Protokoll der Sitzung vom 11.08.2016

Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie zur zweiten heutigen Sitzung des Thüringer Landtags willkommen, die ich hiermit eröffne. Auch vereinzelten Gästen auf der Zuschauertribüne gilt unser Gruß sowie natürlich den Vertreterinnen und Vertretern der Medien.

Die heutige Sitzung wurde gemäß Artikel 57 Abs. 2 Satz 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen in Verbindung mit § 19 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags aufgrund eines Antrags der Fraktion der CDU einberufen. Die entsprechende Unterrichtung liegt Ihnen in der Drucksache 6/2453 vor.

Für diese Plenarsitzung hat als Schriftführer Herr Abgeordneter Kobelt neben mir Platz genommen. Die Redeliste führt Frau Abgeordnete Herold.

Es haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Herr Abgeordneter Gruhner, Herr Abgeordneter Krumpe, Herr Abgeordneter Zippel, Frau Abgeordnete König, Frau Ministerin Werner und Herr Minister Prof. Dr. Hoff.

Ich gebe zunächst einen Hinweis zur Tagesordnung: Die Landesregierung hat mitgeteilt, dass zu dem beantragten Tagesordnungspunkt von der Möglichkeit eines Sofortberichts gemäß § 106 Abs. 2 der Geschäftsordnung Gebrauch gemacht wird.

Zunächst die Frage: Gibt es noch den Wunsch zur Ergänzung der Tagesordnung für die jetzige Plenarsitzung aus den Reihen der Fraktionen? Das kann ich nicht erkennen.

Damit kommen wir zum Aufruf des Tagesordnungspunkts

Schluss mit dem Bildungschaos in Thüringen – Schulen brauchen Verlässlichkeit und engagierte Lehrer statt neuer Reformen Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 6/2452

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? Die nimmt Herr Abgeordneter Emde vor. Sie haben das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Frau Klaubert aus der Presse von gestern zitieren. Sie sagte: „Ich denke, dass wir gut ins neue Schuljahr starten können“. Ich denke, Frau

Ministerin, Sie leiden nicht an Wirklichkeitsverlust, sondern Sie genießen ihn auch noch.

(Beifall CDU, AfD)

Das, was ich aus den Lehrerkonferenzen dieser Woche höre, hört sich ganz anders an. Frau Ministerin, das Vertrauen in die Führung des Bildungsressorts ist vollkommen im Keller. Das sind nicht nur meine Worte, sondern das habe ich mehrfach so gehört. Aktuell macht sich das neben dem allerorts beklagten Lehrermangel zum Beispiel an der Verwaltungsvorschrift zur Durchführung von Klassenfahrten fest. Wie wollen Sie bei einem solchen Bürokratismus auch noch einen einzigen Lehrer dafür gewinnen, dass er Lust auf Klassenfahrten hat? Wie wollen Sie denn mit einem solchen Bürokratismus dem Vorwurf, dass es hier um ein Misstrauen gegen die Eigenverantwortung von Schule geht, noch begegnen?

(Beifall CDU)

Nur mal zum Verständnis in die Runde: Wenn ein Lehrer für das Frühjahr 2018 eine Klassenfahrt plant – was er nicht tut, weil er ja nicht weiß, ob er zu dem Zeitpunkt überhaupt noch Klassenlehrer ist, ob es die Klasse noch gibt, ob es seine Schule noch gibt –, aber wenn er es dann täte, dass er für 2018 plant, dann muss er seine Klassenfahrt bereits bis zum Dezember dieses Jahres form- und fristgerecht beantragen. Aber, Frau Ministerin, was mindestens genauso schlimm wirkt wie dieses Bürokratiemonster, welches wie andere Bürokratiemonster die Lehrerschaft knebelt, ist die Art, wie es zustande kommt. Frau Staatssekretärin Ohler spricht mit Praktikern und verspricht auf alle Fragen, die sie nicht beantworten kann – das sollen eine ganze Menge sein –, eine Antwort und verspricht auch, die vorgetragenen Einwände ernst zu nehmen. Tatsächlich aber, meine Damen und Herren, werden alle Bedenken und Vorschläge in den Wind geschlagen. Lehrer, Erzieher, Eltern, Schüler, Fachleute werden einfach nicht mehr ernst genommen. Sie werden auch nicht einbezogen. Meine Damen und Herren, so verstößt man gegen geborene Partner in der Sache für gute Bildungspolitik. Man vergibt die riesige Chance, diese Fachkompetenz und das Engagement zu nutzen. Ich zitiere den Chef der größten Thüringer Lehrergewerkschaft, grüß Gott, Rolf Busch: „Bildungspolitik wird in Thüringen hinter verschlossenen Türen, über die Köpfe des Lehrpersonals hinweg und ohne Bezug zur alltäglichen Realität gemacht.“ Das kann man so ganz dick unterstreichen.

