Dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit folgend, müsste die Landesregierung eher die Aufgabenübertragung auf die Verwaltungsgemeinschaften finanziell fördern, anstatt aus den VGs Land- und Einheitsgemeinden zu bilden, deren Ortschaftsbzw. Ortsteilräte übrigens nach Ansicht des Gemeinde- und Städtebunds in diesem Gesetz nicht wirklich gestärkt werden. Dass Landgemeinden in Wirklichkeit kein Erfolgsmodell sind, zeigt ein Blick auf die Statistik. Seit 2008 wurden gerade einmal 13 Landgemeinden gebildet, also durchschnittlich nicht einmal zwei pro Jahr. Dagegen haben sich über 70 Prozent aller Thüringer Gemeinden freiwillig in Verwaltungsgemeinschaften zusammengeschlossen. Was ist wohl attraktiver – die Land- und Einheitsgemeinde oder die Verwaltungsgemeinschaft? Auch hier spricht die Realität eine deutliche Sprache; das sehe ich auch so.
Genauso ist es mit den angeblichen Einsparpotenzialen der Gebietsreform. Im ersten Entwurf des vorliegenden Machwerks hieß es noch wie im Leitbild, dass bei den Personal- und Sachkosten auf kommunaler Ebene Einsparpotenziale von 3 bis 20 Prozent realisiert werden könnten. Beim nun vorliegenden zweiten Versuch sind die angeblichen Einsparungen plötzlich verschwunden. Wo sind sie denn? Stattdessen wird behauptet, dass der Erfolg der Gebietsreform nicht an der Höhe der unmittelbar entstehenden oder einzusparenden Kosten zu messen sei. Wahrscheinlich werden stattdessen die Wahlergebnisse der Koalitionäre bei den ersten Wahlen in den Großkreisen als Erfolgsindikator herangezogen. In der Tat hat die Landesregierung einen Grund gehabt, den einen einsamen Satz mit den Mutmaßungen über die Einsparpotenziale verschämt wegzulassen. Die Einsparpotenziale lassen sich nämlich nirgendwo nachweisen. Selbst in der von der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns beauftragten Evaluation, auf die die Landes
regierung verweist, heißt es, dass der nach der Gebietsreform eingesparte Personalbestand bei den Kommunen infolge der Wahrnehmung neuer Aufgaben durch die Erhöhung von Standards bezüglich der Aufgabenerfüllung oder als Folge steigender Fallzahlen auch wieder steigen kann. In Sachsen führt ein Bericht des Landesrechnungshofs aus dem Jahre 2011 aus, in den Personalbeständen der Kernhaushalte zum 30.06.2009 werden insbesondere die personellen Auswirkungen der Funktionalreform 2008 in Sachsen sichtbar. Wies Sachsen schon im Vergleich der neuen Bundesländer seit 2001 stets die niedrigsten Personalbestände aus, liegen sie im Jahr 2009 – also nach der Gebietsreform – mit rund 12,55 Vollzeitäquivalenten je 1.000 Einwohner über denen Mecklenburg-Vorpommerns und Thüringens. Kurz und knapp: Nach der Reform in Sachsen gab es bei den Kommunen mehr Personal als vorher. Sieht so eine effiziente Verwaltung aus? Wo sind die Einsparpotenziale von 3 bis 20 Prozent? Es drängt sich der Eindruck auf, dass Aufgaben und Personal einfach vom Land an die Kommunen verschoben werden.
Die gesamte Kostenbelastung für die öffentlichen Haushalte sinkt jedoch nicht deshalb, weil plötzlich die Kommunen die Aufgaben erledigen, die mal das Land vollzogen hat. Oder will das Land den Stellenabbauplan auf dem Rücken der Kommunen umsetzen? Während das eingesparte Geld des Steuerzahlers im Nebulösen liegt, können die Kosten für jedermann inklusive der Mitglieder der Landesregierung nachvollzogen werden. Fast 400 Millionen Euro in Mecklenburg-Vorpommern, 400 Millionen Euro in Brandenburg, bis zu 500 Millionen Euro in Sachsen – wenn Sie von mittel- und langfristigen Einsparpotenzialen reden, so muss man eines feststellen: Langfristig sind wir alle tot und kurzfristig tragen wir alle die Kosten. Wenn Sie etwas anderes behaupten, legen Sie die Schätzungen auf den Tisch, erklären Sie bei den einzelnen Kostenpunkten, wie viel jeweils durch wen eingespart bzw. mehr ausgegeben wird. Genau darum geht es übrigens in unserem Antrag in diesem Plenum. Wenn Sie das nicht können, so müsste man sagen: Der König ist nackt. Die Landesregierung hätte dann bewiesen, dass sie nicht die Kapazitäten hätte, um bei einem der wichtigsten Reformvorhaben dieser Legislaturperiode wenigstens begründete Schätzungen zu ihren Kosten und Einsparungen vorzulegen.
