Protokoll der Sitzung vom 02.06.2017

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen Plenarsitzung, die ich hiermit eröffne. Ich begrüße auch die Gäste auf der Besuchertribüne.

Für die Plenarsitzung hat als Schriftführer neben mir Herr Abgeordneter Kräuter Platz genommen und die Redeliste wird von Herrn Abgeordneten Bühl geführt. Herzlichen Dank dafür.

Für die heutige Sitzung haben sich einige Kollegen entschuldigt: Herr Abgeordneter Emde, Frau Abgeordnete Holbe, Frau Abgeordnete Walsmann, Herr Ministerpräsident Ramelow, Herr Minister Prof. Dr. Hoff, Herr Minister Dr. Poppenhäger, Frau Ministerin Siegesmund. Alle übrigen Kollegen kommen wahrscheinlich später noch zu uns.

Ich darf aufgrund der Eilbedürftigkeit noch darauf hinweisen, dass ich Herrn Jörg Wagner und Herrn Andreas Weichold vom MDR FERNSEHEN für die heutige Plenarsitzung außerordentliche Akkreditierung für Bild- und Tonaufnahmen gemäß der Regelung für dringende Fälle nach § 17 Abs. 4 Satz 1 der Geschäftsordnung erteilt habe.

Zu Tagesordnungspunkt 14 wurde ein Alternativantrag der Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen in Drucksache 6/4013 verteilt.

Frau Abgeordnete Rothe-Beinlich hat ihre Mündliche Anfrage in der Drucksache 6/3979 zurückgezogen.

Die Landesregierung hat mitgeteilt, zum Alternativantrag der Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Tagesordnungspunkt 10 von der Möglichkeit eines Sofortberichts gemäß § 106 der Geschäftsordnung Gebrauch zu machen.

Ich frage: Gibt es weitere Wünsche zur Tagesordnung? Das ist nicht der Fall, alle glücklich, sodass wir in die Tagesordnung einsteigen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 21

Arbeitsbericht des Petitionsausschusses für das Jahr 2016 Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags - Drucksache 6/3989

Ich erteile dem Vorsitzenden des Petitionsausschusses, Herrn Abgeordneten Heym, das Wort für den Bericht des Petitionsausschusses. Herr Heym, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, die im Plenarsaal sind!

(Beifall CDU, SPD)

Ich begrüße Sie alle ganz herzlich heute Morgen und freue mich, Ihnen den alljährlichen Bericht des Petitionsausschusses für das in diesem Fall abgelaufene Jahr 2016 zukommen zu lassen.

Der Bericht dokumentiert einmal mehr die umfangreiche Tätigkeit des Petitionsausschusses. Er gibt Auskunft über die große Zahl der im Berichtszeitraum eingegangenen Petitionen und erläutert beispielhaft einige Fälle, mit denen sich der Ausschuss im Jahr 2016 befasst hat. Der Bericht beleuchtet darüber hinaus auch die Arbeit der Strafvollzugskommission.

Nach Artikel 14 der Thüringer Verfassung hat jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit Bitten oder Beschwerden an die Volksvertretung zu wenden. Eine ergänzende Regelung erfährt das Parlamentsrecht in Artikel 65 der Thüringer Verfassung. Danach obliegt dem Petitionsausschuss die Entscheidung über die in den Landtag eingereichten Eingaben.

Das bedeutet zum einen, dass alle Eingaben, aus denen mittels Auslegung zu entnehmen ist, dass der Petent eine parlamentarische Überprüfung seines Anliegens wünscht, dem Petitionsausschuss zuzuleiten sind. Zum anderen sieht die Verfassung im Gegensatz zu den Verfassungen der meisten anderen Bundesländer eine abschließende Entscheidung des Petitionsausschusses vor und nicht nur die Vorbereitung einer Entscheidung des Landtags.

Aus der verfassungsrechtlichen Regelung wird die besondere Bedeutung des Petitionsrechts ersichtlich. Das Petitionsrecht ist, wie es Prof. Hartmut Bauer aus Potsdam einmal ausdrückte, ein Urgestein europäischer Rechtskultur.