(Beifall CDU, AfD)

Frau Klaubert, Sie werden damit zitiert, dass Sie Herrn Busch Ihre Telefonnummer gegeben haben. Dort könne er anrufen, wenn er Fragen hat. Aber genau dort beginnt das Problem, dort fängt es an: Alibiveranstaltungen statt Beteiligte ernst zu neh

men, Misstrauen statt Vertrauen gegenüber den Pädagogen, Schule gängeln statt sie zu unterstützen, Engagement abwürgen statt es zu fördern. Frau Klaubert, 800 langzeitkranke Lehrer, die sind nicht etwa deshalb alle krank, weil sie etwas alt sind, sondern es hat eben etwas damit zu tun, wenn man sich fragt, werde ich von meinem Dienstherrn noch wertgeschätzt, werde ich von ihm unterstützt,

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Langzeiterkrankungen ha- ben auch lange Vorläufe!)

oder wenn die Verhältnisse in der Schule – Stichwort „Inklusion“ – so weit zugespitzt werden, dass sich Lehrer nicht mehr zu helfen wissen. Frau Ministerin …

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Sie be- haupten jetzt, die sind gar nicht krank? Das ist ja ungeheuerlich, wenn Sie das den Leh- rern vorwerfen!)

Doch – nein, nein, die sind krank. Ich rede nur über die Ursachen, warum sie krank werden.

Meine Damen und Herren, in der Schulpolitik ist es ein Gebot der Stunde, sich neben allen politisch motivierten Wünschen, wie Verstaatlichung der Horte, Neufassung von Bildungs- und Lehrplänen, Forcierung der Gemeinschaftsschule, Totalinklusion mit Abschaffung der Förderschulen, Festlegung von Schulmindestgrößen – Sie müssen sich auf das Wesentliche konzentrieren und das ist die Absicherung der personellen Basis für den Unterricht. Die Ursachen des Lehrermangels sieht der Thüringer Lehrerverband in der Verweigerung von Verbeamtung, von Höhergruppierung, in den hohen Anforderungen aufgrund von Inklusion und Integration und den nicht dem tatsächlichen Bedarf angepassten Neueinstellungen. Das sehen wir genauso. Die GEW sieht es auch genauso. Eines muss noch hinzugefügt werden, das ist nämlich die völlig untaugliche Einstellungspraxis. Ich will das ganz kurz erläutern. In Bayern erhält ein Referendar nach Abschluss schon Anfang Mai einen Arbeitsvertrag und den Zugang zum Beamtenverhältnis, und das obwohl in Bayern das Schuljahr erst im September beginnt. In Thüringen ist im Mai noch gar nichts. Da werden dann im Juni mal die ersten Gespräche geführt, wenn alle anderen schon lange in anderen Bundesländern abgefangen sind. Das muss sich ändern. Sie müssen sich nicht wundern, wenn Sie die richtigen Lehrer nicht bekommen.

(Zwischenruf Abg. Skibbe, DIE LINKE: Das scheint alles vom Himmel gefallen zu sein!)

Da bin ich wieder bei dem Thema „Wirklichkeitsverlust“, denn bei den 480 angeblich eingestellten Lehrern

Herr Kollege Emde, das Kontingent für die Begründung ist leider erschöpft.

ich komme zum Ende – müssen Sie wirklich mal nachfragen, ob das die Lehrer sind, die Thüringen braucht und die dann auch in Thüringen bleiben. Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, die Schulpolitik, die Sie in diesem Land gemeinsam verantworten, ist eine Bankrotterklärung. Vielen Dank.

