Nein, so einfach ist es eben nicht, Herr Möller, sondern die Täterinnen und Täter waren viele und sie saßen in allen Schichten der Bevölkerung und sie saßen in den unterschiedlichsten Parteien. Sie saßen auch in der Volkskammer, sie saßen auch dort, wo die Internierungslagerlisten geschrieben wurden, sie saßen in dem Rat des Kreises, sie saßen auf allen Ebenen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Da sollte niemand so überheblich sein und behaupten, er hätte niemals auch ein Teil dieses Getriebes sein können. Es gab einzelne Wenige, die sich widersetzt haben. Aber ich erinnere mich sehr gut an eine Rede von Roland Jahn hier im Haus, wo er sinngemäß gefragt hat: Wer kann denn von sich behaupten, frei von jeder Schuld zu sein?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht in der Tat bei diesem Gesetz ganz dezidiert um die Mitarbeit bei einem Geheimdienst, um das System der Bespitzelung, der Zersetzung, der Denunziation und da gibt es auch nichts schönzureden. Wir Bündnisgrünen wollen – das sage ich ganz deutlich – und wir werden an der Überprüfung festhalten. Wir werden das Ergebnis immer wieder öffentlich machen. Und, Herr Scherer, das unterscheidet uns in der Tat und da sind Sie ein bisschen janusköpfig, wir wollen tatsächlich auch darüber debattieren, was bei der Überprüfung herausgekommen ist. Bislang verwehrt uns das das Gesetz. Das Gesetz sagt, es wird bekannt gegeben, wie ein Gremium entschieden hat, und der oder die Betroffene kann dazu Stellung nehmen. Es findet aber keine Debat
te statt. In einer Demokratie brauchen wir jedoch Debatte auch und gerade zu so schwierigen Fragestellungen und da werden wir uns nicht drumherum drücken, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Es hat kein einheitliches Bild zu den Änderungsvorhaben gegeben, auch bei den Anhörungen. Es war zudem keine Scheinanhörung. Wer das behauptet, schlägt einmal mehr denjenigen ins Gesicht, die sich da sehr viel Mühe gemacht haben. Frau Marx hat eine Stellungnahme vorgelesen von der Stiftung Ettersberg. Ich will zwei weitere hier kurz anführen, weil sie zeigen, wie differenziert sich das Bild darstellt. Der Freiheit e. V. beispielsweise hat zur Problematik „parlamentsunwürdig“ Folgendes geäußert: „‘Parlamentsunwürdig‘ ist ein nicht bestimmter Rechtsbegriff und hat keine rechtlichen Folgen. Abgeordnete, die sich in der DDR massiv mit dem MfS oder der K1 der Deutschen Volkspolizei freiwillig zur Verfügung gestellt haben und anderen nachweislich schweren Schaden zufügten, haben eine moralische Verantwortung zu übernehmen und dies sollte in einem Parlament Würdigung finden. Somit ist der Begriff ‚parlamentsunwürdig‘ auch heute noch aktuell, da es mindestens zwei Abgeordnete im Parlament gibt, die dies erfüllen könnten.“ So schreibt Freiheit e. V.
Was aber schreibt das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte „Matthias Domaschk“? Da heißt es: „Die Wertung ‚parlamentsunwürdig‘ stigmatisiert den Betroffenen, trägt aber nicht zur historischen Aufarbeitung bei. Da Aufarbeitung nicht die Stigmatisierung Einzelner bedeutet, sondern Reflektion, Erkennen und Eingestehen biografischer Verantwortung eine zentrale Rolle einnehmen, sollte die abschließende Wertung ‚parlamentsunwürdig‘ durch das Überprüfungsgremium unterbleiben.“ – meine sehr geehrten Damen und Herren.
