Insgesamt sind die Ergebnisse des Monitors in der Frage „Flüchtlingspolitik“ ambivalent, das haben auch meine beiden Vorredner schon gesagt.
Äußerst positiven Werten, wie der Auffassung von über drei Vierteln der Befragten, Flüchtlingen sollten legale Möglichkeiten der Einreise nach Deutschland eröffnet werden, stehen Vorstellungen restriktiver Asylpolitik und vorurteilsbehaftete Befürchtungen der Thüringer Bevölkerung gegenüber,
die mit der realen Situation nicht korrespondieren. Ich interpretiere das so: Sie wollen keine Mauern um Europa, nicht mehr Tausende Tote wöchentlich im Mittelmeer oder über die Monate und Jahre hinweg. Die Menschen wollen keine Schüsse auf Frauen, Kinder, Männer an einer möglichen Grenze, aber sie möchten eine geregelte Einwanderung. Ich erinnere daran, wer die Regeln für Asyl und für Einwanderung macht und wer im vergangenen Jahr die Regeln für das Beantragen von Asyl, Asylregeln generell massiv verschärft hat.
Ich erinnere daran, dass der Deutsche Bundestag darüber entscheidet, welche Länder als sichere Herkunftsstaaten gelten und welche nicht. Es befremdet mich schon sehr, wenn innerhalb eines Jahres oder innerhalb von Tagen und Wochen vormals unsichere Herkunftsstaaten, in die nicht abgeschoben werden soll, zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden.
Kurzum: Die gemessenen Werte zeigen, dass Politik Begegnen und Kennenlernen ermöglichen muss, dass Politik Regeln zur Einwanderung schaffen muss. Auch wir als Linke werden einen eigenen Vorschlag auf der Bundesebene zum Thema „Einwanderung für alle ermöglichen“ machen. Die Realität in Thüringen bietet eigentlich von den Fakten her auch 2015 kaum Anlass für Befürchtungen. Dazu hat das Handeln der Landesregierung, der Kommunen und der ehren- und hauptamtlichen Helfer in der Frage von Unterbringung und Integration sehr beigetragen und dafür meinen herzlichen Dank.
Zum Schluss: In unserer Gesellschaft sind Räume von Unsicherheit und Ängsten entstanden. Das Grundproblem ist nicht die Zuwanderung von Flüchtlingen, sondern die Gerechtigkeitsfrage in unserer Gesellschaft. Eine ausgewogene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung für alle hier lebenden Menschen ist die zentrale Aufgabe von Politik. Sicherheit empfinden die Menschen durch ein sicheres soziales Gefüge und einen handlungsfähigen Staat. Rot-Rot-Grün in Thüringen steht mit seinem Handeln für mehr soziale Gerechtigkeit und die Gestaltung des demokratischen und ökologischen Wandels.
Anders als andere hier im Raum ziehen wir uns vor Problemen nicht zurück, sondern wir stellen uns ihnen.
Was ist aus unserer Sicht nötig? Erstens: Wir brauchen vor allem eine Politik, die gestalten will und gestalten kann. Wir haben mit Bodo Ramelow als Ministerpräsidenten einen Garanten dafür, dass wir an der Spitze der Landesregierung einen Menschen haben, der Kompetenz und Lösungswillen vereint.
Zweitens, mit dem Blick auf den Thüringen-Monitor: Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, in einem der nächsten Thüringen-Monitore dezidiert die regionale Verteilung von sozialer und ökonomischer Ungleichheit und ihre Auswirkungen auf demokratische Teilhabe zu untersuchen. Angesichts der hohen Wahlenthaltungen halte ich das für ein dringendes Thema.
Drittens, ich hoffe, der Appell von Bodo Ramelow aus seiner Regierungserklärung an die CDU fruchtet: Sie sollten endlich die Dämme nach rechts hochziehen. Wer konservative Politik allerdings nur auf Patriotismus, Deutschlandkrawatten und Radaurhetorik reduziert, erweist unserer Demokratie keinen guten Dienst.
Die Thüringer CDU muss selbst wissen, was sie für richtig hält. Aber aus Sorge um die Demokratie und die Freiheit müssen wir uns bei gewissen Fragen über Trennendes hinweg gemeinsam für Demokratie einsetzen.