(Beifall CDU, AfD)

So viel zur Begründung des Antrags. Ich hatte schon darauf hingewiesen, dass die Landesregierung einen Sofortbericht zu Nummer I des Antrags erstattet. Deswegen erteile ich Frau Ministerin Klaubert das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach dieser qualifizierten Begründung des Antrags möchte ich gern zum Punkt I aus dem Antrag Bericht erstatten und auf einige Dinge aus dem Punkt II eingehen. Vielleicht ist es ganz gut, dass ein Sonderplenum zu Beginn eines Schuljahrs stattfindet, dass man einmal sehen kann, wie die Situation ist, wer wofür Verantwortung trägt, wer sich in den Maschinenraum dieses Landes begeben hat, um die Maschinen wieder zum Laufen zu bringen und wie das alles weitergehen soll.

(Unruhe CDU)

Zum Ersten möchte ich einige Dinge zur Personalüberleitung in den Horten sagen. Ich sage Ihnen, die Personalüberleitung in den Horten ist ein Erfolg.

(Beifall DIE LINKE)

Seit dem 1. August sind 1.091 Erzieherinnen und Erzieher in den Landesdienst gewechselt.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Was hät- ten sie sonst machen sollen?)

Sie sind als Kommunalbedienstete – übrigens zum großen Teil aus befristeten Arbeitsverhältnissen – in unbefristete Arbeitsverhältnisse beim Land übergegangen. Der Betrieb in den Horten ging und geht reibungslos weiter, keiner blieb geschlossen, eingespielte Teams in den Grundschulhorten blieben zusammen, Eltern mussten nicht um die Betreuung ihrer Kinder bangen und die Kinder werden weiterhin nach der Schule und vor der Schule in vertrau

(Abg. Emde)

ter Umgebung betreut. Alle Unkenrufe, die es vorher gab, sind damit ad absurdum geführt.

Die Überleitung von über 1.000 Erzieherinnen und Erziehern in wenigen Wochen war ein gewaltiges Mammutprojekt, welches uns gelungen ist. Jahrelang hatten die Erzieher in den Horten im Erprobungsmodell befristete Arbeitsverträge. Immer wieder gab es Unsicherheit, die übrigens auch immer wieder ausgesprochen worden ist. Offensichtlich hat man das völlig vergessen. Wir haben dafür gesorgt, dass die von den am Modellprojekt beteiligten Schulträgern eingestellten Erzieherinnen und Erzieher endlich einen festen Vertrag bekommen.

Da ich im Land recht viel unterwegs bin, haben auch mir Leute von ihrem Schicksal erzählt, mit 8-jährigen immer wieder befristeten Arbeitsverträgen. Das nennen Sie also anständige Arbeitsverhältnisse und unsere Überleitung in den Landesdienst in unbefristete Arbeitsverträge nennen Sie unanständig. Sie sollten Ihren Realitätssinn überprüfen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Überleitung der Erzieherinnen und Erzieher ist im Vorgang so erfolgt, dass der bisherige Stellenumfang erhalten blieb; nicht mit der Rückstufung auf 50 Prozent – übrigens haben wir die 50-Prozent-Regelung bei den Erzieherinnen und den Erziehern in den Horten auch nicht eingeführt – und ohne dass der Jahresurlaub verfallen ist, ohne dass die Erfahrungsstufen verloren wurden und ohne dass die Stufenrestlaufzeit in den Wind geschlagen werden musste. Und wir haben dafür gesorgt, dass die Hortkoordinatorinnen ihre Aufgabe behalten und in den Schulämtern zur Verfügung stehen. Damit sind gleichberechtigte Bedingungen an den Grundschulhorten im ganzen Land gesichert worden.

