Thomas Spies

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Meine Damen und Herren! Schaut man sich die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ von heute Morgen an, titelt sie mit „Krankenhäuser in Not“. Wir sprechen über ein spezielles Krankenhaus, das auch seine liebe Not hat.Am 13. September berichtete die „Oberhessische Presse“ und am 17. September die „Frankfurter Rundschau“, gegenüber dem Universitätsklinikum Gießen-Marburg liege die Behauptung der unzureichenden Behandlung von Patienten vor, die vom Klinikum bestritten werde. Ob und was an diesen Fällen dran und vorwerfbar ist, muss einer geordneten Prüfung und Klärung der zuständigen Aufsichtsbehörde zugeführt werden. – Punkt zu diesem Teil.
Meine Damen und Herren, solche Berichte über unzureichende Personalausstattung reißen nicht mehr ab. Eine Abteilungsleiterin beklagt einen Stellenabbau von 25 % in ihrer Klinik. „Abenteuerliche Vorkommnisse in einer Klinik“ stehen in einer Zeitung. Eine frisch gebackene Mutter klagt über zu wenig Personal, das ihr beim Stillen helfen könnte. Die Personalvertretung konstatiert eine kontinuierlich zunehmende Überlastung des Personals, dem aus den daraus resultierenden Folgen keinerlei Vorwurf gemacht werden kann.
Neben faktischen Problemen besteht allerdings – das ist viel schlimmer – eine fundamentale Vertrauenskrise. Die Hälfte der Missstandsbeschreibungen von Patienten, die man in der Stadt, auf der Straße und bei zufälligen Begegnungen erzählt bekommt, ist schon beim ersten Hinsehen nicht haltbar. Das eigentlich Beunruhigende daran ist, dass das Vertrauen so tief erschüttert ist und Menschen ganz andere Ursachen damit in Zusammenhang bringen. Jetzt rächen sich die Fehler, die der Herr Ministerpräsident – er ist leider nicht da – bei diesem Leuchtturmprojekt, das diese Landesregierung durchgeführt hat, begangen hat.
Der Verkauf war nicht nur falsch, er war vor allem handwerklich in einem Maße dilettantisch, das seinesgleichen sucht.
Deshalb haben die Menschen kein Vertrauen mehr. Diese Landesregierung und der Ministerpräsident haben in ihrer wahrhaft provinziellen Selbstüberschätzung im absoluten Mehrheitswahn alle Warnhinweise und den Willen der Mehrheit der Menschen vor Ort vollständig ignoriert. Sie wussten ganz genau, welche Risiken mit einer Privatisierung durch Personalabbau verbunden sind. Sie haben sich nicht darum gekümmert.
Uniklinika haben nämlich schon immer eine besonders knappe Personaldecke, die kränksten Patienten und die kürzeste Liegezeit. Schon immer arbeitete das Personal an der Grenze der Belastungsfähigkeit. Deshalb konnte Ihr Leuchtturmprojekt gar nicht funktionieren. Statt Sicherungen in Bezug auf Personalstärke und Arbeitsbedingungen,statt Transparenzregelungen und einer verantwortungsbewussten Mitspracherolle des Landes haben Sie nach der Devise: „aus den Augen, aus dem Sinn“, agiert.
Auch der Betreiber muss sich fragen lassen,ob er die in einem solchen Fall gebotene Transparenz zu jedem Zeitpunkt hat wahren lassen. Dementi statt Transparenz sind nicht der richtige Weg. So sichert man keine Qualität und kein Vertrauen. Das ist das, worauf es ankommt. Es kommt darauf an, in der Region das Vertrauen in diesen Betrieb zu sichern. So falsch der Ausverkauf der Hochschulmedizin war, so wenig kann irgendjemand wollen, dass das Ganze jetzt schiefgeht.
So wenig kann irgendjemand wollen, dass diese Klinika durch die Fehler, die in der Vergangenheit gemacht worden sind, Schaden nehmen. Nötig sind klare Vorgaben für die Personalausstattung, vor allem eine systematische, neutrale Untersuchung der Auswirkungen der Privatisierung insgesamt. Das hätte man von Anfang an einplanen und vereinbaren müssen. Die Tatsache, dass Sie das nicht gemacht haben, ist der fundamentale Fehler dieser Landesregierung in der Privatisierung.
Dringend nötig ist auch eine Klärung der Interessenkonflikte, in die Sie die ausgeliehenen Landesbediensteten durch diese Privatisierung gebracht haben.
Gesundheitsversorgung ist keine Ware, die in Fabriken hergestellt wird, sondern ein öffentliches Gut. Deshalb wollen die Menschen sie in öffentlichen Einrichtungen gesichert und bereitgestellt bekommen. Wer das ignoriert, wird daran scheitern. Die Landesregierung ist allerdings bei dieser Frage, Vertrauen zu schaffen, bei Weitem nicht mehr satisfaktionsfähig. Sie hat durch ihr unqualifiziertes Vorgehen ein umstrittenes Projekt, das man wenigstens hätte gut machen müssen, gefährdet und damit Arbeitsplätze und Versorgung weit über das hinaus in Gefahr gebracht, wie es hätte bei einer Privatisierung umgangen werden müssen. Meine Damen und Herren, deshalb sind Sie in Mittelhessen abgewählt worden.
Eine neue Landesregierung wird unsere Universitätsklinika wieder zu dem machen müssen, was sie waren. Sie muss den Beschäftigten und den Ärzten dabei helfen, Leuchttürme der Wissenschaft, der Lehre und der erstklassigen Versorgung zu garantieren. – Vielen Dank.
Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Müller-Klepper, ich kann es mir nicht verkneifen, Ihnen ganz herzlich für diesen Beitrag zu danken. Nachdem der Nachmittag mit einer überaus langweiligen Regierungsabschiedserklärung angefangen hat,
haben Sie jetzt doch ein klares Plädoyer für sozialdemokratische Sozialpolitik gehalten. Ich beglückwünsche Sie ausdrücklich zu dieser Erkenntnis. Offenkundig ist auch in der CDU angekommen, dass man in Fragen der Sozialpolitik nur Sozialdemokraten zitieren kann – denn genau das haben Sie eine halbe Stunde lang gemacht. Auch für diese Erkenntnis vielen Dank und herzlichen Glückwunsch.
Lassen Sie mich noch eines hinzufügen. Auch die Erkenntnis bei der CDU, dass Arbeit statt Sozialhilfe ein guter Ansatz ist, freut mich. Hätten Sie das schon vor 15 Jahren gemerkt, dann hätten Sie schon damals sozialdemokratische Regierungspolitik unterstützt. Es hat ein bisschen länger gedauert. Aber wir sehen, die Erkenntnis ist möglich.Auch dazu herzlichen Glückwunsch.
