Protokoll der Sitzung vom 23.02.2017

Ich versuche, Ihnen das zu begründen. Die Bundesregierung hat im Februar 2016 einen Gesetzentwurf zur Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten vorgelegt. Zu diesem Gesetzentwurf hat der Bundesrat am 18. März 2016 eine umfangreiche Stellungnahme vorgelegt, die auch vonseiten der Thüringer Landesregierung unterstützt wurde. Maßgeblich stellte der Bundesrat im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf fest, dass neben den Schutzquoten für Asylsuchende aus den betreffenden Ländern die Verhältnisse sorgfältig darzustellen sind, die für die Feststellung einer politischen Verfolgung bedeutsam sind. Die Bewertung der Bundesregierung ist aber, so die Stellungnahme des Bundesrats weiter, mit Blick auf die hohen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an eine Einstufung als sicheren Herkunftsstaat stellt, zweifelhaft und demnach weiter begründungsbedürftig. Bis heute konnte nach unserer Einschätzung die Bundesregierung die in der Stellungnahme des Bundesrats aufgezeigten Zweifel nicht ausräumen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat im Sinne von Artikel 16 a Grundgesetz setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass sich der Gesetzgeber anhand der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse ein Gesamturteil über die für die Feststellung einer politischen Verfolgung und die Menschenrechtslage bedeutsamen Verhältnisse in diesem Staat bildet. Eine geringe Schutzquote für Antragsteller aus dem betreffenden Staat ist danach zwar ein Indiz für die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat, aber allein kein ausreichendes Kriterium. Vielmehr sind – das sagt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eindeutig – alle für die Feststellung einer politischen Verfolgung bedeutsamen Verhältnisse sorgfältig zu bewerten. Dabei kommt insbesondere der Lage von Minderheiten, aber auch Volksgruppen sowie von Homo-, Trans- und Intersexuellen ebenso wie dem Handeln staatlicher Stellen, der Gewährleistung der Pressefreiheit und rechtsstaatlicher Verfahren besondere Bedeutung zu. Aus Sicht der Landesregierung sind diese Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Gesetzgebungsverfahren zur Einstufung der Länder Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten bis heute nicht ausreichend berücksichtigt worden. Insbesondere ist es nicht gelungen, Bedenken hinsichtlich der menschenrechtlichen Situation von Homosexuellen auszuräumen. Frau Lehmann hat bereits auf diesen Punkt hingewiesen.

Die Bundesregierung – das ist eine eigene Stellungnahme der Bundesregierung, Herr Herrgott – hat in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des

(Abg. Berninger)

Bundesrats vielmehr ausdrücklich eingeräumt, dass es in allen drei Maghreb-Staaten, die als sicher eingestuft werden sollen, so ist, dass Homosexualität ausdrücklich unter Strafe steht. Darüber hinaus kann ein weiteres, vonseiten der Bundesregierung vorgetragenes und seitens der CDU-Fraktion in ihrem Antrag aufgegriffenes Argument für dieses Gesetz entkräftet werden. Mit dem Gesetz zur Einstufung von Algerien, Tunesien und Marokko als sichere Herkunftsstaaten soll eine Reduzierung der Asylverfahren erreicht werden. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist jedoch bereits schon längst eingetreten. So ist die Zahl der insgesamt neu einreisenden Asylsuchenden im Laufe des letzten Jahres bundesweit auf ungefähr 15.000 Menschen pro Monat gesunken, während im November 2016 die Zahl noch bei 200.000 lag.

Es ist wirklich sehr unruhig!

Meine Damen und Herren, der Minister hat recht, der Lärmpegel, der hier am Rednerpult ankommt – ich bitte Sie einfach, die Gespräche einzustellen und dem Redner etwas mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Die Zahl der beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anhängigen Asylverfahren ist in den letzten Monaten kontinuierlich abgebaut worden, sodass nach Auskunft des Bundesamts damit zu rechnen ist, dass im Frühjahr dieses Jahres die Altverfahren nahezu abgearbeitet sind und kaum noch Rückstände vorliegen. Die Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten, deren Zugangszahlen bei den Asylsuchenden ebenfalls rückläufig sind, ist daher auch unter dem Gesichtspunkt der Beschleunigung der Asylverfahren nicht erforderlich.