(Beifall SPD)

Nicht zuletzt aus dessen historischer Entwicklung lassen sich die ausgeprägten demokratischen, partizipatorischen Dimensionen des Petitionsrechts erkennen.

Hat eine Eingabe an den Landesherrn ursprünglich eher die Bedeutung einer Supplikation im Sinne eines untertänigen Bittens, hat sich ab dem Ende des 18. Jahrhunderts der Begriff der Petition verändert. Im Allgemeinen Preußischen Landrecht wurde im Jahr 1794 bereits festgelegt, wie mit Anliegen und Bitten umzugehen ist. Die landständische Verfassung des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach vom Mai 1816 war dann die erste deutsche Verfassung, die ausdrücklich ein Petitionsrecht beinhaltete. Später sah die sogenannte Paulskirchenverfassung von 1848/1849 vor, dass sich jeder Deutsche mit Bitten und Beschwerden an die Volksvertretungen und den Reichstag wenden

konnte. Eine ähnliche Formulierung enthielt auch die Weimarer Reichsverfassung.

Dies gilt unverändert und vielleicht gerade auch heute trotz unserer Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit und trotz eines weitreichenden Sozialleistungssystems. Reinhard Bockhofer, der sich jahrzehntelang mit der Entwicklung des Petitionsrechts befasst hat und der trotz hohen Alters anlässlich der Tagung der Vorsitzenden der Petitionsausschüsse des Bundes und der Länder im Jahre 2014 in Bremen einen beeindruckenden Vortrag über die Bedeutung des Petitionsrechts gehalten hat, hat dazu ausgeführt: Das Petitionsrecht erkenne die Unvollkommenheit des Rechts- und Sozialstaats. Und in der Tat: Es gibt immer noch genug Anlässe für Bitten und Beschwerden, es gibt Notfälle, die durch das Raster der Leistungssysteme fallen, und es gibt vielleicht Unrecht, das im komplizierten System des Rechtsschutzes möglicherweise nicht hinreichend ausgeglichen werden kann. Nicht alle Probleme lassen sich eben auf dem Rechtsweg bewältigen.

Dabei zeigt sich ein großer Vorteil des Petitionsrechts, der darin liegt, dass der Petitionsausschuss nicht auf eine Prüfung der Rechtmäßigkeit einer behördlichen Maßnahme beschränkt ist, sondern sich flexibel und vielleicht auch unkonventionell um Lösungen bzw. Kompromisse bemühen kann. Das Petitionsrecht gewährt einen unmittelbaren und thematisch unbegrenzten Zugang zu den Volksvertretungen.

Natürlich ist der Petitionsausschuss in erster Linie der Kummerkasten des Landtags. Die Abgeordneten erfahren dadurch, was die Menschen bewegt und wie sich die Gesetze, die hier erlassen werden, letztlich auf die Bürgerinnen und Bürger im täglichen Leben auswirken und wo gesetzliche Regelungen gegebenenfalls überarbeitet werden müssen.

Bei dem Petitionsrecht geht es aber auch um mehr: Gerade am Petitionsrecht wird deutlich, dass sich Demokratie nicht im Ankreuzen einer Liste oder eines Kandidaten bei Wahlen erschöpft. Demokratie lebt nicht nur von Wahlen allein. Wesentliche Elemente der Demokratie sind vielmehr das Engagement von und die politische Auseinandersetzung mit Bürgerinnen und Bürgern, die sich einmischen und aktiv am Prozess der parlamentarischen Willensbildung teilhaben.

Ich glaube, insbesondere das Instrument, Petitionen im Internet veröffentlichen und von Unterstützern mitzeichnen zu lassen, kann dabei helfen, einer weit verbreiteten Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Ein Thema öffentlich zu machen, es im Internet mitzeichnen zu lassen und im Rahmen einer öffentlichen Ausschusssitzung zu erörtern, kann zu einem besseren Verständnis der Probleme auch bei den Abgeordneten führen, die nicht die

Möglichkeit haben, sich im Petitionsausschuss mit einem betreffenden Thema zu befassen, und so gegebenenfalls Parlamentsentscheidungen im Sinne des Anliegens einer Petition fördern.