Ich glaube, diese beiden Stellungnahmen zeigen anschaulich, wie differenziert sich diese Anhörung dargestellt hat und wie differenziert auch hier die Debatte stattfindet. Und das sollten wir würdigen und nicht mit Parteipopulismus überlagern, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Für uns als Bündnis 90/Die Grünen ist aber etwas anderes noch sehr viel wichtiger und das haben wir ganz lange diskutiert. Es ist ja hinlänglich bekannt, dass wir diesen Antrag auch in der letzten Legislatur, so wie wir ihn als Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der CDU formuliert hatten, schon einmal eingereicht hatten. Da ging es uns nicht nur um die Debatte, die wir wollen, da ging es uns vor allem auch um die Frage der Parlamentsunwürdig
keit. Und ich stelle hier die Frage noch einmal – ich habe sie ja schon mehrfach gestellt: Wer hat das Recht, anderen, und sei es auch nur partiell, die Würde abzusprechen? Es widerstrebt uns als Bündnis 90/Die Grünen, dies zu tun, und sei es auch „nur“ in puncto Parlamentsunwürdigkeit. Denn wo fängt dies an und wo hört das auf?
Ich finde, dass sich hier einige immer wieder parlamentsunwürdig verhalten. Das meine ich sehr wohl.
Nichtsdestotrotz steht es uns nicht zu, frei gewählte Abgeordnete, die genauso wie Sie oder ich hier sitzen, mit einem Stempel zu etikettieren, der zudem folgenlos bleibt. Denn das ist auch bundesweit einmalig, dass wir einen Gesetzesparagrafen haben, der nach wie vor etwas beinhaltet, was das Verfassungsgericht schon 2000 für obsolet erklärt hat: den Verlust des Mandats, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Ich will es noch einmal betonen: Wir als Bündnis 90/Die Grünen hätten uns gewünscht, dass wir uns heute davon verabschieden, Menschen zu etikettieren. Wir haben diese Einigkeit so nicht erzielen können. Deswegen bleibt für uns die logische Konsequenz, sowohl Nein zur Beschlussempfehlung als auch zu dem Gesetzesvorhaben zu sagen, was ohnehin erst ab 2019 greift und wo wir noch nicht wissen, wie die bundesgesetzlichen Regelungen dann aussehen werden. Aber – da werden wir es auch unseren Koalitionspartnern nicht so einfach machen – wir werden einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen und wir werden erneut diskutieren müssen, was es heißt, umfassend aufzuarbeiten. Da spielt selbstverständlich auch die Rolle der Blockparteien eine Rolle. Da spielen all die kleinen Rädchen im SED-Regime eine Rolle, die mit dazu beigetragen haben, diese Diktatur am Laufen zu halten, die Menschen entrechtet hat, die Menschen zersetzt hat, die ihnen die Lebensgrundlage genommen hat, die Menschen zerstört hat. Aber ich werde es mir nicht so einfach machen und Ihrer Polemik anheimfallen und jetzt, nur um irgendwo gefällig zu sein, so abstimmen, wie Sie sich das wünschen, sehr geehrte Kolleginnen von der CDU.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, deswegen bitte ich um Ihr Verständnis, dass wir uns so entschieden haben. Wir werden ernsthaft diskutieren, wir werden heute die Beschlussempfehlung und das Gesetz ablehnen. Aber wir werden ein erneutes Gesetz für die Überprüfung auf den Weg bringen – ein würdevolles Gesetz. Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Ich habe noch eine Wortmeldung vom Abgeordneten Fiedler, CDUFraktion.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben schon des Öfteren in diesem Hohen Haus diskutiert über Stasi, Parlamentsunwürdigkeit und ähnliche Dinge. Ich möchte vorausschicken: Ich sage in vielen Runden, in denen ich bin, ich bin gelernter DDR-Bürger. Das beinhaltet all das, was es damals in der DDR im Positiven, im Negativen und alles gab. Das ärgert mich schon sehr, wie hier Dinge verharmlost werden. Das ärgert mich wirklich sehr, Frau Rothe-Beinlich. Ich bin ganz besonders tief erschüttert, wie Bündnis 90/Die Grünen und auch teilweise die SPD hier das Ganze abhandeln. Ich bin tief enttäuscht.
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie machen es sich wieder zu einfach, Herr Fiedler!)