Liebe Frau Müller-Klepper, wenn Sie die Sorge beschleicht, in der SPD gebe es Flügel im Widerspruch, so darf ich Ihnen erläutern: Die Tatsache, dass wir ein so dif
ferenziertes sozialpolitisches Profil haben, führt dazu, dass wir in der Lage sind, sehr fein und im Detail sozialpolitische Ansätze zu diskutieren.
Da wir uns der Transparenz stellen, tun wir das auch so, dass Sie es mitbekommen, liebe Frau Müller-Klepper. Vielleicht sollten Sie sich auch daran ein Beispiel nehmen. Dann wird es irgendwann auch wieder was mit dem Regieren.
Ein letzter Punkt, weil Sie ihn angesprochen haben, liebe Frau Müller-Klepper. Vielleicht werden Sie in fünf oder zehn Jahren verstanden haben, dass die völlig logische Konsequenz der von Ihnen so hoch gelobten sozialdemokratischen Politik am Ende auch der Mindestlohn sein muss.Wir hoffen, auch diese Erkenntnis wird mit der Zeit noch kommen. – Vielen Dank.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Danke sehr,Herr Dr.Spies.– Als Nächstem darf ich Herrn Kollegen Schaus für die Fraktion DIE LINKE das Wort erteilen. Sie haben sich die Redezeit geteilt. Ich rufe anschließend Frau Schott auf.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ohne jeden Zweifel braucht dieses Land alle, die studieren können, in einem Studium und mit einem erfolgreichen Studienabschluss. Ohne Zweifel haben wir eine zu niedrige Akade
mikerquote und müssen diese erhöhen.Ohne Zweifel war es deshalb richtig, Studiengebühren als allgemeine Zugangsbeschränkung abzuschaffen, wie wir es gemeinsam mit den GRÜNEN und mit Zustimmung der Linkspartei geschafft haben. Ohne Zweifel ist es deshalb auch in jeder anderen Art und Weise richtig, den Zugang zu den Hochschulen zu verbreitern. Ich verweise nur auf unsere Initiativen für eine Zugangsmöglichkeit für Meister.
Meine Damen und Herren, Selektion im Zugang zu Hochschulen ist sicherlich nicht sinnvoll.
Lassen Sie mich einen zweiten Punkt ansprechen. In der allgemeinen Leuchtturm-Manie sind wir im letzten Jahr zunehmend geneigt, nach Leuchttürmen zu schauen. Die leuchten auch schön in der Ferne. Leider erhellen sie keinerlei Straßen, und im täglichen Leben ist es möglicherweise sinnvoller, helle Straßen zu haben als blinkende Leuchttürme in der Ferne. Da ist auch die eine oder andere Hochschule aufgefordert, das eigene Selbstbild kritisch zu reflektieren. Hochschulen müssten in besonderer Weise in der Lage sein, zu hinterfragen, ob nicht möglicherweise die Selbstidentifikation mit Exzellenzen mehr ein Bedürfnis nach Größe ist.
Hochschulautonomie: ja; aber Beliebigkeit im Handeln: nein. Meine Damen und Herren, deshalb haben wir Initiativen zur Stärkung der Autonomie der Hochschulen unterstützt.Aber
wir müssen dringend überprüfen, was richtige Autonomie ist und was Autonomie ist, die in Beliebigkeit ausartet.
Meines Erachtens gehört zur Frage der Autonomie ganz zentral nicht nur, dass der Steuerzahler des Landes Hessen einen Anspruch an die Hochschulen formulieren darf, was er von ihnen bekommen möchte, sondern auch, dass diese Autonomie in demokratischen Strukturen in der Hochschule gesichert wird.
Deshalb gibt es beim Hochschulzugang, bei der Autonomie der Hochschulen insgesamt eine Menge zu tun. Ein bisschen darüber nachzudenken, wie wir dafür sorgen können, dass Hessen ganz, ganz viele gut ausgebildete Akademiker bekommt, ist auch sinnvoll.
Das Problem,von dem jetzt die Rede ist,ist überschaubar. Wir reden gerade einmal über 4 % der Studierenden der Universität Frankfurt – die, das bedauere ich, schon in der Vergangenheit nicht in der Lage war, einen nennenswerten Anteil von Studierenden mit einer Fachhochschulreife anzulocken. Die Kasseler bringen es auf über 30 % von Studierenden mit Fachhochschulreife, und auch die anderen Universitäten kommen auf 8 bis 10 %.
Das Problem ist keineswegs so dramatisch, wie es hier gemacht wird. Es führt uns aber in die Gefahr, in den notwendigen Anpassungen und Entwicklungen des Hochschulgesetzes – die sind sehr grundsätzlich und umfangreich – in das zurückzufallen,was wir in den letzten Jahren durch die noch geschäftsführende Landesregierung erlebt haben, nämlich Stückwerk und Petitessen, Unausgegorenes und Unvollendetes an vielen Stellen. Deshalb macht es keinen Sinn, und deswegen muss ich der Dringlichkeit dieser Idee eine Absage erteilen, diesen Trend, hier ein bisschen und da ein bisschen, nachzuvollziehen. Das we
sentliche Selektionshindernis an den Hochschulen haben wir vor den Sommerferien erfolgreich abgeschafft.
Jetzt kommt es darauf an, die Entwicklung der hessischen Hochschulen und die neuen Steuerungsinstrumente zu überprüfen,zu evaluieren,alle dazu zu hören,was sie dazu meinen, und dann ein Hessisches Hochschulgesetz, das der Zukunft des Landes Hessen in äußerstem Maße zuträglich ist, in Gänze zu novellieren. Deswegen lehnen wir heute dieses Teilstück ab. Wir gehen aber davon aus, dass wir in den nächsten ein bis zwei Jahren gemeinsam eine Novelle des Hessischen Hochschulgesetzes hinbekommen, die die Hochschule auf den richtigen Weg führt. – Vielen Dank.
Einen wunderschönen guten Morgen, meine Damen und Herren! Es ist schönes Wetter draußen. Schätzen Sie sich glücklich, dass Sie hier arbeiten dürfen. Wären Sie in einem Krankenhaus beschäftigt, wäre die Hälfte der Frühschicht schon rum. Die hätte um 6 Uhr angefangen. Vielleicht ist das ein wesentlicher Hinweis auf das, worüber wir heute reden.
In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage Drucks. 17/376 schreibt die Hessische Landesregierung:
Daher müssen die Krankenhäuser sicherstellen, dass die Regeln der Hygiene eingehalten werden... Dafür müssen die Krankenhäuser die notwendigen innerorganisatorischen Festlegungen vornehmen... und
jetzt kommt es –
die Aufgabenerfüllung auch personell sicherstellen.
Genau deshalb soll es heute darum gehen, uns, vor allem aber die Bürgerinnen und Bürger des Landes Hessen zu vergewissern, dass die Krankenhäuser ihre Aufgabenerfüllung auch personell sicherstellen können.