Auch die von der CDU-Fraktion vorgetragene niedrige Anerkennungsquote reicht nicht als Argument für eine Einstufung als sichere Herkunftsländer aus. Dass es nicht wenige solche Anerkennungen gibt, haben Frau Berninger, Frau Lehmann und auch Frau Rothe-Beinlich dargelegt. Dies zeigt jedoch deutlich, dass die Situation in Algerien, Marokko und Tunesien nach wie vor eine Prüfung der Asylanträge erfordert, um niemanden abzuweisen, der unseres Schutzes bedarf.

(Beifall DIE LINKE)

Lassen Sie mich an dieser Stelle auch noch auf zwei Missverständnisse hinweisen, die, glaube ich, immer damit verbunden sind, wenn es um die Einstufung als sichere Herkunftsländer geht. Man meint immer, wenn es sichere Herkunftsländer sind, dann sind Asylanträge entweder nicht mehr

zulässig oder können schneller bearbeitet werden. Auf diese Argumente kommen Sie ja manchmal, also nicht Sie, aber so ist manchmal der Eindruck. Wenn Sie sich mit Mitarbeitern des BAMF unterhalten, dann sagen die Ihnen, dass es für ihre Verfahrensbearbeitung nahezu egal ist, ob der Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsland kommt oder nicht, denn er hat genau das gleiche Recht, seine Asylgründe vorzutragen. Möglicherweise gibt es dann in der Bescheidung des Antrags einen etwas schnelleren und kürzeren Bescheid, aber das Verfahren wesentlich verkürzen tut es ausdrücklich nicht.

Das Zweite, was ich Ihnen sagen möchte an dieser Stelle: Wo liegt denn das eigentliche Problem bei diesen drei Maghreb-Staaten? Das liegt im Moment nicht in den Zugangszahlen, sondern das liegt – und da gebe ich Ihnen ja ausdrücklich recht – in der Situation: Können Menschen, die hier eine Ablehnung haben, auch wieder in diese Staaten zurückgeführt werden? Da ist zumindest meine tiefe Überzeugung, dass der Bundesinnenminister mit Nebelkerzen wirft, wenn er versucht, das Problem in den Bereich „sichere Herkunftsstaaten“ zu verlagern. Denn das Problem ist, dass es Abkommen mit diesen Ländern geben muss, und die gibt es bis heute nicht. Deshalb – wenn Sie sich zum Beispiel mit den Kollegen in NRW unterhalten, wo sehr viele dieser Menschen untergekommen sind – ist das Problem nicht, ob das ein sicheres Herkunftsland ist oder nicht, sondern, ob es die Möglichkeit gibt, Menschen, deren Asylverfahren abgelehnt wurde und die auch kein sonstiges Bleiberecht haben, tatsächlich dorthin wieder zurückzuschicken. Die gibt es nämlich tatsächlich vielfach nicht.

Einige kurze Zahlen noch zu Thüringen, die Ihnen vielleicht auch verdeutlichen sollen, dass es kein relevantes Problem ist. Nach der Antrags- und Entscheidungsstatistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge haben im vergangenen Jahr gerade mal 61 Algerier, 72 Marokkaner sowie 2 Tunesier in Thüringen einen Asylantrag gestellt. Das ist nicht mal 1 Prozent, verglichen mit der Gesamtzahl der Menschen, die in Thüringen Schutz gesucht haben. Mit anderen Worten: Wenn Sie in diesem Bereich tatsächlich ein Problem angehen wollen, dann gehen Sie das Problem der Rückführung an und versuchen Sie nicht abzulenken, indem Sie die Länder zu sicheren Herkunftsländern machen. Aus diesem Grund ist auch die Landesregierung der Auffassung, dass der Antrag der CDU abzulehnen ist.

