Protokoll der Sitzung vom 20.04.2016

Wir wollen Rahmenbedingungen schaffen, die die Erwerbsarbeit von Frauen begünstigen und zur partnerschaftlichen Aufteilung der Sorge und Erwerbsarbeit anregen. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat Ministerin Werner das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Damen und Herren Abgeordnete, wie wir alle wissen, haben sich, wie auch die aktuellen Rentendiskussionen zeigen – und da springt die AfD nur auf einen fahrenden Zug auf –, die Erwartungen an das derzeitige Rentenmodell nicht erfüllt. Die strukturellen Ursachen von Altersarmut bzw. von nicht existenzsichernden Renten trotz lebenslanger Erwerbszugehörigkeit zur sozialen Rentenversicherung sind weitgehend unstrittig. Unter anderem sind folgende Gründe zu nennen: die Ausbreitung des Niedriglohnsektors, der Anstieg nicht sozialversicherungspflichtiger Erwerbstätigkeit, Langzeiterwerbslosigkeit sowie unstetige Beschäftigung, die zunehmende Bedeutung sozialversicherungspflichtiger, aber häufig unfreiwilliger Teilzeitarbeit und der Eintritt von Erwerbsminderung/Invalidität als eigenständiges Armutsrisiko. Kurz gesagt: Bei Einführung des SGB II in der Rentenreform wurde Wesentliches zur Sicherung der Arbeitnehmer nicht bedacht und offenbar auch nicht bedacht, dass die erwünschte Flexibilität im Arbeitsmarkt Arbeitgeber zu Missbrauch einlädt, wenn keine Sicherungen eingebaut werden. Es ist also höchste Zeit, endlich Korrekturen vorzunehmen. Genau das tun wir. Der gesetzliche Mindestlohn, der allerdings noch nicht hoch genug ist, das neu entwickelte Programm zur öffentlich geförderten Beschäftigung und gemeinorientierten Arbeit als Weiterentwicklung des Landesarbeitsmarktprogramms, der Thüringer ESF mit seinen Schwerpunkten zur sozialen Inklusion und Armutsbekämpfung – all das sind einige Beispiele zur Armutsbekämpfung und Armutsprävention. Beispiele, die wir als Landesregierung eingefordert, unterstützt und selbst entwickelt haben, nicht selten auch gegen politischen Widerstand; ich erinnere nur an die Diskussion zum Mindestlohn und zur aktiven Arbeitsmarktförderung. Von einem bin ich aber überzeugt: Die wirksamste Bekämpfung von Armut im Alter ist Integration in Arbeit, nicht in irgendeine Arbeit, sondern in gut bezahlte und tariflich gesicherte Arbeit. Wir müssen weg von der Niedriglohnideologie und Armutsproduktion vergangener Regierungen.

(Beifall DIE LINKE)

Aber es geht um noch mehr. Mit dem künftigen Landesprogramm „Solidarisches Zusammenleben der Generationen“ verfolgen wir zwei wesentliche Ziele. Erstens: Wir wollen eine leistungsfähige soziale Infrastruktur, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und zwar für Männer und Frauen, sowohl für das Zusammenleben mit Kindern als auch für die Sorgearbeit der Familien gegenüber den ältereren Generationen gewährleistet. Das ist Voraussetzung für die Teilnahme am Arbeitsmarkt, das ist künftige Fachkräftesicherung, das ist Armutsprävention und das ist nicht zuletzt Wirtschaftsförderung. Zweitens: Diese leistungsfähige soziale Infrastruktur in den Dörfern und Städten soll die Teilhabe älterer Menschen am gesellschaftlichen Leben, soll ein Altern in Würde und soll das Miteinander der Generationen fördern. Gesellschaftliche Teilhabe zu gewährleisten, Einsamkeit im Alter zu vermeiden – das ist die andere Seite der Medaille, wenn es um wirksame Armutsbekämpfung im Alter geht; auch die ist uns wichtig. Des Weiteren arbeiten wir auch an Sicherung und Ausbau von ambulanter ärztlicher Versorgung, insbesondere im ländlichen Raum. Denn es gibt noch viele weitere Faktoren außer den direkten monetären, welche die Lebensqualität entscheidend beeinflussen. Diese Landesregierung hat genau diese Ziele im Koalitionsvertrag vereinbart und wird sie umsetzen.

