Protokoll der Sitzung vom 31.08.2016

Das stimmt einen schon ziemlich nachdenklich, wenn sich diese Sicht innerhalb von einem Jahr so drastisch wandelt. Auch in den Kommunen vor Ort, ganz speziell in den Landkreisen, wachsen ebenso der Frust und der Unmut.

Gestatten Sie mir, dass wir bei der Aktuellen Stunde zur sogenannten Bilanz – wie Herr Höcke das ausgedrückt hat – ein Thema noch ansprechen, das wir völlig unideologisch einmal klären müssen. Gerade in meinem Heimatkreis wächst jeden Tag der Frust in der Verwaltung, weil lange versprochene Dinge eben nicht eingehalten werden. Beim Thema der dezentralen Unterbringung, bei dem wir uns parteiübergreifend – zumindest in dem Flügel

hier – sehr einig sind, dass die dezentrale Unterbringung einen Vorzug erhalten sollte, sind wir vor Ort im Saale-Orla-Kreis sehr gut aufgestellt. Bei einem Thema ist es aber leider nicht ganz so einfach. Wenn Vermieter, private wie auch Wohnungsgesellschaften, seit nunmehr über acht Monaten auf zugesagte Gelder aus der Investitionspauschale für Wohnungen warten, die sie bereits seit über einem halben Jahr vorfinanziert haben, ist das langsam nicht mehr hinzunehmen. Im Ausschuss – und das können die Ausschussmitglieder bestätigen – hören wir seit Langem, dass Monat für Monat die Gelder irgendwann angewiesen werden, ausbezahlt werden, doch bis heute Morgen ist weder ein Bescheid noch eine Zusage noch sonst irgendetwas eingegangen. Die Wohnungen sind seit Monaten mit Flüchtlingen belegt, alle Voraussetzungen sind erfüllt und ich appelliere daher noch mal an Sie, Herr Lauinger: Bitte setzen Sie dies endlich um! Dieser Tagesordnungspunkt nervt auch im Ausschuss langsam. Wir müssen es endlich umsetzen und vollziehen, darauf haben auch die Menschen vor Ort ein Anrecht, die hier in Vorleistung gegangen sind und diese Gelder verauslagt haben, um Menschen dezentral in Wohnungen unterzubringen.

(Beifall CDU; Abg. Gentele, fraktionslos)

Abschließend, verehrte Kollegen von der AfD, noch die Bitte: Das nächste Mal doch ein paar mehr Sachargumente an der Stelle, dann können wir auch gern über eine Bilanz diskutieren!

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Wir haben keine, Herr Herrgott!)

Herr Brandner, Sie haben Sachargumente, das weiß ich. Aber dann kommen Sie das nächste Mal hier vor und tragen die vor. Dann können wir auch miteinander diskutieren. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Danke schön, Herr Herrgott. Als Nächster hat Herr Abgeordneter Gentele das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, liebe Besucher! Bevor ich auf das Thema der AfD eingehe, möchte ich Folgendes sagen: Ich danke allen Bürgerinnen und Bürgern für ihren Einsatz im letzten Jahr zur Bewältigung der Flüchtlingsthematik, besonders den ehrenamtlichen Kräften, die Zeit und auch eigenes Geld zur Verfügung gestellt haben, um Menschen zu helfen. Großartig! Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Wir haben ein bewegtes Jahr hinter uns. Viele Menschen kamen zu uns, die Hilfe brauchten und noch

(Abg. Herrgott)

immer brauchen. Die angesprochene Willkommenskultur halte ich für richtig und wichtig. Wenn wir in Deutschland Krieg, Vertreibung und menschenunwürdige Zustände hätten, würden viele auch Schutz in einem anderen, besseren und sicheren Land suchen. Auch Sie, die Anhänger der AfD, würden fliehen und im Ausland Hilfe suchen – legal und illegal, wie Sie es gern sagen.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Sie sind hier als AfD-Abgeordneter eingezogen!)