In der Tat hinterlässt das Vorschaltgesetz mehr Fragen, als es Antworten liefert. Warum ist die Freiwilligkeit für Gemeinden viel zu knapp und für Landkreise nicht vorhanden? Warum gibt es keine Entschuldung für Landkreise und auch keine Fusionsprämien? Warum soll entgegen dem Rat von Gutachter Hesse nicht zuerst eine Aufgabenkritik, danach eine Funktionalreform und erst anschließend eine freiwillige Neugliederung auf kommunaler Ebe
ne durchgeführt werden? Warum wurde nach wie vor keine Karte mit den zukünftigen Landkreisen veröffentlicht, an denen sich die Gemeinden bei ihren Zusammenschlüssen orientieren können?
(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Weil sich Gemeinden kreisübergreifend umstruk- turieren können!)
Warum gab es keine wirkliche Prüfung von Alternativen zur Gebietsreform, Herr Kuschel? Die letzte Frage ist auch die entscheidende. Ein bestimmtes hässliches Adjektiv taucht immer wieder im Vorschaltgesetz auf: alternativlos. Dieses Wörtchen ist typisch für das festgefahrene Denken von Ideologen, für Mutlosigkeit und Technokratismus.
In typisch sozialistischer Manier verkünden Sie den einen richtigen Weg und setzen sich über alle Bedenken und Argumente hinweg. Diese Regierung schaltet und waltet mit dem Vorschaltgesetz, wie sie will, ohne dazulernen zu wollen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste hier im Thüringer Landtag! Herr Henke, in der Regel vermeide ich es, auf Ihre Reden einzugehen, aber ich glaube, heute muss man dazu mal etwas ganz deutlich sagen, weil Sie wirklich einen sehr verengten Blick haben. Sie haben richtigerweise das Beispiel des Landkreises Sonneberg hier angeführt. Ich kann Ihnen sagen: Es gibt noch einen Landkreis, nämlich das Eichsfeld, wo das alles genauso stimmt. Was Sie den Menschen hier auf der Tribüne und in der Öffentlichkeit aber nicht erzählen, ist, dass die beiden Landkreise durch etwas ganz Besonderes gekennzeichnet sind: Sie haben nämlich große, entwickelte, urbane Zentren der alten Bundesländer manchmal in Sichtweite oder manchmal nur 13 Minuten mit dem Zug von sich entfernt. Sie haben im Eichsfeld Göttingen und Sie haben im Landkreis Sonneberg Coburg. Da ist natürlich ganz klar, dass die Startbedingungen andere waren, dass dort mehr verdient wird, dass es da Zuzug gibt. Wer erzählt, dass das das Bild von Thüringen ist,
wer da erzählt, dass zwei von 17 Landkreisen als Beispiel für Thüringen herkommen, der vergisst den Kyffhäuserkreis, der vergisst den Saale-Orla-Kreis, der vergisst Greiz, der vergisst fast ganz Thüringen, der ist so unverantwortlich, so wie es AfD-Politik immer ist.
Und bei unverantwortlich bin ich bei der CDU. Wissen Sie, Herr Mohring, oder was von der CDU gerade übrig geblieben ist, Sie waren auch schon mal eloquenter. Dass die CDU mittlerweile nicht mal mehr eine Zwischenfrage der Grünen beantwortet, lässt tief blicken, wie verunsichert Sie sind und wie wenig Sie in der Opposition angekommen sind.
Und wenig eloquent, Herr Kollege, ist auch, dass Sie mit einem Gutachten, einer Studie oder Umfrage hantieren – ich habe davon zwei Charts gesehen –, aber der Öffentlichkeit vollkommen schuldig bleiben, wie man das machen muss, wenn man nämlich ernsthaft diskutieren will, dass man sagt: Befragungszeitraum, Befragungsgröße, Befragungsverfahren. Also haben Sie die Leute angerufen oder anrufen lassen, die ein Festnetztelefon haben, dann stimmt bestimmt alles. Viele der Menschen, die jung sind, haben heute überhaupt gar kein Festnetztelefon. Aber all das lassen Sie natürlich im Dunkeln, weil Sie damit viel besser hantieren können. Aber es wird bei all diesem wenig eloquenten und wenig nach vorn schauenden Verhalten der CDU nichts darum herumführen, dass Sie sich dem demografischen Wandel als einer Gegebenheit annehmen müssen. Eine Gegebenheit, die mindestens in den nächsten 50 Jahren vor der Tür steht und nicht wegzudiskutieren ist. Sie müssen sich dem stellen, dass wir ab 2019 einen veränderten Länderfinanzausgleich haben werden. Damit hat diese rot-rot-grüne Landesregierung überhaupt nichts zu tun. Das sind Dinge, die sind als Gegebenheit da. Es geht nicht darum, die irgendwie wegzubekommen, sondern es geht darum, Thüringen unter diesen Bedingungen weiterhin leistungsfähig zu halten. Alles Wesentliche haben meine Kollegen Herr Höhn und Herr Kuschel, aber auch der Innenminister dazu schon gesagt.