Mit der Möglichkeit moderner Kommunikationstechnologie stellt sich letztendlich aber die Frage, ob wir damit auch größere Teile der Bevölkerung erreichen, als dies früher der Fall war. Wissen dadurch heute aber wirklich mehr Bürgerinnen und Bürger etwas von dem verfassungsrechtlich geschützten Petitionsrecht?

Ich möchte auf diese Frage gleich zurückkommen, möchte aber zuvor betonen, dass die Mitglieder des Petitionsausschusses im Jahre 2016 ein sehr hohes Arbeitspensum bewältigt haben. Dabei freut es mich immer wieder, wie engagiert die Mitglieder des Ausschusses sich dafür einsetzen, über parteioder fraktionspolitische Interessen hinweg konsensorientiert tragfähige Lösungen im Sinne der Petenten zu finden.

(Beifall CDU)

Erneut haben den Petitionsausschuss im Jahr 2016 deutlich über 1.000 Petitionen erreicht. Mit insgesamt 1.102 Eingaben haben sich Bürgerinnen und Bürger im Berichtszeitraum an den Landtag gewandt.

Die Schwerpunkte der Ausschussarbeit haben sich in den letzten Jahren kaum verändert. Mit 260 Petitionen betrafen erneut die meisten Anliegen das Thema „Straf- und Maßregelvollzug“. Weitere hohe Eingangszahlen mit 128 Petitionen waren in den Bereichen Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit zu verzeichnen. Den Bereich Wissenschaft, Bildung und Kultur betrafen 88 Petitionen und 86 Eingaben den Bereich Wirtschaft und Infrastruktur.

Insgesamt hat sich der Petitionsausschuss im Berichtszeitraum sogar mit 1.338 Petitionen befasst. Bei über 10 Prozent der abgeschlossenen Petitionen konnte der Ausschuss den jeweiligen Anliegen ganz oder teilweise abhelfen und in nahezu jedem zweiten Fall wurde eine Petition mit Auskünften zur Sach- und Rechtslage abgeschlossen. In lediglich 8 Prozent der Fälle hat der Ausschuss keine Möglichkeit gesehen, dem geschilderten Anliegen abzuhelfen.

Es freut mich ganz besonders, wie gut von den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit angenommen wird, Petitionen auf der Petitionsplattform des Ausschusses zu veröffentlichen und von Unterstützern mitzeichnen zu lassen. 165 Anträge auf Veröffentlichung von Petitionen sind im Berichtszeitraum an den Ausschuss herangetragen worden. Nach § 14a unseres Petitionsgesetzes können Petitionen veröffentlicht werden, wenn sie ein Anliegen von öffentlichem Interesse zum Gegenstand haben und dieses für eine sachliche öffentliche Diskussion geeignet ist. In 33 Fällen hat der Ausschuss diese Voraus

setzungen als gegeben angesehen und einer Veröffentlichung zugestimmt.

