Protokoll der Sitzung vom 05.11.2015

öffentlich genannt wird, Thomas Kretschmer, ein Holzbildhauer, der in DDR-Zeiten zu viereinhalb Jahren Haft, zum Teil Isolationshaft, verurteilt wurde und das nur, weil er ein Batiktuch mit dem Aufdruck „Sprecht polnisch“ per Post an seine Freunde und Bekannten verschickte.

All das hätte ich wirklich gerne mit Ihnen debattiert, aber das, was Sie hier aufmachen, diese unsägliche Mischung, Entschuldigung, die verbietet es mir – und da bin ich auch froh drum –, Ihrem Antrag hier zuzustimmen und dem die Verweisung zu erteilen. Den 9. November 1938 als Inszenierung zu bezeichnen, offenbart das, was die CDU gerade hier in Thüringen versucht zu vollziehen, nämlich zumindest in Teilen eine offen …

(Unruhe CDU)

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Ihr seid die Geschichtsdeuter!)

Eine Frechheit ist Ihr Antrag und Ihrem Antrag werde ich zumindest nicht zustimmen in der Verweisung an den Innen- und Kommunalausschuss. Ich denke, dass wir als Koalition definitiv einen eigenen Antrag einbringen werden, um einen Gedenktag für die Opfer der SED-Diktatur hier in Thüringen einzurichten. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der AfD hat Abgeordneter Brandner das Wort.

Meinen Damen und Herren – liebe Schüler kann ich nicht mehr sagen –, also liebe Zuhörer auf der Tribüne, das ältere Semester, herzlich willkommen!

Es ist mir etwas peinlich, nach Frau König zu sprechen, aber es lässt sich wahrscheinlich hier, was die Reihenfolge angeht, nicht vermeiden.

Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion hat die Einführung des 8. Mai, die vor einiger Zeit durch die Ramelow-Koalition beschlossen wurde, zum Anlass genommen, weitere Gedenktage zu fordern. Die Überlegung dabei ist wahrscheinlich, eine ausgewogenere Gestaltung des öffentlichen Gedenkens zu erreichen, weshalb vorgeschlagen wird, neben dem 8. Mai zusätzlich den 18. März, den 17. Juni, den 25. Oktober und den 9. November zu Gedenktagen zu erheben.

Liebe Freunde von der CDU, wenn ich mal einen Annäherungsversuch wagen darf: Wir können uns mit einigen Aspekten eures Antrags durchaus anfreunden, dazu sage ich gleich etwas, und ihr habt ja gerade gehört, dass die AfD am Ende schuld sein wird, wenn euer Antrag abgelehnt wird. Dafür

(Abg. König)

entschuldige ich mich jetzt schon mal. Frau König hat das ja in wunderbarer Art und Weise hergeleitet.

Viele andere Aspekte, die allerdings von der CDU angesprochen wurden, finden nicht unsere Zustimmung. Wir sind der Auffassung, dass die Sache nicht ganz zu Ende gedacht ist. Deshalb werden wir zu gegebener Zeit einen Änderungsantrag einbringen, der die Sache auf ein vernünftiges Maß stutzt.

Der 8. Mai ist seit Kurzem ein gesetzlicher Gedenktag in Thüringen, und zwar bislang der einzige. Wir alle hier haben in den Debatten mitbekommen, die um den 8. Mai 1945 geführt wurden, was es für ein ambivalentes Datum in der deutschen Geschichte ist, und so ist es natürlich mit der gesamten Geschichte. Die Sicht auf die Geschichte steht immer im Streit der Gegenwart, sei es wissenschaftlich, sei es politisch, sei es gesellschaftlich. Die offene Auseinandersetzung um die und mit der Geschichte ist gut, denn zu einer freien und globalen Gesellschaft gehört die freie und kritische Diskussion um und über ihre Geschichte. Problematisch wird es dann, wenn die Geschichte okkupiert wird, wenn ein bestimmtes Geschichtsbild festgeschrieben und dekretiert werden soll, also meist dann, wenn sich Betonideologen, zum Beispiel aus Staatskanzleien, in die Geschichtsdebatte einschalten.

