Protokoll der Sitzung vom 05.05.2017

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch an einer anderen Stelle hat es Herr Herrgott leider nicht verstanden oder wollte es nicht verstehen. Es geht eben nicht um eine Besserbehandlung oder Ähnliches, denn diejenigen, die Opfer werden und um die es uns geht, sind Geflüchtete, sind Menschen ohne einen Aufenthaltstitel, der ihnen erlaubt, hier zu sein und zu bleiben. Wenn Sie oder ich Opfer einer Straftat werden, laufen wir nicht Gefahr, abgeschoben zu werden, wohl aber Geflüchtete, meine sehr geehrten Damen und Herren. Nur weil es dafür keine passende Statistik gibt oder weil dafür keine Zahlen vorliegen, heißt das nicht, dass das nicht passiert. Erst vorgestern Nacht

(Abg. Brandner)

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Natürlich heißt es das! Das ist postfaktisch, was Sie hier erzählen!)

hören Sie mir doch einfach mal zu – ist aus dem Landkreis Greiz eine Familie mit fünf Kindern aus ihrer Wohnung geholt worden. Eines der Kinder war ein Opfer von rassistischer Gewalt, von rassistischen Übergriffen. Diese Familie mit den fünf Kindern ist gestern aus Thüringen abgeschoben worden. Ich finde das, ganz ehrlich, bedenklich. Wir haben ezra, die die Familie begleitet haben und die eine ganz wichtige Arbeit leisten, unsere Unterstützung zugesagt. Wir werden diesem Fall auch weiter nachgehen und tun Sie nicht so, als ob es das nicht gebe. Ezra hat uns von vielen derartigen Fällen berichtet.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Das glau- be ich!)

Dass Sie von der AfD das nur lächerlich machen, während wir hier über Opfer reden, über Opfer, die sich zusammenschlagen lassen mussten, die

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: So ein linksextremer Haufen: ezra! Hören Sie mir auf!)

diffamiert werden, die diskriminiert werden. Es spottet wirklich jeglicher Beschreibung, wie Sie sich hier benehmen!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Selbstverständlich geht es uns um die Verurteilung der Täter vor einem ordentlichen Gericht, aber die Täter sind ja in der Regel auch hier. Das Problem ist nur, dass sie oftmals eben genau deshalb nicht verurteilt werden können, weil die Zeugen oder Betroffenen nicht mehr da sind.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Null Fälle!)

Es sind nicht null Fälle. Herr Brandner, es wird auch nicht wahrer, wenn Sie es immer wieder wiederholen, was Sie hier von sich geben.

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Wo ist die Empirie, Frau Rothe-Beinlich?)

Meine Damen und Herren, die Rednerin ist jetzt Frau Astrid Rothe-Beinlich und ich bitte einfach darum, ihr auch die entsprechende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Teil unseres Antrags ist es ja auch genau, dass wir anregen,