Ziel der Petenten ist es dabei stets, ihr Anliegen möglichst im Rahmen einer öffentlichen Anhörung vorzutragen. Eine öffentliche Anhörung erfolgt aber erst, wenn ein veröffentlichtes Anliegen innerhalb von sechs Wochen von mindestens 1.500 Unterstützern mitgezeichnet wird. Dies war im Jahr 2016 zweimal der Fall. Im Rahmen einer öffentlichen Anhörung setzten sich die Petenten für die Einstellung zusätzlicher Lehrer in Thüringen ein. In dem anderen Fall ging es um die geplante Gebührenerhöhung für die Nutzung der Internate an den Thüringer Spezialgymnasien. Dabei beklagte ein Vater zweier Töchter die im Rahmen einer Verwaltungsvorschrift vorgesehene Erhöhung der Gebühren für die Unterbringung und Verpflegung der fünf Spezialgymnasien in Thüringen zum Schuljahr 2016/2017. Der Petent hatte Gelegenheit, sein von zahlreichen Unterstützern mitgezeichnetes Anliegen im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im Landtag vorzutragen. Die Geltungsdauer der für die Planung der Einnahmen der Spezialgymnasien als Grundlage herangezogenen Verwaltungsvorschrift war Ende 2015 abgelaufen. Die im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens festgestellte Kostenentwicklung für die vorangegangenen Jahre 2009 bis 2013 hatte eine Unterdeckung der Unterkunftskosten ergeben. Nach Auffassung des zuständigen Thüringer Bildungsministeriums war eine angemessene Verpflegung mit den eingeplanten Mitteln nicht mehr zu gewährleisten. Bei allem Verständnis für die betroffenen Eltern, die die Steigerung der Gebühren für Unterkunft und Verpflegung um 77 Euro monatlich teilweise als sehr hoch empfanden, sah der Petitionsausschuss im Ergebnis seiner Beratung allerdings keine Anhaltspunkte, um die Entscheidung der Landesregierung bezüglich der Gebührenerhöhung zu beanstanden. Insbesondere unter Beachtung der Haushaltsprinzipien der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit ließ sich nach Auffassung des Petitionsausschusses eine Erhöhung der Gebühren im Ergebnis nicht vermeiden. Dabei war nicht zuletzt zu berücksichtigen, dass die Höhe der Gebühren seit dem Schuljahr 2008/2009 unverändert geblieben war. Eine hinreichende sozial verträgliche Lösung sah der Ausschuss allerdings darin, dass in den zwei kommenden Schuljahren eine Steigerung der Gebühren um je 250 Euro jährlich und im Schuljahr 2018/2019 um 270 Euro erfolgen soll. Außerdem wurde die einkommensabhängige soziale Staffelung verbessert, die bis zum möglichen kompletten Wegfall der Gebührenpflicht führen kann.

Auch in diesem Jahr hat der Petitionsausschuss übrigens bereits wieder drei öffentliche Anhörungen durchgeführt. Im Januar erfolgte die Anhörung zu einer Petition, die den Petitionsausschuss schon im Jahr 2016 intensiv beschäftigt hat. Hintergrund der

Petition war die von der Ahmadiyya-Gemeinde geplante Errichtung einer Moschee im Erfurter Ortsteil Marbach. Ziel der Petition war die Normierung einer abstrakt-generellen Regelung, die bei der Errichtung und Nutzung von Gebäuden zu religiösen Zwecken gewährleisten solle, dass bereits im baurechtlichen Genehmigungsverfahren mögliche, von religiösen und kulturellen Konflikten ausgehende Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie die Rechte von Anliegern umfassend Berücksichtigung finden. Wie nicht anders zu erwarten war, verlief die öffentliche Anhörung in einer emotional durchaus aufgeheizten Atmosphäre. Für den Petitionsausschuss war es zunächst nicht einfach, die vorgebrachten Argumente rechtlich zu kanalisieren. Dies schon deswegen, weil es hier um einen Ausgleich zwischen dem staatlichen Planungsund dem religionsgemeinschaftlichen Selbstbestimmungsrecht ging, Sakralbauten zu errichten oder vorhandene Räume zu sakralen Zwecken zu nutzen. Die von dem Petenten angeregte gesetzliche Regelung setzt in religiöser Hinsicht eine Bewertung der bauantragstellenden Religionsgemeinschaft sowie gegebenenfalls weiterer Religionsgemeinschaften und deren gegenseitiges, durch Glaubenssätze begründetes Verhältnis notwendig voraus. Dem weltanschaulich neutralen Staat ist es jedoch verwehrt, Glaube und Lehre einer Religionsgemeinschaft zu beurteilen. Aus baurechtlicher Sicht war lediglich zwischen den Regelungen des Bauplanungs- und des Bauordnungsrechts zu unterscheiden. Gegenstand des landesrechtlichen Bauordnungsrechts sind beispielsweise Fragen des Brandschutzes oder Ähnliches. Derartige Fragen sind jedoch unabhängig von der Glaubensrichtung der Nutzer zu beurteilen und werden durch diese auch nicht beeinflusst. Das Bauplanungsrecht hingegen fußt auf dem bundesrechtlichen Baugesetzbuch und ist somit der Zuständigkeit des Petitionsausschusses des Thüringer Landtags entzogen. Alles in allem zeigte sich daher, dass das Baurecht nicht geeignet ist, religiöse oder kulturelle Streitfragen zu entscheiden. Gleichwohl waren die von dem Petenten vorgetragenen Befürchtungen hinsichtlich möglicher von religiösen und kulturellen Konflikten ausgehender Beeinträchtigungen nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Aus diesem Grund hatte der Petitionsausschuss erwogen, diese Fragen im Rahmen eines begleitenden Mediationsverfahrens aufzuarbeiten. Für mich selbst bedauerlich wurde letztlich allerdings mehrheitlich von einer entsprechenden Empfehlung abgesehen.