Viertens: Politik und Gesellschaft müssen sich stärker als bisher der Frage von Altersgerechtigkeit widmen. Angesichts von schlechten Löhnen, prekärer Arbeit und Erwerbslosigkeit in den letzten Jahren und Jahrzehnten ist die Frage der Alterssicherung für heutige Rentner, aber vor allem für künftige Rentner ein ganz wichtiges Thema.
Hier muss der Staat eine Sozialgarantie leisten. Ich habe erst vor wenigen Tagen das Gespräch mit einem Bürger gehabt, ein Rentner, der nach 40 Jahren Arbeitszeit 670 Euro Rente bekommt, der jetzt sein Haus verkaufen muss, was er im Moment nur noch halten kann, weil er unter anderem Zeitungen austrägt und meint, er muss bis zum Ende seines Lebens arbeiten, um überhaupt 1.000 Euro im Monat für sich zu haben. Das ist eine Bankrotterklärung eines Sozialstaats, das können wir nicht dulden. Also her mit der Sozialgarantie und mit Taten!
Fünftens: Angesichts der Erfahrungen von Abwertung und struktureller Benachteiligung brauchen wir eine politische Offensive zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West, und zwar in den Bereichen Rente, Löhne, Arbeitsplätze, Infrastruktur, Wissenschaftsstandorte.
Sechstens: Wir brauchen ein Gesetz für legale Wege der Einwanderung auch in Deutschland. Ich habe es vorhin schon gesagt: Auch die Linke wird ihren Beitrag dazu leisten.
Siebentens: Wir brauchen eine andere und gerechte Steuer- und Finanzpolitik im Bund, damit unsere Kommunen und die Länder endlich wieder handlungsfähig werden.
Hier erleben die Menschen tagtäglich, ob sich Politik und Verwaltung um ihre Interessen, Bedürfnisse und Sorgen kümmern. Ist der Spielplatz für die Kinder in Ordnung? Sind die Kita als auch die Schule gut? Gibt es genug Schüler, Polizistinnen? Ist das Freibad noch auf oder kann das Theater noch bezahlt werden? Wie funktionieren Straße und Nahverkehr für die Arbeit, für den Weg zur Arbeit? Gibt es genug Arbeitsangebote im Ort? Gibt es genügend Ärzte? Gibt es Angebote für die Freizeit? Hier beweist sich, ob Vertrauen in Institutionen und Politik gerechtfertigt ist oder nicht.
Achtens: Mit der Neuausrichtung des Landesprogramms der neuen Jenaer Dokumentationsstelle für Menschenrechte, Grundrechte und Demokratie und den weiteren Maßnahmen gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit durch Rot-Rot-Grün ist ein guter Weg eingeschlagen, um auf die Bedrohung von rechts zu reagieren. Das müssen wir fortsetzen. Mit den Ermittlungen gegen die Schläger von Ballstädt oder der jüngsten Razzia gegen Blood and Honour Südthüringen hat die Thüringer Polizei gezeigt, dass sie aktiv gegen rechte Straftäter vorgeht.
„Keine Toleranz für rechte und rassistische Gewalt“ ist ein notwendiges Signal, das die Behörden ausstrahlen müssen, und ich bedanke mich bei der Thüringer Polizei für diese Konsequenz.
Es gilt, alle Menschen zu ermutigen, sich gegen rassistische, nationalistische und antisemitische Positionen zu stellen. Wenn eine laute Minderheit Woche für Woche einem rassistischen Hassprediger hinterherläuft und Angsträume schafft, ist es,
Bevor ich dem Abgeordneten Hey das Wort erteile, bitte ich die Parlamentarischen Geschäftsführer mal zu mir.
Frau Präsidentin, vielen Dank. Meine sehr geehrten Damen und Herren, da kann jemand vor diesem Hause brüllen, wie er will, hier drin geht alles seinen gewohnten Gang. Auch das ist ein Wert an sich.
