Protokoll der Sitzung vom 26.01.2017

mehr. Wenn es denn darum geht, dass wir darüber diskutieren, wie wir Gedenken manifestieren, dann gehört auch dazu, über andere Gedenktage weiter zu reden, beispielsweise – und diese Diskussion haben wir schon lange geführt – wäre dann auch ein Gedenken besonderer Art an die NSU-Opfer ein ganz wesentliches Gedenken.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern finde ich es ganz schlimm, Opfer und Gewalt auseinanderdividieren zu wollen. Ich glaube nicht, dass es darum gehen kann. Weil Sie auch schon in einer fast bösartigen Weise so getan haben, als wäre in Berlin und auch im Bundestag nicht entsprechend gedacht worden: Sicherlich kann man immer darüber streiten, ob es der richtige Zeitpunkt war oder wann an welcher Stelle was hätte passieren müssen. Lassen Sie mich die einleitenden Worte von Bundestagspräsident Prof. Dr. Lammert vor Eintritt in die Tagesordnung der Bundestagsdebatte zitieren, wo sich Prof. Dr. Lammert noch mal hinsichtlich des Attentats äußert, ich zitiere: „Für die Familien, Partner, Freunde der Opfer änderte sich binnen Sekunden alles; Lebenspläne, Wünsche, Hoffnungen wurden von einem Moment zum anderen zerstört. Der Schmerz der Hinterbliebenen ist unermesslich, allenfalls können wir ihn erahnen, aber wir teilen die tiefe Trauer. Das haben wir am Tag nach dem Anschlag in dem berührenden Gedenkgottesdienst in der Berliner Gedächtniskirche zum Ausdruck gebracht, in Anwesenheit des Staatsoberhauptes, der Spitzen unserer Verfassungsorgane, vieler Mitglieder des Bundestages und der Bundesregierung sowie zahlreicher Repräsentanten unserer Gesellschaft. Vertreter der Religionsgemeinschaften demonstrierten in einer eindrucksvollen interreligiösen Andacht ihren Schulterschluss angesichts der terroristischen Gewalt.“ Ich glaube, das war eine angemessene Bewertung dessen, was notwendigerweise an Trauer zum Ausdruck gebracht werden musste.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man versucht, Opfer auseinanderzudividieren, Gedenktage bzw. Attentate und Opferdiskussionen zu nutzen, um eigenen Populismus voranzubringen, dann halte ich das für perfide. Wir – glaube ich – brauchen diesen Antrag für den Gedenktag nicht, weil – auch da unterstütze ich die Aussage von Frau Walsmann – es Ihnen tatsächlich nicht um die Opfer geht. Insofern lehnen wir Ihren Antrag ab. Wir wissen ganz genau, dass das Gedenken an Opfer von Gewalt in allen möglichen Facetten für uns im Übrigen nicht nur eine Frage ausschließlich von Gedenktagen ist, sondern eine kontinuierliche Aufgabe. Im Zusammenhang damit und auch, um sich an Opfer von politischer Gewalt zu erinnern, ist hier noch mal ganz deutlich zu sagen, dass wir jeden Tag für unsere Demokratie und für unsere Freiheit

eintreten müssen und dass wir uns nicht von Terrorismus verschüchtern und einschüchtern lassen dürfen. Genau deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, war in großer Übereinstimmung, zum Teil auch mit Angehörigen der Opfer, gesagt worden, dass man sich dann wieder auf dem Weihnachtsmarkt einfinden soll, um gemeinsam zu zeigen, dass wir mit unserer freiheitlichen Grundordnung dem Terroristen und dem Terrorismus das Gesicht zeigen und uns nicht kleinmachen lassen. Herzlichen Dank.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Als Nächster spricht zu uns Abgeordneter Dittes, Fraktion Die Linke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten, sehr verehrte Gäste, der Thüringer Landtag hat in dieser Legislaturperiode auf Initiative der rotrot-grünen Koalition bereits zwei Gedenktage für Thüringen gesetzlich eingeführt,

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Das sagte ich schon!)

zum einen im Jahr 2015 den 8. Mai als „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus“,