Sie halten das für selbstverständlich? In einem Leserbrief in einer hessischen Zeitung berichtet eine junge Mutter, dass nach der Entbindung stundenlang niemand Zeit hatte, ihr zu helfen, das Neugeborene anzulegen. In einer Fernsehsendung berichten Augenzeugen von einem Todesfall auf einer Intensivstation; die zuständige Kraft be
kam wegen Überlastung die Alarmsignale der Überwachungsanlage nicht mit. Es gibt inzwischen laut Aussagen der Fachverbände Intensiveinheiten, die nachts von einer Fachkraft und einer Hilfskraft betrieben werden, was bedeutet, dass im Notfall erst Hilfe von anderen Stationen geholt werden muss. In einem Brief an die Krankhausleitung beschreiben Mitarbeiter, namentlich genannt, desolate hygienische Zustände, und die Krankenhausleitung bestätigt diese Zustände öffentlich.
Meine Damen und Herren, damit wir uns nicht falsch verstehen: Es besteht kein Grund zur Panik. Solche Berichte sind Einzelfälle, aber sie sind beileibe keine Rarität mehr. Unsere Krankenhäuser sind gut. Vor sechs Tagen hat die Bundesgeschäftsstelle ihren Bericht über die Qualitätssicherung im Jahre 2007 veröffentlicht und bescheinigt den Krankenhäusern – zumindest bei den Parametern, die in dem Bericht untersucht werden – eine gute Qualität, aber zugleich weiteren Handlungsbedarf. Darum ist das kein Grund, sich in falscher Sicherheit zu wiegen.
Die Fakten: In den Jahren 1994 bis 2006 ist die Zahl der Vollzeitkräfte in deutschen Krankenhäusern um 11 % zurückgegangen, von 880.000 auf 790.000 Stellen. Gleichzeitig nahm die Zahl der Krankenfälle um 17 % zu – mit dem Ergebnis, dass die Belastung, also die Fallzahl pro Fachkraft, um 21 % stieg. Diese Fälle sind zudem arbeitsintensiver,weil die wenig arbeitsintensiven Tage am Ende eines Krankenhausaufenthalts durch die Verkürzung der Liegezeiten weggefallen sind, sodass man realistischerweise annehmen muss, die Arbeitsbelastung der in unseren Krankenhäusern Beschäftigten ist in den letzten 14 Jahren um bis zu 30 % gestiegen. Der Personalabbau erfolgte zudem ungleichgewichtig.Während die Zahl der Pflegekräfte um 14 % abnahm, nahm die Zahl der Ärztinnen und Ärzte um 27 %, die der Verwaltungsmitarbeiter immerhin noch um 10 % zu.
Die Krankenhäuser müssen die Aufgabenerfüllung personell sicherstellen, sagt die Landesregierung. Meine Damen und Herren, die genannten Veränderungen bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Versorgung. Englische Untersuchungen zeigen, dass eine Halbierung des Pflegepersonals pro Patient eine bis zu 30 % höhere Sterblichkeit in den ersten 30 Tagen nach einer Operation zur Folge haben kann. Auch in anderen Untersuchungen wurde bestätigt: Die Zahl der Pflegekräfte ist ein wichtiger Parameter für die Qualität eines Krankenhauses und die Sicherheit der Patienten. Amerikanische Untersuchungen zeigten, dass allein der Faktor, ob ein Krankenhaus ein Interesse hat, Gewinne zu machen oder nicht, eine geringe, aber signifikant höhere Mortalität zur Folge haben kann – wegen des reduzierten Personalspiegels, weil man Gewinne natürlich nur über den Personalbestand erwirtschaften kann.
Nebenbei bemerkt: Die zuletzt genannte Tatsache, auch der Landesregierung bekannt, hat sie nicht dazu bewegen können, beim Verkauf von zwei ihrer drei Krankenhäuser, immerhin die größten in Hessen, eine entsprechende Sicherung in den Vertrag aufzunehmen. Das Ergebnis kann man vor Ort betrachten,wenn man Augen hat,zu sehen, wenn man Ohren hat, zu hören, was die Mitarbeiter sagen, und wenn man den Willen hat, seine Aufgaben als Aufsichtsorgan zu erfüllen. Da ist die Landesregierung noch nicht ganz erfolgreich. Lassen Sie mich an der Stelle eine Bemerkung zu Äußerungen aus letzter Zeit eines der politischen Mitbewerber machen, was den Rückkauf der Uniklinika Gießen und Marburg angeht. Meine Damen und Herren, hier reden wir über einen Betrag von
600 Millionen c. Ich sehe mit Interesse der Darstellung im Haushalt entgegen, wie das finanziert werden soll.
Meine Damen und Herren, laut dem Aktionsbündnis Patientensicherheit versterben in deutschen Krankenhäusern jedes Jahr 17.000 Menschen an vermeidbaren unerwünschten Ereignissen. Dabei spielen insbesondere menschliches Versagen, z. B. Hygieneunfälle und Medikamentenverwechslung, eine zentrale Rolle. Gerade solche Fehler entstehen umso leichter,je höher der Zeit- und Arbeitsdruck im Krankenhaus ist. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass eine höhere Dichte insbesondere des Pflegepersonals zu geringeren Komplikationsraten beiträgt und mehr Patientensicherheit schafft. Es ist schon ein Skandal,wenn in einem der reichsten Länder der Erde Menschen, die kritisch krank sind, Menschen, die einer finalen Diagnose entgegensehen,Menschen,denen es wirklich schlecht geht, regelmäßig beklagen müssen, das im Krankenhaus niemand Zeit hat, ihnen ein paar Minuten lang zuzuhören. Auch das ist eine Frage der Qualität der Versorgung.Sie sollte uns allerdings etwas wert sein.Es ist dringend an der Zeit, hier etwas zu tun.
Jetzt reden wir auch einmal darüber, wie das aus Sicht der Beschäftigten aussieht. Ich zitiere Ausführungen eines Krankenpflegers in einer hessischen Zeitung:
Wer nach ethischen Aspekten arbeitet, für den Menschlichkeit, Hygieneleitlinien und ganzheitliche Pflege noch wichtig sind, geht kaputt. Und schon schließt sich der Teufelskreis:wenig Personal, schlechte und zu kurze Einarbeitungszeiten, schlechte Qualität, mehr Belastung, Frustration, Motivationsverlust. Manchmal glaubt man, belohnt wird nicht, wer gute Arbeit leistet, sondern wer wenig tut, denn dieser bleibt wenigstens körperlich und seelisch gesund.
Natürlich ist auch das ein Einzelfall.