Wenden wir uns nun wieder der Entwicklung der modernen Kommunikationstechnologien zu. Leider stellen wir dabei auch Schwächen fest. Dies insbesondere, wenn wir die Zahl privater Petitionsportale im Internet und deren stetig steigende Nutzerzahlen betrachten. Mit der Veröffentlichung ihrer Petitionen erreichen die Nutzer zwar eine gewisse öffentliche

Diskussion ihres Anliegens. Meist ist ihnen aber nicht bewusst, dass die betreffenden Anliegen in den Parlamenten bzw. in den Petitionsausschüssen der Parlamente überhaupt nicht behandelt werden und somit praktisch ins Leere laufen. Zweifellos ist das Auftreten privater Petitionsplattformen als Bestandteil eines Prozesses anzusehen, der einen gewissen Formwandel der Demokratie beschreibt und der von einer Zunahme von Partizipationsansprüchen der Bevölkerung gekennzeichnet ist.

Die Möglichkeit, Petitionen öffentlich mitzuzeichnen, hat allerdings auch den Charakter von Parlamentspetitionen verändert. Aus dem früheren individuellen Gesuch ist ein kollektives und auf Themensetzung gerichtetes Instrument geworden. Dies ist grundsätzlich nicht verkehrt, da damit gesellschaftliche Probleme und Sichtweisen in den parlamentarischen Prozess gebracht werden, die andernfalls möglicherweise nicht genügend Berücksichtigung gefunden haben. Private Petitionsportale können damit als niederschwellige Plattformangebote angesehen werden, die es den Bürgerinnen und Bürgern erleichtern, auf ein bestimmtes Anliegen aufmerksam zu machen und Gleichgesinnte hinter sich zu einem Thema zu vereinen.

Dem Initiator einer Petition wird es damit im Verhältnis zur früher durchaus üblichen Unterschriftensammlung auf Straßen und anderen öffentlichen Plätzen erleichtert, einem politischen Anliegen durch eine entsprechende Unterstützerschar Nachdruck zu verleihen. Die Erfahrungen des Petitionsausschusses zeigen allerdings, dass nur ein Bruchteil der auf privaten Plattformen veröffentlichten Petitionen zu landesspezifischen Themen anschließend den Weg in das reguläre parlamentarische Petitionsverfahren findet.

Der Petitionsausschuss hat sich im Berichtszeitraum daher intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Dabei wurde auch das Gespräch mit dem Geschäftsführer der Firma openPetition gesucht und diesem die Möglichkeit gegeben, die eigenen Angebote, die auf eine Kooperation mit den Petitionsausschüssen der Länder abzielen, zu erläutern. Das Portal openPetition ermöglicht es seinen Nutzern, auf seiner Homepage Petitionen zu erstellen, bereits bestehende Petitionen zu unterstützen sowie sich in einem Forum an Diskussionen über die in den Petitionen aufgeworfenen Themen zu beteiligen. Der Internetauftritt wurde dahin gehend erweitert, dass dort nunmehr auch Petitionen von den Petitionsportalen des Bundestags und der ein entsprechendes Angebot vorhaltenden Landtage integriert werden.

