müssen die Regierungsmitglieder, die auch Fraktionäre sind, mittragen. Das funktioniert nicht immer, gebe ich zu, aber es ist jedenfalls das Prinzip und das nennt sich neuer Dualismus. Das ist eine anerkannte Sache. In vielen europäischen Ländern ist dies genauso umgesetzt wie bei uns, nämlich Verbindung von Ministeramt und Mandat. In England, dem Hort der Demokratie, wie es gemeinhin heißt, muss der Premierminister einen Parlamentssitz haben, sonst kann er kein Premierminister sein.
Und zudem: Was geschieht denn eigentlich mit dem Wählerwillen beim Direktmandat, wenn ein direkt gewählter Abgeordneter Minister wird? Im Zweifel würde ein Listenkandidat nachrücken, der nicht das Geringste mit dem Wahlkreis zu tun hat und sich gegebenenfalls regional auch ganz anders ausrichtet. Das kann man dem Wähler, meine ich, nicht vermitteln, der gerade gewählt hat und dann vier Wochen später feststellen muss, dass seine Wahl für die Katz war.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Kollege Scherer, den ersten Satz Ihrer Rede kann ich ausdrücklich nur bestätigen, was die Frage des Populismus angeht. Den Rest auch.
Der Grundsatz der Gewaltenteilung wird im deutschen Verfassungsgefüge nicht als so radikales Trennungs- und Abgrenzungsmodell aufgefasst – Kollege Scherer hat es eben beschrieben – und auch umgesetzt wie in anderen Ländern mit anderen Verfassungstraditionen oder geschichtlichen Entwicklungen wie zum Beispiel den USA. In Deutschland wie auch in anderen europäischen Staaten gilt eher ein Modell der gegenseitigen Kontrolle und Ausbalancierung.
Wobei die Kontrolle der Regierung durch das Parlament auch dann noch gewährleistet ist, wenn einzelne seiner Mitglieder in der Regierung sind.
Selbst für den Bereich der normalen Exekutive und Verwaltung geht das Grundgesetz nicht von einer strikten Unvereinbarkeit aus, die automatisch zur Nichtwählbarkeit der Betroffenen führt. Vielmehr hält das Grundgesetz für solch eine Unvereinbarkeitsregelung eine ausdrücklich verfassungsrechtliche Ermächtigungsnorm für notwendig. Die findet sich in Artikel 137 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Notwendigkeit solcher Vorschriften – Unvereinbarkeitsregeln stellen einen Eingriff in das passive Wahlrecht des Betroffenen dar –, die Gleichheit des Wahlrechts, des aktiven und passiven, gehören zu den absoluten Grundwerten der Demokratie. Dieses demokratische Grundrecht muss dann mit dem Prinzip der Gewaltenteilung abgewogen werden. Diese Abwägung ist mit Artikel 137 des Grundgesetzes in der Weise erfolgt, dass die Betroffenen ihr Mandat wahrnehmen können, aber das Beamtenund Richterverhältnis ruht.
Meine Damen und Herren, nach rechtswissenschaftlicher Meinung müssen Bund und Länder bei den grundsätzlichen demokratischen Gestaltungsfragen einen vergleichbaren Umgang praktizieren – Stichwort „Homogenität“. Das heißt, im Prinzip gelten die Gestaltungsentscheidungen des Artikels 137 des Grundgesetzes auch für die Länder. Interessanterweise und bekanntermaßen sagt der Artikel 137 des Grundgesetzes nichts zum Verhältnis von Ministeramt und Mandat. Für diesen Bereich gibt es im Grundgesetz damit keine Ermächtigungsnorm für die Unvereinbarkeitsregelungen. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache ist es daher verfassungsrechtlich höchstwahrscheinlich unzulässig, in Artikel 72 der Thüringer Verfassung eine Regelung festzuschreiben, die die Wirkung einer faktischen Unvereinbarkeitsregelung im Nachhinein hat und wegen des gesetzlichen Niederlegungszwangs zum Verlust des Abgeordnetenmandats führt.
Eine andere, meine Damen und Herren, allerdings nicht verfassungsrechtliche Frage ist, ob Mandatsinhaber so viel Kapazität haben, um gleichzeitig auch noch ein Regierungsamt ausüben zu können. Diese Entscheidung muss aber mit Blick auf den Verfassungsgrundsatz der Freiheit des Mandats in der Entscheidung des jeweiligen Betroffenen liegen. Daher gibt es zum Beispiel auch im Thüringer Abgeordnetengesetz die Möglichkeit der Doppelfunktion. Kommt eine Mandatsinhaberin oder ein Mandatsinhaber für sich zum Ergebnis, dass sie oder er nach der Berufung in ein Ministeramt vorsorglich sein Mandat abgeben möchte, um jeglichen Zweifel an Arbeitskapazität auch nur im An
satz zu vermeiden, kann sie oder er jederzeit sein Mandat niederlegen. Die jetzige Rechtslage ist damit ausgewogen und ihre Interessenabwägung stellt genügend sicher, dass alle Regierungsmitglieder entsprechend agieren, sich der Ausfüllung ihrer Ministerfunktion widmen können. Die Funktionsund Arbeitsfähigkeit der Landesregierung ist auch mit der jetzigen Rechtslage in vollem Umfang gesichert. Meine Damen und Herren, diese Tatsachen und Argumente belegen: Dieser Gesetzentwurf ist politisch wie juristisch bei scheinbar so viel juristischem Sachverstand in der AfD-Fraktion ein unausgegorenes Machwerk.