Sehr geehrte Damen und Herren, natürlich haben wir auch schon die Initiative zur überfälligen Rentenangleichung zwischen Ost und West ergriffen. Mit dieser Frage hat sich beispielsweise der Bundesrat auf Antrag Thüringens und der neuen Länder zuletzt im Jahre 2016 befasst. Wir haben vom Bund die Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe gefordert. Dort sollten gemeinsame Lösungsvorschläge erarbeitet werden. Dieses Angebot ist leider seitens der Bundesregierung abgelehnt worden, was für mich völlig unverständlich ist. Die überfällige Rentenangleichung wird nur durch eine gemeinsame Anstrengung des Bundes und aller Bundesländer zu klären sein. Das duldet keinen weiteren Aufschub. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie spätestens im Herbst dieses Jahres Vorschläge sowohl für die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung als auch für die Angleichung von Ost und West vorlegt. Sie können sicher sein, dass sich diese Landesregierung in den dann folgenden politischen Diskussionen aktiv einbringen wird.

Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen: Diese Landesregierung hat das Problem der Armutsbekämpfung und Armutsprävention mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags vom ersten Tag an erkannt. Den setzen wir konsequent um. Beispiele dafür habe ich genannt. Sie können sicher sein, dass wir darüber hinaus aktuelle Entwicklungen ganz im Sinne des Geistes dieses Koalitionsvertrags aufgreifen. Unsere ge

meinsamen Initiativen zur Integration von Flüchtlingen sind dafür bezeichnend, zum Beispiel die neue Förderung der Kommunen mit Integrationsmanagern. Kurzum: Wenn es um Armutsbekämpfung geht, dann können Sie sicher sein, dass diese Landesregierung handelt. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe den fünften Teil der Aktuellen Stunde und schließe den Tagesordnungspunkt und rufe auf den Tagesordnungspunkt 1 in den Teilen

a) Zweites Gesetz zur Änderung des Thüringer Feiertagsgesetzes Gesetzentwurf der Fraktion der CDU - Drucksache 6/1212 - Neufassung dazu: Beschlussempfehlung des Innen- und Kommunalausschusses - Drucksache 6/2035

ZWEITE BERATUNG

b) Zweites Gesetz zur Änderung des Thüringer Feiertagsgesetzes (Gesetz zur Einfüh- rung eines Gedenktages für die Opfer des SED-Unrechts) Gesetzentwurf der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 6/1769 dazu: Beschlussempfehlung des Innen- und Kommunalausschusses - Drucksache 6/2027

dazu: Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Drucksache 6/2061

ZWEITE BERATUNG

Das Wort hat zunächst Abgeordnete Marx aus dem Innen- und Kommunalausschuss zur Berichterstattung zu den beiden Teilen des Tagesordnungspunkts.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der CDU-Fraktion in der ursprünglichen Fassung wurde in der 31. Plenarsitzung des Thüringer Landtags an den Innen- und Kommunalausschuss – federführend – und an den

(Ministerin Werner)

Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz überwiesen. Der federführende Innen- und Kommunalausschuss hat den Gesetzentwurf in seiner 17. Sitzung am 19. November 2015, in seiner 20. Sitzung am 21. Januar 2016, in seiner 22. Sitzung am 10. März 2016 und in seiner 23. Sitzung am 14. April 2016 beraten. Der Innen- und Kommunalausschuss empfiehlt letztendlich, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Der Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz, mitberatend, hat den Gesetzentwurf gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 GO in seiner 23. Sitzung am 15. April 2016 beraten und ebenfalls empfohlen, den Gesetzentwurf abzulehnen.