Ich mache mir gar nichts einfach, Frau Rothe-Beinlich. Ich mache mir nichts einfach. Im Gegensatz zu dem einen oder anderen war ich in der ersten frei gewählten Volkskammer und gerade das Thema „Kontrolle und Auflösung MfS“ habe ich engstens begleitet und war in dem Ausschuss und habe mich damit sehr intensiv auseinandergesetzt. Es hat alle betroffen, ob das jetzt welche von der Partei waren und von der, von denen, es waren leider Gottes sehr, sehr viele. Ich kann nur daran erinnern – und Herr Brandner, ich kann einigen Ihrer Dinge zustimmen, aber zu sagen, die CDU macht Klamauk, weil sie mal symbolisch darauf hinweist mit einer Kerze in der Hand, denn damals ’89 haben wir das gemacht. Damals ’89, daran kann man durchaus mal erinnern, vielleicht den einen oder anderen aufrichten von denen, die heute das hier alles ablehnen wollen.
Man kann vielleicht, der eine oder andere könnte vielleicht denken, hier soll was zugedeckelt werden. Und, Frau Rothe-Beinlich, wenn wir in der letzten Legislatur nicht beschlossen hätten, dass das und das noch gilt, dann wäre das auch schon weg.
Wenn man die Dinge jetzt vorausschauend betrachtet… Man kann natürlich irgendwann immer sagen, es ist Schluss. Der Tag wird kommen. Aber
wenn ich an die letzten Legislaturen denke, wie wir nicht nur einmal … – und es saßen unterschiedliche Abgeordnete im Hohen Hause –, haben wir das nicht umsonst beschlossen. Natürlich hat das Verfassungsgericht, da haben Sie recht, uns damals gesagt, wir dürften nicht, dass sie das Mandat verlieren. Das muss man zur Kenntnis nehmen, muss man akzeptieren. Aber das gleiche Verfassungsgericht hat das gesagt, was der Kollege Manfred Scherer hier gesagt hat, dass Sie dann nichts dagegen einzuwenden haben. Damit wird nicht die Würde des Einzelnen infrage gestellt, sondern es geht darum: Dieser Landtag ist ein Gesetzgebungsorgan. Wir machen Gesetze für die Bürger dieses Landes. Wenn wie in Artikel 96 Beamte, Mitarbeiter etc. nach wie vor überprüft werden und ausgerechnet das Parlament, die die Gesetze machen, nehmen sich aus. Ich kann Ihnen nur sagen: Das wird nicht funktionieren. Ich wünsche und habe die Hoffnung nicht verloren, dass der eine oder andere Aufrechte nicht vergisst bei allem parteipolitischen Hin und Her, was eigentlich für eine Symbolik dahintersteht –
dass wir gesagt haben, wir wollen das nicht wieder. Ich kenne die Debatten hier im Hohen Hause, wo der eine oder andere, der damals aufgedeckt wurde zu unterschiedlichen Zeiten, sich hingestellt hat, ist sitzen geblieben und, und, und. Ich meine, sitzen geblieben, indem alles verdrängt wurde, bis dann nach und nach das Ganze ging. Ich sage Ihnen jetzt eins: Das wird dem einen oder anderen nicht gefallen. Auch der Herr Kuschel – in Klammern: IM Kaiser –, hatte zumindest so viel Anstand, sich hier vorn hinzustellen und sich, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, quasi auch zu entschuldigen. Ich will es nur einfach sagen. Es kommt doch darauf an, dass man da und dort auch mal Dinge – ich tue das damit nicht entschuldigen, ich will es nur einfach nennen. Frau Leukefeld sah das vielleicht da und dort etwas anders. Mir geht es darum, dass auch in weiterer Zukunft in diesem Hohen Hause solche Dinge einfach beachtet werden und dass wir uns gemeinsam sagen, es kann doch nicht sein, dass in dieses Hohe Haus Leute einziehen, die damals gespitzelt haben. Ich sage Ihnen eins, das ist ein altes Sprichwort: Der größte Lump im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant.