Beim Innenminister bin ich bei einer zweiten Sache, bei der die CDU versucht, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. Herr Mohring hat erzählt, dass ich irgendwo von dem abweichen würde, was die Landesregierung hier festgestellt hat. Wer sich halbwegs mit der Materie befasst und die Diskussionsläufe verfolgt hat, weiß, dass wir immer und
ganz offen darüber gesprochen haben, dass natürlich die Zahl 6.000 keine harte Zahl im Sinne von „6.000 ist in Ordnung, aber 5.999 geht nicht mehr“ gesprochen haben. Mindestens im Rahmen des statistischen Fehlers, wenn wir statistische Werte ansetzen, muss doch eine Diskussion über Flexibilität möglich sein.
Natürlich, das hat der Innenminister ganz klar gesagt, kann kluge Politik – und die macht dieser Innenminister – doch nur heißen, dass bei jeder Anwendung dieses Grenzwerts immer auch eine Einzelfallprüfung geschieht, immer eine Einzelfallentscheidung getroffen wird und da, wo es notwendig und richtig ist, wird man im Einzelfall auch abweichen können. Dass es die CDU nicht mitbekommen hat, zeigte eigentlich nur, dass sie an der Debatte, die man im Augenblick sehr deutlich sehen kann, zu dieser Gebietsreform gar kein ernsthaftes Interesse hat. Dass die CDU nicht mitbekommen hat, dass ich seit Beginn der Debatte dafür werbe, sehr kritisch mit der Frage umzugehen: Sollen VGs grundsätzlich alle weg oder soll man VGs in bestimmten Formen zulassen, als Übergangsform, als besondere Form für außerordentlich große Gebilde, die wir brauchen? Dass Sie das nicht mitbekommen haben, zeigt eigentlich nur Ihr Desinteresse
Da gibt es überhaupt keinen Dissens. Wenn Sie auch nur einen vernünftigen Vorschlag, seit wir über die Gebietsreform diskutieren, unterbreitet hätten – und wir diskutieren nicht erst seit dem 5. Dezember 2014, seitdem sich diese Landesregierung gebildet hat, sondern wir diskutieren mindestens seit 2009 über eine Gebietsreform. Wenn es von der CDU irgendeinen konstruktiven Vorschlag gegeben hätte, ich würde darüber diskutieren wollen.
Aber, was nicht geht, dass wir weiterhin so wie die CDU die Augen vor den Herausforderungen der Zukunft verschließen.
Es geht auch nicht, dass die CDU überhaupt nur eine Debatte führt. Sie reisen durch das Land und erzählen den Leuten tolle Geschichten. Heute Herr Mohring – Originalzitat –, der sagt: Die Leute wollen nicht, dass die Landkreise halbiert werden. Das kann ich mir vorstellen. Wenn man die Leute fragt: Möchtet Ihr, dass euer Landkreis halbiert wird?
Dann sagen die: Nein, wir wollen das nicht. Er würde sich jetzt rausreden und würde sagen: Ja, er meine ja die Anzahl der Landkreise.
Wenn Sie die Menschen aber fragen: Wollt Ihr, dass es starke, große, leistungsfähige Landkreise gibt? – dann werden sie natürlich auch Ja sagen. Dann müssen wir darüber diskutieren, wie wir dahin kommen!
Ich mache mal ein Beispiel: Der Vorschlag von Kollegen Höhn zu einem großen Südthüringer Kreis. Man kann dazu inhaltlich stehen, wie man will. Aber die Landrätin oder der Landrat dieses großen Südthüringer Kreises wäre ein Player, wenn er in die Staatskanzlei kommt. Der müsste sich nicht mit den vier, fünf umgebenden Landrätinnen und Landräten in der Region darüber abstimmen, ob man jetzt dieses oder jenes voranbringen will. Der wäre ein Player, wenn er in die Staatskanzlei kommt. Aber Sie wollen die Landkreise kleinhalten, wollen Sie spalten, um besser regieren zu können.
Wir machen das nicht. Wir beteiligen. Wir wollen leistungsfähige, starke Strukturen in der Fläche. Das ist unsere Antwort für den ländlichen Raum.
Des Weiteren erzählen Sie – das hat Herr Mohring heute wieder gemacht –, wir hätten keine Ahnung davon, wie wir zum Beispiel die Sparkassen, die im Wesentlichen Institute der Kommunen sind, zusammenführen können. Dabei verkennen Sie vollkommen, dass die Sparkassen Ihrer Denkweise und Ihrer Argumentation um Jahrzehnte voraus sind. Manche haben sich vor einem Jahrzehnt schon zusammengetan und die CDU hat nicht einsehen wollen, dass das der richtige Weg ist.
Zusammengehen und stark sein – das ist das Gebot der Stunde, nicht Kleingeistigkeit und Partikularinteressen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich erinnere mich sehr gut, als wir vor einem halben Jahr über die Gebietsreform diskutiert haben und ich die Sparkassen als gutes Beispiel genannt habe, da hat Herr Voigt mir erklärt, dass das wohl das Letzte sei, diese Kreditinstitute, die nicht mal mehr einen EC-Automaten vorhalten würden. Es ist auch nicht richtig, wie es die CDU und die AfD gerade eben gesagt haben, dass wir mit dieser Reform