dass wir genau dafür eine bessere statistische Erfassung wollen, weil es die Zahlen aus einer Statistik eben so einfach nicht gibt. Manche machen es sich einfach und sagen, ich sehe hier keine Zahlen, also gibt es das nicht – aber so einfach ist es eben nicht. Die Realität ist eine andere. Wir haben uns bereits im Koalitionsvertrag dazu bekannt, indem wir im Kapitel „Opferschutz“ ausgeführt haben wie folgt, ich will das kurz zitieren. Das war übrigens eine gemeinsame Schlussfolgerung aus dem Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses 1 und da heißt es auf Seite 83: „Wir setzen uns für ein bundeseinheitliches, humanitäres Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt ohne Aufenthaltsstatus bzw. mit einer Duldung ein und werden eine Umsetzung in eigener Landeskompetenz prüfen. Damit ist ein klares Signal an die Täterinnen und Täter derartiger Angriffe sowie deren Umfeld verbunden, dass ihrer politischen Zielsetzung explizit entgegengetreten und ihr Ziel der Vertreibung vereitelt wird.“ Ja, das setzen wir mit unserem Antrag um und ich will auch noch zwei relativ banal klingende Sätze sagen. Der Einzelfall zählt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Selbst wenn es nur Einzelfälle sind, sind es die Einzelfälle, denen wir hier gerecht werden müssen und – um auch das gleich noch klarzustellen – für uns gilt weiterhin: Kein Mensch ist illegal.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich einfach drei Beispiele benennen, wo es jüngst erst zu rassistischen Übergriffen gekommen ist. Am 30. März gab es einen Angriff in Erfurt auf afghanische Jugendliche. Am 14.04. wurden Schüsse auf die Unterkunft in Obermehler abgegeben, in der Geflüchtete leben. Am 15. April gab es einen Brandanschlag auf einen Gebäudekomplex in Artern und nur durch ganz viel Glück ist dort niemand zu Schaden gekommen. Trotzdem haben solche Übergriffe natürlich massive Auswirkungen und Folgen für die Betroffenen. Ich glaube, jede und jeder, der ein bisschen Empathievermögen hat, kann sich das auch vorstellen. Meine Kollegin Madeleine Henfling und ich haben im Übrigen auch eine Kleine Anfrage gestellt und zwar zu den Zahlen, die Übergriffe auf Kinder und Jugendliche betreffen, rassistisch motivierte Übergriffe auf Kinder und Jugendliche. Wenn Sie sich die Zahlen anschauen – leider konnte uns das Innenministerium noch keine Zahlen für dieses und das letzte Jahr geben, wohl aber bis 2015 –, dann hat vom Jahr 2014 zu 2015 eine Verdopplung der Übergriffe auf Kinder und Jugendliche stattgefunden, die Opfer rassistischer Gewalt wurden. Das muss uns in der Tat zu denken geben.

Jetzt aber zu unserem Antrag im Einzelnen. Die Landesregierung wird mit unserem Antrag aufgefor

dert, einen ermessenslenkenden Erlass auf den Weg zu bringen, der sicherstellt, dass in allen Landkreisen und kreisfreien Städten gegenüber Opfern von rechtsextremistischer und rassistischer Gewalt und deren Angehörigen sämtliche aufenthaltsrechtliche Ermessensspielräume zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen und Duldungen genutzt werden. Es geht uns eben nicht um Misstrauen, lieber Herr Herrgott, sondern es geht uns um eine landesweit einheitliche Ermessensentscheidung. Dafür wollen wir die Grundlage schaffen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht um Menschen mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus, beispielsweise vollziehbar ausreisepflichtige Personen, bei denen die explizite Gefahr besteht, dass sie bereits während des Ermittlungsbzw. Gerichtsverfahrens abgeschoben werden könnten. Und dass es solche Fälle gibt – das habe ich auch im Ausschuss gesagt, das sage ich hier noch einmal –, berichten Opferschutzorganisationen immer wieder und auch an uns sind immer wieder derartige Einzelfälle herangetragen worden. Richtig ist, wir haben im Justiz- und Migrationsausschuss bereits über diesen Sachverhalt gesprochen, nach einem Selbstbefassungsantrag von unseren Koalitionsfraktionen, und vonseiten der Landesregierung wurde uns mitgeteilt, dass es eben keine verlässlichen Statistiken über diese Fallgruppen gibt. Das haben wir aufgegriffen und bitten die Landesregierung entsprechend, zukünftig auch den Aufenthaltsstatus der betroffenen Personen in die statistischen Verfahren und Erhebungen einzubeziehen, damit wir künftig Aussagen über solche Fälle treffen können. Außerdem braucht es eine lückenlose Information, wenn Geflüchtete zum Opfer einer rechtsextremen Gewalttat werden. Es kann und darf nämlich einfach nicht sein, dass aufgrund einer fehlenden Information an die Ausländerbehörde seitens der Ermittlungsbehörden Abschiebungen von Menschen erfolgen, die Opfer von Gewalttaten wurden. Auch das haben wir aufgegriffen und bitten die Landesregierung, in allen Fällen rechter und rassistisch motivierter Gewaltstraftaten die Ausländerbehörden von Beginn an über entsprechende Ermittlungen zu informieren und die Abschiebung nach § 60 Abs. 2 Satz 2 Aufenthaltsgesetz auszusetzen. Dabei handelt es sich – und das sage ich jetzt noch mal ganz deutlich – eben nicht um eine vermeintliche Besserstellung der Betroffenen gegenüber anderen Opfergruppen, stattdessen geht es darum, die von vornherein bestehende rechtliche Schlechterstellung

