Protokoll der Sitzung vom 10.11.2016

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: In eurer Lü- genveranstaltung! Da wurden Lügen verbrei- tet!)

Ja, auch das zeigt, wes Geistes Kind du bist. Eine Veranstaltung, wo wir mit den Bürgern ins Gespräch kommen und froh sind, wenn der Bürgermeister daran teilnimmt, die bezeichnest du hier als „Lügenveranstaltung“.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ein Bürger- meister war da!)

Das zeigt, dass die CDU nichts gelernt hat. Ihr habt nichts begriffen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihr habt nicht begriffen, warum ihr 2014 abgewählt wurdet.

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Wir wurden nicht abgewählt!)

Meine Leute! Ein Vorwurf, der im Raum war, ist, wir würden uns an dem ländlichen Raum vergreifen. Wir haben am Dienstag ein Argument dagegengesetzt, Wolfgang Fiedler. Im Gegensatz zu Sachsen verfügt Thüringen nicht über die Struktur klassischer großer Städte und großer Mittelstädte. Solche Städte wie Dresden oder Leipzig mit 550.000 Einwohnern haben wir nicht. Die Sachsen haben deswegen nach 1990 ihr Land ganz anders aufgebaut.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Die waren immer Königreich!)

Sie hätten nie eine Entwicklung gemacht, die sich im Kern gegen Dresden und gegen Leipzig richtet,

(Beifall DIE LINKE)

weil sie begriffen haben, dass diese Städte genauso wichtig für die Entwicklung im ländlichen Raum sind wie der ländliche Raum selbst.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Thüringen haben wir eine ganz andere Struktur. Da haben wir nur eine Stadt, die 200.000 Einwohner hat. Wir haben einen Großteil Kleinst- und Kleingemeinden und dazwischen sind noch ein paar Städte. Einer hat mal 20.000 Einwohner. Jemand hat mal 30.000 Einwohner, mal 50.000, 60.000 oder eine Stadt Gera, die um die 100.000 Einwohner hatte.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Wir haben die Fläche entwickelt!)

Lass mich doch jetzt mal ausreden, verdammt noch mal! Das ist doch keine Kultur, dass man hier nur rumschreit von da hinten!

(Unruhe CDU)

Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Fiedler, ich bitte Sie, sich zu mäßigen. Der Redner hat das Wort. Ich sage es jetzt zum wiederholten Mal.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ich lasse mich wohl von dem noch dumm anmachen!)

Sie haben Ihre Gelegenheit gehabt, das Wort hier zu ergreifen, und jetzt hat der Kollege Huster das Wort.

Danke, Herr Präsident. Herr Fiedler, wenn Sie das nicht aushalten, was ich sage, gehen Sie doch raus. Aber lassen Sie mir doch die Chance, dass ich in den verbleibenden Minuten meine Position hier darlegen kann.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was ich sagen wollte, Wolfgang Fiedler, was die CDU Thüringen in den 25 Jahren nur ungenügend – und ich behaupte, aus ideologischen Gründen – geschafft hat, nämlich eine Antwort darauf zu finden, wie wir einerseits den kleinsten und kleinen ländlichen Raum entwickeln, aber genauso dafür Sorge tragen, dass die Städte, die von 20.000, 30.000 bis 100.000 Einwohner haben, die wenigen Städte, sich auch adäquat entwickeln können und dass sie eine Umlandfunktion wahrnehmen können, die ihrer Funktion gerecht wird.

(Unruhe CDU)

Es ist doch nicht umsonst, dass Städte wie Gera, Eisenach und Suhl de facto finanz- und haushalts

politisch seit Jahren vom Land abhängig sind. Dass sie handlungsunfähig sind, das ist doch nicht nur auf eigene Fehler zurückzuführen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe CDU)

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Das glauben Sie doch selbst nicht, Herr Huster!)

Doch, ich glaube das. Sonst würde ich das hier nicht vortragen. Wenn Sie eine andere Meinung haben, dann gehen Sie doch hier vor und tragen Sie es vor, aber schreien Sie doch nicht ständig rein!

(Unruhe CDU)

Meine Damen und Herren, als zweites Argument, was uns immer auch bei den Veranstaltungen vor Ort entgegengebracht wird, wenn man über die demografischen Herausforderungen redet, heißt es dann: Na ja, wir müssen im Kindergarten eine neue Gruppe aufmachen; wir wachsen doch, wir haben doch mehr Kinder. Das mag sogar örtlich so sein. Aber man muss sich die großen Zahlen ansehen, damit man die Entwicklung versteht und die Herausforderung, vor der wir stehen. Wir haben zu DDR-Zeiten in etwa in Thüringen 35.000 Geburten gehabt. Wir sind nach der Wende aufgrund der Strukturbrüche abgebrochen in Richtung von 12.000 im absoluten Minimum. Viele kommunale Planungen – Schulnetzplanung, Kitabedarfsplanung – haben diese Entwicklung mit einer deutlichen Reduzierung der Plätze nachvollzogen. Jetzt haben wir eine erfreuliche Stabilisierung und sind mit dem Jahr 2015 auf 18.000 Geburten gewachsen. Und jetzt ist klar, dass mancher Bürgermeister und mancher Gemeinderat natürlich sagt, wenn sie auf Thüringen sehen: 12.000/18.000, das ist eine Entwicklung nach oben – wir wachsen doch. Aber es wird außer Acht gelassen, dass wir immer noch eine Entwicklung haben von ehemals 35.000 Geburten auf jetzt 18.000 Geburten. Es ist immer noch eine Halbierung und damit keine Reproduktion.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das bedeutet doch, wenn man sich das mal mit den Alterungsprozessen in der Gesellschaft anschaut, dass man sich dem stellen muss, dass wir älter und dass wir weniger werden und dass wir darauf hier eine Antwort geben müssen, wie wir künftig die Ressourcen, die uns im Landeshaushalt zur Verfügung stehen, so einsetzen, dass sie nicht alle in der Verwaltung gebunden werden, sondern dass wir noch eigentliche Landespolitik gestalten können im Bereich der Bildungspolitik,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

im Bereich der Sozialpolitik, im Bereich der Kulturpolitik und im Bereich der Infrastrukturpolitik für eine älter werdende Gesellschaft. Zum Beispiel, wenn ich nur an das Thema „Barrierefreiheit in der Wohnungswirtschaft“ denke,