(Beifall AfD)

Dann werden beispielsweise die Bauernkriege zum Ausdruck der weltgeschichtlichen Klassenkampfdialektik, die in der kommunistischen Gesellschaft – hören Sie zu, Herr Blechschmidt – enden soll. Dann wird aus den Bauernkriegen ein frühbürgerlicher Vorläufer der sozialistischen Revolution und Thomas Müntzer eine Art Prä-Lenin oder PräHonecker. So etwas kann passieren, wenn Geschichte zum Spielball politischer Machtinteressen wird. Da fällt mir immer dieser Spruch ein: Was unterscheidet die Linke vom lieben Gott? Die Linke versucht immer, die Vergangenheit zu ändern, der liebe Gott beschränkt sich auf die Zukunft. Ja, ja, da ist etwas dran.

(Beifall AfD)

Das ist ja auch die Tendenz, die sich im Umgang mit dem 8. Mai gezeigt hat. Deshalb ist es höchst problematisch, alle möglichen historischen Ereignisse zu politischen Projekten zu machen, und das gilt selbstredend ganz grundsätzlich und hat geradezu ein Paradox zur Folge. Denn natürlich kommt ein Staat einerseits nicht ohne historisches Gedächtnis aus, Herr Gruhner nannte es mal „Geschichtsvergessenheit“ – so etwas wollen wir natürlich auch nicht –, andererseits ist es problematisch, wenn ein Staat die Geschichte instrumentalisiert.

Nun ist der 8. Mai wegen Ramelow und Hoff und ihrer rot-grünen Claqueure Gedenktag in Thüringen geworden, der an das Ende des Dritten Reichs an

knüpft. Der CDU-Gedanke ist ja durchaus richtig, zu sagen, das ist etwas einseitig, da muss wieder ein Gleichgewicht hergestellt werden.

(Beifall AfD)

Denn neben der braunen hatten wir auch eine rote Diktatur, in der das Volk massiv unterdrückt wurde. Der eine oder andere – ich schaue mal zu dem linken Spitzelpaar Kuschel und Leukefeld – in diesem Hause war ja sehr aktiv und ambitioniert bei der Unterdrückung dabei und hat nun maßgeblichen Einfluss auf die Regierungsarbeit. Anders aber als im sogenannten Dritten Reich gab es in der DDR eine breite gesellschaftliche Opposition gegen das sozialistisch-diktatorische System.

Herr Abgeordneter Brandner, gestatten Sie eine Anfrage des Abgeordneten Blechschmidt?

Gern am Ende. Ich weiß nicht, ob die Zeit reicht.

In der DDR gab es eine breite gesellschaftliche Opposition gegen das sozialistisch-diktatorische Linksregime und diese Opposition brach sich am 17. Juni 1953 Bahn. Bekanntlich wurde der Volksaufstand gegen das linke SED-Regime gewaltsam niedergeschlagen. In der Folge dieser Ereignisse kam es zu tausendfacher Verhaftung, zu Verfolgung, zu Schikanen, zu Todesurteilen, also zu staatlichen Morden. Der Freiheitswille der Deutschen in der DDR konnte sich dann erst über 35 Jahre später in einem zweiten Anlauf im Herbst 1989 doch noch durchsetzen. Die sozialistische Diktatur wurde niedergerungen, und zwar von innen, vom Volk.

(Beifall AfD)

Bis es so weit war, waren allerdings Tausende Opfer der linken Ideologie und Verbohrtheit zu beklagen. Vor diesem Hintergrund spricht die Forderung einer ausgewogenen Gedenkpolitik oder Gedenkkultur dafür, dass neben dem 8. Mai in seiner Erinnerung an das Dritte Reich und dessen Opfer auch an die DDR-Diktatur und deren Opfer erinnert wird. Da bietet sich der 17. Juni in der Tat sehr gut an.

(Beifall CDU, AfD)

Eben deshalb schlagen wir den 17. Juni als Gedenktag vor bzw. tragen das mit. Aber damit soll es dann auch gut sein. Denn nicht sinnvoll finden wir, dass der CDU-Antrag im Grunde zu einer – Herr Walk, verzeihen Sie! – Gedenktagsinflation führt, die wir nicht wollen. Zunächst einmal beginnt da nämlich die Diskussion um die richtigen Daten. Also wenn man lange genug in die Geschichte zurückgeht, wird man wahrscheinlich jeden Tag zu irgendeinem Gedenktag machen können. Wir fangen hier mit dem 18. März an, dem kann man durchaus et

was abgewinnen, 1848 Berliner Barrikadenaufstand.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das meinen Sie doch nicht ernst, oder?)