Meine Damen und Herren, die Beschäftigten im Gesundheitswesen wollen eine gute Arbeit machen. Gute Arbeitsbedingungen sind, das zeigen Untersuchungen, viel wichtiger als das Einkommen. Wenn es um Menschen geht, werden Personalmangel und teilweise abstruse Zustände hingenommen und von den Beschäftigten ausgeglichen, weil der Patient kein Werkstück ist, sondern ein Mensch, den man nicht liegen lässt. Viele arbeiten bis an die Grenze des Erträglichen – und darüber hinaus. Wer Mitgefühl mit seinen Patienten hat, tut sich eben sehr, sehr schwer damit, Instrumente der Arbeitskämpfe zu nutzen. Daher war es schon ein bisschen zynisch, dass vor ein paar Jahren die Kontrolle der Krankenhausarbeitszeiten – immerhin ein Mal in Hessen – nur auf freiwilliger Basis erfolgte. Meine Damen und Herren, die im Gesundheitswesen Beschäftigten brauchen auch die Unterstützung der staatlichen Aufsicht.
Es war und ist gleichermaßen üblich wie unanständig, diese Selbstausbeutung zu akzeptieren, zu nutzen, zum Teil sogar einzufordern. Gute Pflege ist harte Arbeit, körperlich und oft auch seelisch. Sie verdient unseren Respekt. Eine so anständige Motivation darf nicht missbraucht werden.
Ohne Zweifel war der Abbau von Überkapazitäten im Krankenhausbereich unverzichtbar, und ohne Zweifel war er nur über ökonomischen Druck, über Pauschalen, Budgets usw., zu bewerkstelligen. Der Wettbewerb hat die Anreizstrukturen für die Krankenhäuser so verändert, dass die Effizienz der Arbeit und Kostenreduktionen auch in ihrem eigenen Interesse sind. Das war richtig, weil es nicht zu rechtfertigen ist, dass die Pflichtbeiträge der Versicherten zum Fenster hinausgeschmissen werden.
Aber weil die Steuerung nur auf ökonomischen Instrumenten beruht, wird im Blindflug Personal abgebaut. Wettbewerb sichert keine gute Versorgung,
Wettbewerb steht ihr entgegen. Deshalb braucht man klare Regeln, die den Wettbewerb steuern.
Das wissen wir alle, das ist für uns ganz selbstverständlich. Weil die Sicherheit vorgeht, ändern wir zahlreiche und umfangreiche Standards im Krankenhausbetrieb. Allein die Vorgaben zur Hygiene in Operationssälen füllen Bände, und das zu Recht. Deshalb gibt es die Medizingeräteverordnung und das Röntgenrecht. Wir haben in diesem Hause schon viele Gesetze genau zu dieser Frage behandelt. Außerdem gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung, die in dieser Frage völlig eindeutig ist: Die Sicherheit der Patienten geht vor. Deshalb gibt es im Bereich der Technik, der Hygiene usw. gar keine Einsparpotenziale, ohne genau diese Standards zu unterlaufen.
Das Gleiche gilt für die Qualifikation des Personals. Auf keinem anderen Feld sind die fachlichen Qualifikationen so detailliert geregelt wie in den Heilberufen. Man darf in diesen Berufen nichts tun, wenn man keine ausgewiesene, präzise festgelegte Qualifikation besitzt. Aber weil 80 % der Ausgaben eines Krankenhauses Personalkosten sind und weil zwar die technischen Standards und die Qualifikation des Personals, nicht aber seine Zahl vorgegeben sind, kann am Ende der Kostendruck nur über den Personalbestand ausagiert werden – mit den genannten, nicht unerheblichen Folgen. Es ist geradezu grotesk, meine Damen und Herren, dass wir den Kindergärten einen Personalschlüssel vorgeben,es aber in das Belieben eines Krankenhausbetreibers stellen, mit wie vielen Personen die vielleicht doch nicht so viel leichtere und ganz sicher nicht ungefährliche Aufgabe „Betrieb eines Krankenhauses“ gelöst wird.
Deshalb brauchen wir klare Standards, die sicherstellen, dass an unseren guten Krankenhäusern gut qualifiziertes Personal aller Berufsgruppen in ausreichender Zahl vorhanden ist, um die anfallenden Aufgaben zu meistern.
Mit solchen Standards wird nicht Qualität durch Quantität ersetzt, sondern sie garantieren die quantitativen Voraussetzungen für eine qualitativ hochwertige Arbeit. Wenn man sie berechnen will,stellt man fest,dass die Pflegepersonalverordnung aus den Neunzigerjahren ein vager Hinweis ist, mehr aber auch nicht. Aber das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen und die Fachverbände verfügen bereits jetzt über hilfreiche Daten.
Am Anfang wäre mit einem Orientierungswert, der Garantien schafft, schon eine Menge gewonnen. Am Ende müssen wir uns am Case-Mix, also am Schweregrad, ausrichten. Wir müssen uns an der Sicherheit der Patienten
orientieren und insbesondere solche Standards auf die tatsächlich am Patienten verbrachte Zeit beziehen. Darauf kommt es nämlich an.
Natürlich ist auch das technische Personal zu berücksichtigen.Am Ende spielt nicht die bloße Zahl der Köpfe eine Rolle, sondern es geht um qualifizierte Köpfe. Das heißt, die Fachpflegequoten könnten eine Rolle spielen. Aber ich will der Arbeitsgruppe – so sie denn eingesetzt wird, wie wir es in unserem Antrag fordern – in keiner Weise etwas vorschlagen. Ich glaube, dass diese Aufgabe nicht ganz leicht zu meistern ist. Deshalb ist es richtig, sinnvoll und dringend angezeigt, damit zu beginnen, sie zu meistern.
Vor den möglichen Kosten solcher Standards darf und muss man keine Angst haben.Wie die Landesregierung in der zitierten Antwort auf die Anfrage richtig ausführte – noch einmal das Zitat –, „müssen die Krankenhäuser... die Aufgabenerfüllung auch personell sicherstellen“.
Das, worüber wir im Zusammenhang mit solchen Standards reden, ist nichts Neues, sondern es ist die Formulierung dessen, was ohnehin Pflicht und Recht der Beschäftigten sowie der Patienten ist.Erst kommt die Versorgung, und danach soll sie auch noch preiswert sein.Wettbewerb braucht Grenzen; sonst geht es schief.Wenn es mehr kostet, müssen die Budgets dem angepasst werden. Die Bundesgesundheitsministerin hat eine erhebliche Anhebung der Mittel für die Krankenhäuser durchgesetzt, weil sie um das Problem weiß. Frau Ministerin, sie hat das erfreulicherweise mit Unterstützung der Bundesländer getan.
So wird das Sonderopfer abgeschafft. So werden die Budgetgrenzen angehoben, die Tarifsteigerungen ausgeglichen, und es wird ein Sonderprogramm Pflege aufgelegt. Das Geld ist vorhanden. Die Frage ist nur, wer es bekommt.Auch dafür sollten wir in Hessen sorgen. Die Genehmigungsfähigkeit des Landesbasisfallwertes, also der Grundlage für die Berechnung der Fallpauschalen in Hessen, muss allerdings hessischen Qualitätsvorgaben genügen.
Mithilfe der hessischen Standards werden nebenbei auch die Orientierungswerte des Statistischen Bundesamts für die Krankenhausfinanzierung verbessert. Damit leisten wir einen Beitrag, dass die Krankenhausfinanzierung nicht beliebig, sondern realistisch gestaltet wird.
