In der ehemaligen DDR und damit auch in den ehemaligen Bezirken Erfurt, Gera und Suhl, dem wesentlichen Gebiet des heutigen Thüringens, wurden in der Zeit von 1945 bis 1989 Christen ausgegrenzt und benachteiligt. Die Landesregierung hat sich zumindest im Koalitionsvertrag die Aufarbeitung der SED-Diktatur zum Ziel gesetzt, welche auch die Betrachtungen der Behandlung von Christen einschließt. Auch auf dem 23. Tag der Thüringischen Landesgeschichte am 17. September 2016 hat die Landesregierung, Minister Prof. Dr. Hoff, dazu ausgeführt. Zu dieser Thematik existieren auch offene Briefe von Pedro Hertel und Gerhard Sammet, zwei sehr aktive parteilose Christen aus Ilmenau, unter anderem auch an den Ministerpräsidenten. Der Ministerpräsident will den beiden laut „Thüringer Allgemeine“ vom 1. März 2017 antworten, aber nicht im Rahmen eines offenen Briefs.
1. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass Christen in Thüringen in der Zeit von 1945 bis 1989 verfolgt, diskriminiert und benachteiligt wurden, und wie begründet sie dies?
2. Ist die Rede des Ministers für Kultur, Bundesund Europaangelegenheiten sowie des Chefs der Staatskanzlei auf dem 23. Tag der Thüringischen Landesgeschichte am 17. September 2016 inzwischen als Stellungnahme der Landesregierung – und nicht nur als Rede des Ministers – zu diesem Thema – und wo und seit wann – veröffentlicht und wenn nein, warum nicht?
3. Welche Auffassung vertritt die Landesregierung zu dem in der ehemaligen DDR geprägten Begriff des wissenschaftlichen Atheismus insbesondere im Hinblick darauf, dass die ehemalige SED damit die Verbreitung von Religion nach meiner Auffassung auf wesentlich subtilere Weise bekämpfte und damit das Ziel von Kirchenaustritten letztlich viel nachhaltiger betrieb, als es in den anderen sozialistischen Staaten der Fall war?
4. Wie will die Landesregierung bzw. der Ministerpräsident öffentlich dem Schicksal vieler Zwangsmaßnahmen gegen Christen in Thüringen in der Zeit von 1945 bis 1989 gerecht werden?
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Abgeordnete – Entschuldigung, wir hatten ein wenig Chaos, ich wusste nicht, dass es schon um 13.25 Uhr beginnt –, ich darf für die Landesregierung die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Bühl beantworten und mit einer Vorbemerkung beginnen:
Der in der Anfrage verwendete Begriff der Verfolgung wird weder von der Kirche selbst noch von der überwiegenden Mehrheit der Betroffenen verwendet, da man sich nicht mit den Opfern der Christenverfolgung früherer Jahrhunderte vergleichen möchte. Dazu besteht ebenfalls Einigkeit in der AG „Christen“. Daher spricht die Landesregierung von systematischer Benachteiligung bis zu Repression sowie von einem religionsfeindlichen System.
Zu Frage 1: – Ich wiederhole die Fragen nicht, wenn Sie gestatten. – Die Landesregierung sieht in dem repressiven Umgang mit der christlichen Bevölkerung, den Kirchen und anderen christlichen Religionsgemeinschaften in den verschiedenen Phasen der 40-jährigen Kirchen- und Religionspolitik der SED, vor allem in den unterschiedlichsten Maßnahmen zu einer gezielten religiösen Entwurzelung durch Alltagsdiskriminierung, Infiltration und Zersetzung eine historische Tatsache. Sie ist seit 1990 nicht nur in der Forschung, sondern vor allem auch als Gegenstand der rechtlichen und zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der DDR als Unrechtsstaat belegt. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Ergebnisse der Enquetekommission „Überwindung der Folgen der SEDDiktatur im Prozess der deutschen Einheit“ verwiesen – siehe deren Abschlussbericht vom 10. Juni 1998, Bundestagsdrucksache 13/11000. Sie befasste sich sehr intensiv mit dem Themenkreis „Christen“. Ihre Ergebnisse gelten heute noch fort.
