Protokoll der Sitzung vom 25.01.2017

Ich habe gesagt, dass wir die drohenden Gefahren für Bürgerinnen und Bürger in Thüringen sehr ernst nehmen, aber wir halten und haben nichts von Scheinlösungen. Erschrocken war ich an der Stelle, Herr Kollege Fiedler,

(Beifall DIE LINKE, SPD)

wo Sie eigentlich schon so fast in AfD-Manier gesagt haben, die Flüchtlinge sind schuld an der Zunahme von Kriminalität und terroristischer Bedrohung.

(Beifall DIE LINKE)

(Abg. Fiedler)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das ist nicht wahr! Das können Sie noch dreimal behaup- ten und es wird immer noch nicht wahr!)

Das ist nicht richtig.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir haben gerade im Bereich des islamistischen Terrorismus den Befund, dass 50 Prozent der bisher festgestellten Gefährder sogar die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Das ist so schlecht!)

und dass es sich um Leute handelt, die sehr lange hier gelebt haben und die sich erst hier radikalisiert haben. Im Übrigen ist dieses Phänomen auch bei Terroristen in anderen europäischen Ländern zu beobachten gewesen – Frankreich, Belgien. Das Verstörendste an der ganzen Sache ist doch, dass diese Täter, die dort dann leider in Erscheinung treten, alle immer vorher schon bekannt gewesen sind. Jetzt auch bei dem Fall des schrecklichen Attentats in Berlin am Breitscheidplatz auf dem Weihnachtsmarkt: Anis Amri war den Behörden bestens bekannt. Er soll sogar Informationen geliefert haben, ein gut getarnter Informant gewesen sein. Man hat ihm Umzugshilfe nach Berlin geleistet – ausgerechnet. Das ist natürlich erschreckend und schlimm auch für die beteiligten Behörden, hier eine solche Fehleinschätzung getroffen zu haben. Dann ist aber doch nicht die Frage: Muss ich den Radarschirm noch ausweiten? Sondern: Wenn ich diese Gefährder habe, wie komme ich dann zu einer solchen Fehleinschätzung? Darum müssen wir uns alle gemeinsam kümmern. Das tun wir als Sozialdemokraten und auch hier in der Koalition sehr gern. Wie kann man genauer erkennen, wer wirklich Gefährder ist und wie man solche Leute besser überwachen kann? Ich sage es noch einmal, die ganzen Täter – und das können Sie sich wirklich anschauen – waren alle vorher schon auf dem Schirm von Behörden. Deswegen kann man zwar Videoüberwachung ausdehnen oder auch vielleicht noch mehr Vorratsdaten sammeln, aber das ändert nichts daran, dass diese Leute bekannt waren.

Terrorismus hat auch nichts mit Nationalität oder Religion zu tun. Terrorismus entspringt der Feindschaft zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, und da, Herr Kollege Fiedler, haben Sie auch recht. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Sicherheit durch mehrere Phänomenbereiche gefährdet wird. Sie haben die Reichsbürger genannt. Gerade heute läuft eine bundesweite Durchsuchung von militanten Reichsbürgern, die verdächtigt werden, Anschläge vorzubereiten – antisemitische Anschläge, aber auch Anschläge insbesondere auf Polizisten und auf Staatsdiener oder staatliche Institutionen. Wir haben aber auch hier in

Thüringen Kriminalität gehabt. Wir sind bisher nicht von Terrorismus verschont gewesen. Vielleicht klappt die klassische Polizeidefinition nicht, aber den Überfall in Ballstädt, der sich jetzt vor nunmehr fast zwei Jahren ereignet hat, würde ich durchaus als eine Art terroristisches Attentat einschätzen. Es war jedenfalls eine der schwersten Straftaten, die wir hier in Thüringen erlebt haben. Ich erinnere Sie daran, Anfang Februar 2015 haben 14 Tatverdächtige – der Prozess läuft nun und ist jetzt schon ins zweite Jahr gegangen –, die Kirmesgesellschaft in Ballstädt überfallen. Es wurden zehn Leute verletzt, zwei davon sehr schwer. Dieser Überfall war vorbereitet, abgesprochen, geplant. Das ist eine sehr üble Angelegenheit. Auch der Überfall auf die MaiKundgebung im vorletzten Mai in Jena, von Jungen Nationaldemokraten gesponsert, war auch wirklich eine schlimme Straftat. Deswegen drohen uns hier Gefahren von vielen Bereichen.

