Protokoll der Sitzung vom 26.11.2015

(Ministerpräsident Ramelow)

Auch der Freistaat nimmt in dieser Förderkette selbst Geld in die Hand. Im Rahmen des Landesarbeitsmarktprogramms werden wir Projekte zur Integration in Ausbildung und Arbeit für Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge finanzieren. Wir planen über 1.500 Plätze in einem Volumen von 5 Millionen Euro. Als eines der Projekte startete am 1. November 2015 ein Südwestthüringer Projekt mit der Handwerkskammer und Bildungsträgern mit 500 Flüchtlingen. Das ist der richtige Weg der Integration für geflüchtete Menschen, aber auch zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. Da sei mir noch gestattet: Im letzten Jahr im Thüringen-Monitor gab es eine auffällige Zahl, wenn gefragt wurde – ins Deutsche übersetzt –, wen können Thüringerinnen und Thüringer am wenigsten leiden oder ertragen oder finden sie problematisch, war die Antwort: Fremde und Langzeitarbeitslose. Wenn wir das als Herausforderung nehmen und sagen, die Integration von Fremden, damit sie nicht mehr fremd sind, gemeinsam mit dem Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit, dann ist das die richtige Herangehensweise und die richtige Konsequenz aus den Befunden des Thüringen-Monitors.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Integration kann nur durch einen gesunden Mix aus Geben und Nehmen gelingen. Wir werden Geld investieren, um aus Flüchtlingen Neubürgerinnen und Neubürger zu machen. Jeder und jede, der oder die willens ist, sich zu integrieren, wird in Thüringen eine Chance bekommen, um sich selbst eine berufliche Perspektive zu erarbeiten. Dafür erwarten wir einen effektiven und messbaren Beitrag zur Erweiterung und Ertüchtigung der sozialen Infrastruktur in Thüringen.

Warum ist es nicht denkbar, dass Stadt- und Dorfgemeinschaften, Landwirtschaftsbetriebe und Handwerkerfamilien und Kirchgemeinschaften die Patenschaft für Flüchtlinge konkret übernehmen, sie in ihr soziales Leben integrieren, sie als Helferinnen und Helfer für konkrete Dienstleistungen einsetzen und ihnen dabei helfen, die Kontakte zu knüpfen, die sie für die nächsten Schritte in Arbeit und Ausbildung brauchen? Warum soll es nicht möglich sein, zum Beispiel die ersten erworbenen Deutschkenntnisse dabei zu vertiefen, um älteren Menschen an der Thüringer Peripherie bei der Bewältigung ihres Alltags zu helfen? Diese Art der Integration von unten würde einen effizienten Einsatz der Mittel ermöglichen, die wir ohnehin für die Unterbringung und Verpflegung von Flüchtlingen aufwenden müssen. Sie würde einen konkreten Mehrwert für die Menschen in Thüringen produzieren. Wir haben gerade den Thüringer Integrationspreis verliehen. Dabei haben wir auf dem dritten Platz eine Dame,

(Zwischenruf Lauinger, Minister für Migration, Justiz und Verbraucherschutz: Der zweite Platz!)

dem zweiten Platz, eine – ich schätze – 75-jährige Dame aus Bad Lobenstein, die mit den Nachbarn und den Flüchtlingen zusammen angefangen hat, ihr Wohnquartier mit Frühjahrsputz jedes Mal schicker und besser zu machen. Am Ende erzählte die Dame, dass sie jetzt in ihrer Wohnung Deutschunterricht für die Flüchtlingskinder organisiert hat. Auf unsere verdutzte Frage – von Dieter Lauinger und mir –, wer denn den Deutschunterricht organisiert, sagte sie, ihre Freundin, die ist Lehrerin und 86 Jahre alt. Wenn eine 86-jährige Lehrerin in einer privaten Wohnung einfach hilft, Deutschunterricht zu geben, dann sind das für mich die Helden des Alltags, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen sage ich: Es würde am Ende einen konkreten Mehrwert für alle Menschen in Thüringen auslösen, wenn wir die Integrationsleistung als Gesamtthüringer Aufgabe annehmen, komplett annehmen.