(Beifall DIE LINKE)

da werden wir in den nächsten Jahren deutlich mehr Mittel aufwenden müssen. Deshalb haben wir die Verantwortung, hier über diese Verwaltungsstrukturen nachzudenken, meine Damen und Herren.

Weil es angesprochen ist – ich nenne nur ein Beispiel, wo ich mir ein Urteil anmaße: Man kann darüber unterschiedlicher Auffassung sein, aber was die Kreisfreiheit von Gera betrifft, das muss man einfach mal sehen. Es ist nicht mal die Verschuldungssituation das Problem der Stadt, sondern es ist die schwierige Sozialstruktur, es ist die schwierige Demografie und es ist ein Sterbefallüberschuss von circa 700 pro Jahr. Den müssten Sie durch Wanderung ausgleichen. Schaut man weiter in den Landkreis Greiz und Landkreis Altenburg, stellen Sie fest: Der Sterbefallüberschuss ist derselbe. Das heißt, die gesamte Region im östlichen Ostthüringen verliert pro Jahr 2.000 Einwohner und sie wird eine der ältesten Regionen in Europa sein. Und um überhaupt mit Blick auf das Ziel für Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen sorgen zu können, da muss man doch sehen, dass die in der jetzigen Struktur zu dritt so überhaupt nicht weiterleben können, nicht weiterwirtschaften können. Die Kreisfreiheit der Stadt Gera, das mag für einige Akteure nur ideeller Wert sein. Aber man muss sehen, die haben einen Kassenkredit von 49,5 Millionen Euro. Die haben in den letzten vier Jahren vom Land Thüringen 35 Millionen Euro Bedarfszuweisungen bekommen, so viel wie keine andere Gemeinde in Thüringen. Da muss man sich doch auch mal vor Ort die Frage stellen, wenn man jetzt Veränderungen nicht möchte, wie möchte man denn überhaupt noch mal in einem Jahr nur einen genehmigungsfähigen Haushalt bekommen, sodass die Wirtschaft spätestens im Februar die Aufträge bekommt und die Region voranbringt? Das beantwortet keiner der Kritiker, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun lassen Sie mich an dieser Stelle noch sagen: Natürlich ist man, wenn man öffentlich sagt: „Überlegt euch das mal, es gibt sehr gute Argumente gegen die Kreisfreiheit!“, nicht unbedingt Mamas Liebling und wird von allen hofiert. Das muss man auch aushalten, wenn man eine Reform will und Veränderungen will. Aber dort wird mit Begriffen agiert und da wird mit Vorwürfen agiert, die jenseits jeglicher Realität sind.

Herr Henke, zu Ihrem Vorwurf: Ich weiß nicht, woher Sie das haben, dass in der letzten Erklärung des Stadtrats drei Landtagsabgeordnete zugestimmt hätten. Das ist schlichtweg falsch, es gibt im Geraer Stadtrat nur zwei Landtagsabgeordnete, nämlich Herrn Hausold und mich. Herr Hausold war in der letzten Woche krankheitsbedingt abwesend und ich habe vorher erklärt, dass ich keinem Stadtratsantrag zustimmen werde, in dem das Wort „kreisfrei“ in Bezug auf Gera drin ist. Mit anderen Worten: Aus Ihrer Behauptung, dass drei MdL zugestimmt hätten, wird am Ende in Wirklichkeit: Es hat kein einziger zugestimmt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind nicht mal seriös und korrekt, wenn Sie hier Behauptungen in den öffentlichen Raum bringen.

Meine Damen und Herren, auf Thüringen bezogen: Wir haben immer gesagt, Herr Mohring, es wäre wünschenswert, dass es bei diesem schwierigen Thema einen parteipolitischen Konsens unter den demokratischen Fraktionen und Parteien in Thüringen gäbe.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir haben darum geworben und wir haben Ihnen, als wir in der Opposition waren, dieses Angebot gemacht. Machen Sie diese Reform, machen Sie sie mit uns. Wir sind bereit, auch diese schwierigen Themen anzugehen. Wir haben deshalb auch darauf verzichtet, den Leuten wohlfeile Antworten, populistische Antworten zu geben, sondern wir haben gesagt, dass für dieses Land diese Reform notwendig ist. Sie haben sich diesem Konsens verweigert aus rein parteipolitischen Erwägungen. Und ich spitze zu: Sie haben Ihre damalige Ministerpräsidentin im Regen stehen lassen. Die Einsicht, dass diese Strukturreformen wichtig sind, die war nämlich auch bei einigen Akteuren von Ihnen dagewesen. Sie – Leute wie Herr Fiedler und Frau Schweinsburg – haben Ihre Ministerpräsidentin im Regen stehen lassen. Deshalb ist der Druck noch größer geworden, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe CDU)

Und wir wissen, werte Kollegen, dass auch wir parteipolitisch nicht unbedingt Blumen dafür bekommen, zumindest, dass es ein Risiko gibt. Aber wir haben Sie seit zehn Jahren dafür kritisiert, dass Sie diesen Mut nicht haben, dass Sie das parteipolitische Wohl über das Wohl des Landes stellen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)