Die militanten Reichsbürger sind genannt worden. Auch ich will noch einmal auf sie hinweisen und will auch hier an der Stelle unserem Verfassungsschutz ausdrücklich danken, der diesen Phänomenbereich früher als andere in den Blick genommen hat. Es ist in der Tat so, dass wir zu einer relativ hohen Anzahl von Reichsbürgern hier in Thüringen kommen. Aber es zeigt sich jetzt in anderen Ländern, die ähnliche Meldesysteme eingeführt haben, dass auch diese eine entsprechend hohe Zahl aufweisen. Wir haben aber nicht nur Leute, die bereits durch hohe Gewaltbereitschaft und Gewalttaten hier in Erscheinung getreten sind, auch in Thüringen. Wir haben – das muss auch hier an der Stelle erwähnt werden – auch eine geistige Brandstiftung, die erneut Ausmaße angenommen hat, die wir uns früher nicht vorstellen konnten, dass es sie geben würde, und die geistige Brandstiftung – das wurde heute auch noch angesprochen –, auch für diese Bereiche brauchen wir eine entschiedene Reaktion der Staatsgewalt, aber auch eine umfassende gesellschaftliche Ächtung. Und wenn ein Herr, der hier rechts sitzt und sich Fraktionsvorsitzender einer hier im Parlament vertretenen Partei nennen darf, dann in Dresden auftritt und er auf ein geneigtes Publikum trifft, das schon allein, wenn zum Beispiel der Name Roman Herzog genannt wird, gleich in den Ruf „Volksverräter“ ausbricht, und dann der Herr, der hier bei uns sitzt, diese dumpfen Gestalten als „Spitze einer neuen von Dresden ausgehenden Bewegung“ lobt, dann frage ich mich: Wo soll es eigentlich hier noch hingehen?

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man sich dieses Video mal bis zum Ende anschaut, die hoch gelobten Volksgenossen, die haben am Ende die Nationalhymne so schräg gesungen, dass ich mich da an Ihrer Stelle, Herr Höcke, schon dafür allein geschämt hätte.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind jetzt bei den sicherheitspolitischen Maßnahmen für Thüringen, wir brauchen sie. Wir brauchen eine Professionalisierung und wir brauchen Unterstützung für die Sicherheitsbehörden. Aber wir müssen nicht nur ideologisch reagieren, mit den üblichen Schlachtgesängen, sage ich jetzt mal, auf allen Seiten, sondern wir müssen auch immer die Tauglichkeit der Mittel prüfen. Wir brauchen eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden, das ist richtig. Wir haben hier die Thüringer Informations- und Auswertungszentrale, die TIAZ, auf eine rechtliche Grundlage gestellt. Da müssen wir aber auch mal schauen, ob der Informationsaustausch wirklich so funktioniert, wie wir uns das wünschen.

Zu den V-Männern und -Frauen: Eine ganz, ganz wichtige Forderung, um Gewalttaten aufklären zu können, ist, dass man den Quellenschutz nicht als Hindernis für Strafaufklärung einsetzen darf. Das ist hier in Thüringen massiv geschehen. Und auch wenn Herr Fiedler meint, wir sollten jetzt mal mit der NSU-Aufklärung zu Ende kommen: Wir haben gerade erst diese Woche die wirklich erschütternde Auskunft bekommen, von Leuten, die sich in den Unterlagen besser auskennen als wir, weil dieselben noch nicht angefordert waren, dass es im Falle eines ungeklärten Kindsmordes, nämlich an dem jungen Bernd Beckmann in Jena, einen Tatverdächtigen gegeben hat, bei dem man sogar das Tatwerkzeug gefunden hat, aber den man aus unerklärlichen Gründen dann nicht weiterverfolgt hat, obwohl er auch kein Alibi hatte und wenige Meter oder 200 Meter entfernt von dem Fundort des Jungen auch eine Garage angemietet hatte, in ziemlich naher Nachbarschaft übrigens von der späteren Sprengstofffundgarage. Und dieser Tatverdächtige, der aus dem rechtsextremen Spektrum stammt, aus dem weiteren Umfeld des NSU, der wurde im Münchner OLG-Prozess vernommen und hat auf die Frage, ob er V-Mann gewesen sei, gesagt, dass er sich daran nicht erinnere. Also wenn Sie so etwas hören, dann wird es einem schlecht und dann wissen Sie, dass V-Leute nur dann geeignet sind, für Sicherheitsbehörden Zuarbeiten zu leisten, wenn im Zweifel nicht der Schutz ihrer Identität oder ihrer Zuarbeit für den Verfassungsschutz über die Aufklärung von Kindermord geht. Das werden wir noch zu klären haben.