Der zweite Entwurf unter Buchstabe b ist der Gesetzentwurf der Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf der Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 6/1769 wurde durch Beschluss des Landtags in seiner 43. Plenarsitzung vom 25. Februar 2016 an den Innen- und Kommunalausschuss überwiesen. Der Innen- und Kommunalausschuss hat den Gesetzentwurf in seiner 22. Sitzung am 10. März 2016 und in seiner 23. Sitzung am 14. April 2016 beraten. Der Innen- und Kommunalausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf anzunehmen.

Wir haben natürlich nicht nur einfach abgestimmt, sondern auch ausführlich beraten. Der federführende Innen- und Kommunalausschuss hat in seiner 22. Sitzung am 10. März beschlossen, alle Gesetzentwürfe im Online-Diskussionsforum des Landtags einzustellen und ein schriftliches Anhörungsverfahren zu beiden Gesetzentwürfen durchzuführen. An der schriftlichen Anhörung haben sich insgesamt elf Institutionen und Verbände beteiligt. Das waren der Landesbeauftragte des Freistaats Thüringen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur – herzlich willkommen –, das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte, der Landesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheitsdienste der ehemaligen DDR aus Sachsen-Anhalt, der Verein Freiheit – Förderverein Gedenkstätte Andreasstraße aus Erfurt, der Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, die Stiftung Ettersberg, die Geschichtswerkstatt Jena e. V., die Vereinigung der Opfer des Stalinismus e. V. – Landesgruppe Thüringen und die Point Alpha Stiftung. Die übergroße Mehrheit der Anzuhörenden in der schriftlichen Anhörung sprach sich in ihren Stellungnahmen für die Einführung eines Gedenktags am 17. Juni aus, zeigte sich aber auch für weitere Gedenktage offen.

Am Online-Diskussionsforum zu beiden Gesetzentwürfen beteiligten sich insgesamt elf Nutzer, von denen sich ebenfalls eine Mehrheit für die Einführung des 17. Juni als Gedenktag aussprach. Der Vorschlag, weitere Gedenktage neben dem 17. Ju

ni einzuführen, wurde im Online-Diskussionsforum eher zurückhaltend beurteilt.

In der letzten Sitzung des Innenausschusses gab es dann noch mal eine Neufassung des Antrags der CDU-Fraktion. Aber auch diese Neufassung fand keine Mehrheit, sodass Ihnen letztendlich vom Innenausschuss der Gesetzentwurf der Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Annahme und der Gesetzentwurf der CDU zur Ablehnung empfohlen wird. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Als Erster hat Abgeordneter Dittes, Fraktion Die Linke, das Wort.

Meine Damen und Herren, die Anhörung im Innenausschuss und die Stellungnahmen haben bestätigt, dass es eine richtige Entscheidung gewesen ist, die beabsichtigte Einführung eines Gedenktags für die Opfer des SED-Unrechts nicht mit der im vergangenen Jahr vorgenommenen gesetzlichen Verankerung des Gedenktags anlässlich der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des zweiten Weltkriegs in Europa zu verknüpfen. Die Verbrechen des deutschen Faschismus, der Vernichtungskrieg der Wehrmacht, die systematische Verfolgung und industrielle Vernichtung der Jüdinnen und Juden, die Verfolgung, Internierung und Ermordung der Sinti und Roma, das unmenschliche Ausmaß der Verbrechen im Rahmen der Euthanasie oder die Verfolgung von Hunderttausenden Menschen aufgrund ihres Glaubens, ihrer Sexualität oder ihrer politischen Einstellung sind ein einzigartiges Kapitel in der deutschen Geschichte, das keine Relativierung durch Gleichsetzung erfahren darf.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es war auch richtig, das Gedenken an die Opfer des durch die SED zu verantwortenden Unrechts in der DDR nicht im Schatten dieser die Weltgeschichte so dramatisch verändernden zwölf Jahre faschistischer Herrschaft einfach – Sie verzeihen mir diesen Ausdruck – mit zu erledigen. Meine Kollegin Katharina König hatte für die Fraktion Die Linke und im Namen der Koalition in der zweiten Beratung anlässlich der Beschlussfassung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Thüringer Feiertagsgesetzes angekündigt, in einem weiteren Schritt zur Änderung des Feiertagsgesetzes einen Gedenktag für die Opfer des Unrechts in der DDR einführen zu wollen. Nicht, weil es den 8. Mai als Gedenktag gibt, nicht als geschichtlichen Ausgleich, nicht als