Eine solchermaßen gesicherte Qualität ist auch klar im Interesse des Gesundheitsstandorts Hessen. Wir verkennen immer, dass wir über einen der größten Wirtschaftszweige reden, der inzwischen sogar deutlich größer ist als die Autoindustrie. Wer auf diesem wichtigen Zukunftsmarkt vorne sein will,muss zeigen,dass er qualitativ hochwertige Arbeit leistet.
Ein Weg besteht in der nachfolgenden Qualitätskontrolle. Ein anderer Weg ist die garantierte Qualität. Hier ist es der richtige Weg, ein klares Signal für Qualität made in Hessen zu setzen.
Wenn es am Ende teurer wird, wird man möglicherweise nicht umhinkommen, zur Sicherung einer guten Versorgung auch die Einnahmen der Krankenkassen anzupassen. Ich kann es Ihnen bei solchen Debatten nicht ersparen, dass die hessische SPD ein gutes Konzept vorgelegt hat. Dieses Konzept heißt Bürgerversicherung. Damit wird die Höhe der Beiträge von der Lohnsumme gelöst,
und es wird eine stabile und gerechte Grundlage geschaffen, an der sich alle beteiligen.
Diese Fragen muss die Gesellschaft beantworten: Was ist uns eine gute medizinische Versorgung wert? Wer soll sich wie daran beteiligen? Wenn wir diese Fragen vernünftig klären, sind viele Probleme lösbar.
Meine Damen und Herren, wir begrüßen ausdrücklich den Vorschlag der Landesregierung, das Krankenhausgesetz zwei Jahre länger gelten zu lassen; denn damit ist sichergestellt, dass die Ergebnisse der Arbeitsgruppe die Grundlage für eine verbindliche Regelung in der in zwei Jahren zu verabschiedenden Novelle sein können.
Wer nicht zur Vollkostenerstattung der Siebziger- und Achtzigerjahre zurück will und dennoch eine gute medizinische Versorgung für alle garantieren möchte, muss einer Effizienz fördernden Steuerung auf ökonomischer Grundlage klare Steuerungs- und Sicherheitsstandards entgegensetzen.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Herr Dr. Spies, Ihre Redezeit ist um. Bitte kommen Sie zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. – Wer eine gute Versorgung garantieren will, der darf die Qualität nicht nur überprüfen, sondern muss auch die Voraussetzungen dafür sicherstellen. Das muss sowohl auf der technischen als auch auf der personellen Ebene erfolgen. Er muss mit denen, die die Arbeit machen, anständig umgehen. Das bedeutet, er muss besser mit ihnen umgehen, als es heute bei uns der Fall ist. Gute Arbeit muss es auch an den Krankenhäusern geben.
Mit dem Vorschlag zur Entwicklung von Mindeststandards geht Hessen krankenhauspolitisch in die Offensive. Nutzen wir die Gelegenheit. Machen Sie alle mit. – Vielen Dank.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Vielen Dank, Herr Dr. Spies. – Zur Erläuterung des mit aufgerufenen Dringlichen Antrags der FDP darf ich Herrn Rentsch das Wort erteilen.
Herr Kollege Bartelt, Sie haben eben darauf verwiesen, dass der Landtag die Krankenhausbudgets nicht bestimmen kann. Das ist sicher richtig. Aber würden Sie mir nicht auch zustimmen, dass die Berechnung der Fallpauschalen aufgrund einer Formel, multipliziert mit einem Landesbasisfallwert, stattfindet und dass die Hessische Sozialministerin in persona nun vor einem Jahr den ausgehandelten Landesbasisfallwert als zu niedrig nicht genehmigt hat, somit auch in Zukunft einen Landesbasisfallwert nur dann genehmigen müsste, wenn er hessischen Qualitätsvorgaben genügt,und damit allerdings die Mittel für die hessischen Krankenhäuser beeinflussen kann?
Verehrte Frau Kollegin Henzler, ich habe mich auf eine Bemerkung hin gemeldet, die Sie vorhin im Zusammenhang mit der Freiheit der Elternwahl und den Kindern gemacht haben. Sie hat mich doch etwas irritiert.
Insbesondere hat sie mich irritiert, weil sie von den Liberalen gekommen ist.
Nach dem Scheitern der liberalen Revolution 1848 wurde auch in Hessen das preußische Dreiklassenwahlrecht eingeführt. 1918 wurde es durch die Sozialdemokraten wieder abgeschafft.
90 Jahre später verfechten ausgerechnet Liberale immer noch ein Dreiklassenschulrecht; denn das, was sie an Freiheit und Individualität unterstellen, geht davon aus, dass man im Rahmen des dreigliedrigen Schulsystems alle Kinder in drei unterschiedliche Schemata einsortieren kann. Genau das ist der Punkt.Von einer liberalen Partei würde man doch erwarten, dass sie gerade diese Freiheitseinschränkung in der Zuteilung langsam hinter sich lässt und sieht,
dass wir für 100 Kinder 100 verschiedene Schulen brauchen, die sich dem jeweiligen Kind individuell öffnen.
Das erreichen Sie, indem Sie die 100 Kinder zusammen lernen lassen und dafür sorgen, dass sich der Lehrer im Rahmen der Binnendifferenzierung jedem einzelnen Kind öffnet.
Das gibt den Eltern die größtmögliche Freiheit, einen individuellen Weg für das jeweilige Kind zu finden.
Wir würden uns freuen, wenn gerade die Liberalen aus ihrer Tradition heraus eine solche Liberalität gegenüber der Schulwahl der Eltern erkennen lassen würden.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Vielen Dank, Herr Dr. Spies. – Frau Henzler, Sie haben die Gelegenheit, darauf zu antworten. Sie haben ebenfalls zwei Minuten Zeit dafür.
Sehr geehrter Kollege Bauer, Sie haben völlig recht: Wir brauchen eine Politik gegen Armut. Leider findet diese Politik in Hessen seit acht Jahren nicht mehr statt.
Leider sind all die Strukturen, mit denen man auf landespolitischer Ebene Armut bekämpft, im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ auf null gefahren worden.
Sie klagen, dass 150.000 c viel Geld sind. Ich erwidere: In Hessen sind 30 Millionen c für soziale Infrastruktur gestrichen worden, das ist eine Menge Geld.
Es ist gerade die Herausforderung, zukünftig die notwendigen Strukturen überhaupt wieder zu bieten. Wenn Sie eben beklagt haben,wir wüssten doch schon,dass es Arme in Offenbach gibt und dass dort mehr Arme leben als woanders, kann ich nur sagen: Ja. Sie haben eine Reihe von Punkten angesprochen. Wenn ein Armuts- und Reichtumsbericht auf diesem Niveau stattfinden würde, dann brauchten wir ihn tatsächlich nicht. Das ist genau der Grund,warum wir ein Gesetz dafür brauchen.Wir kennen diese Landesregierung und wissen,was wir von einem von ihr allein zu verantwortenden Armutsbericht zu erwarten haben. Genau deshalb brauchen wir eine Regelung, die das genau vorgibt.