Mehr Polizei, das werden wir auch in Thüringen umsetzen und auch einen professionell arbeitenden Verfassungsschutz. Dafür stehen wir auch als Sozialdemokraten hier ein.

Kommunale Präventionsarbeit ist aber ebenfalls wichtig. Wir haben gehört, wir haben Islamisten, aber wir haben Rechtsextreme hier in Thüringen speziell, wir haben militante Reichsbürger und ja, es kommt die Forderung nach Fußfesseln, auch in

meiner eigenen Partei. Aber das sind alles solche Schnellschüsse. Da muss man mal genau gucken. Also die Fußfessel ist eigentlich ein Instrument, das erfunden wurde, um Straftäter, die im Strafvollzug einsitzen müssten, aus Kostengründen und weil man sie nicht für ganz so gefährlich hält, mit der Fußfessel herumlaufen zu lassen. Uli Hoeneß war das prominenteste Beispiel, der durfte relativ schnell in den offenen Vollzug und hat wohl auch so ein elektronisches Teil getragen. Damit können Sie natürlich jemanden, der eine solche Fußfessel hat, tracken, also so ähnlich, als wenn Sie Ihr Handy mit sich führen. Und jetzt müssen Sie alle ganz stark sein: So eine Fußfessel ist genau wie ein Handy, die hat einen Akku. Der Akku ist irgendwann leer und muss geladen werden und insofern muss der Fußfesselträger nach dem derzeitigen Stand so weit mit den Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten, dass der seinen Akku immer freiwillig auch auflädt bzw. seinen Ersatzakku immer rechtzeitig einsetzt. Wenn er das nicht macht, gibt es irgendwie einen Signalton und dann können die Sicherheitsbehörden sagen: „Oh, jetzt hat der sich hier aus dem Schirm wegbewegt, jetzt müssen wir mal gucken, wo er ist“, und ihn dann möglicherweise doch wieder einsperren. Also das ist die Fußfessel im derzeitigen Gewand und deswegen stellen sich viele auch vollkommen falsche Möglichkeiten vor.

(Beifall DIE LINKE)

Einen Selbstmordattentäter wird auch die Fußfessel nicht weiter stören, weil er ja sozusagen bei seiner Tat erwischt werden will, er lässt ja dann auch noch seinen Ausweis zurück, damit möglichst sein Name in der Zeitung erscheint und er sich auf seine angeblichen Jungfrauen freuen kann. Das sind alles Dinge, ich will das gar nicht kaputt reden und will auch gar nicht sagen, dass die ungeeignet sind – aber wenn eine Fußfessel, dann vielleicht eher noch für Rechtsextreme und militante Reichsbürger, weil die, auch wenn die die Dinger nicht tragen, nicht gleich einen Anschlag begehen und man sie vielleicht rechtzeitig wieder einfangen kann.

Aber es gibt ganz andere Präventionsmöglichkeiten gegen Terrorismus, die wir auch mal in Betracht ziehen sollten. Wir wollen jetzt immer Abschiebungen beschleunigen, wir wollen Transitzonen einrichten, aber das hilft nicht gegen Leute, die sich hier sozialisiert haben. Es gibt allerdings eine andere Idee aus Brandenburg, ob man bei Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte, die extrem zugenommen haben und die eine Herausforderung für Polizeiarbeit darstellen, ein Präventionsmittel dergestalt hat, dass man einen Ausweisungsschutz für Opfer von derartigen Anschlägen vorsieht, also dass Täter, die solche Leute weghaben wollen, gerade damit rechnen müssen, dass solche Leute, die Anschlagsopfer werden, erst mal hierbleiben dürfen. Das ist in Brandenburg schon gemacht worden und

das ist auch sehr wichtig, weil die Strafverfolgung sonst gar nicht funktionieren kann. Wenn Opfer schon weg sind, dann kann der Täter gar nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden.