Zu Frage 2: Die Rede vom 17. September 2016 wurde nicht als Stellungnahme der Landesregierung veröffentlicht. Am 24. März dieses Jahres wurde die Arbeitsgruppe „Christen, Kirchen und andere christliche Religionsgemeinschaften im DDR-Unrechtsstaat – Diskriminierung von Christen in der DDR und ihre Wirkungsgeschichte“ konstituiert. Sie besteht aus Vertretern der Kirchen und anderer christlicher Religionsgemeinschaften, wissenschaftlichen Beratern und Vertretern der Landesregierung. Die Arbeitsgruppe wird von Staatssekretärin Dr. Babette Winter als Vorsitzende der interministeriellen Arbeitsgruppe zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Thüringen – „IMAG Aufarbeitung“ – geleitet. In den gemeinsam festgelegten Arbeitsauftrag sind die im September 2016 öffentlich angesprochenen Eckpunkte zum Thema „Aufarbeitung der Situation der Christen in der DDR“ eingeflossen.
Zu Frage 3: Der Begriff des „wissenschaftlichen Atheismus“ in der DDR erfasst nur einen Teilaspekt, wenn es darum geht, die Ursachen und Folgewirkungen systematischer Deformationsbestrebungen zulasten von Christen, Kirchen und anderen christlichen Religionsgemeinschaften differenziert darzustellen. Die Landesregierung sieht in Übereinstimmung mit den übrigen Mitgliedern der Arbeitsgruppe mit Fokus auf Thüringen den formulierten Arbeitsauftrag weiter gefasst. Es geht unter
Zugrundelegung der schon in den 1990er-Jahren vorliegenden Forschungsergebnisse zum einen um die Schärfung der Terminologie hinsichtlich der Artikulation von Diskriminierungserfahrungen in der DDR. Geklärt werden soll hier etwa die gesellschaftliche Einordnung des „Opfer- und Widerstandsbegriffs“ – ebenfalls in Anführungszeichen, weil es ein Zitat ist – unter Berücksichtigung von Begriffen wie „Benachteiligung“, „Diskriminierung“, „Repression“, „Schikane“ sowie „Opposition“, „Verweigerung“, „Dissidenz“.
Die inhaltliche Auseinandersetzung sieht die Arbeitsgruppe mit dem Schwerpunkt in den Bereichen „Verhinderte oder behinderte Bildungsbiografien“ – insbesondere die Nichtzulassung von Schülerinnen und Schülern zum Abitur und Studium und das Versagen von Ausbildungsplätzen –, „Christen und Wehrdienst“ – berufliche Diskriminierung von Christen –, „Räte der Bezirke, Abteilung Kirchenfragen“ und deren Rolle in Zusammenarbeit mit dem MfS, „Behinderung der Seelsorge“ – Repression in der kirchlichen Jugendarbeit – sowie „Antichristliche und antikirchliche Propaganda“. Soziologisch geht es dabei auch um die Betrachtung von Langzeitwirkungen der unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen und Propaganda in der DDR-Diktatur, also letztlich bis heute.
Zu Frage 4: Bereits heute bieten unsere Gedenkund Bildungsstätten unterschiedliche Möglichkeiten der Information, der Begegnung und des Austauschs. Dem erkennbaren Bedürfnis von Betroffenen und Opfern, über Erlebtes und Erlittenes zu sprechen, soll jedoch vermehrt Rechnung getragen werden. Die Arbeitsgruppe wird sich deshalb insbesondere auch mit der Frage nach geeigneten Dialogformaten befassen. Die „IMAG Aufarbeitung“ hat im Rahmen ihrer Gesprächsreihe „Was auf der Seele brennt – SED-Unrecht im Dialog“ bereits im Mai dieses Jahres eine öffentliche Veranstaltung zum Thema „Christen, Kirchen und andere christliche Religionsgemeinschaften im DDR-Unrechtsstaat“ durchgeführt. Das moderierte Gespräch hatte zum Ziel, gemeinsam mit Opfern, Betroffenen, ihren Betroffenenselbstorganisationen sowie interessierten Bürgerinnen und Bürgern über das Thema „Christliche Schülerinnen und Schüler in der DDR“ zu sprechen, um gemeinsam möglichst konkrete Handlungserfordernisse zu identifizieren. Ich gehe davon aus, dass es auch innerkirchliche Gespräche und Würdigungen gibt. Neben Christen sollen jedoch alle Opfer und Betroffenen von Repressionsmaßnahmen des SED-Regimes nicht vergessen werden. Neben den Gedenkstätten seien hier auch die Angebote der Aufarbeitungsinitiativen erwähnt.