Investieren in eine lebenswerte Heimat: Wir werden in enger Abstimmung mit den Kommunen und der Zivilgesellschaft die Ausbaubedarfe in der wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur identifizieren, die Wachstum ermöglichen. Es gilt darüber hinaus, die vorhandenen Potenziale noch besser zu nutzen. Thüringen muss attraktiv sein, um junge Menschen – egal, ob sie hier geboren sind oder nicht – hier zu halten und hier zu qualifizierter Beschäftigung zu bringen. Wir müssen attraktiv genug sein, um Unternehmen anzuziehen, die die geografischen Vorteile unseres Standorts nutzen wollen. Wir wollen nicht nur mehr Menschen eine Heimat bieten, wir wollen auch mehr wirtschaftliche Wertschöpfung in Thüringen halten und nach Thüringen holen. Dafür braucht es intakte Straßenund Schienennetze, dafür braucht es attraktive Städte und Dörfer, in denen das soziale Leben nicht nur am Wochenende im Wohnzimmer stattfindet. Die notwendigen Investitionen wird das Land stemmen müssen, und zwar als Investition in die Zukunft, die sich in jedem Einzelfall daran messen muss, ob sie sich für den Freistaat Thüringen als Wirtschaftsstandort, als Bildungsstandort und sozialer und ökologischer Lebensraum rentiert. Die geplante Verwaltungs- und Gebietsreform lässt sich nicht nur über nackte und kalte Zahlen realisieren. Wir müssen die Frage stellen: Wie viele Verwaltungsmitarbeiter verwalten sich selbst oder wie viele von ihnen befinden sich im Bürgerkontakt?

Unter dieser Maßgabe müssen wir den Prozess als Land zusammen mit der kommunalen Familie organisieren und nicht davor zurückweichen, es nicht

(Ministerpräsident Ramelow)

nur wegen der Flüchtlinge zu tun, sondern es wegen der Flüchtlinge erst recht zu tun und es mit der Veränderung zu verbinden, die Thüringen dringend braucht. Das im Koalitionsvertrag verankerte Ziel ausgeglichener Haushalte bleibt ein Ziel dieser Landesregierung, aber wir werden alle Spielräume nutzen, um im Rahmen des geltenden Rechts eine wachstumsorientierte, nachhaltige Politik zu unterstützen. Für den Staat gilt deshalb wie für jedes Unternehmen: Ohne Investition kein Wachstum, aber Investition in Zukunft und nicht in Konsumtion.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Soziale Sicherheit für alle – das ist unser Ziel. Wir wollen die Schwachen in unserer Gesellschaft – Arbeitslose, Obdachlose, Menschen in Altersarmut – nicht vergessen und nicht gegeneinanderstellen. Wir wollen auch nicht zulassen, dass sie gegeneinandergestellt werden. Die Landesregierung setzt sich das Ziel, dass es in ihrem Einflussbereich keine Kürzungen im Sozial- und Bildungsbereich als Folge der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen geben wird.

Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie eine Sozialgarantie für alle Bürger leistet. Wir brauchen eine ausreichende Refinanzierung der Integrationskosten. Um diese drei Kernelemente – Integration durch Geben und Nehmen, Investition in eine lebenswerte und liebenswerte Heimat, soziale Sicherheit für alle – wird die Landesregierung eine Politik umsetzen, die humanitäre Verantwortung, soziale Gerechtigkeit mit wirtschaftlichem Erfolg verbindet.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich zum Schluss der Regierungserklärung auf den Beginn zurückkommen. Thüringen steht vor der vierten großen Wandlung seit der Wiedervereinigung. Ich habe gesagt, dass die gestaltende Bewältigung dieses Wandels ein entscheidender Baustein für die Vollendung der inneren Einheit Deutschlands werden kann und werden muss. Entscheidend wird die Frage sein, ob wir diese Veränderung ängstlich ertragen oder mutig gestalten. Mit dem Gestalten wird ein neues „Wir“ entstehen, das die Veränderung gemeinsam erlebt und darüber erzählt, sich und anderen. Zu diesem „Wir“ werden dann auch viele der Menschen gehören, die heute ankommen und aus denen wir Neubürger machen wollen. Dieses „Wir“ wird, wenn es entsteht und besteht, den entscheidenden Impuls für die Vollendung der inneren Einheit liefern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, erstaunlich ist beim Thüringen-Monitor – Egon Primas, das hat mich positiv überrascht –, dass diejenigen, die als Vertriebene nach Thüringen gekommen sind, auf die Befragung im Thüringen-Monitor, wie ihr

Verhältnis zu der Integrationsleistung ist, die heute steht, die besten Antworten gegeben haben, die höchste Zustimmung. Aus der eigenen Vertreibungserfahrung machen diese Menschen die Umdrehung und sagen: Was wir geschafft haben, müssen wir jetzt auch schaffen.