Wenn ich Sie eben richtig verstanden habe, dass Sie uns zusichern, auch die CDU-Fraktion werde dafür sorgen, dass die Vorgaben des Landtags oder seiner Mehrheit für einen Armuts- und Reichtumsbericht vollständig umgesetzt werden, dann könnte man auch auf ein Gesetz verzichten.Wir hören die Kunde wohl. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Selbstverständlich ist die SPD-Fraktion gern bereit, den von der FDP vorgetragenen Gesetzentwurf in seinen Auswirkungen, Details und Bedeutungen adäquat zu prüfen. Selbstverständlich halten wir es immer für richtig, Gesetze, die dieses Haus beschlossen hat, einer Überprüfung ihrer Wirkungen zuzuführen. Dabei – das muss ich allerdings sagen – sei dahingestellt, ob denn ein Zeitraum von sechs Monaten
in einem jahreszeitlich abhängigen Geschäftsbereich nun wirklich schon ausreicht, um die Wirkung eines Gesetzes abschließend zu beurteilen, um Erfahrungen daraus zu ziehen usw.Aber natürlich gehen wir davon aus, dass dieser Gesetzentwurf nur das Wohl der Menschen im Blick hat. Deshalb werden wir ihn wohlwollend prüfen.
Worüber sprechen wir? Wir sprechen beim Rauchen über ein Problem, das weit über 100.000 Todesfälle im Jahr in Deutschland zur Folge hat, davon über 3.300 allein durch Passivrauchen von Menschen, die nicht rauchen wollen. Rauchen, also Tabak, zählt in die Spitzengruppe der zehn gefährlichsten Suchtmittel. Wegen seiner Häufigkeit und seiner leichten Verfügbarkeit wird er von Experten weit vor einer Vielzahl illegaler Drogen eingeordnet. Er verursacht Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs, Gefäßerkrankungen, und, und, und. Das haben wir hier alles schon diskutiert.
Am spannendsten sind die Auswirkungen auf Herzinfarkte. Rauchverbote haben in Italien zu einem Rückgang
der Herzinfarktrate um 11 %, in Frankreich um 15 % und im Staate New York um 8 % geführt.
Wenn die Rauchverbote in Deutschland nur die Hälfte davon erreichen würden, nur eine Senkung der Infarkthäufigkeit um 5 %, so wären sie die erfolgreichste Einzelmaßnahme der gesundheitlichen Prävention, die es in diesem Lande je gegeben hat, und deutlich erfolgreicher als die Einführung des Sicherheitsgurtes.
Das sollten wir im Blick haben, abgesehen von der Frage, ob wir denn wirklich wollen, dass es mehr als vermeidbar viele Orte gibt, in denen Kindern und Jugendlichen durch Vorbilder der Nikotingebrauch nahegebracht wird. Aber wir sehen die gute Absicht der FDP und sind selbstverständlich gern bereit, Ihre Argumente zu prüfen.
Kommen wir zum ersten Argument.Die FDP führt – Herr Hahn hat das in seiner Pressekonferenz deutlich dargestellt – erhebliche wirtschaftliche Einbußen an. Was sind die Fakten? Das Statistische Landesamt hat sich dieser Frage gestellt. Das Statistische Landesamt kommt zu einem außerordentlich interessanten Ergebnis.
Für das vierte Quartal 2007 – also das spannendste in dieser Frage, als das Gesetz gerade eingeführt war – hatten die Schankwirtschaften in Hessen einen Umsatzrückgang von 14,8 %. Das ist spürbar. Die rein getränkegeprägte Gastronomie hatte einen Umsatzrückgang um 13 %. Das ist spürbar, ohne Zweifel.
Aber im zweiten Quartal, als es überhaupt noch kein Rauchverbot gab, hatten die Schankwirtschaften nicht 14,8 %, sondern 15,2 % Umsatzrückgang. Im zweiten Quartal hatten die getränkegeprägten Gastwirtschaften nicht 13 %, sondern 13,6 % Umsatzrückgang.
Was schließen wir daraus? – Gastwirtschaften haben ein Problem. Da geht keiner mehr hin. Nur mit dem Rauchverbot hat das überhaupt nichts zu tun.Viel interessanter ist, dass die Speisegaststätten, von denen immer alle sagen, die müsse man ausnehmen, die seien nicht betroffen, in Hessen im zweiten Quartal einen Umsatzrückgang von 5 % und im vierten Quartal einen von 8 % hatten. Die beklagen sich aber nicht. Die wissen, was das wert ist.
Meine Damen und Herren, deshalb sollten wir bei dieser Frage einmal sehr genau schauen, welche Daten und Fakten auf dem Tisch liegen. Bei allem Respekt – wenn der DEHOGA eine Umfrage macht, mit der sie die Meinung bestätigt, die schon vor einem Jahr falsch und durch keine Fakten aus anderen Ländern belegt war, dann ist das mit einer gewissen Zurückhaltung zu sehen.
Aber wir sind selbstverständlich der Ansicht, dass die FDP an dieser Stelle einen sehr positiven Anspruch hat, und selbstverständlich gerne bereit,diesen Gesetzentwurf zu prüfen, erwarten dann aber, dass wir in der Anhörung sehr harte Fakten und klare Zahlen bekommen, und werden das Statistische Landesamt bitten,uns detaillierte Daten und nicht nur gefühlte Umsatzveränderungen darzustellen.
Dann komme ich zum zweiten zentralen Argument der FDP. Das ist die Frage der Verfassungsmäßigkeit. Herr Präsident, mit Ihrer freundlichen Erlaubnis zitiere ich den Verfassungsgerichtshof des Landes Rheinland-Pfalz:
Derartige Regelungen werden grundsätzlich,
gemeint ist das Rauchverbot als Einschränkung der Berufsausbildungsregelung –
sofern sie im Übrigen unverhältnismäßig sind, bereits durch vernünftige Erwägung des Gemeinwohls legitimiert. Zwar rechtfertigt die Möglichkeit, dass eine gesetzliche Maßnahme im Einzelfall zur Existenzgefährdung oder gar -vernichtung führen könnte, im Allgemeinen noch nicht, sie unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit von Verfassungs wegen zu beanstanden.
Nanu? Die haben gar nichts gegen ein Rauchverbot. Die halten den Vorrang des Gemeinwohls für legitim. – Die Regelung kann allerdings
... unvereinbar sein, falls sie damit Ungleichheiten außer Acht lässt, die typischerweise innerhalb eines Berufs bestehen, und deshalb einen Teil der Berufsgruppe ohne zureichenden Grund unverhältnismäßig belastet.
