Protokoll der Sitzung vom 02.11.2017

Mike Mohring hat ein bisschen was davon dargestellt, dass er Teil des Problems ist. Ich will es benennen. Wir hatten es schon bei anderen Erklärungen hier am Pult, dass Mike Mohring einfach nicht die Wahrheit sagt. Wir reden zum Beispiel von der Wahl im Justizausschuss bzw. der Nichtwahl von Stefan Möller im Justizausschuss – einer geheimen Wahl, einer demokratischen Wahl von Abgeordneten, die ihrem Gewissen verpflichtet sind, und wo niemand wissen kann, wer wie gestimmt hat, auch der CDU-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag nicht. Sich dann hierherzustellen und zu behaupten, wie die Abgeordneten abgestimmt haben, das grenzt nicht nur an die Nichtwahrheit, sondern es ist sie, und es ist der fehlende Respekt vor dem Parlament und dem Recht des einzelnen Abgeordneten.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Unruhe CDU)

Dass sich Stefan Möller als Justizausschussvorsitzender überhaupt nicht geeignet hätte, das steht auf einem völlig anderen Blatt.

(Zwischenruf Abg. Henke, AfD: Er ist ja nur Rechtsanwalt!)

Das heißt noch lange nichts.

Das mag auch dahinter liegen, trotzdem bleibt es die freie Entscheidung der Abgeordneten wie bei allen anderen Entscheidungen in diesem Parlament auch.

Dann kommen wir zum Thema „Polizei“. Da behauptet Mike Mohring, wir stimmen einfach die Anträge der CDU weg, wenn es um die Polizei geht.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Auch die AfD-Anträge stimmen Sie nieder!)

Das ist faktisch gelogen. Es gab einen CDU-Antrag zum Thema „Schwerlasttransporte schützen – Polizei entlasten“. Das haben wir gemeinsam mit der CDU durch den Thüringer Landtag gebracht. Wir haben gemeinsam für den Antrag gestimmt. Es ist schlicht falsch, dass wir diese Anträge nicht mitstimmen.

(Zwischenruf Abg. Walk, CDU: Diesen einen!)

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Diesen Antrag haben Sie bislang nicht gestellt!)

Zur Wahrheit gehört dazu: Es war die CDU in Verantwortung, die einen Stellenabbaupfad in der Polizei von 1.300 Stellen beschlossen hat. Sich jetzt hierherzustellen als der Retter der Polizei, indem man die Ausbildungskapazität erhöht, das verschleiert einfach, dass es die CDU war, die die Polizei erst mal kaputtgespart hat und an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit gebracht hat.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das gehört zur Wahrheit eben auch dazu.

Und wenn wir schon beim Thema sind: Die CDU war lange Zeit stolz darauf, dass Thüringen Niedriglohnland Nummer 1 ist. Niedriglohnland bedeutete, um es mal zu beschreiben, dass – als der Mindestlohn mit 8,50 Euro pro Stunde eingeführt worden ist – 25 Prozent, sprich jeder vierte Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin, in Thüringen davon profitiert haben, dass es den Mindestlohn gibt. Man stelle sich vor, was das für diese Menschen bedeutet, wenn sie in Rente gehen. Dann reden wir von Altersarmut. Ich bekomme als Parteivorsitzende häufig die Schreiben – 580 Euro Rente, 620 Euro Rente –, ich bin von jedem enttäuscht. Natürlich, wer ein Niedriglohnland in diesem Land geschaffen hat, der ist auch dafür verantwortlich, dass wir demokratisch und sozial dieses Land aufs Spiel gesetzt haben. Diesen Schuh muss sich die CDU anziehen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Gebietsreform: Auch die CDU wollte eine Gebietsreform machen. Sie war nicht mutig genug, das zusammen mit der SPD in der vergangenen Legislatur durchzuziehen. Sie wissen, dass wir eine Gebietsreform notwendig haben. Denn all das, was Mike Mohring aufzählt, bedeutet eben auch, über eine Veränderung der Verwaltungsstruktur wieder mehr Geld in die Gemeinden zu bringen, damit sie leben können.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Aber nein, es ging um das eigene Wahlergebnis, deswegen wurde diese Gebietsreform nicht getan.