Wir haben wirklich viel zu tun, auch im Bereich der verbesserten Ausstattung von Sicherheitskräften. Wir nehmen die Aufgabe an. Wir werden das auch im nächsten Doppelhaushalt, so hoffe ich sehr stark, abbilden können. Und zu den vielen Anträgen, die Herr Fiedler genannt hat – auch an dieser Stelle noch mal –, hat ein Haushaltsantrag leider gefehlt. Wir werden diesmal sicherlich einen haben.

Abschließend möchte ich noch mal darauf hinweisen: Erst im Zusammenspiel von Prävention, Stärkung des inneren Zusammenhalts der Gesellschaft und der professionellen Arbeit einer gut ausgebildeten und ausgestatteten Arbeit von Polizei, Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaft und Justiz entsteht tatsächlich ein höheres Maß von Sicherheit und darin unterscheiden wir uns von Ihren hauptsächlichen Rufen nach nur mehr Polizei und schärferen Gesetzen. Über all das kann man nachdenken, aber das allein löst unsere gemeinsamen Probleme nicht. Wir hoffen und wünschen uns, dass wir hier in Thüringen weiter relativ sicher leben können, und wir hoffen und wünschen auch unseren Polizeikräften und Sicherheitsmitarbeitern, dass sie hier weiter ihre Arbeit für uns unter guten Bedingungen erfolgreich ausführen können und heil und gesund nach Hause kommen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Als Nächster hat Abgeordneter Höcke für die AfD-Fraktion das Wort.

Danke schön. Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, sehr geehrte Besucher auf der Tribüne, sehr geehrte Polizisten im Saal und am Livestream! Sehr geehrter Kollege Fiedler, jetzt haben Sie mir so einen eingeschenkt hier bei Ihrer Rede im Eingangsteil,

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Mit voller Absicht!)

dass ich natürlich da so ein bisschen erwidern will und erwidern muss. Herr Kollege Fiedler, Sie sind einer der kernigsten, kantigsten und unbequemsten Politiker des Hohen Hauses. Ich schätze Ihre Art, hier vorzutragen, mit Leidenschaft entsprechend die Rede zu führen; das ist formatvoll, das ist qualitätsvoll, das bringt diesem Haus Lebendigkeit und das finde ich gut.

(Beifall AfD)

Sie sind auch ein mutiger Mann. Denn Sie haben durchaus heute in Ihrer Rede festgestellt, dass die problematische Sicherheitslage, die wir in Thüringen und in Deutschland haben, natürlich auch etwas mit einer grundsätzlichen Fehlentscheidung der Bundeskanzlerin dieses Landes zu tun hat. Das ist ja immerhin Ihre Bundesvorsitzende. Deswegen haben Sie Mut und auch dafür danke ich Ihnen, Herr Fiedler.

(Beifall AfD)

Und Sie sind ein Mann, der hier vorn steht und immer wieder mit dem gesunden Menschenverstand brilliert, zweifellos. Aber in den Ausführungen, die Sie heute gegen meine Person hier vorgebracht haben, haben Sie in meinen Augen diesen gesunden Menschenverstand heute einmal vermissen lassen.

(Beifall AfD)

Sehr geehrter Herr Kollege Fiedler, ich will Sie noch mal daran erinnern, aber nicht nur Sie, sondern alle Kollegen im Hohen Haus, die Besucher auf der Tribüne, die Besucher im Livestream: Der Ausgangspunkt des Skandals um die Dresdner Rede von Björn Höcke ist und bleibt

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Björn Höcke …!)

eine Falschmeldung der dpa.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir haben sie alle gesehen!)

Ich möchte noch mal betonen: Ich habe...

(Unruhe CDU)

Herr Fiedler, wir kennen das, das sind parteiinterne Dinge.

Wir sollten das einfach mal nüchtern betrachten und ich möchte einfach noch mal erinnern, dass ich Folgendes gesagt bzw. Folgendes nicht gesagt habe und die dpa-Meldung – man würde Neudeutsch sagen – Fake News waren. Fake News – Stefan, tut mir leid, dass ich jetzt mal den Anglizismus hier reinbringen muss.

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Jetzt wäre die Zeit, mal zu unterbrechen!)

Sehr geehrte Kollegen im Hohen Haus, ich habe das Mahnmal in Berlin niemals als Schande bezeichnet. Das habe ich niemals getan.

(Beifall AfD)