Klar war das ein Kraftakt. Das haben wir nie verschwiegen. Das ist in mehreren Debatten im Plenum und auch im Ausschuss zum Ausdruck gebracht worden. Aber ich gestatte mir noch einmal, auf das Jahr 2008 zurückzuweisen. 2008 haben Sie das Erprobungsmodell eingeführt und es ging nicht um pädagogische Konzepte. Es ging damals um den Rest des Vorhabens um Ministerpräsident Althaus, mit der Familienoffensive eine völlig andere Familien- und Bildungspolitik zu gestalten. Viele haben damals dagegen protestiert und demzufolge ist die Frage gewesen, wie sich diese Koalition dazu verhält. Verbunden war es übrigens damals noch mit dem Trick, dass man mit der Kommunalisierung der Erzieherinnen und Erzieher in den Horten das Spiel von rechte Tasche, linke Tasche betreibt und diese Erzieherinnen aus dem Landesdienst entfernt, weil sich so die Personalsituation besser darstellt, aber natürlich die Aufgabe da ist und vor Ort geleistet werden muss und demzufolge die Situation so war, dass diese Erzieherinnen und Erzieher

im Personalbudget auf der kommunalen Seite zu Buche schlugen. Das ganze Erprobungsmodell – und das ist auch benannt worden und Sie wissen es, und auch Sie, Herr Emde, wissen es, wir haben in früheren Zeiten oft darüber gesprochen – war nicht bis zum Ende durchdacht.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Erzählen Sie doch nicht so ein Zeug. Sie hätten doch Al- ternativen gehabt! Das ist doch ein Witz!)

Rechtlich stand es auf tönernen Füßen, ich verweise an der Stelle nur auf das Schulgesetz. Im Schulgesetz ist ausgedrückt, dass Beschäftigte in den Horten im Landesdienst sein müssen. Und auch die Vorgängerregierung wusste schon, warum sie die Finger davon gelassen hat. Wir haben es angepackt. Wir haben eine Lösung gefunden. Zugegeben, sie war nicht einfach. Wir haben sie uns wahrlich errungen und wir haben die Thüringer Horte an den Grundschulen zukunftsfest gemacht. Nun beginnt der nächste Schritt, die guten Erfahrungen aus dem Modellversuch fortzuschreiben und die entsprechenden ganztägigen Angebote übrigens – ich hoffe, dass der Landesgesetzgeber dann mitgeht einschließlich der Oppositionsfraktion CDU – auch auf die Klassenstufen 5 und 6 zu erweitern. Das zum Punkt I.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Punkt II: Wir haben auch das Berufsschulnetz zukunftssicher gemacht. Über Jahre und Legislaturperioden hinweg sind im Berufsschulbereich aus verschiedenen Gründen Entscheidungen verschleppt worden. Seit dem Schuljahr 2000/2001 haben wir es mit einer Halbierung der Schülerzahlen an den Berufsschulen zu tun und das war auch abzusehen. Das kam nicht über Nacht.

Kinder, die nicht geboren werden, oder Kinder, die nicht im Land bleiben, die werden auch die Berufsschulen nicht besuchen. An den allgemeinbildenden Schulen hat sich das bereits deutlich gemacht. Nun frage ich: Haben Sie in den vielen Jahren Ihrer Regierungszeit – zum großen Teil, ohne dass Sie auf irgendeinen Partner Rücksicht nehmen mussten – darauf überhaupt einmal vorausschauend reagiert? Haben Sie sich einmal Gedanken gemacht, mit welchen Konzepten man dieser demografischen Entwicklung in Thüringen überhaupt entgegnen kann? Kann man sichern, dass in Zukunft, wenn sich die Bevölkerungsentwicklung derart gestaltet, auch im Bildungssystem, das Geld, das zur Verfügung steht, auch für die Qualität der Bildung eingesetzt werden kann? Sie haben die Augen zugemacht. Sie haben keine Konzepte aufgegriffen. Ich werde dann noch eines von Ihnen zitieren, das Sie selbst in Auftrag gegeben haben und nichts, null Komma nichts getan haben.

(Ministerin Dr. Klaubert)

(Zwischenruf Abg. Kowalleck, CDU: Es sind immer die anderen!)