Und der dritte Punkt: Sich hier hinzustellen und dem Bildungsminister zu unterstellen, dass er dafür verantwortlich sei, dass der Unterrichtsausfall in Größenordnungen stattfindet,

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Das hat er doch gar nicht gesagt, Sie müssen mal zuhö- ren!)

ist zum einen richtig, aber zum anderen blendet es auch nochmals die Verantwortung der CDU aus, wenn es darum geht, wenig eingestellt zu haben, was Lehrerinnen und Lehrer angeht, Personalabbau vorangetrieben zu haben und am Ende in Thüringen eine Landesverwaltung in eine Überalterung zu führen, die wir heute mühsam aufarbeiten müssen. Das gehört auch zur Wahrheit Ihrer Hinterlassenschaft dazu, das waren immerhin 25 Jahre in diesem Land.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und wenn wir einmal dabei sind, dass die CDU sich als Mitte versteht: Ich habe die Antwort der Mitte auf den Thüringen-Monitor nicht gehört. Wenn ich mir allerdings anhöre, was Herr Mohring sich alles zumindest finanziell vorstellt, wo ich ja sehr bei ihm bin – Die Linke ist wahrscheinlich die einzige Partei in diesem Parlament, die vehement gegen die Schuldenbremse im Grundgesetz protestiert, weil sie eine Investitionsbremse ist –, wir sind es nicht, die perspektivisch die schwarze Null aufmachen und damit glauben, dieses Land retten zu können.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Natürlich haben wir einen Koalitionsvertrag, deswegen halten auch wir uns in Thüringen an die Schuldenbremse. Aber ich will noch mal in aller Deutlichkeit sagen: Diese Schuldenbremse wird Investitionen in Bildung, Soziales und Infrastruktur verhindern.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Jetzt komme ich ein Stückchen weit zu meiner eigenen Rede. Der jährliche Thüringen-Monitor ist wichtig – das sehen wir auch an der heutigen Debatte –, um der Gesellschaft und Politik den Spiegel vorzuhalten. Wir haben das im kleinen Maßstab eben schon erlebt. Wie sich politische Einstellungen verändern, wie sich Meinungen abseits von Wahlergebnissen verändern, ist für unsere politischen Entscheidungen enorm wichtig. Dass diese Erhebung Jahr für Jahr durchgeführt wird, macht den Monitor so besonders.

Ich erinnere gern noch mal daran, aus welchem Grund der Thüringen-Monitor überhaupt erst entstanden ist. Am 20. April 2000 verübten Neonazis hier in Erfurt einen Brandanschlag auf die Synagoge. Das ist jetzt 17 Jahre her. Die Täter konnten glücklicherweise gefasst werden, doch der Schock – auch bei den politisch Verantwortlichen im Freistaat – saß damals ziemlich tief. Um herauszufinden, wie es zu dieser Tat kommen konnte und wie weit rechtsextreme, rassistische und antisemitische Einstellungen in Thüringen verbreitet sind, wurde eine regelmäßige Untersuchung von politischen Einstellungen begonnen, der Thüringen-Monitor – eine richtige Entscheidung, denn bis heute müssen uns die Ergebnisse Jahr für Jahr eine Warnung sein.

Doch die Warnungen scheinen nicht immer ausreichend gehört worden zu sein. Viel zu oft wurden und werden in der Diskussion um die Bedrohung von rechts außen rechtsextreme Einstellungen und Meinungen zudem von möglichen Gewalttaten getrennt. Das eine, so der falsche Glaube, habe mit dem anderen nichts zu tun. Man hört: Nur weil einer immer mal wieder rassistische Töne spuckt, braucht man sich doch keine Sorgen machen, der