Dafür – kann ich nur sagen – gilt es, über Vertreibung zu reden, auch über das politische Thema der Vertreibung, was in der DDR immer tabu war. Deswegen muss man auch darüber reden, dass es ein Teil unserer soziologischen Entwicklung ist. 800.000 Menschen haben dieses Land verändert. Wenn ich mir anschaue, wie in Südthüringen die kleinen katholischen Gemeinden definiert sind – das sind alles ehemalige vertriebene, heute aktive Menschen in Südthüringen –, wenn man sich den Erfolg in Südthüringen anschaut – als Beispiel die geringe Arbeitslosigkeit, die hohe Wertschöpfung und mittlerweile Entlohnungen, wenn ich Sonneberg und Schalkau nehme, die über dem Weststandard sind und die zum ersten Mal Einpendlung haben –, ist das eine Situation, bei der deutlich wird, dieses Land verändert sich Stück für Stück, wenn wir den Mut haben, die Augen zu öffnen.

Am Ende sage ich: Der Thüringen-Monitor wurde aufgesetzt, als der Brandanschlag auf die Synagoge war. Ich war wenige Tage später in New York. In New York bin ich gefragt worden, wann Thüringen denn die Synagoge wieder aufbaut. Weil die Nachricht über den Brandanschlag über die globalen Medien dazu führte, dass alle dachten, in Thüringen sei die Synagoge abgebrannt. In Wirklichkeit haben wir uns alle vor der Synagoge versammelt und haben dort gemeinsam unsere Solidarität mit unseren jüdischen Mitbürgern gezeigt und gesagt: Die jüdische Landesgemeinde ist Teil unseres aktiven Lebens. Wir haben die Synagoge beschützt und die jüdische Landesgemeinde ist Teil unserer eigenen Entwicklung im Land Thüringen.

Deswegen war es richtig, dass die damalige Landesregierung den Thüringen-Monitor aufgelegt hat, um zu sagen: Wir wollen Meinungen, Stimmungen kennenlernen. Aber, meine Damen und Herren, wenn wir jetzt erleben, dass über west-/ostdeutsche Befindlichkeiten wieder von „Dunkeldeutschland“ die Rede ist, dann ist das das, was ich die „Ostdiskriminierung“ nenne. Das meine ich damit. Aus dem jetzigen Thüringen-Monitor ergibt sich sehr deutlich, dass da Ressentiments über uns erzählt werden. Wenn dann hassgetriebene Parolen durch das Land getragen werden und in Thüringen Häuser brennen, schadet das nicht nur dem Haus, sondern es schadet unserer ganzen Gesellschaft.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer die Aufgaben stemmen will, wer am 50. Geburtstag Thüringens sagen will, wir haben zugenommen, wir sind mehr geworden, wir sind bunter

(Ministerpräsident Ramelow)