Anstatt immer nur Angst und Hass zu schüren, fordere ich Sie auf: Helfen Sie aktiv mit, den neuen Bürgern in Thüringen einen guten Start zu ermöglichen. Machen Sie sich nützlich, denn der Steuerzahler bezahlt jeden Monat für Sie und Ihre Fraktion eine schöne Summe Geld!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Also arbeiten Sie mal nicht gegen, sondern für das Thüringer Volk und integrieren Sie Flüchtlinge. Nutzen Sie Ihre finanziellen Möglichkeiten und geben Sie beim nächsten Mal kein Buch gegen Islam aus, sondern ein Buch zur besseren Orientierung, besseren Verständigung und werben Sie für ein besseres Miteinander.

Sehr geehrte Damen und Herren, aus meinem persönlichen Umfeld weiß ich genau, wir haben in Thüringen mit der Integration sehr viel zu tun und noch viele Probleme. Wer dazu nähere Auskunft möchte, der möge sich an meinen Mitarbeiter wenden, der hat einen aus Syrien geflüchteten jungen Mann, ohne zu zögern, bei sich aufgenommen – ein gutes Signal an die Politik und die Politiker hier im Landtag. Er redet nicht nur darüber, er lebt Integration. Auch ich unterstütze diesen jungen Mann.

Zum Moscheebau in Erfurt: Was spricht dagegen, eine Moschee zu bauen? Leben wir nicht in Deutschland die Religionsfreiheit? Was soll dann dauernd das Gehetze? Zur AfD sage ich, es wird gehetzt, provoziert und der vermeintliche Volkswille vorangetragen. Radikale Bauernfänger wie Sie ziehen brandschatzend durch das Land und propagieren Hass und das Tausendjährige Reich – das gibt es nicht und das ist auch gut so –, gegen Menschen, denen es vor Jahren noch so ging wie uns

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Große Rede!)

und die heute vor Krieg, Gewalt, Hunger und Not flüchten. Sie flüchten auch vor den Bomben des Westens, vor einem Krieg, an dem der Westen genauso beteiligt ist wie die Terroristen des IS. Es ist abscheulich, wie Sie diesen Menschen begegnen. Wir sollten und müssen uns schämen, welches Verhalten Teile unserer Landsleute an den Tag legen. Eine aufgeklärte, humanistische Gesellschaft sollte anders reagieren, Herr Höcke. Gehen Sie mal in

sich und denken Sie über meine Worte nach. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen mir aus den Reihen der Abgeordneten nicht vor, sodass ich Herrn Minister Lauinger für die Landesregierung das Wort erteile.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, das letzte Jahr war ein Jahr großer Herausforderungen. Von den vielen Hunderttausend Menschen, die aus Not ihre Heimat verlassen und in Deutschland Schutz gesucht haben, sind fast 30.000 Menschen zu uns nach Thüringen gekommen. Im Mittelpunkt standen dabei zunächst die menschenwürdige Unterbringung sowie die gute Versorgung dieser Menschen mit dem Notwendigsten. Dass uns das gelungen ist, liegt vor allem daran, dass wir unmittelbar nach Regierungsübernahme im Dezember 2014 dafür Sorge getragen haben, vorhandene Strukturen deutlich auszubauen. Allein die Erstaufnahmekapazität haben wir mehr als verzwölffacht. Dass wir entgegen der meisten anderen Bundesländer keine Zeltstädte errichten mussten, zeigt, dass dieser Weg der richtige war. Die kommunale Familie hat in ihrer Zuständigkeit ebenfalls großartige Arbeit geleistet. Wir haben sie dabei unterstützt, ihre Aufgaben erfolgreich zu bewältigen, indem wir neben den Gemeinschaftsunterkünften auch Einzelunterkünfte mit einer Investitionspauschale aus Landesmitteln gefördert haben. Eine neue Förderrichtlinie bedeutet nun 25 Millionen Euro mehr für die Kommunen pro Jahr, damit sie weiter gute Arbeit leisten können. Es gebührt an dieser Stelle ganz vielen Menschen großer Dank, und ich bin nicht müde, dies voller Überzeugung auch an dieser Stelle nochmals zu erneuern.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es sind die unzähligen Haupt- und Ehrenamtlichen, aber natürlich auch unsere Thüringer Kommunen sowie unsere Landkreise und unsere kreisfreien Städte, die in hervorragender Weise ihren Teil dazu beigetragen haben, dass dies alles trotz der großen Herausforderungen und den damit verbundenen Unwägbarkeiten insgesamt so gut gelingen konnte. Ihnen allen nochmals von dieser Stelle herzlichen Dank dafür.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Abg. Gentele)