Ja, man kann darüber lächeln oder auch nicht. Das ist eine alte Volksweisheit. Die habe ich nicht erfunden. Ja, auch V-Leute, darüber könnten wir jetzt reden. Aber ich lasse mich jetzt nicht von Ihnen ablenken. Wenn auch heute hier jemand versucht hat, ich will nicht den Präsidenten, nicht in irgendeiner Form kritisieren, aber ich kann nur heute sagen,
vielleicht spreche ich manchmal nicht deutlich genug, ich habe zumindest heute in dem Hohen Haus „Bläksack“ gesagt. Das war an einen Kollegen gerichtet, der dann den Raum mit einem dicken Finger verlassen hat. Pfui, pfui, kann ich nur sagen.
Es kam auch aus der Ecke von mir aus gesehen links – links, ist es richtig – Armleuchter und Ähnliches.
Ich will das gar nicht jetzt aufrechnen oder so. Mir geht es nur einfach darum, dass wir uns ernsthaft mit den Dingen auseinandersetzen. Und Frau Kollegin – jetzt fällt mir der Name nicht ein –
Marx, Frau Kollegin Marx, Sie kommen dann immer so – mit Engels haben Sie hoffentlich nichts am Hut – mit leiser Stimme nach vorn und versuchen, paragrafenmäßig das Ganze nach unten zu spielen und unter dem Motto: Was wir denn da wollen. Das ist doch ganz klar, was wir wollen: Wir wollen das, was wir in den letzten Legislaturen hier gemacht haben, weiter fortführen, weil wir der Meinung sind, das ist richtig so. Das Verfassungsgericht des Freistaats Thüringen hat uns bestätigt, dass das rechtens ist.
Da kommt jetzt auf einmal, da können Sie, wen auch immer noch aus den Zuschriften rausnehmen. Der eine hat das gesagt, der andere das, aber ich glaube, die überwiegende Mehrheit hat ganz klar gesagt, wir wollen die Menschen, die in diesem Parlament sitzen und Gesetze machen, dass die halbwegs ihre Dinge, dass man die hinschicken kann. Immer zu sagen, wir wissen nicht, erst wenn neue Erkenntnisse da sind – ja, wir wissen doch genauso gut, erst mal, wo sollen sie denn herkommen, wenn wir sie nicht irgendwo aufgreifen. Gerade Bündnis 90 – Bündnis 90, das habe ich ihnen schon vor Jahren abgesprochen –, Bündnis 90/ Die Grünen, die müssten doch wissen, dass heute noch in Größenordnungen Säcke zusammengesetzt werden, wo laufend neue Erkenntnisse herauskommen. Wir tun so, als ob das alles nicht wahr wäre. Wir kennen viele Menschen, die heute noch, vielleicht aus unterschiedlichen Gründen, weil sie sich nicht getraut haben oder Ähnliches, Anträge stellen. Sie wollen wissen, wer denn nun in der Verwandtschaft, Bekanntschaft etc. der Denunziant war. Bei manchen dauert es eben lange und sie brauchen ihre Zeit dazu. Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich könnte jetzt noch darauf eingehen, dass gerade in der Linken, wie lange da die Kommunistische Plattform noch immer da war. Ich will solche Dinge heute mal ein Stück
weit zurücknehmen und einfach daran erinnern, dass wir – es kann nicht alles nur um Machterhalt gehen, Machterhalt geht über alles, Koalition mit einer Stimme Mehrheit von einem der früher mal dort tätig war. Ich finde einfach, das ist nicht gut. Ich finde es einfach heuchlerisch sich hinzustellen, wir bringen ein Gesetz. Frau Rothe-Beinlich sagt, wir bringen ein Gesetz. Die SPD sagt, wir bringen ein Gesetz. Dann bringen die Linken ein Gesetz. Hier ist ein Gesetzentwurf da, dem man, denke ich, durchaus zustimmen kann.
Ich hatte vorhin 9 Minuten gehört. Herr Präsident, selbstverständlich. Ich bitte nur dringendst, wer noch ein gewisses Gefühl für die Wendezeit 1989 hat, für diese friedliche Revolution, sollte unserem Antrag zustimmen.