Die Petitionen, die von den optischen Portalen der Parlamente gespiegelt werden, werden optisch und systematisch in das bereits vorgehaltene Angebot von openPetition integriert. Die Petitionen können dort durch einen Filter ausgewählt werden, lassen

sich optisch aber lediglich aufgrund der Darstellung des jeweiligen Parlamentslogos von den weiteren dort veröffentlichten Petitionen unterscheiden.

Bei den Landesparlamenten gibt es dazu kontroverse Auffassungen. Während die Bremische Bürgerschaft dem Anliegen von openPetition entsprochen und die Genehmigung zur Nutzung des Logos erteilt hat, hat der Thüringer Landtag zunächst darum gebeten, von einer Nutzung des Logos abzusehen, was seitens openPetition auch umgehend berücksichtigt wird. Das Angebot von openPetition führt letztendlich zu einer Durchbrechung der bisherigen Koexistenz von privaten und öffentlichen Petitionsplattformen, da bei openPetition nunmehr nicht mehr nur die originär dort eingereichten Petitionen zu finden sind, sondern auch die Inhalte der offiziellen Portale der Parlamente gebündelt werden.

Durch die gewünschte Verwendung des Landtagslogos seitens openPetition kann natürlich suggeriert werden, auf der entsprechenden Plattform handle es sich um einen staatlich organisierten Internetauftritt. Im Rahmen der Tagung der Vorsitzenden der Petitionsausschüsse des Bundes und der Länder, die im letzten Jahr in Potsdam stattfand, habe ich ausführlich auf die Aspekte hingewiesen, die bei einer möglichen Zusammenarbeit mit privaten Plattformen zwingend zu beachten sind. Dabei spielen datenschutzrechtliche Belange eine nicht zu unterschätzende Rolle; dies etwa dann, wenn ein Petent die Zustimmung für die Veröffentlichung seiner Petition zurückzieht. In einem solchen Fall würde die Petition auf der Plattform des Thüringer Landtags gelöscht. Ob dies auch bei openPetition automatisch passiert, kann zumindest nicht ohne Weiteres garantiert werden. Nach unseren Informationen ist es vielmehr so, dass zurückgezogene Petitionen nicht mehr mitgezeichnet werden können, jedoch weiterhin archiviert und sichtbar bleiben.

Weiterhin besteht die Gefahr, dass Inhalte sinnentstellend übernommen werden. Während die eigentlichen Petitionstexte nach Aussage von openPetition automatisch in das eigene Angebot überführt werden, werden die Titel der Petitionen offensichtlich redaktionell bearbeitet, wobei den Bearbeitern Fehler unterlaufen können. Bei einer Stichprobe wurde so zum Beispiel festgestellt, dass der Titel der Thüringer Petition „Keine Gebührenerhöhung an Thüringer Spezialgymnasien“ bei openPetition sinnentstellend mit „Keine Gebührenerhebung an Thüringer Spezialgymnasien“ angegeben wurde. Allgemein ist kritisch anzumerken, dass bei privat betriebenen Petitionsportalen mit den dort eingestellten Petitionen letztendlich falsche Hoffnungen verbunden sind bzw. geweckt werden.

Das Sammeln von Mitzeichnungen auf einem privat betriebenen Portal ist jedoch lediglich ein Akt gemeinsamer Willensbildung. Eine parlamentarische Prüfung der Angelegenheit lässt sich nur durch das

Einreichen der Petition beim zuständigen Parlament erreichen. Damit besitzt die direkte Anbindung von Petitionen an das Parlament selbstverständlich eine größere Legitimität als private Petitionsplattformen. Nur im parlamentarischen Petitionsverfahren ist gewährleistet, dass ein Anliegen von einem dem Stimmenverhältnis entsprechend besetzten parlamentarischen Gremium, nämlich dem Petitionsausschuss, geprüft wird. Diese Prüfung geht regelmäßig mit einer detaillierten Sachverhaltsrecherche einher, in deren Rahmen der Petitionsausschuss auch die Möglichkeit hat, Verwaltungsakten einzusehen oder Sachverständige anzuhören, um bestimmte staatliche Maßnahmen nachvollziehen zu können.