Ich würde gern noch einmal auf die Frage Nummer 2 zurückkommen wollen, wo ich gefragt hatte, warum die Rede nicht veröffentlicht wurde. Dazu habe ich jetzt von Ihnen noch keine Antwort vernommen. Vielleicht könnten Sie das noch beantworten.
Das kann ich Ihnen ad hoc nicht beantworten, außer dass es nicht so ist, dass sämtliche Reden, die ein Minister hält, veröffentlicht werden. Aber ich werde noch einmal prüfen lassen, ob das veröffentlicht werden soll, und würde Ihnen dann entsprechend noch mal eine Auskunft zukommen lassen.
Genau. Mir geht es, weil das auf der Webseite des Ministers veröffentlicht wurde, primär um die Frage: Ist das privat von ihm veröffentlicht oder wird das noch mal von der Staatskanzlei veröffentlicht?
Herr Abgeordneter Bühl, wir sind jetzt schon ein bisschen außerhalb der Geschäftsordnung. Aber wir haben das alle verstanden, die Zuarbeit ist zugesagt. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zur nächsten Anfrage in der Drucksache 6/4080. Fragesteller ist Herr Abgeordneter Prof. Dr. Voigt, CDU-Fraktion, vorgetragen von Herrn Abgeordneten Geibert.
In der Medieninformation Nummer 6/2017 des Thüringer Verfassungsgerichtshofs zu seinem Urteil zum Vorschaltgesetz wird angemahnt, dass die individuelle Leistungsfähigkeit der Landkreise im Mittelpunkt stehen müsse. Es reiche nicht, nur Einwohnerzahlen und Größe zu betrachten. Auch die dauerhafte Leistungsfähigkeit und Traditionen müssen in den Blick genommen werden.
Hildburghausen, der zweitkleinste Landkreis Thüringens, verfügte im Jahr 1990 über keine nennenswerte Industrie und ist aller Voraussicht nach zum Jahresende schuldenfrei. Damit steht der zweitkleinste Landkreis in Thüringen an drittbester finanzieller Stelle unter allen 17 Kreisen. Der sechstgrößte Landkreis hingegen, der Unstrut-HainichKreis, ist der höchstverschuldete Kreis in Thüringen. Dieses Jahr erhält der Unstrut-Hainich-Kreis eine Bedarfszuweisung in Höhe von circa 10 Millionen Euro, um die laufenden Kosten zu finanzieren. Ähnlich verhält es sich mit der kreisfreien Stadt Gera, die im Zuge der Kreisgebietsreform im Jahr 1994 26 Ortschaften eingemeindet hatte und dieses Jahr circa 7 Millionen Euro an Bedarfszuweisungen erhält.
1. Wie erklärt die Landesregierung im Hinblick auf die behauptete Notwendigkeit von Mindestgrößen für Landkreise, dass einerseits der zweitkleinste Landkreis Hildburghausen wahrscheinlich in naher Zukunft schuldenfrei sein wird und andererseits der sechstgrößte Landkreis, der Unstrut-Hainich-Kreis, der höchstverschuldete Thüringens ist?
2. Welcher sachliche Grund steht für die Landesregierung, unter Beachtung der Vorgaben des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, einem Fortbestand des Landkreises Hildburghausen entgegen?
3. Welche Auffassung vertritt die Landesregierung zu dem Argument, dass wirtschaftlich erfolgreichen Kreisen ihre Selbstständigkeit erhalten bleiben und das Kreisgebiet nicht durch Kriterien wie Einwohnerzahl und Größe bestimmt werden soll?
4. Welche Schlussfolgerungen zieht die Landesregierung aus den dargelegten Fakten im Hinblick auf mögliche Zwangsfusionen im Zuge einer Gebietsreform?
