Protokoll der Sitzung vom 29.01.2015

Danke, Herr Dittes. Weil Sie gerade über Begriffe sprachen; Sie sprachen davon, dass Sie sich für Islamismus in unserer Gesellschaft aussprechen, deswegen würde ich mich einmal dafür interessieren, was Sie unter „Islamismus“ verstehen. Doch, hat er gesagt.

Also, Herr Voigt, vielleicht kennen wir uns nicht so gut. Ich bin überzeugter Laizist. Also ich werde mich weder für eine Religion in besonderer Form

aussprechen, auch nicht für eine andere. Ich meine, das nicht gesagt zu haben. Vielleicht können wir gemeinsam im Protokoll noch einmal nachlesen. Aber genau das suggeriert ja eben auch Ihr Antrag, dass es wirklich einhergeht, dass Sie Begrifflichkeiten verwenden, die in dieser Gesellschaft überhaupt synonym verwendet werden für Terrorismus, für Einschränkung von Freiheitsrechten, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit. Das ist doch genau das Problem dieser Debatte. Da sage ich, brauchen wir eine versachlichte Debatte. Da brauchen wir Aufklärung. Da brauchen wir tatsächlich auch Bildungsangebote, aber Ihr Antrag entspricht genau diesen Herausforderungen nicht.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Herr Abgeordneter Dittes, es gibt eine weitere Zwischenfrage von dem Abgeordneten Henke. Gestatten Sie das?

Nein, Sie mögen verzeihen, diese zwangsfinanzierten Abgeordneten im Thüringer Landtag,

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die viele Steuerzahler praktisch gegen ihren Willen noch mitfinanzieren müssen, halte ich in dieser Debatte nicht für sachliche Stichpunktgeber und ich möchte diese Frage nicht beantworten.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Sehr demo- kratisch, Herr Dittes!)

(Heiterkeit AfD)

Sehr geehrter Herr Dittes, ich habe eine Frage an Sie. Sie haben sehr …

Herr Henke, Sie haben kein Wort.

(Unruhe DIE LINKE)

Herr Abgeordneter Dittes kann bitte fortsetzen.

Als ich unterbrochen worden bin durch die Frage von Herr Voigt, wollte ich gerade dazu noch einmal sprechen, dass Religionsfreiheit natürlich dort auch ihre Grenzen hat, wo genau die Freiheit anderer Menschen beschränkt werden soll. Das gilt bei Religionsfreiheit genauso wie bei der Meinungsfreiheit. Die Meinungsfreiheit hat immer dort ihre Grenzen,

wo andere Grundrechte auch verbal eingeschränkt werden sollen.

(Zwischenruf Abg. Henke AfD: Das ist wohl Meinungsfreiheit?)

Aber, meine Damen und Herren, ich will auch etwas Nachdenkliches in diesem Zusammenhang sagen, denn wir müssen uns auch über unser eigenes Islambild in der westlichen Welt verständigen. Ich glaube, wir müssen uns auch selbstkritisch hinterfragen, ob wir in der gesamten Debatte nicht eine Überheblichkeit gegen die Lebenswirklichkeiten auch in der arabischen Welt entwickelt haben. Ich sage einmal ganz deutlich, in einem Land, wo bis 1977 die Frau nur arbeiten durfte, wenn praktisch ihre Pflichten aus Ehe und Haushalt erfüllt worden sind, brauchen wir vielleicht mit diesem doch relativ geringen zeitlichen Vorsprung nicht so eine Arroganz an den Tag legen, was Geschlechterbilder in anderen Ländern anbetrifft.

(Unruhe DIE LINKE, AfD)

Das heißt aber,

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Wo waren Sie denn 1977?)

dass wir uns genau mit diesen Fragen kritisch auseinandersetzen müssen; das heißt nämlich, in dieser Gesellschaft kritisch auseinandersetzen müssen, aber natürlich auch im Diskurs mit anderen Ländern.

