Protokoll der Sitzung vom 25.11.2015

Wir wollen eine lebendige Demokratie, deshalb müssen wir, lieber Kollege Mohring, jeden Tag die Demokratie erkämpfen, jeden Tag die Demokratie weiterentwickeln und jeden Tag, meine sehr verehrten Damen und Herren, Demokratie gestalten. Wenn wir das nicht tun würden, wenn wir dem Beispiel der CDU folgen würden, sehr geehrter Herr Mohring, dann würde es heute immer noch kein Frauenwahlrecht geben.

(Unruhe CDU)

Denn es waren genau die Argumente, die Sie heute gegen das Wählen mit 16 einwenden, das waren die Argumente gegen das Frauenwahlrecht. Aus welchem Jahrhundert kommen Sie?!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, und alles Argumentieren der CDU und AfD – da sind Sie sich ja dieses Mal kräftig einig und wahrscheinlich, so wie ich sie gerade sehe, auch mächtig stolz darauf –, alles Argumentieren endet an einem Punkt, über den Sie nicht hinüber kommen, und das ist nämlich der Artikel 20 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz.

(Unruhe CDU)

Das Bundesverfassungsgericht hat das auch klargestellt: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus und Volk ist jedermann, von der Geburt bis zum Ende, jeder. Es bedarf eines besonderen Grundes, das auszuschließen.

(Unruhe CDU)

Jetzt wehren Sie sich dagegen, dass alle wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zu dem Schluss kommen, dass 16-Jährige in unserer Gesellschaft nicht weniger kompetent und nicht weniger inkompetent sind als 20-, 30-, 40-, 50-, 60-, 70-, 80-, 90- oder 100-Jährige. Das ist ein wissenschaftlicher Befund. Den möchte die CDU nicht wahrnehmen und damit ist das Tor geöffnet für Ihre Argumentation. Aber wenn Sie diese wissenschaftlichen Befunde wahrnehmen würden, müssten Sie eingestehen, dass alle Ihre Argumente zum Fenster hinaus flattern, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, freuen uns an diesem Tag, auch wenn wir uns gewiss sind, dass nur ein Teil dessen, was wir heute beantragen und hier eingebracht haben, beschlossen werden wird. Wir werden heute wahrscheinlich nur das „Wählen ab 16“ auf der kommunalen Ebene beschließen können. Das ist gut so, weil – das wurde auch schon gesagt – es der erste Gesetzentwurf war, den die damals junge Grünen-Fraktion im Jahr 2010 eingebracht hatte. Für uns ist es dennoch ein wichtiger Schritt und es ist für die jungen Menschen

und für die Demokratie in Thüringen ein kleiner weiterer Meilenstein. Wir wollen mehr Demokratie wagen, wir wollen mehr Bürgerinnen und Bürgern eine Stimme geben. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Abgeordneter Gentele.

Werte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, liebe Besucher am Bildschirm! Wahlalter 16 Jahre. Wie eine aktuelle Studie angibt, ist ein Drittel der Befragten im Alter von 15 bis 25 Jahren in seiner Freizeit oft für soziale oder gesellschaftliche Zwecke aktiv. Eine andere Studie besagt, weniger als 40 Prozent der Studienteilnehmer zwischen 16 und 29 Jahren halten Politiker und Parteien eher für unglaubwürdig. Und über 60 Prozent der 16- bis 23-Jährigen fühlen sich von der Politik nicht ernst genommen. Es gibt bestimmt auch ein paar andere Studien.

Was spricht für den Gesetzentwurf der Landesregierung, das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken? Jugendliche müssen zum Beispiel als Auszubildende Steuern zahlen. Deshalb sollten sie mitentscheiden können, was mit dem Geld passiert. Auch wäre die Absenkung des Wahlalters eine gute Chance für die politische Bildung innerhalb und außerhalb der Schule, da Jugendliche dann über Politik und Wahlen reden könnten, auch tatsächlich von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können. Da unsere Gesellschaft immer älter wird, könnte die Absenkung des Wahlalters als Gegenmaßnahme zu einer Entwicklung gelten – wohlgemerkt „könnte“.

Was spricht dagegen? Jugendliche sind leichter zu manipulieren von anderen, zum Beispiel Eltern, Vorbildern oder Altersgenossen, in ihrer Wahlentscheidung beeinflusst zu werden. Auch könnten Jugendliche vermehrt zu Extrempositionen neigen und deshalb mehr für Parteien mit extremen oder populistischen Positionen stimmen, was zu einer Radikalisierung des politischen Systems führen könnte. Mit der Volljährigkeit erhält man Bürgerrechte, wie zum Beispiel das Wahlrecht. Mit der Senkung des Wahlalters würde meiner Meinung nach das Wahlrecht nicht mit den entsprechenden Pflichten korrespondieren, ein halbes Wahlrecht für unter 18-Jährige also. Denn man kann nicht gewählt werden. Man sollte meiner Meinung nach erst eine Umfrage in den Thüringer Schulen und mit den betroffenen Schülern ab 16 und 17 Jahren durchführen und danach eventuell eine Entscheidung fällen.