(Abg. Marx)

historisches Gleichgewicht, nicht um der historischen Vollständigkeit wegen, sondern weil die Erinnerung und das Gedenken an diejenigen, die in der DDR Unrecht erlitten haben, für sich genommen wert ist, Teil einer neuen Kultur der Aufarbeitung der Geschichte, die auch das Gebiet des heutigen Freistaats Thüringen 40 Jahre prägte, zu sein.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Der Gesetzentwurf der CDU versucht die Einführung eines Gedenktags für die Opfer der SED-Diktatur – auf die Begrifflichkeiten werde ich noch zurückkommen – durch die Einführung weiterer Gedenktage – unter anderem auch einen für diesen Landtag – zu ergänzen. Die Stellungnahmen der Anzuhörenden zeigen einerseits Zustimmung; aber das inhaltliche Gewicht, die inhaltliche Auseinandersetzung erfolgt mit dem für den 17. Juni vorgesehenen Gedenktag im Übrigen, meine Damen und Herren, unabhängig von der eigentlichen Bezeichnung, die unterschiedlich gewählt worden ist.

Die anderen von der CDU vorgeschlagenen Gedenktage erfahren allenfalls Zustimmung der Vollständigkeit halber. Manch ein Anzuhörender warnte aber auch vor der inflationären Einführung und der damit verbundenen Entwertung der historischen Ereignisse und des Ziels, das mit der Einführung eines Gedenktags verbunden ist. Nicht das Instrument des Gedenktags, nicht der Ort der gesetzlichen Verankerung setzt Ereignisse – auch solche, die historisch singulär Geltung haben müssen – gleich, sondern deren gleichwertige politische Behandlung. Eine solche haben die Fraktionen von Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit ihren beiden Gesetzentwürfen nicht vorgenommen, sondern sich der Notwendigkeit einer ernsthaften Auseinandersetzung gestellt, die eine Konzentration auf den jeweils eigentlichen historischen Gegenstand eröffnet.

Für diejenigen, die die DDR gern begrifflich wie politisch in eine Kontinuität mit dem Nationalsozialismus stellen wollen, sei angemerkt: Das Unrecht und die Verbrechen, die in der DDR begangen wurden, werden nicht weniger verurteilenswert, wenn sie nicht mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auf eine Stufe gestellt werden, wohl aber werden die Verbrechen des Nationalsozialismus relativiert, wenn sie sowohl qualitativ als auch quantitativ mit dem Unrecht in der DDR gleichgestellt werden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn heute Die Linke mit einer gemeinsamen Initiative mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen und – davon gehe ich aus – auch mit Zustimmung der CDU einen Gedenktag für die Opfer des SED-Unrechts auf den Weg bringt, dann ist dies keine Anbiederung. Bei wem wolle sich denn Die Linke auch

mit diesem Gesetzentwurf anbiedern? Etwa bei den Parteien, die es die letzten 25 Jahre versäumt haben, in einem der Bundesländer oder auf Bundesebene einen solchen Gedenktag einzuführen? Nein, es ist die Fortsetzung dessen, was die Rechtsvorgängerin der Partei Die Linke im Dezember 1989 auf ihrem außerordentlichen Parteitag begonnen hat, als sie sich bei der Bevölkerung der DDR für das von der SED begangene Unrecht entschuldigt und erklärt hat, unwiderruflich mit dem Stalinismus als System zu brechen.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Wer’s glaubt, wird selig!)

Seitdem hat sich die PDS und später Die Linke mit ihrer Vergangenheit und ihrer Verantwortung auseinandergesetzt.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Merkt man nur nicht am Verhalten!)