tut doch nichts. Doch gerade in Thüringen sollten wir durch die Erkenntnisse des Thüringen-Monitors über viele Jahre und durch die Erfahrung des Entstehens des NSU besonders aufmerksam sein. Es ist mittlerweile gut beschrieben und untersucht, in welcher politischen Stimmungslage sich die späteren NSU-Terroristen radikalisierten. Sie fühlten sich – so ist heute klar – als vermeintliche Vollstrecker verbreiteter rassistischer Einstellungen. Der Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft, Dr. Matthias Quent, hat in der Schriftenreihe des Instituts den Zusammenhang von politischen Einstellungen und Verhalten gut beschrieben. Dass er dafür ein völlig anderes Beispiel gewählt hat, macht es anschaulich und löst die Umfrage von aktuellen Debatten. Frau Präsidentin, ich zitiere: „Allgemein gilt, dass politische Überzeugungen jeder Art sich bei einem größeren Teil der Gesellschaft finden lassen als der Teil jener, die diesen Einstellungen nach entsprechend handeln. Nicht jeder, der an Hexen glaubt, wird auf die Jagd nach ihnen gehen. Aber wer dem Irrglauben an Hexen gar nicht erst anhängt, wird überhaupt nicht auf den Gedanken kommen, sich auf die Jagd nach ihnen zu begeben.“

Auf die Debatte heute übertragen heißt das: Nicht jeder, der geflüchteten Menschen, Muslimen oder Migranten die Schuld an diesem oder jenem Missstand in die Schuhe schiebt, wird auch auf die Jagd auf sie gehen. Aber wer diesem rassistischen Irrglauben gar nicht erst anhängt, wird überhaupt nicht auf den Gedanken kommen, sich auf die Jagd nach ihnen zu begeben.

Das bestätigt auch der Thüringen-Monitor. Demnach erhöhen rechte Einstellungen und die politische Selbstverortung als rechts stark die Bereitschaft zur Gewalt. Das macht auch klar, welch gefährliches Spiel die AfD treibt. Es erklärt die Funktion dieser rechtsextremen Partei. Erst Hass säen, Rassismus verbreiten und Menschen gegeneinander aufbringen

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und am Ende – mit der Miene eines Unschuldslamms – die Verantwortung für rechte Gewalttaten von sich weisen. Nein, die geistigen Brandstifter machen sich nicht selbst die Hände schmutzig. Das tun schon andere. Obwohl auch einige in ihren Reihen sind, die sich auch schon die Hände schmutzig gemacht haben. Dennoch trägt die AfD politische Mitschuld an rassistischer Gewalt.

Ich will die Ergebnisse des Thüringen-Monitors hier nicht noch einmal referieren. Sie alle haben den Bericht selbst gelesen. Aber einige Werte will ich dennoch nennen: Rechtsextreme Einstellungen sind in Thüringen weiterhin stabil, 19 Prozent der Menschen teilen entsprechende Einstellungen, 16 Prozent der Menschen meinen, der Nationalso

zialismus habe auch gute Seiten gehabt. Jeder vierte Thüringer meint, es gäbe wertvolles und unwertes Leben. 8 Prozent der Menschen müssen nach ihren Einstellungen als neonationalsozialistisch charakterisiert werden. 14 Prozent unterstützen antisemitische Aussagen.

Auch hier gilt: Aus Einstellungen werden Taten. 2016 gab es in Thüringen mindestens 48 antisemitische Straftaten – also etwa jede Woche eine. Ein Blick auf die deutsche Geschichte und auf die nationalsozialistischen Verbrechen zeigt, dass das sehr erschreckende Zahlen sind. Bessere Bildung verringert offenbar den Hang zu Autoritarismus und zu Vorurteilen. Dennoch ist – auch, das wird deutlich – Rechtsextremismus kein Phänomen von sozial schlechter gestellten Menschen. Besonders anfällig für rechtsextreme Einstellungen sind – so die Studie – mittlere bis hohe Einkommen mit nicht akademischer Ausbildung – also Menschen aus der Mitte der Gesellschaft und nicht von den sogenannten Rändern. So scheint die soziale Mitte kein Schutz gegen Vorurteile zu sein. Es gibt erkennbare Unterschiede zwischen älteren und jungen Menschen. Viele Vorurteile scheinen in den älteren Generationen verbreiteter zu sein. Das macht mir mit Blick auf die demografische Entwicklung in Thüringen durchaus Sorge. Aber vielleicht können auch hier Generationen voneinander lernen.