Meine Damen und Herren, dann müssen wir allerdings sehr ernsthaft darüber nachdenken, ob denn die Verfassung die Ausnahmen, die jetzt schon bestehen, tatsächlich zulässt. Vielleicht besteht das Problem der verfassungsmäßigen Bedenken gerade dadurch, dass wir für manche Kneipen Ausnahmen zulassen und für andere nicht. Vielleicht würde es uns geradezu drohen, wenn man dem Gesetzentwurf der FDP folgt, dass das Gesetz noch viel verfassungswidriger als vorher wird und wir noch viel kompliziertere Ausnahmeregelungen als die, die Sie vorgeschlagen haben, haben, die – mit Verlaub – für eine Partei, die ständig erklärt,man müsse überall die Regelungen abschaffen oder einfacher machen und sonst was, schon von einer eindrucksvollen Detailliebe gekennzeichnet sind. Vielleicht steigern wir damit die verfassungsmäßigen Bedenken, statt sie abzubauen.
Aber auch für diese Frage gibt es namhafte Experten, die uns das sicherlich im Detail erläutern können. Selbstverständlich gehen wir davon aus, dass die FDP auch in dieser Frage vor allem das Wohl der Bürgerinnen und Bürger in Hessen im Auge hat. Deshalb werden wir selbstverständlich gern und ergebnisoffen in der Anhörung prüfen, was wir an weiteren Informationen bekommen werden.
Meine Damen und Herren, abzuwägen ist dagegen insbesondere der Schutz von Jugendlichen, von Kindern usw. Rauchen hat Vorbildwirkung, ob wir das wollen oder nicht.
Wenn wir darüber nachdenken, wer denn eigentlich die wichtige Zielperson ist, dann müssen wir sagen: Es ist nicht der erwachsene aufgeklärte Raucher, der sich völlig frei von psychischen oder körperlichen Beeinflussungen aus einer freien und bewussten Entscheidung dem Rauchen widmet. Nein, das Problem ist doch: Wie stellen Sie denn mit Ihrer Regelung sicher, dass die Teenager nach dem Fußballtraining, wenn sie gemeinsam in die Kneipe gehen, nicht dem Gruppendruck ausgesetzt sind, in eine Rauchereinraumkneipe mitgehen zu müssen?
Das ist die entscheidende Frage. Damit ist, glaube ich, auch klar, um wessen Schutz es geht.
Aber auch diese Frage, wie weit man das mit der gesetzlichen Regelung,die Sie vorschlagen,erreichen kann,wer
den wir selbstverständlich gerne ergebnisoffen prüfen. Deshalb stimmen wir der Überweisung an den Ausschuss zu und sehen mit Interesse einer ohne Zweifel umfangreichen Anhörung zu dem Gesetzentwurf und einer umfangreichen Beratung entgegen. Dann werden wir einmal schauen, wie all das, was hier an Behauptungen über die Auswirkungen des bestehenden hessischen Gesetzes in den Raum gestellt wird und sich leider durch überhaupt keine hessischen Daten bestätigen lässt, und all das, was an verfassungsmäßigen Bedenken in den Raum gestellt wird und mit dem Text der Entscheidung aus RheinlandPfalz, aber genauso aus Sachsen und Schleswig-Holstein nur mit Mühe unter einen Hut zu bringen ist, zu bewerten ist. Dann sehen wir uns das alles einmal in Ruhe an, und dann werden wir zu einem Ergebnis kommen.
Meine Damen und Herren, wichtiger allerdings wäre es für die Zukunft, wenn das Hohe Haus nicht alle halbe Jahre wieder Rauchverbote diskutieren,sondern sich vielleicht einmal mit Fragen effektiver Prävention und Vermeidung einer der wichtigsten Noxen der modernen Gesellschaft befassen würde. – Vielen Dank.
Herr Kollege Bartelt, stimmen Sie mit mir darin überein, dass die Qualität der Daten des Statistischen Landesamts, die systematisch erfasst werden und auf exakten Zahlen beruhen und die überhaupt keinen Unterschied zwischen Quartalen vor und nach der Einführung des Nichtraucherschutzes zeigen, möglicherweise ein höheres empirisches Gewicht besitzen als eine Umfrage, deren Methoden bislang in keiner Weise dargelegt worden sind und die von einer Gruppe präsentiert worden ist, die ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse hat? Stimmen Sie nicht auch darin mit mir überein, dass wir in der Anhörung genau prüfen sollten, welche Datenqualitäten – ich habe mir nichts anderes erlaubt, als hierauf hinzuweisen – die DEHOGA-Daten einerseits und die des Statistischen Landesamts andererseits haben?
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach einer nun doch eine gewisse Zeit andauernden Debatte, in der so viele sehr, sehr unterschiedliche Positionen zu dem ohne Zweifel sehr umfassenden Problem der gesetzlichen Krankenversicherung konstatiert worden sind, ist es vielleicht sinnvoll, das ein bisschen systematisch abzuschichten.
Entgegen der Reihenfolge der Tagesordnung werde ich mit dem Dringlichen Antrag der GRÜNEN anfangen, weil das ganz einfach ist: Der Dringliche Antrag der GRÜNEN ist, wenn man auf den ersten Satz verzichtet, richtig.Was wir brauchen, ist eine solidarische Bürgerversicherung. Wenn ich mir an der Stelle die Bemerkung erlauben darf: Das Konzept der solidarischen Bürgerversicherung ist Kernbestandteil der Sozialdemokratie seit 140 Jahren. Dass es überhaupt eine soziale Krankenversicherung in Deutschland gibt, ist unzweifelhaft dem Druck von Sozialdemokraten vor 120 Jahren zu verdanken.
Dass wir heute überhaupt ernsthaft über eine Bürgerversicherung diskutieren und dass es zeitgemäße Modelle für eine Bürgerversicherung gibt, ist völlig unzweifelhaft mit der hessischen Sozialdemokratie und insbesondere mit der Person Andrea Ypsilanti verbunden.
Bürgerversicherung heißt: alle von allem den gleichen Anteil. – Das ist ein sehr einfaches, ein sehr konsequentes
und ein solidarisches Konzept. Wir haben das einmal in Ruhe ordentlich aufgeschrieben. Ich würde mich freuen, das nachher Herrn Bartelt und Herrn Schaus, die beide neu in diesem Hause sind, vorbeizubringen, damit sie nachlesen können, wie das funktioniert und warum das richtig ist. Dann brauchen wir das hier nicht alle paar Wochen wieder zu diskutieren. Es droht ja, dass die FDP die Bundesgesundheitspolitik wieder im Vierwochenabstand zum Setzpunktthema macht, was vielleicht doch den Aufgaben dieses Hauses nicht ganz angemessen wäre. – Bürgerversicherung bedeutet:alle von allem den gleichen Anteil.