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

durch die unsichere Bleibeperspektive aufzuheben. Und wir streben eine landesweit einheitliche Anwendung des Aufenthaltsgesetzes und der Ermes

sensspielräume an, damit in ganz Thüringen die Schaffung einer stabilen Aufenthaltssituation für die Betroffenen ermöglicht wird. Wichtig war uns auch, dass wir die Opferberatungseinrichtungen als unabhängige Stelle in diesen Prozess einbeziehen. An dieser Stelle einmal unser Dank an ezra, die hier tagtäglich eine unverzichtbare und wichtige Arbeit leisten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Selbstverständlich ist uns klar, dass wir mit diesem Antrag längst noch nicht alle Probleme in diesem Feld beseitigen können. Wenn wir die Situation der Betroffenen insgesamt nachhaltig verbessern wollen, müssen wir uns weiter dem Ausbau einer professionellen, rechtlichen und psychosozialen Beratungsstruktur für Gewaltopfer widmen. Außerdem braucht es bessere Informationen über Unterstützungsangebote und vor allem die Überwindung der vorhandenen Sprachbarrieren durch die Bereitstellung und Übernahme von Dolmetscherkosten in Beratungskontexten. Wir wissen, dass für ein generelles Bleiberecht von Opfern rassistischer Gewalt unter Geflüchteten das Bundesrecht zu ändern ist und wir dafür noch einiges tun müssen. Daher haben wir das aufgegriffen und bitten die Landesregierung, auf Bundesebene entsprechend tätig zu werden. Schließlich werben wir auch für eine Stärkung des politischen Diskurses zur Stärkung des Opferschutzes insgesamt sowie eine Verknüpfung der Interessen von unterschiedlichen Opfergruppen. Abschließend will ich sagen, wir sind als Koalitionsfraktionen sehr zuversichtlich, dass die Landesregierung sehr zeitnah einen solchen Erlass auf den Weg bringen und die entsprechenden Forderungen des Beschlusses umsetzen wird. In Brandenburg – wie gesagt – gibt es einen solchen Erlass seit letztem Dezember. Die Opfer rechter und rassistischer Gewalt, insbesondere diejenigen mit unsicherer Bleibeperspektive, brauchen unseren Schutz und unsere Unterstützung und diese werden wir Ihnen im Sinne einer menschrechtsorientierten Geflüchtetenpolitik natürlich auch gewähren und bitten um Ihre breite Zustimmung. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat Abgeordneter Herrgott das Wort.

Liebe Kolleginnen der regierungstragenden Fraktionen, auch wenn Sie hier vorn das Ganze ein bisschen anders darstellen, ein paar Fakten einfach auslassen und es so darstellen, als hätten wir bestimmte Dinge gesagt, will ich es noch mal ganz

(Abg. Rothe-Beinlich)

deutlich sagen, so wie ich es auch vorhin gesagt habe. Wenn Sie mir zugehört hätten, dann hätten Sie auch nicht dieses Zeug erzählt, was Sie hier gerade durch die Bank weg erzählt haben. Natürlich gibt es Opfer rechter, rechtsextremer Straftaten in Thüringen, auch unter Asylbewerbern, Flüchtlingen und anderen Gruppen. Ja, die gibt es. Das hat auch von uns keiner bezweifelt, dass es diese Opfer gibt. Aber wir haben ganz konkret von der Landesregierung gehört, dass ein Bleiberechtsstatus für diese Opfer für keines der Verfahren für die Täter, die diese Straftaten begangen haben, von Relevanz war.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das stellen wir infrage!)

Es war keiner von Relevanz dabei, ansonsten hat die Landesregierung an der Stelle gelogen, wenn das anders wäre, oder Sie kennen andere Zahlen, dann hätten Sie uns unvollständig informiert. Es gibt keinen Fall in den letzten zwei Jahren, wo das von Relevanz war,

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich habe Ihnen gerade einen Fall benannt!)

weil nicht alle Opfer direkt abgeschoben wurden, sondern die Behörden entsprechend ihre Spielräume, die sie nach jetziger gesetzlicher Grundlage und auf dem Verordnungswege haben, ordnungsgemäß angewendet haben. Deswegen haben wir auch nachgefragt, wie viele konkret nach Abschluss des Verfahrens abgeschoben wurden. Auch diese Zahlen wurden uns genannt. Also sich hier vorn hinzustellen und zu tun, als ob jedes Opfer unmittelbar, nachdem es Opfer einer Straftat wurde, abgeschoben wird, ist Unfug.