Da frage ich mich natürlich, wenn Ihre innenpolitische Sorge um den Islam wirklich so vehement ist, wie Sie hier vortragen: Warum setzen Sie denn Ihre Sorge nicht in der Außenpolitik der neuen Bundesregierung tatsächlich um? Dort stehen Sie Seite an Seite aus ökonomischen Interessen mit Ländern, in denen genau Prinzipien herrschen, die Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit einschränken, und zwar in einem Maße, dass vehementer Widerstand notwendig ist. Der IS in Syrien wurde jahrelang unterstützt, gehätschelt, das Problem verharmlost, die Flüchtlinge, die vor dem IS geflohen sind, wurden nicht unterstützt, der NATO-Partner Türkei wurde eben nicht vehement außenpolitisch dazu aufgerufen, tatsächlich die Kobane verteidigenden Menschen zu unterstützen und den Flüchtlingen tatsächlich Schutz anzubieten.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Da hätte ich Ihre Sorge um den Islam tatsächlich einmal sehen wollen, aber Sie instrumentalisieren die Ängste von Menschen, die Sie erst provoziert haben, für eine innenpolitische Debatte. Da werden wir nicht mitmachen und es ist auch nicht notwendig. Seit 2001, seit dem 11. September, wurden in der Bundesrepublik 38-mal Sicherheitsgesetze geändert bzw. neu geschaffen. Da wurden Einreisesperren ausgesprochen, Personalausweise oder

Reisepässe einkassiert. Ein Großteil dieser Gesetze wurde, wenn Sie so wollen, wieder in den Schutzbereich der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zurückgeholt, und zwar durch das Bundesverfassungsgericht und nicht durch die Parlamente, und wir werden Ihre Bemühungen, das Grundgesetz weiter auszuhöhlen und bis an den Rand der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit zu dehnen, nicht mitmachen und uns dem tatsächlich auch aktiv widersetzen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Da will ich auch in dem Zusammenhang einmal etwas sehr deutlich zur Vorratsdatenspeicherung sagen: Die Attentäter von Paris waren auf sämtlichen Listen. Sie waren auf den Flugverbotslisten in die USA, sie waren auf den Gefährderlisten, sie unterlagen der polizeilichen Observation. Frankreich hat seit Januar 2006 eine Vorratsdatenspeicherung, aber all das hat eben nicht dazu geführt, dass dieses Attentat, was schrecklich war, was im Prinzip uns alle auch hier erschüttert hat und wo wir auch ein Stück weit innehalten mussten zum Nachdenken, was passiert jetzt auch an gesellschaftspolitischen Reaktionen; all das war eben nicht geeignet, dieses tatsächlich zu verhindern. Was Sie jetzt machen, ist, etwas als Schlussfolgerung daraus zu ziehen, was in Frankreich längst Realität war, und der Öffentlichkeit zu sagen, es ist notwendig, um Sicherheit tatsächlich zu schaffen. Wir alle wissen doch, es gibt nicht die absolute Sicherheit. Ein Staat, der dies verspricht, ist ein totalitärer Staat. Wir müssen mit Gefahren leben und wir müssen den Freiheitsbegriff, den es im Grundgesetz gibt, mit dem Sicherheitsanspruch der Menschen praktisch abwägen, in ein Gleichgewicht bringen, so, dass wir nach wie vor von einer freien und sicheren Gesellschaft reden können und ich will an dieser Stelle an den Ausspruch von Benjamin Franklin erinnern: Wenn wir Freiheit aufgeben, um Sicherheit zu gewinnen, werden wir beides verlieren. Ich denke, das sollten Sie auch in Ihr politisches Stammbuch geschrieben bekommen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Herr Abgeordneter Dittes, Ihre Redezeit ist leider um.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Es war so schön!)

(Zwischenruf Abg. Mitteldorf, DIE LINKE: Es war schön, Steffen, was du gesagt hast.)

(Abg. Dittes)

Gestatten Sie mir, Frau Präsidentin, noch einen Satz zur beantragten Ausschussüberweisung: Ich denke, meine Damen und Herren, wir wollen ehrlich miteinander umgehen. Es gehört sich nicht, hier öffentlich oder Ihnen gegenüber den Eindruck zu erwecken, dass dieser Antrag eine Diskussionsgrundlage für den Ausschuss ist, in dem wir mit der einen oder anderen Verbesserung doch noch zu einer gemeinsamen Zustimmung kommen. Deswegen – das gehört zu einem offenen und ehrlichen Umgang: Wir lehnen auch diese Ausschussüberweisung ab. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Aus den Reihen der Abgeordneten liegen mir jetzt keine Wortmeldungen vor. Entschuldigung, Herr Innenminister, es liegt doch eine Wortmeldung vor, die des Abgeordneten Henke. Wollen Sie das noch zulassen? Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Abgeordnete, werte Gäste, wie Herr Dittes so wortreich ausgeführt hat, hat er nur eine Seite beleuchtet, die Islamismus bedeutet. Er hat die andere Seite gar nicht angesprochen. Islamismus bedeutet Scharia. Schauen wir uns an, was Scharia bedeutet. Das heißt Köpfen, Hände abhacken, Verschleierung der Frauen. Das sind die Tatsachen des Islamismus, die Sie nicht genannt haben.