Wir haben damit gemeinsam gezeigt, dass wir nicht nur bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, sondern dies auch gewissenhaft tun. Wir verbinden diese Verantwortungsübernahme ganz ausdrücklich mit dem Streben, die aktuellen Herausforderungen als Chance für Thüringen wahrzunehmen, denn anders als einige wenige begegnen wir der Aufgabe, diejenigen, die bei uns bleiben, zu integrieren, damit, ihnen echte Möglichkeiten anzubieten, tatsächlich auch Teil unserer Gesellschaft zu werden und hier in Thüringen eine neue Heimat zu finden. Ich sage dabei ganz ausdrücklich: Ja, ich bin froh, dass so viele daran mitgewirkt haben, dass wir in Thüringen zu Recht von einer Willkommenskultur sprechen können.

Der nächste Schritt, den wir nun gehen müssen, heißt aber, eine Teilhabekultur zu schaffen, denn nur wer tatsächlich am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann, kann sich aktiv einbringen und mitgestalten. Die Eckpfeiler, dies zu ermöglichen, sind Sprache, Bildung, Arbeit und Wohnen. Alle vier befördern sich in meinen Augen gegenseitig. Ich habe es eben schon erwähnt: Wir haben zum ersten Mal die Möglichkeit geschaffen, dass auch die Schaffung von dezentralem Wohnraum gefördert wird. Wir stellen zusätzliche Mittel bereit, wo wir Handlungsbedarf sehen. Wir investieren in die Kitabetreuung, damit Kinder von Geflüchteten besser betreut werden können. Wir fördern das Projekt „Start Deutsch“ an mehreren Standorten in Thüringen, um die Förderlücke im bisherigen Sprachangebot bis zum Niveau A 1 zu schließen. Davon profitieren vor allem Menschen, die bislang keinen Integrationskurs besuchen durften, wie beispielsweise Afghanen. Wir denken und agieren flexibel, indem wir auch Rechtsgrundlagen so schnell und zielgerichtet überarbeiten, dass sie den aktuellen Herausforderungen gerecht werden. Es ist in Thüringen möglich, auch eine Pauschale zur Sozialbetreuung anerkannter Flüchtlinge an die kommunale Familie auszureichen. Zudem können dann auch mit der Investitionspauschale des Freistaats geförderte Unterkünfte genutzt werden, um anerkannte Flüchtlinge unterzubringen.

Zuletzt möchte ich denjenigen, die in dieser ganzen Debatte immer allein die Ausgabenseite betonen und die Augen vor den Chancen verschließen, Folgendes mit auf den Weg geben: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin hat kürzlich den Saldo aus positiven und negativen Wirtschaftseffekten der Flüchtlingsmigration für Deutschland errechnet. Unter Einbeziehung der direkten Kosten für Unterbringung, Versorgung und Integration der Flüchtlinge und späteren Sozialleistungen einerseits und der durch die Migration zusätzlich generierten Mehrproduktion andererseits ergeben sich mittel- bis langfristig auf alle Fälle positive Effekte.

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Was kostet denn eine Vergewaltigung, Herr Lauinger?)

Deshalb, liebe Abgeordnete, begreifen wir dies endlich auch als Chance, dass Menschen hierhergekommen sind, um hier in Thüringen zu leben und zu arbeiten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit den dritten Teil und rufe den vierten Teil der Aktuellen Stunde auf

d) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema: „MitteDeutschland-Verbindung elektrifizieren – Zukunft des Fernverkehrs in Ostthüringen sichern“ Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags - Drucksache 6/2591

Abgeordneter Kobelt erhält das Wort. Bitte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident, warum haben wir als Bündnis 90/Die Grünen dieses Thema heute auf die Tagesordnung genommen?

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Das haben wir uns auch gefragt!)

Am 03.08. hat sich das Bundeskabinett leider dazu entschlossen, die Mitte-Deutschland-Verbindung, die Elektrifizierung, den Ausbau nicht in den vordringlichen Bedarf aufzunehmen, so wie es RotRot-Grün aus den Fraktionen, aber auch die Landesregierung unter Ministerin Keller vorgeschlagen und versucht hat zu verhandeln. Das ist für uns als Grüne nicht hinnehmbar.