Stefan Heym hat am Ende seines Romans „Fünf Tage im Juni“ Genossen Martin Witte sagen lassen: „Nur der kann sich der Zukunft zuwenden, der die Vergangenheit bewältigt hat.“

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wenn Sie so wollen, war dies auch richtungsweisend für die rot-rot-grüne Koalition, als diese ihren Vertrag verhandelte und abschloss. Denn bevor sie sich den Zukunftsfragen in den einzelnen Kapiteln zuwandte, formulierte sie in der Präambel ihre aus der Geschichte abgeleitete Verantwortung, mit eben dieser und den daraus entstandenen und vorhandenen Erfahrungen umzugehen. Denn es sind diese Erfahrungen aus dem Erlebten, die unseren Blick auf die Gegenwart prägen und unsere Antworten auf die Fragen der Zukunft verändern. Wir haben uns zu unserer Verantwortung bekannt, das Gedenken und die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus, an die jüdische Geschichte und an den antifaschistischen Widerstand zu unterstützen. Wir haben uns unter dem Eindruck der abscheulichen Verbrechen des sogenannten NSU, dessen Ursprünge in Thüringen und in dem Versagen der hiesigen Sicherheitsbehörden liegen, und eingedenk der Opfer jener rassistischen und rechtsterroristischen Gewalttaten zu unserer hieraus erwachsenen besonderen Verantwortung bekannt und schließlich erklärt, dass die Aufarbeitung der SED-Diktatur in all ihren Facetten weder überflüssig noch rückwärtsgewandt ist – und hinzugefügt: Es geht um eine demokratische Kultur von morgen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Zu dieser demokratischen Kultur gehört, was der Bericht der Landesregierung zu Stand und Weiterentwicklung der Aufarbeitung der SED-Diktatur in Thüringen als Herausforderung formuliert, die indi

viduelle Lebensleistung von Menschen, die in der DDR gelebt haben, nicht zu entwerten, weil nur so Menschen zu einem Dialog erreicht werden können. Denn Auseinandersetzung mit der Geschichte und die Aufarbeitung der gesellschaftlichen, der politischen, der strukturellen und auch der persönlichen Verantwortung für die Geschichte funktioniert nur im Dreiklang: persönliche Erfahrung, historischer Fakt und wissenschaftliche Erforschung. Dabei sind die persönlichen Erinnerungen auch in Kenntnis ihrer Subjektivität und Veränderlichkeit wertvoll und zu respektieren, so der Bericht der Landesregierung. Ich füge hinzu: Dies ist nicht allein das Privileg nur einer Gruppe von Menschen. Das gilt für diejenigen, die Opfer von Unrecht geworden sind, das gilt für diejenigen, die sich unfrei und bedrängt in der DDR fühlten, und das gilt auch für diejenigen, die nach der Befreiung vom Nationalsozialismus an einem besseren Deutschland mitwirken wollten.

Der Aufarbeitungsprozess der letzten 25 Jahre war ebenso stetigen Veränderungen unterworfen wie die Motive, die ihm zugrunde lagen. Unmittelbar zu Beginn der 90er-Jahre war Aufarbeitung noch geprägt von der Aufklärung von Sachverhalten und Tatsachen, vom Zusammentragen von Fakten und es ging auch um die Ermittlung von persönlicher Verantwortung und auch Schuld. Einigen Akteuren politischer Aufarbeitungsdebatten ging es oftmals wohl auch um die eigene Entschuldung. Dies mag so auch auf das eine oder andere Mitglied einer der ehemaligen Blockparteien zutreffen und es wäre manchmal auch noch angeraten, auch an deren Verantwortung zu erinnern. Aber ich sage auch ganz deutlich: Dies verändert oder minimiert die Verantwortung der SED nicht um einen Deut.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es ging im Aufarbeitungsprozess auch um das Treffen von Werturteilen und moralischer Kategorisierung, die auch dem Begriff der „Parlamentsunwürdigkeit“ im Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz zugrunde liegt. Wie untauglich sowohl Verfahren als auch Verfahrensziel für den Aufarbeitungsprozess sind, wurde mir deutlich, als ich als Rechtsbeistand für den Abgeordneten Frank Kuschel einem für Telefonanschlüsse verantwortlichen ehemaligen Mitglied eines Rates des Kreises und einem im Mai 1989 gewählten Mitglied der Volkskammer der DDR gegenübersaß.