(Beifall AfD)

Sie haben auch nicht genannt, was Dschihadismus bedeutet. Der Glaubenskampf der Religionen im Islamismus, Sunniten und Schiiten gegeneinander. Sie führen hier wortreich aus, alles ist schön. Es ist nicht so. Die Welt ist grau. Und Gewalt herrscht dort, wo diese Glaubensgruppen aufeinandertreffen. Das ist so.

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Das ist Quatsch! Das ist totaler Quatsch!)

Und diese bringen diese Auseinandersetzung mit zu uns nach Deutschland. Das ist einfach so. Ich lade Sie gerne ein nach Eisenberg ins zentrale Aufnahmelager nach 22.00 Uhr. Ich fahre jeden Abend dort vorbei, da können Sie sich anschauen, was das bedeutet. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Jetzt hat das Wort die Landesregierung. Innenminister Holger Poppenhäger.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, sehr geehrte Besucher des Hohen Hauses, wir brauchen in Thüringen bestimmt Einiges, aber was wir nicht brauchen können, ist dieses Muster der Vereinfachung, was wir teilweise gehört haben heute,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und was – ich sage es ausdrücklich – auch den CDU-Antrag teilweise auszeichnet. So verbietet sich etwa eine undifferenzierte Gleichsetzung des sogenannten Salafismus mit dem gewaltbereiten Islamismus.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Abgeordneter Höcke, ich hoffe, ich habe mich verhört, wir werden das ja im Protokoll nachlesen können: Sinngemäß haben Sie gesagt, das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht habe dazu geführt, dass wir Tausende Terroristen mit deutschem Pass im Land hätten. Ich weise das ausdrücklich im Namen der Landesregierung zurück.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei uns in Thüringen leben etwa 7.000 Personen muslimischen Glaubens und die übergroße Mehrheit praktiziert ihren Glauben friedlich und im Einklang mit dem Grundgesetz. Festgefügte islamistische Organisationsstrukturen sind in Thüringen nicht bekannt. Das Potenzial der eher losen Anhängerschaft beläuft sich auf etwa 100 Personen. Hiervon sind lediglich Einzelpersonen salafistisch geprägt und den Personenzusammenschlüssen oder Gruppierungen wie etwa der „Muslim-Bruderschaft“ oder der sogenannten Nordkaukasischen Separatistenbewegung zuzurechnen. Die Verbreitung islamistischer und dschihadistischer Propaganda über das Internet scheint auch in Thüringen an Bedeutung zu gewinnen. So kann nicht ausgeschlossen werden, dass junge Männer auf diesem Weg ideologisiert und in diverse Netzwerke eingebunden werden. Auch dies verdeutlicht aber nach Auffassung der Landesregierung die Notwendigkeit von Aufklärung und Präventionsarbeit in diesem Bereich. Das rechtzeitige Erkennen individualisierter Radikalisierungsverläufe stellt für die Sicherheitsbehörden aktuell eine der bedeutenden Herausforderungen dar. Besonders Moschee-Gemeinden können hier als bedeutende Akteure in der Deradikalisierungsarbeit fungieren. Von daher kann zum Beispiel auch die gute Zusammenarbeit mit dem „Internationalen Islamischen Kulturzentrum – Erfurter Moschee e.V.“ genutzt werden, um nachhaltige Präventionsarbeit zu betreiben. Um die Präventionsarbeit zu stärken, habe ich mich gemeinsam mit

den anderen deutschen Innenministern auf der letzten Innenministerkonferenz dafür ausgesprochen, dass Bund und Länder mit geeigneten und koordinierten Präventions- und Interventionsinitiativen Radikalisierungstendenzen frühzeitig entgegenwirken und durch Beratung und Hilfe, beispielsweise gefährdeter Jugendlicher, zur Deradikalisierung beitragen.