Wieso ist die Elektrifizierung von Bahnstrecken für uns so wichtig? Zum einen muss man sagen: Die Bundespolitik hat aus unserer Sicht eine falsche Priorität im Straßenbau gesetzt. So haben wir in Deutschland für die Infrastruktur im Schienennetz gerade mal 50 Euro pro Kopf und Jahr an Investitionen. Zum Vergleich kann man sich die Schweiz betrachten. 350 Euro investieren sie – das ist das Siebenfache an Investitionen – für eine Zukunftsbranche, für das Schienennetz. Das ist vorbildlich. Jetzt können natürlich viele sagen, die Schweiz hat auch viele Tunnel und man muss aufwendig Berg hoch und Berg runter. Aber nehmen wir zum Beispiel die Niederlande, die ja sehr einfach bebaubar sind, die haben immerhin das Dreifache an Investitionen pro Kopf und Jahr als Deutschland. Und da muss man

(Minister Lauinger)

ganz klar sagen: Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern im Bereich Schieneninfrastruktur Entwicklungsland.

Was sehen wir als Chancen? Wenn man die Klimaschutzziele – selbst die nicht sehr ambitionierten der Bundesregierung – umsetzen möchte, muss man in dem Verkehrsbereich rangehen. Der Verkehrsbereich ist sehr wichtig und es ist auch sehr mühevoll, das zu verändern. Zum Beispiel: Sie kennen die Diskussion, Biodiesel auf 10 Prozent Anteil am Dieselverbrauch zu erhöhen, wie ökologisch nicht sinnvoll das ist und was das auch für ein Riesenaufwand war, nur um 10 Prozent erneuerbare Energien beim Diesel zu erzielen. Da ist der Ausbau von Elektrifizierung viel effizienter. Wir haben in Deutschland gerade mal einen Stand von 58 Prozent an elektrifizierten Bahnstrecken. Die Schweiz, wieder als Beispiel, ist nahezu bei 100 Prozent. Das ist ein Riesenpotenzial. Jetzt sagen viele vielleicht: Wie kann man das bezahlen? Das kostet ja ein Vermögen, das zu erhöhen. Aber betrachtet man sich mal die Maßnahmen der Bundesregierung, was sie denn für ihre klimapolitischen Ziele vorschlägt – so ist zum Beispiel die Förderung von Elektromobilität zu sehen. Betrachtet man sich aber die Effizienz, muss man feststellen, dass gerade ein Elektroauto nach der Förderung pro Personenkilometer immer noch circa 100 Gramm an CO2 verbraucht. Ein Elektrozug ist gerade mal bei 5 Gramm. Also: Jeder Euro, den wir in die Elektrifizierung von Bahnstrecken stecken – zum Beispiel hier in Thüringen zur Stärkung Ostthüringens – ist 20-mal effizienterer Klimaschutz, als ein Elektroauto zu fördern.

Das ist auch eine große Chance für Ostthüringen und wir als rot-rot-grüne Koalition haben uns dazu entschlossen, im Haushalt 3 Millionen Euro für die Planung mit bereitzustellen und 30 Millionen aus EU-Mitteln bei Bedarf zur Umsetzung bereitzustellen. Mein herzlicher Dank gilt hier auch Frau Keller, die sowohl das in Haushaltsverhandlungen unterstützt, auch die Mittel in ihrem Haushalt bereitgestellt hat und die in mehreren Gesprächen in vielen Verhandlungen mit der Bundesregierung an einer Lösung arbeitet.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber leider ist die Lösung noch nicht spruchreif und deswegen brauchen wir eine breite Unterstützung für die Menschen in Ostthüringen, aber auch zur Stärkung des Bahnstandorts in Thüringen und für den Klimaschutz.

Da wünsche ich mir aber auch ein Engagement der CDU. Zum Beispiel ist Herr Mohring ja in vielen bundespolitischen Programmkommissionen unterwegs, es werden Theorien zur Zukunft Deutschlands erarbeitet. Und ich wünsche mir auch, dass die CDU da auch ganz praktisch was für Thüringen tut. Zum Beispiel können Sie mit Ihren CDU-Abge