Nach Abwägung meiner Ausführungen werde ich mich bei diesem entsprechenden Gesetzentwurf

enthalten, da ich nicht hundertprozentig dafür stimmen kann, aber auch nicht hundertprozentig dagegen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Für die Fraktion der CDU hat sich Abgeordneter Bühl zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Gäste am Livestream, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll nach den Reden der Regierungskoalition. Nachdem ich Herrn Adams gehört habe, bin ich der Meinung, der Fisch fängt immer vom Kopf zu stinken an. Diesen Eindruck hat man bei diesem Antrag auch.

(Beifall CDU, AfD)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nicht der lebendige!)

Wenn ich Frau Engel reflektiere, dann muss ich sagen, klar, die Junge Union hat da eine Äußerung getan, aber ich denke, dass die Junge Union das sehr viel differenzierter kann als Sie.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja! Ja!)

(Heiterkeit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist im Grunde auch Ausdruck dafür, warum wir bei der CDU sind und Sie bei den Linken, weil Sie nur schwarz und weiß sehen und wir können das Ganze differenziert betrachten.

(Beifall CDU)

Diese differenzierte Sichtweise will ich Ihnen hier noch einmal ergänzend zu dem von Jörg Kellner schon Gesagten näherbringen und dafür werben, davon abzukommen, das Wahlrecht zwischen Kommunal- und Landtagswahl hier auseinanderzureißen. Wir haben heute schon von der Shell Jugendstudie gehört. Kollegin Lehmann und ich waren auch bei der Vorstellung der Shell Jugendstudie. Dort wurde gesagt, das haben Sie auch schon treffend hier ausgeführt, dass 41 Prozent der Jugendlichen politisch interessiert sind. Aber – und das ist, glaube ich, das Wesentlichere – die Politikverdrossenheit unter den Jugendlichen ist gleichbleibend hoch. 69 Prozent der Jugendlichen sagen, dass sich die Politiker in diesem Landtag oder insgesamt nicht um die Belange kümmern, die die Jugendlichen wirklich interessieren. Wenn diese Werte weiter in dieser Höhe sind, dann, glaube ich, ist es nicht sinnvoll, direkt mit einer Absenkung des Wahlalters zu reagieren,

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: Gerade dann!)

(Unruhe DIE LINKE)

(Abg. Adams)

sondern man sollte lieber bei der politischen Bildung anfangen und sollte deswegen den letzten Schritt nicht vor dem ersten tun, das ist, glaube ich, ganz wesentlich.

(Beifall CDU)

Bei diesem Punkt ist es wichtig, noch mal aufzugreifen, dass Sie in dem, was Sie hier tun, absolut inkonsequent sind, denn wenn Sie das aktive und passive Wahlrecht hier auseinanderreißen, dann kann ich das absolut nicht nachvollziehen. Wenn Sie wirklich junge Leute beteiligen wollten, wenn Sie wirklich wollten, dass junge Leute sich einbringen könnten, wenn Sie wirklich wollten, dass sich junge Leute in politische Entscheidungen gerade auch auf kommunaler Ebene mit einbringen, dann sollten Sie möglich machen, dass diese jungen Leute dann auch gewählt werden.

(Beifall CDU)

Was ist es sonst?

Herr Abgeordneter Bühl, gestatten Sie eine Anfrage des Abgeordneten Adams?

Ich würde gern erst ausführen.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Der fragt dich eh nur nach den toten Fischen!)

Dann sollten Sie konsequent sein, ansonsten ist es inkonsequentes Handeln, was man bei Rot-RotGrün häufiger beobachten kann.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Prima!)

Wenn man jetzt mal in die Schulen blickt.

(Zwischenruf Abg. Skibbe, DIE LINKE: Nicht schlüssig!)

Sie können ja vielleicht auch noch reden, vielleicht haben Sie ja noch Zeit.

Wenn man mal in die Schulen schaut, dann sollte man tatsächlich dort ansetzen und sollte Interesse für Politik wecken. Gerade in der Schule kommt die Politik viel zu kurz und Lehrer – zum Teil auch noch Lehrer aus einem alten System, aus einem System, wo man seine Meinung nicht frei sagen durfte – trauen sich auch heute nicht, Politik in der Schule richtig anzusprechen. Ich glaube, da sollte man ansetzen, man sollte Lehrer ermutigen, auch in der Schule Politik zu diskutieren, in der Schule Politik anzusprechen und die Schüler zu motivieren, über Politik zu diskutieren und Verdrossenheit damit wettzumachen. Bei alten Lehrern, die noch zu DDR-Zeiten Politik und das SED-System gelehrt haben und heute zum Teil noch in den Schulen

sind, da kann ich mir natürlich gut vorstellen, dass diese Lehrer dazu keine Lust haben.

(Beifall CDU)

Schüler fühlen sich auch auf Wahlen noch nicht richtig vorbereitet. Das zeigen uns Studien und das zeigen uns im Übrigen auch Besuchergruppen, die hier im Landtag sind. Wenn ich die Besuchergruppen frage, dann kommt zu weiten Teilen die Antwort: Wir wollen noch nicht wählen, weil wir uns nicht gut vorbereitet fühlen. Deswegen, finde ich, ist es wichtig, dass man Schüler auf Wahlen vorbereitet. Wenn man sie entsprechend vorbereitet hat, kann man im nächsten Schritt dann auch entsprechend überlegen, ob man das Wahlalter absenkt. Das vorher zu machen, ist völlig inkonsequent.

(Beifall CDU)