Ein paar wenige Sätze noch zum Alternativantrag der AfD. Dieser Antrag ist weder schlüssig noch nachvollziehbar. Unabhängig von der politischen Situation ist es ein Antrag, der mit der Verfassung unseres Landes und dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Das Grundgesetz erlaubt zwar in Artikel 16 a Abs. 3 unter bestimmten Voraussetzungen die Einstufung eines Staates als sicheren Her

(Minister Lauinger)

kunftsstaat, es ist jedoch nicht möglich dies pauschal und im Umkehrschluss zu tun. Von daher möchte ich es an dieser Stelle dabei belassen. Natürlich ist es auch nach unserer Auffassung so, dass der Antrag der AfD abzulehnen ist. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Es ist keine Ausschussüberweisung beantragt, deswegen stimmen wir über den Antrag der Fraktion der CDU in Drucksache 6/3282 ab. Wer für den Antrag stimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Stimmen aus der Fraktion der CDU. Gegenstimmen? Das sind die Stimmen der Koalitionsfraktionen und der AfD. Stimmenthaltungen? Der fraktionslose Abgeordnete Gentele. Damit ist der Antrag der Fraktion der CDU abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Alternativantrag der Fraktion der AfD. Herr Abgeordneter Brandner.

Wir beantragen namentliche Abstimmung.

Es ist namentliche Abstimmung für den Antrag der Fraktion der AfD beantragt. Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln. Ich eröffne die Abstimmung.

Hatten alle die Gelegenheit, ihre Stimme abzugeben? Es kommt keiner mehr in den Saal gerannt; ich schließe die Abstimmung.

Ich darf Ihnen das Ergebnis bekannt geben: Es wurden 73 Stimmen abgegeben. Mit Ja stimmten 7, mit Nein 66 (namentliche Abstimmung siehe Anla- ge 2). Damit ist der Alternativantrag der Fraktion der AfD in Drucksache 6/3343 abgelehnt. Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 22

Rot-Rot-Grüne Reformpläne zur Umstrukturierung der Kommunen und Verwaltung stoppen – Landesorganisationsgesetz auf den Weg bringen Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 6/3299

Die Fraktion der CDU hat das Wort zur Begründung beantragt. Ich gebe dem Abgeordneten Kellner das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne – es sind noch zwei Herren da, die noch aushalten oder ausharren –, die CDU-Fraktion hat heute den Antrag eingebracht „Rot-Rot-Grüne Reformpläne zur Umstrukturierung der Kommunen und Verwaltung stoppen – Landesorganisationsgesetz auf den Weg bringen“. Es hat natürlich einen Hintergrund, warum wir mit diesem Antrag heute hier in den Landtag gehen. Nicht zuletzt aufgrund der zurückliegenden Wochen und Monate, in denen in diesem Land erhebliche Unruhe verursacht wurde, nämlich durch die angekündigte Gebietsreform, das Vorschaltgesetz oder auch die Funktional- und Verwaltungsreform, die angekündigt ist bzw. auf den Weg gebracht wurde, die natürlich große Verunsicherung in diesem Land hervorgerufen hat. Das kann man sicherlich überall spüren, wer draußen unterwegs ist, aber wir sind mit dieser Vermutung bzw. mit dieser Wahrnehmung nicht allein. Nicht zuletzt haben neun Landkreise Klage eingereicht, eine kreisfreie Stadt klagt, wir als CDU-Fraktion klagen, eine Einzelklage zum Vorschaltgesetz ist anhängig. Ich meine, das allein zeigt schon, welche Unruhe sich in diesem Land abzeichnet, aber nicht zuletzt dieses:

(Beifall CDU)

45.000 Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern, die sich klar gegen diese Gebietsreform ausgesprochen haben. 45.000. 5.000 waren nur erforderlich. Man sieht an der Stelle schon, dass es die Bürger doch umtreibt. Wir als große, noch Oppositionsfraktion,

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: Ja, das war jetzt schwierig!)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Große Noch-Oppositionsfraktion!)

vorrübergehend, haben natürlich auch eine Aufgabe, dass wir das deutlich benennen. Wir sehen uns ein Stück weit als Seismograph der Landesregierung. Sie wissen, was ein Seismograph ist: Der nimmt Erschütterungen auf, um Katastrophen zu verhindern, die sich ankündigen. Ich denke, an der Stelle ist unsere Fraktion der richtige Seismograph, der die Landesregierung rechtzeitig davon in Kenntnis setzt, auf welchen Weg sie sich begibt und welche Erschütterung diese Gebietsreform ausgelöst hat oder noch auslösen wird. Mit diesem Antrag wollen wir der Landesregierung einen Weg aufzeigen, wie man Schlimmeres verhindern kann.