geworden, wir sind vielfältiger geworden und dieses Land in der Mitte Deutschlands, in der Mitte Europas ist ein kraftvoller Motor für die Entwicklung auch der ganzen Bundesrepublik und wir liefern unseren Beitrag eben nicht nur in Meuselwitz, indem wir durch kluge Handarbeit für die teuersten Flügel der Welt die inneren Hammerwerke herstellen, sondern auch indem 60 Hidden Champions aus Thüringen Weltmarkführer oder in der Weltmarktspitze als Unternehmen tätig sind, wenn wir so an dieses Land herangehen, dann werden wir jeden Einzelnen brauchen, jeden Kopf und jede Hand, der dieses Land voranbringt. In diesem Sinne ist es ein Befund, den wir ernst nehmen müssen, den uns der Thüringen-Monitor liefert. Aber er ist Grund, nach 25 Jahren eine Bilanz zu ziehen und zu sagen, bis hierher sind wir gut gekommen, jetzt kommt es darauf an, die nächsten 25 Jahre mit vielen neuen Menschen gemeinsam zu gestalten. Die Menschen sind uns willkommen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Abg. Helmerich, fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. Ich gehe davon aus, dass die Aussprache von allen Fraktionen gewünscht wird, und erteile das Wort damit dem Abgeordneten Mohring für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst will ich der Landesregierung für die Vorlage des Thüringen-Monitors danken, der tatsächlich in einer langen Traditionslinie steht und mit dem schrecklichen Ereignis des Brandanschlags auf die Erfurter Synagoge angefangen hat. Er dient uns jährlich auch dazu, ein eigenes Demokratiebild unserer Thüringer Bürgerinnen und Bürger abzufragen, zu lernen, wie sie in der Demokratie angekommen sind, wo sie Schwierigkeiten in unserer Demokratie haben. In jedem Jahr steht der Thüringen-Monitor unter dem besonderen Blickwinkel eines Themas. Das ist in diesem Jahr selbstverständlich „25 Jahre deutsche Einheit“. Deswegen ist es richtig, danach zu fragen, wie es die Ostdeutschen, wie es die Thüringer mit dem Erfolg der deutschen Einheit halten, und natürlich eben auch nicht auszublenden – so wie die Herausforderung der deutschen Einheit damals für viele wichtig war und als epochales Ereignis für uns alle auch prägend war –, wie der Umgang mit der aktuellen Asylund Flüchtlingskrise ist. Das haben Sie gemacht. Ich glaube, der Schwerpunkt Ihrer Regierungserklärung lag eher auf dem letzteren Teil.

Dennoch bin ich dankbar für Ihre referierte Erfolgsgeschichte 25 Jahre Thüringen. Sie haben gesagt, für die Zukunft, jetzt, wo Sie Verantwortung tragen unter Rot-Rot-Grün, wollen Sie dem Motor eine

passende Karosserie geben. Ich glaube, genau das ist das Problem des Verständnisses Ihrer Arbeit. Sie wollen zwar gut an der Hülle arbeiten, aber unser Anspruch ist, uns um das ganze Fahrzeug zu kümmern. Wir wollen nicht am schönen Schein arbeiten. Es ist wichtig, dass das ganze Fahrzeug fährt, und nicht nur, dass es neu lackiert wird.

(Beifall CDU, AfD)

Dass Sie in Ihrer Rede vor allen Dingen viele CDUPolitiker zitiert haben und vor allen Dingen den für einen wichtigen Teil unserer Erfolgsgeschichte Thüringens verantwortlichen Prof. Dr. Bernhard Vogel häufig zitieren, zeigt auch genau das, dass dieser Erfolg eine Regierung braucht, die eine klare Idee von diesem Land, von der Erfolgsgeschichte hat, wie dieses Land auf den Weg kommen kann, immer besser zu sein, und dass man den Anspruch deshalb für sich verinnerlichen will – deswegen will ich bei dem Bild bleiben –, dass man auch Motor sein muss, wenn man die Veränderung des Landes voranbringen will. Es reicht eben nicht aus, sich nur um die Karosserie zu kümmern. Das mag schön sein, das bringt schnelle Erfolge, die Leute kriegen große Augen über den schönen neuen Schein. Tatsächlich funktioniert so ein Fahrzeug nur, wenn der Motor funktioniert und nicht bei der Entwicklung stockt.

(Beifall CDU)

Meine Damen und Herren, dieser Thüringen-Monitor wird in einem Jahr vorgelegt, das eines ist wie keines zuvor. Die Flüchtlingswelle macht unsere Politik aus. 75 Prozent der Menschen in ganz Deutschland empfinden die Bewältigung der Flüchtlingskrise, der Situation der Flüchtlinge, der Ankommenden, als die große Herausforderung, die staatliche Institutionen, die Politik und die Zivilgesellschaft meistern müssen und diese vor eine harte Probe stellen.

Die Flüchtlingswelle stellt auch die Europäische Union auf eine harte Bewährungsprobe. Wir sehen derzeit eine wenig überzeugende Performance der europäischen Institutionen und wir sehen in Europa eine unübersehbare Renationalisierung. Das Parteiengefüge hat sich in diesem Jahr verschoben. In den neuen Ländern gibt es eine besonders ausgeprägte Polarisierung. Ein Drittel der Wähler sieht sich an den Rändern des politischen Spektrums aufgehoben. Das muss uns zum Nachdenken anregen. Die Gewaltphänomene nehmen deutlich zu. Immer wieder brennen hergerichtete Flüchtlingsunterkünfte. Ich teile ausdrücklich alle diese Einschätzungen: Das ist eine Schande für dieses Land.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mehr denn je wird demonstriert. Ich will es ausdrücklich sagen: Egal, wer in diesen Tagen demonstriert, keinem dieser Demonstranten steht es zu,

(Ministerpräsident Ramelow)

sich den Anspruch herauszunehmen, das im Erbe des friedlichen Herbstes 1989 zu tun.