(Beifall DIE LINKE)

um der Millionen Opfer der Verbrechen des Nationalsozialismus zu gedenken, und weil dieser Tag auch Ausdruck der historischen Singularität dieser Verbrechen und dieser menschenverachtenden Ideologie ist.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben unabhängig davon – weil wir da in einer besonderen politischen Verantwortung stehen – auch den 17. Juni als den „Tag für die Opfer des SED-Unrechts“ eingeführt, weil wir auch diesen Opfern des Unrechts gedenken wollen, weil wir an die Vielfältigkeit des Unrechts in der DDR erinnern wollen und weil wir genau auch diese Geschichte, die mit vielen Biografien von Menschen in diesem Land eng verbunden ist, ein Stück weit als Ausgangspunkt unserer eigenen Aufarbeitungsarbeit in der gesellschaftlichen Debatte verankert wissen wollen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir haben mit diesen beiden Gedenktagen jeweils für sich im Einzelnen eine ausgewogene, angemessene und begründete Entscheidung getroffen. Nun will die AfD heute hier mit ihrem Gesetzesantrag

über Gedenkkultur gemeinsam mit uns und der Öffentlichkeit diskutieren. Und wenn die AfD über Gedenkkultur diskutieren will, hat das seit letzter Woche einen anderen Klang. Es ist der Klang der Täter-Opfer-Umkehr, es ist der Klang des Revisionismus, es ist der Klang der Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Und ich füge hinzu: Bei solchen Debatten weilt der Geist der Täter dieser Verbrechen in den Reden der AfD.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: … Täter der richtigen Partei!)

Und ich will das vielleicht deutlich machen – Frau Pelke hat das angesprochen –, auch Ihnen mal deutlich machen,

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Der einzige Täter sind Sie!)

wie das bei den Opfern des Nationalsozialismus aufgefasst wurde: Die geben nämlich keinen Pfifferling auf irgendwelche Erklärungsversuche Ihrerseits und auf Ihre Zwischenrufe, die an Diffamierung kaum noch zu überbieten sind. Bertrand Herz führte zur Begründung, warum er es richtig findet, dass Höcke als unerwünschte Person am morgigen Tag in der Gedenkstätte Buchenwald ausgeladen wird, aus – ich zitiere –: „Die Überlebenden der Nazibarbarei und die Angehörigen der Ermordeten können nicht zulassen, dass die Bedeutung des Holocaust relativiert und das Andenken an die Opfer herabgewürdigt wird. Wir wehren uns gegen das Erscheinen von Verharmlosern beim Gedenken an der Stätte unseres Martyriums.“ Doch, meine Damen und Herren, es geht eben nicht nur um Höcke – es geht um die AfD im Ganzen. Und wer die Reaktionen der Abgeordneten Muhsal und Brandner auf die Rede Höckes lesen konnte, weiß: Es ist der Geist der AfD-Fraktion, der letzte Woche in Dresden sprach.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Herr Dit- tes, reden Sie doch mal zum Thema!)

Und wer die Reaktionen der Abgeordneten Möller, Herold und Rudy auf das Zeichen aller anderen Fraktionen am gestrigen Tage in den sozialen Netzwerken …

Herr Abgeordneter Dittes, einen kleinen Augenblick. Herr Kollege Brandner, ich sage Ihnen jetzt in aller Deutlichkeit: Sie werden der Rede des Abgeordneten Dittes genauso zuhören, wie wir Ihren Reden und denen aus Ihrer Fraktion zugehört haben, damit das klar ist!

(Abg. Pelke)

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe AfD)

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Zum The- ma, aber nicht so was! Dann soll er zum The- ma reden!)

Und wenn Sie das Bedürfnis haben zu reden, dafür ist das Rednerpult da!

Meine Damen und Herren, und wer die Reaktionen der Abgeordneten Herold, Möller und auch Rudy auf das Zeichen aller anderen Fraktionen am gestrigen Tag in sozialen Netzwerken gelesen hat,

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Hat es Ihnen gefallen?)

als die Fraktionen daran erinnert haben, für was das Mahnmal in Berlin steht, weiß, dass der Unterschied zwischen der AfD und Höcke kein großer ist.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Zum The- ma, Herr Dittes!)

Und Herr Brandner charakterisierte dieses Zeichen heute an diesem Pult als „Kasperletheater“.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Genauso wur- de es wahrgenommen, Herr Dittes!)

Ich glaube, wer so mit Opfern von Verbrechen umgeht, hat wenig Anrecht darauf, mit uns gemeinsam über Gedenkkultur zu diskutieren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie jedenfalls sind kein Partner in einer ernsthaften Debatte.