(Beifall CDU, AfD)

Die Behörden nutzen ihre Spielräume bereits jetzt ordnungsgemäß aus.

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und es bedarf keiner Klarstellung durch die Landesregierung, wie ein Ermessensspielraum ausgenutzt wird, denn dafür ist ein Ermessensspielraum im Gesetz und in der Verordnung. Diese Familie aus Greiz, die Sie gerade zitiert haben, wäre ein neuer Fall. Dann wäre das wahrscheinlich der erste Fall,

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Nur weil Sie keinen weiteren Fall kennen, ist es nicht der erste Fall, Herr Herrgott!)

das werden wir gleich von der Landesregierung hören. Sie können sich doch nicht hier vorn hinstellen und vermuten, wenn wir Aussagen der Landesregierung dazu haben. Die Landesregierung hat nicht glasklar gesagt, wir wissen es nicht, sondern sie hat gesagt, es gibt keinen Fall. Das hat sie glasklar

gesagt. Dann hätte sie sagen müssen, wir wissen es nicht, wir können überhaupt keine Zahlen nennen, wir müssen noch einmal genau nachschauen, sondern sie hat gesagt, es gibt keinen Fall. Und wenn ich diese Aussage der Landesregierung habe, dann muss ich auch darauf vertrauen können, wenn ein Minister so eine Aussage trifft. Andernfalls muss er eine andere Aussage treffen. Es bleibt dabei: Der bisherige gesetzliche Rahmen ermöglicht den Behörden und auch unseren Gerichten eine ordnungsgemäße Abarbeitung der Verfahren. Ihres Antrags bedarf es an dieser Stelle nicht.

(Beifall CDU, AfD; Abg. Gentele, fraktionslos)

Als nächste Rednerin hat Abgeordnete Berninger das Wort.

Meine Damen und Herren, es gilt nicht das Motto: Was nicht sein darf, ist nicht oder wovon ich nichts weiß, das gibt es nicht, Herr Herrgott. Vielleicht glauben Sie, wenn ich eine Meldung des MDR vom 19. Januar dieses Jahres zitiere. Ich lese nur die Überschrift und den Vortext vor, aber da wird es schon deutlich, dass es eben nicht so ist, wie Sie sagen, was ich nicht sehe, das gibt es nicht. „Gesetzeslücke. Opfern rechter Gewalt droht Abschiebung.“ Das war die Überschrift. „Vier Opfern rechtsextremer Angriffe droht die Abschiebung. Betroffen ist auch ein Flüchtling, der in Neustadt an der Orla attackiert worden war“, also nicht Greiz, das ist ein anderer Fall. „Der Prozess gegen die Täter könnte damit platzen. Migrationsminister Lauinger“, hören Sie gut zu, „kritisiert die geltende Rechtslage als ‚unzureichend‘. Der Grünen-Politiker fordert deshalb einen Abschiebestopp bei laufenden Prozessen.“ Es scheint mir, als gäbe es doch Fälle und als wüsste es auch der Migrationsminister Dieter Lauinger.

(Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: Dann wusste er es drei Wochen später nicht mehr!)

Vielleicht – ich habe zwischendurch immer mal dazwischengerufen – müssen Sie sich mal belesen, das würde ich Ihnen einfach raten und uns jetzt hier nicht hinzustellen als Menschen, die, nur weil sie ideologisch einen gewissen Willen haben, hier Sachen erfinden, die gar nicht stimmen. Dem ist nicht so. Wir haben Zahlen genannt. Wir haben die Fälle, die uns beispielsweise von ezra genannt werden. Wir kennen persönlich Menschen, wo wir wissen, die sind Opfer eines rassistischen Übergriffs geworden, die sind jetzt nicht mehr da und das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt und es gibt überhaupt kein staatsanwaltschaftliches Verfahren, weil eben der Opferzeuge oder die Opferzeugin nicht mehr in Thüringen ist.