War der da nicht, der Barrikadenaufstand? Wann war der denn? Also nach meiner Kenntnis war am 18. März 1848 der Berliner Barrikadenaufstand und das meine ich ganz ernst, Herr Adams. Damit kann man das Datum gewiss den Genossen und den grünen Fundis – gucken Sie mal, jetzt kommen Sie sogar in meiner Rede vor – schmackhaft machen; das klingt nach Revolution und nicht mehr ganz so nach frühgutbürgerlichem Klassenkampf. Und gewiss war die Märzrevolution ein wichtiges Ereignis, wer wollte das leugnen. Und dann fand natürlich am 18. März die erste und letzte freie Volkskammerwahl der DDR statt, 1990, ein großartiges Ereignis.

(Beifall CDU, AfD)

Und doch, meine Damen und Herren, wollen wir im Ernst einen Gedenktag einführen, der einerseits ja einer irgendwie gescheiterten Revolution, 18. März 1848, Herr Adams, huldigt und andererseits die letzten Zuckungen der DDR würdigt, eines sozialistischen Unrechtsstaats von UdSSR-Gnaden, der allenfalls eine klitzekleine Fußnote

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Aber eine wichtige!)

in der Geschichte wert ist? Kann man machen, muss man aber nicht machen. Jedes Gesetz, was nicht sein muss, sollte man lassen.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine Rede, die nicht sein muss, kann man auch lassen!)

Da kämen Sie ja nie zum Zuge, Herr Adams. Also der Schuss geht aber ganz gewaltig nach hinten los, da könnten Sie ja alle hier immer sitzen bleiben.

Wir von der AfD-Fraktion – hören Sie genau zu – sind also der Auffassung, dass es ausreichend ist, wenn wir einen bundesweiten Tag der Deutschen Einheit als gesetzlichen Feiertag haben, und das ist der 3. Oktober. Mit diesem Feiertag geraten jährlich die Ereignisse von 1989/1990 im Ganzen in den Blick. Das ist gedenkpolitisch aus unserer Sicht genug. Was den 25. Oktober angeht, so ist auch das gewiss ein wichtiges Datum, aber in den vergangenen Jahren hat uns nichts daran gehindert, diesen Verfassungstag in der einen oder anderen Weise öffentlich zu begehen, ich denke hier an Weimar zurück, und eine öffentliche Debatte an diesem Tag zu führen. Also dafür braucht man auch kein Gesetz.

Sehr ambivalent ist auch der 9. November. Ich muss sagen, dem gehören eigentlich meine Sympathien. Wenn man die deutsche Geschichte anschaut,

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das passt!)

müsste man den 9. November eigentlich wirklich als Gedenktag anerkennen und in allen seinen Facetten gedenken oder teilweise auch feiern, je nachdem, welchen Schwerpunkt man legt. Aber auch das würde zu einer Gedenktagsinflation führen. Also man könnte schon mal darüber reden, ob man den 3. Oktober als Feiertag abschafft und dafür den 9. November einführt.

(Beifall AfD)

Auch Joschka Fischer soll so einen Gedanken mal gehabt haben, also insoweit ganz sympathisch.

Meine Damen und Herren, die AfD-Fraktion lehnt also eine Gedenktagsinflation ab. Inflation bedeutet auch Entwertung. Wenn nahezu jeder Tag ein Gedenktag werden soll, winken die Leute bald gelangweilt ab. Zwei Gedenktage im Jahr, die die deutschen Diktaturen von links und von rechts in den Blick nehmen, reichen völlig aus,

(Beifall AfD)

um unseren hoffentlich – ich guck da mal nach links – antitotalitären Konsens in Erinnerung zu rufen.

Im Ganzen wenden wir uns entschieden gegen eine Verstaatlichung der Geschichte, weil damit die Gefahr verbunden ist, dass die Geschichte einseitig instrumentalisiert wird. Bleiben wir also auf dem Boden und begnügen wir uns mit dem nun einmal eingeführten 8. Mai und darüber hinaus mit dem 17. Juni. Vielleicht tauschen wir noch, wenn Sie wollen, den 3. Oktober gegen den 9. November.

Zum Schluss der Hinweis, dass das Gesetz in der Tat einen neuen Namen braucht, weil es nicht nur Feiertage, sondern auch Gedenktage regelt. In diesem Sinne, meine Damen und Herren, lassen Sie uns gedenkpolitisch Maß halten. Jetzt freue ich mich, Herr Blechschmidt, auf unsere ideologische Auseinandersetzung.