Meine Damen und Herren – und ich rede zur Öffentlichkeit und zu den anderen Parlamentariern und nicht in Richtung der AfD-Fraktion –, die AfD behauptet in ihrem Gesetzentwurf: Deutschland steht im Fadenkreuz des islamistischen Terrorismus. Ich sage: So schlimm, so verheerend und so verurteilenswert der Terroranschlag am 19. Dezember 2016 in Berlin war – dieser Satz verharmlost das, was weltweit auch außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland alltäglich stattfindet. Er vergisst die Anschläge in Frankreich, in Belgien, in der Türkei,

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Sie haben überhaupt nicht zugehört!)

aber er vernachlässigt vor allem, was alltäglich im Libanon, in Afghanistan, in Syrien, im Irak passiert. Wenn Sie den Menschen, die alltäglich dort dem Terror ausgesetzt sind, sagen, wir würden im Ziel, im Fadenkreuz des Terrorismus stehen, dann sind Sie nicht nur geschichtsvergessen, sondern Sie negieren auch das, was international tatsächlich welt

weit Menschen erleiden müssen. Sie führen auch hier das durch, was wir bei Höcke in Bezug auf den Nationalsozialismus schon erlebt haben: eine Verhöhnung von tatsächlichen Opfern.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Sind die vom Breitscheidplatz keine Opfer für Sie, Herr Dit- tes?)

Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang auch deutlich sagen – ich habe Ihnen das gestern schon gesagt – und in Ihrer Rede ist das auch deutlich geworden: Es geht Ihnen gar nicht um die Opfer des islamistischen Terrors, es geht Ihnen um den Islam, den Sie im Prinzip gleichsetzen mit Terroranschlägen. Ich glaube, das ist eben hier deutlich geworden. Wir machen bei diesem Prinzip der Spaltung, der Auseinanderdividierung der Opfer, wie es Frau Pelke genannt hat, die zur Spaltung auch von Gesellschaften führt, nicht mit. Wir gedenken den Opfern, wir verurteilen Terroranschläge, aber wir missbrauchen diese Opfer nicht für unsere eigenen politischen Ziele, der Schaffung von Feindbildern, wie es bei der AfD der Fall ist.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Abg. Gentele, fraktionslos)

Die AfD behauptet zweitens, es gäbe eine Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern islamistischen Terrors und kein Gedenken. Frau Pelke ist darauf eingegangen. Erstens: Es gab keine 24 Stunden später einen ökumenischen Gottesdienst unter Einbeziehung des Zentralrats der Juden und des Zentralrats der Muslime. Es gab ein Gedenkkonzert in Berlin und es gab die Anstrahlung des Brandenburger Tors, wie es schon bei vielen anderen Terroranschlägen zuvor stattgefunden hat, weil wir eben, anders als Sie, auch über die Landesgrenzen hinausschauen und tatsächlich die Opfer im Blick haben und Erinnerungen und Andenken schaffen wollen. Es gab die Gedenkveranstaltung im Bundestag und ich möchte auch Herrn Lammert zitieren, der in dieser Rede tatsächlich auf die Schwierigkeit des Gedenkens an Opfer einging. Er sagte: „Es gehört zu den kaum vermeidbaren, aber schwer erträglichen Mechanismen der Wahrnehmung solcher Ereignisse durch die Medien und die Öffentlichkeit, dass dem Täter regelmäßig weit größere Aufmerksamkeit geschenkt wird als denen, die er in den Tod riss. […] Von den Opfern hingegen ist wenig bekannt. Angemessen ist das natürlich nicht, aber es verdeutlicht zugleich die ganz unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnisse, denen es gerecht zu werden gilt […]. Vor allem haben wir den Wunsch trauernder Angehöriger auf Privatsphäre, darauf, in ihrer Trauer nicht allein, aber in Ruhe gelassen zu werden, unbedingt zu respektieren, auch gegenüber nachvollziehbaren Bedürfnissen von Medien und Öffentlichkeit.“ Er erwähnte Medien und Öffentlichkeit und nicht politische Parteien. Ich will auch ganz deutlich sagen, dem Andenken und dem Ge

(Vizepräsident Höhn)

denken an Opfer wird man nicht dadurch gerecht, indem man sie instrumentalisiert. Das tun Sie mit Ihrem Antrag, das tun Sie mit Ihrem Redebeitrag.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)