(Beifall CDU, DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der friedliche Herbst des Jahres 1989 war ein besonderer Moment in unserem Leben und niemandem steht es zu, heutige politische Ereignisse in der Erbfolge des Herbstes 1989 zu sehen. Das würde den Menschen, die damals für Freiheit auf die Straße getreten sind, um eine ganze Diktatur zu überwinden, endlich in Freiheit leben zu können, nicht mehr von einem Staat bevormundet zu sein und von einer Partei vorgeprägt zu sein und bespitzelt zu sein, sondern in Freiheit leben zu können, in Freiheit wählen zu können, in Freiheit die Meinung sagen zu können, in Freiheit das eigene Leben in die Hand nehmen zu können,... Dieser Freiheitswille von damals ist mit nichts vergleichbar, ist nicht vergleichbar mit der großen und epochalen Herausforderung, die wir heute zu leisten haben.

(Beifall CDU)

Dieser Thüringen-Monitor wird in einem Jahr vorgelegt, in dem erstmals in Deutschland eine von den Linken geführte Koalition in einem Bundesland Verantwortung trägt, eine Partei, die offen die Transformation zu einer sozialistischen Gesellschaft anstrebt und die gesellschaftliche Hegemonie anstrebt – wir haben das in diversen Schriftsätzen von Regierungsmitgliedern nachlesen können. Deshalb blickt natürlich in diesem Jahr der Thüringen-Monitor besonders intensiv darauf, welches Nachleben das SED-Regime in den Köpfen der Menschen in Thüringen führt.

Tatsächlich ist es reizvoll, im 25. Jahr der Deutschen Einheit, 26 Jahre nach dem Fall der Mauer den Bürgerinnen und Bürgern in Thüringen wieder den Puls zu fühlen und vier Fragen zu stellen, an denen ich mich gern orientieren möchte. Erstens: Wie robust sind die demokratischen Einstellungen der Thüringer Bürgerinnen und Bürger und ihre verinnerlichte Haltung? Zweitens: Von welchen Seiten gerät das politische System unter Druck? Drittens: Was muss demokratische Politik leisten, damit ihr die Bürger die Treue halten? Viertens: Was taugen die Instrumente, mit denen wir Feinde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in die Schranken weisen wollen, und vor allen Dingen, mit welchen Instrumenten können wir sie wieder zu Freunden unserer Demokratie machen?

Diese vier Fragen will ich gern stellen. Ich will mich am Thüringen-Monitor und seinen Ergebnissen für das Jahr 2015 orientieren und zuerst fragen: Wie robust sind die demokratischen Einstellungen und die verinnerlichten Haltungen? Im Thüringen-Monitor ist von vielen Problemfällen die Rede, es gibt auch eine andere Ausdifferenzierung als in früheren Jahren. Deshalb ist, glaube ich, zunächst ein Blick

auf die wirklich breite Mehrheit in der Thüringer Gesellschaft wichtig, die ganz in der Demokratie des Grundgesetzes und Deutschlands angekommen ist. Das ist die wichtige und die entscheidende Botschaft des Thüringen-Monitors 2015. 78 Prozent sagen: Die deutsche Einheit hat mir mehr Vorteile als Nachteile gebracht. Es ist gut, das zu wissen – 25 Jahre deutsche Einheit.

(Beifall CDU)

64 Prozent leiden nicht unter dem Empfinden, als Ostdeutsche irgendwie zu kurz gekommen und benachteiligt zu sein. Zwei Drittel sagen im diesjährigen Thüringen-Monitor: Die Erwartungen, die wir 1989 und 1990 hatten, haben sich erfüllt. 25 Jahre Deutsche Einheit sind im Großen und Ganzen gelungen. Wir sehen das auch an den blühenden Landschaften hier in diesem Bundesland.