Ich möchte zum eigentlichen Thema sprechen, dem Thüringen-Monitor. Aber bevor ich zu den Auswertungen der vielen Befragungs- und Umfragewerte komme, will ich Ihnen eine Begegnung schildern, die ich vor Kurzem in meinem Bürgerbüro in Gotha hatte; das liegt relativ zentral am Rathaus. An Wahlkreistagen kommen da immer die Leute vorbei, manche mit, manche ohne Termin. Neulich war ein älterer Herr bei mir. Wir kennen uns, weil wir uns immer mal beim Fußball sehen, ich nenne jetzt keine Namen, das tut auch nichts zur Sache. Mit dem hatte ich einen Dialog, den ich kurz wiedergeben möchte, weil ich glaube, dass das sehr entscheidend ist und ziemlich prägnant auch für die heutige Debatte. Ich glaube, wenn ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, das jetzt erzähle, kommt Ihnen das sehr bekannt vor. Der ältere Herr sagte also: „Ich bin ja kein Rechter, weiß Gott nicht. Ich sage Ihnen das jetzt aber mal ganz deutlich: Mit den ganzen Flüchtlingen, das nimmt doch langsam überhand.“ Ich habe zurückgefragt: „Sie meinen jetzt, wie die sich benehmen, oder meinen Sie die Menge an Leuten?“ Da hat er gesagt, er wohnt Am schmalen Rain – das ist ein Wohnviertel bei uns –, da gibt es keine Flüchtlinge und sonst in Gotha gibt es auch nicht viele. „Wenn ich mal ab und zu welche sehe, dann muss ich sagen, die verhalten sich ja eher unauffällig.“ Ich habe dann gesagt: „Ja, selbst den alten Praktiker-Baumarkt bei uns in Gotha hat man als Erstaufnahmeeinrichtung wieder geschlossen, es sind wirklich nicht mehr viele hier.“ „Aber das werden“, sagte er dann, „demnächst Millionen. Wenn die ihre ganzen Frauen und Kinder und Tanten und die ganze Familie herholen, das nimmt doch überhand.“ Dann sagte er: „Im Fernsehen sieht man immer nur, dass die in Syrien alles kurz und klein hauen, das ist doch Schimpf und
Schande.“ „Ja“, habe ich gesagt, „deshalb flüchten die ja auch aus Syrien.“ „Ja“, sagte er, „aber dann sollen die dort unten erst mal Frieden machen, aber das will ja der Amerikaner nicht.“ Da habe ich gesagt: „Ja, aber die Kampfeinsätze der Russen in Syrien, das versteht doch mittlerweile auch keiner mehr.“ Da hätte ich schon recht, sagte der ältere Herr, „aber der Amerikaner, der hatte doch da jahrelang auch seine Hände mit im Spiel, überall hat der seine Hände mit im Spiel. Das müssten die im Fernsehen mal bringen, aber das ist doch alles zensiert, darüber darf man ja gar nicht reden.“ Ich habe gesagt: „Ich weiß nicht, ob das jetzt wirklich alles zensiert ist, aber darüber reden können Sie doch.“ „Ja, mit Ihnen vielleicht“, sagte er, „aber draußen kann man so was gar nicht mehr sagen, man wird ja sofort in irgendeine Ecke gestellt.“ So ging das eine ganze Weile hin und her. Ich glaube, wenn Sie auch Bürgersprechstunden abhalten oder generell mit Leuten ins Gespräch kommen, dann kennen Sie das alles haargenau. Ich komme gleich auf den älteren Herrn zurück, weil seine Aussagen oder seine Annahmen unter anderem das sind, was sich auch in diesem Thüringen-Monitor widerspiegelt.
In diesem Jahr trägt der Thüringen-Monitor den Titel „Gemischte Gefühle“. Ich kann den Autoren nur zu diesem Titel gratulieren. Wer diesen ThüringenMonitor gelesen hat, der wird auch wissen, warum ich das sage. Zwischen den beiden Thüringen-Monitoren, also in diesem Erhebungszeitraum eines Jahres, hat sich – ich glaube, das sagen zu dürfen – unser Land verändert. Oder besser gesagt: Wie eine Debatte, wie eine Diskussion über ein bestimmtes gesellschaftliches Ereignis geführt wird, das ist etwas ganz anderes als noch vor drei oder fünf oder beispielsweise vor zehn Jahren. Ich möchte gern mit dem beginnen, was wohl als Faktenlage ziemlich klar skizziert wird. Der Rückgang des Rechtsextremismus in Thüringen ist eine erfreuliche Entwicklung, das wird auch so im Thüringen-Monitor bewertet. Aber hier muss man schon klar unterscheiden: Gemeint ist der Rückgang von rechtsextremen Ansichten. Im Thüringen-Monitor wird darauf ausdrücklich verwiesen, aber es wird auch eindeutig klargestellt, gleichzeitig gibt es keinen Rückgang im Zusammenhang mit rechtsextremen Gewalttaten. Das klingt jetzt verwirrend. Aber ob eine Gesellschaft zu einem gewissen Prozentsatz rechtsextreme Ansichten hat oder ob rechtsextreme Gewalt vorkommt, sind eben zwei unterschiedliche Seiten, manchmal auch ein und derselben Medaille. Das ist eben einer der auffälligen Punkte: Erfreuliches auf der einen Seite, Ernüchterndes auf der anderen Seite. „Gemischte Gefühle“ – mein Vorredner, der Ministerpräsident, hat es ja auch bereits gesagt –, treffender hätte man diesen Titel, wie gesagt, nicht finden können.