Meine Damen und Herren! Herr Scherer, Herr Blechschmidt, bei so viel Kritik, da gruselt es einem fast vor dem eigenen Gesetzentwurf, muss ich Ihnen sagen.
Ich habe richtig Gänsehaut bekommen. Herr Scherer, bei Ihnen habe ich mich gewundert, wie schnell Sie – es war absehbar, zu welchem Ergebnis Sie kommen – bei Populismus waren. Es hat kaum drei Wörter gedauert, da war der Populismus da.
Dann haben Sie sich hier wie ein kleines Kind über Beifall von der falschen Seite gefreut. Da war ich auch, muss ich sagen, ein bisschen entsetzt. Das unterstreicht mal wieder das Kartell der Altparteien hier, die dann sofort mit der großen Keule auf uns draufhauen, sobald wir irgendwas beantragen, was vernünftig ist – was eigentlich durchweg der Fall ist.
Da muss ich Ihnen sagen: Dass wir keinen Fürsten mehr haben, das mag formell so sein. Fürst Bodo ist gerade nicht hier, sage ich mal. Aber es entwickelt sich da was am Horizont, was sich durchaus zu einem übersteigerten Fürstentum, vielleicht sogar zu einem roten Zaren, entwickeln könnte.
Die kurze Begründung, Herr Scherer, ist auch darauf zurückzuführen, dass alle anderen Parteien außer Ihrer Partei genau wissen, worüber wir reden. Ich komme gleich dazu. Das betrifft nämlich auch so ein bisschen den Herrn Blechschmidt, der sich hier zu irgendwas geäußert hat. Da habe ich heute Äußerungen – genau so, wie ich gestern Äußerungen vermisst habe zur Pressefreiheit in der DDR, Herr Blechschmidt, dazu hätte ich auch gern was von Ihnen gehört – vermisst, was Ihre Parteitagsbeschlüsse angeht. Ich zitiere mal die Grünen am 29.11.2014 in Apolda: „Wir halten das gleichzeitige Ausführen eines Regierungsamts und eines Abgeordnetenmandats für grundsätzlich unvereinbar.“ Jetzt waren die Grünen noch nicht mit Reden dran, ich vermute mal, Sie stimmen uns dann gleich zu,
zumindest, wenn ich Ihnen dann Ihren Beschluss wieder ins Gedächtnis rufe. Die Linken, Beschluss 2. Tagung des 1. Landesparteitags 2008 in Sömmerda: „Der Landesparteitag Thüringen der Partei DIE LINKE verpflichtet InhaberInnen von Landtagsmandaten, die als VertreterIn der Partei ein Ministeramt übernehmen, ihr Landtagsmandat der Partei wieder zur Verfügung zu stellen.“ Herr Blechschmidt, haben Sie das genauso vergessen wie die Ausführung zur Pressefreiheit in der DDR?
Wie sagt man? Lügen haben kurze Beine, Blechschmidt, zeig, wie lang sind deine, kann ich da nur sagen.
Der Landesparteitag im Oktober 2014: Der Landesverband Thüringen fordert künftige SPD-Ministerinnen und -Minister der Landesregierung auf, sofern sie ein Landtagsmandat haben – wann auch
sonst –, mit der Ernennung zum Regierungsamt das Landtagsmandat zurückzugeben. – Frau Taubert, ich weiß nicht, ob Sie das auch verinnerlicht haben.
Sie befinden sich hier, liebe CDU-Fraktion, auf ganz, ganz einsamem Posten. Wir haben mit den anderen recht und wir werden mit den anderen wahrscheinlich Sie heute niederstimmen. Freunden Sie sich jetzt schon mal mit diesem Gedanken an, was dann passiert.
Meine Damen und Herren, nach diesem kurzen Exkurs in die Gemeinsamkeiten von Ramelow-Block und der AfD zur Sache. Die Trennung steht im Mittelpunkt der Überlegungen zur Fortentwicklung der Demokratie. Das Parlament ist das einzig demokratisch legitimierte Verfassungsorgan. Vor diesem Hintergrund sollte es der Wille aller hier Hineingewählten sein, das Parlament und die Parlamentarier gegenüber der Regierung zu stärken und für eine saubere Trennung zu sorgen. Also, Herr Scherer, keine Verschränkung, sondern eine Trennung, genauso, wie es auch vorgesehen ist.