Für die Landesregierung antwortet das Ministerium für Inneres und Kommunales, Herr Staatssekretär Götze.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Voigt beantworte ich für die Landesregierung wie folgt:
Die Antwort zu Frage 1: Mindestgrößen sind ein geeignetes Mittel zur Stärkung von kommunalen Gebietskörperschaften im Rahmen von Gebietsreformen. Das ist in der Verwaltungswissenschaft und der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt. Die Mindestgrößen sind dabei im Zusam
menhang mit der Gesamtstruktur der neu zu bildenden Landkreise zu sehen. Sie ermöglichen einen großräumigen Interessen- und Lastenausgleich und schaffen die Grundlage für eine ausgewogene Entwicklung aller Landesteile. Deshalb kommt es nicht auf die Leistungsfähigkeit einzelner Landkreise, sondern darauf an, wie die Leistungsfähigkeit der Landkreise in die Gesamtstruktur eingeordnet werden kann. Es ist hierbei wenig hilfreich, einzelne Landkreise zu vergleichen und im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit nur auf die Verschuldung abzustellen. Außerdem wird eine Vergleichbarkeit, wie sie der Fragesteller zu suggerieren versucht, durch die ganz unterschiedliche Ausgangslage und Entwicklung der Thüringer Kreise ausgeschlossen. Welche Entwicklung durch eine Gebietsreform vergrößerte Landkreise nehmen, hängt darüber hinaus insbesondere von einer Vielzahl von Einzelentscheidungen, auch der kommunalen Verantwortungsträger, ab.
Die Antwort zu Frage 2: Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat das Vorschaltgesetz zur Durchführung der Gebietsreform in Thüringen vom 2. Juli 2016 wegen eines Verstoßes gegen die Anhörungspflicht nach Artikel 91 Abs. 4 der Verfassung des Freistaats Thüringen am 9. Juni 2017 für formell verfassungswidrig und nichtig erklärt. Damit die Hinweise des Thüringer Verfassungsgerichtshofs im Hinblick auf die angesprochenen konkreten Neugliederungsmaßnahmen angemessen beachtet werden können, muss zunächst die ausführliche Begründung des Urteils vom 9. Juni 2017 abgewartet werden. Das gebietet auch der Respekt vor dem Verfassungsgerichtshof und dessen Hinweisen.
Die Antwort zu Frage 3: Jede Gebietsreform muss neben der angesprochenen Leistungsfähigkeit der Landkreise darauf ausgerichtet sein, bestehende Nachteile im Zuge der erforderlichen Landkreiszusammenschlüsse so weit wie möglich auszugleichen. Damit wird die Grundlage für eine ausgewogene, relativ gleichgewichtige Entwicklung für die Bürgerinnen und Bürger des Freistaats Thüringen geschaffen.
Vielen Dank. Herr Staatssekretär, welche Kriterien sind aus Sicht der Landesregierung für die Leistungsfähigkeit der Landkreise denn einzustellen?
Sie hatten eben ausgeführt, dass das Kriterium Verschuldensstand kein hinreichendes Kriterium sei, sondern weitere auszuführen bzw. heranzuziehen seien. Ich frage nur: Welche?
Die Leistungsfähigkeit, das wissen Sie, ergibt sich auch aus dem Haushalt, aus der Mittelfristigen Finanzplanung, aus erwarteten Einnahmen und Ausgaben, also eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung quasi, will ich es jetzt mal untechnisch umschreiben, des Landkreises, wobei ich auch kommunale Unternehmen etc. mit in die Betrachtung einzubeziehen habe. Ich würde Ihnen diese Frage, Herr Geibert, ergänzend auch gern noch schriftlich beantworten. Das ist überhaupt kein Problem.
Das nehmen wir zur Kenntnis. Herr Staatssekretär, es gibt eine weitere Nachfrage des Abgeordneten Harzer.
Herr Staatssekretär, ist der Landesregierung bekannt, dass Landkreise keine Leistungsfähigkeit aufweisen, da sie keine eigenen Steuereinnahmen haben? Und ist der Landesregierung bekannt, dass gerade im Landkreis Hildburghausen über mehrere Monate die Bereiche Amtstierarzt/Amtsarzt nicht besetzt waren und dass der Landkreis Hildburghausen aufgrund von eingesparten Personalkosten die Kreisumlage jetzt gesenkt hat, bis dato eine der höchsten hatte und nach wie vor entsprechend Aufgaben nicht erfüllen kann, man also von einer Leistungsfähigkeit nicht reden kann?