Bei vielen Punkten wird es noch verwirrender, bei beiden maßgeblichen Hauptteilen des ThüringenMonitors. Der ist ja aufgeteilt in die Frage um Migration, Asyl und Flüchtlinge und um die Einstellungen zur Politik und zur Demokratie. Ich denke, der Arbeitstitel „Gemischte Gefühle“ ist auch deswegen so gewählt, weil viele der Umfrageergebnisse einen ziemlich ratlos zurücklassen. Das liegt daran, dass diese Ergebnisse, wenn man sie in bestimmte Sachzusammenhänge stellt, gar nicht so richtig zueinanderpassen. Nehmen wir mal die Werte aus den Befragungen, die sich damit beschäftigen, was Menschen für Erfahrungen bei Begegnungen mit Asylsuchenden haben. „Das war überwiegend positiv“, sagen vor allem jüngere und höher qualifizierte Leute. Umgekehrt urteilen ältere Menschen und zum Beispiel Arbeitslose. Immer wieder wird im Thüringen-Monitor darauf verwiesen, dass es eher negative Auffassungen bei diesem Themenfeld bei denen gibt, die sich selbst als – ich sage jetzt mal – die zu kurz Gekommenen in dieser Gesellschaft betrachten. Das sind – so sagen es die Fachleute – die sogenannten Deprivierten. Aber jetzt kommt es, meine Damen und Herren: Ein Großteil der Befragten hatte eigentlich gar keinen Kontakt mit Flüchtlingen. Die äußern sich trotzdem und sagen gut zur Hälfte, sie hätten positive Erfahrungen. Jeder Fünfte – also rund 20 Prozent – sagt aber auch, er habe negative. Das ist auf beiden Seiten betrachtet absolut surreal, weil man ja nicht durch eigene Erfahrung bewertet, sondern oft durch Stimmungsbilder, die man hat, also durch Stereotype, manchmal auch vom Hörensagen.
Das gleiche Phänomen beobachten wir, wenn es um die Frage geht, ob durch die Flüchtlinge eine gefährliche Überfremdung droht. 16 Prozent der Befragten fühlen sich generell durch die Aufnahme von Flüchtlingen bedroht. Wiederum 84 Prozent sagen: „Nein, ich fühle mich nicht bedroht, weil Deutschland im letzten Jahren so viele Flüchtlinge aufgenommen hat.“ Gleichzeitig sagen mehr als die Hälfte der Befragten, sie hätten Angst vor einer Überfremdung. Sie erinnern sich an den älteren Herrn bei mir im Bürgerbüro. „In Gotha selbst gibt es zwar wenige Flüchtlinge, aber bestimmt nimmt das alles noch mal überhand“, sagt der immer. Wenn man beim Thüringen-Monitor diese Frage dann noch ausdifferenziert, wird es noch interessanter. Ich muss wieder an meinen Gesprächspartner in Gotha denken. Dieser hohe Wert – mehr als 50 Prozent der Befragten – gilt bei der Angst vor Überfremdung mit einem Bezug auf Deutschland, also allgemein. Wenn man jetzt fragt, ob das auch für Thüringen zutrifft, sagt nur noch ein Viertel der Befragten dazu Ja. Wenn man fragt, ob denn die Ängste auch für das eigene Wohnumfeld bestehen, dann sehen das nur noch 7 Prozent der Befragten. Das heißt, je allgemeiner man also das Thema betrachtet, umso größer wird die Angst. Je näher man hinschaut, bis zum eigenen Wohnumfeld, umso
kleiner ist sie. Es geht also hier um eine Art gefühlte Bedrohung, nicht in der Nachbarschaft, sondern eher da draußen in Deutschland.