Ich will deutlich darauf hinweisen, dass die Hetze gegen ethnisch, religiös oder national anders definierte Menschen und völkischer Nationalismus in einem Konflikt mit dem Grundgesetz stehen – kurz: grundgesetzwidrig sind. Minderheitenschutz, Religionsfreiheit oder die Gleichwertigkeit der Menschen stehen nicht zur Verhandlung.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind der Kern des Grundgesetzes und es ist die Aufgabe aller Demokraten, diesen Kern zu verteidigen. Ich sehe nicht zuallererst die Parlamentarier als die Botschafter der Demokratie; sie sind es auch. Aber es sind zuallererst die, die für unsere Grundrechte auf die Straße gehen und gegen Neonazis und für mehr Demokratie in diesem Land streiten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer planmäßig gegen diese Werte agiert, wie es eine Partei auch in diesem Parlament tut, bekämpft die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Matthias Quent vom IDZ macht anknüpfend an seine vorhin zitierten Ausführungen Vorschläge, was zu tun wäre. Frau Präsidentin, ich zitiere: „Um im Bild zu bleiben: Öffentliche Aufklärung mit wissenschaftlichen Methoden bedeutet, den nachvollziehbaren Beweis zu führen, dass Hexen nicht existieren. Darüber hinaus ist zu zeigen, aus welchen Be

dürfnissen der Glaube daran entsprungen ist und welche schrecklichen Folgen der Irrglaube und die darauf basierenden Sorgen vor Hexen für viele Frauen und für die Konstruktion der Gesellschaft historisch hatten und wieder haben könnten.“

Liebe Abgeordnete, die rot-rot-grüne Landesregierung hat auf die Befunde des Thüringen-Monitors, auf Rassismus und rechte Gewalt, in der Vergangenheit schon reagiert. Ich will nur einige Punkte nennen: Ich habe den Direktor des IDZ hier gerade schon mehrfach zitiert. Das IDZ betreibt seit gut einem Jahr an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik, Behörden, Polizei und Zivilgesellschaft transparente und öffentliche Forschung und Aufklärung über demokratiegefährdende Bestrebungen. Wir haben die Ausrichtung des Landesprogramms unter breiter zivilgesellschaftlicher Beteiligung weiterentwickelt und werden mehr Geld zur Verfügung stellen, sicherlich auch im Sinne des jetzigen Thüringen-Monitors.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir gehen mit dem Programm nun von der Theorie der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit aus und nicht mehr von der unhaltbaren Extremismustheorie.

(Beifall DIE LINKE)

Zudem richten sich die Vorhaben stärker an unterschiedliche Altersgruppen – auch das ist eine Erkenntnis des Thüringen-Monitors, wie ich gerade erwähnte. Mit dem zweiten NSU-Untersuchungsausschuss betreiben wir weiterhin die konsequente Aufklärung des Neonaziterrornetzwerks und des Versagens der Sicherheitsbehörden. Auch der Beschluss zur Entschädigung von Opfern und Angehörigen der NSU-Morde und der Errichtung einer Mahnstätte sind wichtige Konsequenzen aus der jüngeren Geschichte unseres Freistaats. Mit der Einführung des 8. Mai als gesetzlicher Gedenktag an die Befreiung vom deutschen Faschismus stärken wir das Erinnern und Gedenken. Mit der Einsetzung der Enquetekommission „Ursachen und Formen von Rassismus und Diskriminierungen in Thüringen [...]“ zur Untersuchung von Diskriminierung und Entwicklung von Handlungsansätzen dagegen haben wir gemeinsame Schlussfolgerungen aller demokratischen Landtagsfraktionen aus dem NSUUntersuchungsausschuss der vergangenen Legislaturperiode umgesetzt.

(Beifall DIE LINKE)