(Beifall CDU)

Wir werden Sie dabei unterstützen und ich werde dann noch ausführlicher zu diesem Antrag Stellung nehmen. Danke schön.

(Beifall CDU)

(Minister Lauinger)

Ich eröffne die Beratung und als erster Redner hat sich Abgeordneter Adams, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Thüringer Landtag, wir führen diese Debatte um die Gebietsreform ja nicht zum erstem Mal in dieser Legislatur, auch in der letzten Legislatur und auch in der davor nicht. Große Projekte, wie diese Gebietsreform und die Funktionalreform zusammen sind es auch wert, dass immer wieder darüber diskutiert wird, dass wir uns über Zwischenstände verständigen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dem Punkt 1 fordert die CDU, das Vorschaltgesetz ohne Wenn und Aber aufzuheben. Ich will dazu eines sagen, mit diesem Punkt würden Sie nicht mehr und nicht weniger tun als die Realität zu missachten.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Da lacht man gleich!)

Denn von 1981 bis 1990, in den letzten zehn Jahren der DDR, wurden – und so war es in den Jahrzehnten davor ähnlich – in den drei Bezirken der DDR, die heute den Freistaat Thüringen bilden oder die auf dem Gebiet des Freistaates Thüringen liegen, durchschnittlich circa 13,5 Kinder pro tausend Einwohner geboren. Ab 1991 bis 2000,

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Also, was Sie alles rausholen zur Begründung der Re- form! Gigantisch!)

sank diese Zahl, über diese zehn Jahre, auf durchschnittlich 6,3 ab. Sie sehen, das ist fast die Hälfte. Es gab sogar Jahre, die noch weit unter diesem Durchschnitt lagen, das war das Jahr 1994, glaube ich, wo es nur 5 Geburten je 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner gab. Das heißt, die Menschen, die vor 20, 25 Jahren geboren wurden, werden in dieser Zeit jetzt circa 20-, 25-jährig keine Familien gründen können, aus denen Kinder hervorgehen, die im Jahr 2035 als Facharbeiterinnen oder als gut ausgebildete Verwaltungsleute in den Dienst treten.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Herr Adams, nein!)

Das wird der Zeitpunkt sein, wo zum Beispiel ich in Rente gehe.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Die können aber wandern und ihren Wohnsitz auflösen!)

Das ist insbesondere wichtig, weil ich zu einem der letzten geburtenstarken Jahrgänge gehöre, meine sehr verehrten Damen und Herren, das heißt, außerordentlich wenig junge Menschen stehen dann

außerordentlich vielen Älteren, also mir, gegenüber. Es zeigt ganz klar, dass wir eine enorme Konkurrenz haben werden zwischen dem privatwirtschaftlichen Bereich, also Industrie, Handwerk, Pflege, die dann sehr wichtig sein werden und dem Verwaltungsbereich – Lehrerinnen, Lehrer, Polizei und allgemeine Verwaltung. Worum es uns in der Gebietsreform im Wesentlichen auch geht, ist, hier Strukturen zu schaffen, Strukturen auf den Weg zu bringen, die dann auch noch funktionieren und deshalb…

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Müssen Sie jetzt das Gute zerschlagen? Wir wissen nicht, was kommt!)

Wissen Sie, Frau Tasch, ich habe fast darauf gewartet, dass Sie mir die Frage stellen, ob ich das jetzt schon weiß. Ja, wir wissen, wer in den Jahren 1991 bis 2000 geboren wurde. Das heißt, wir kennen alle Namen, wenn man das so sagen möchte.