Wenn Herr Hahn eben über den Tisch hinweg ausgerechnet angelsächsische Wohlfahrtsmodelle als „sozialistisch“ bezeichnet,dann würde ich empfehlen,ein bisschen zu gucken, wo das Wort sozialistisch herkommt. Ganz ehrlich: Beveridge hat mit Sozialismus nicht im Entferntesten etwas zu tun gehabt.Wahrlich nicht.
Herr Kollege Hahn, richtig ist allerdings, dass der National Health Service in England in den Fünfziger- und Sechzigerjahren ein international beispielgebendes Modell war – so lange, bis eine Frau Thatcher, die geistig Ihrer Partei deutlich näher steht, an die Macht kam und das Ganze ruiniert hat. Denn man kann auch gute Modelle kaputt machen. Daran gibt es keinen Zweifel.
Herr Boddenberg hat dazwischengerufen: „Das wäre dann eine Steuer.“ Herr Boddenberg, wir können das gerne in Ruhe vertiefen; denn das ist eine spannende Frage. Steuern sind nicht zweckgebunden, Krankenversicherungsbeiträge sollten es sein. Deswegen macht eine Steuer an der Stelle keinen Sinn.
Das ist überhaupt der einzige markante Unterschied. Aber wir können auch das gerne einmal vertiefen.
Meine Damen und Herren, der Aufhänger, warum die FDP heute über den Gesundheitsfonds redet, ist in Wahrheit die Gesundheitsreform 2006. Jetzt lassen Sie mich klarstellen: Die Gesundheitsreform 2006 ist eine Erfolgsgeschichte. 115.000 Personen, die bislang keine Krankenversicherung hatten und die dem Risiko von Krankheit schutzlos ausgeliefert waren, sind in den Kreis der Versicherten zurückgekehrt. Im Jahre 2007 gab es bei den Impfungen eine Steigerung um 71 %, weil Impfungen Bestandteil gesetzlicher Krankenversicherungsleistungen sind.
15-prozentige Steigerung der Eltern-Kind-Kuren, weil Eltern-Kind-Kuren Bestandteil der gesetzlichen Krankenversicherung sind. 20 % weniger Zuzahlungen zu Medikamenten, weil durch Rabattverträge Zuzahlungsverpflichtungen weggefallen sind. 6 Millionen Menschen haben sich in Hausarztverträge eingeschrieben. Die Selbsthilfe wurde fundamental gestärkt, die Finanzierung von Hospizen verbessert, die Palliativversorgung zum Bestandteil der gesetzlichen Krankenversicherung und, meine Damen und Herren, Bürokratie abgebaut, gerade für Ihre Freunde auf der rechten Seite, nämlich im Bereich der Arbeitgeber, denen die Arbeit einfacher gemacht wurde. Im Bereich der Dienstleister im Gesundheitswesen, der Leistungserbringer, wird durch die Umstellung der Honorierung auf feste Eurobeträge einem jahrelangen Wunsch entsprochen, wodurch die Honorie
rung für die Betreffenden vorhersehbarer und klarer ist. Also, meine Damen und Herren, in jeder Beziehung eine Erfolgsgeschichte.
Jetzt kommen wir zum Fonds. Was ist dieser Fonds? Dieser Fonds ist vor allen Dingen eines, nämlich maßlos überhöht, wenn ich mir vorhin angehört habe, was da alles für gefährliche Sachen drinstecken sollen. Herr Rentsch und Frau Schulz-Asche haben ausgeführt, auch Herr Schaus, wie das alles das Gesundheitswesen derangiert. Der Fonds ist doch eine ganz einfache Sache. Der Fonds ist der neue Name für den Risikostrukturausgleich, weil die CDU vor der Bundestagswahl 2005 im Programm stehen hatte: „Der Risikostrukturausgleich muss weg“, und hinterher begriffen hat, dass das nicht geht. Damit das nicht so peinlich ist, heißt der Risikostrukturausgleich jetzt Fonds, und dafür wird er endlich ordentlich gemacht, und das, meine Damen und Herren, ist auch gut so.
Der Risikostrukturausgleich – nichts anderes ist der Fonds – ist eine elementare Voraussetzung dafür, dass das, was gerade die FDP immer haben möchte, nämlich Wettbewerb im Gesundheitswesen, überhaupt sachgerecht möglich ist. Wettbewerb im Gesundheitswesen kann in keinem Fall ein Wettbewerb um die Gesunden sein. Jetzt wird eine Versicherung, die besonders viele schwer chronisch Kranke hat, z. B. Diabetiker, über kurz oder lang unglaublich teuer werden, wenn sie nur Kranke versichert. Krankenversicherungen sind im ökonomischen Wettbewerb gehalten, möglichst nur Gesunde zu haben. Dann haben sie nämlich keine Ausgaben. Das ist offenkundig unsinnig. Das ist offenkundig Blödsinn. Krankenversicherungen sind für eine ordentliche Versorgung der Menschen da. Deshalb muss man genau diese Motivation ausschalten. Deshalb gibt es den Risikostrukturausgleich. Deshalb wird er jetzt endlich vernünftig gelöst,was – auch das will ich gern zugeben – viel zu lange gedauert hat, weil sich die Union über lange Zeit der rot-grünen Bundesregierung verweigert hat, an dieser Stelle überhaupt konstruktiv mitzuarbeiten.Auch das ist ein Erfolg und ein Erfolg des Fonds.
Meine Damen und Herren, mehr steckt in diesem Fonds beim besten Willen nicht drin. Das kann man auch nicht größer machen, als es ist. Wenn jetzt jemand erzählt, dieser Fonds würde die Finanzierungsprobleme nicht lösen, ist dies richtig. Das tut er nicht. Dafür ist er auch nicht da, weil nämlich die Frage der Neugestaltung der Finanzierungssysteme in der Großen Koalition nicht geklärt wurde, weil zwei grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen einander gegenüberstehen. Das haben wir doch heute in epischer Breite hier schon gehört. Deshalb ist es völlig abwegig, zu beklagen, dass der Fonds – auf einmal eine plötzliche Erkenntnis – dies nicht leisten würde. Dafür war er niemals da.
Nein, meine Damen und Herren, wichtig ist ein guter, funktionstüchtiger Risikostrukturausgleich, der dafür sorgt, dass sich Krankenkassen um Kranke bemühen und nicht um Gesunde, dass sie sich um die Versorgung von Kranken bemühen und nicht darum, möglichst keine Kranken zu versichern. Genau das wird mit der gegenwärtigen Regelung jedenfalls deutlich besser erreicht als in der Vergangenheit. Dass das nicht hundertprozentig klappt, wusste jeder vorher und weiß heute jeder. Wer einen ökonomischen Wettbewerb der Krankenkassen haben will,muss einrechnen,dass dieser Faktor niemals hundertprozentig eliminiert werden kann. Aber wenigstens
kommen wir jetzt ein ganzes Stück weiter als in der Vergangenheit.
Dann kommen wir zu der aktuellen Debatte. Ich habe mit großem Interesse die zeitlichen Abläufe gesehen.Der Antrag, den die FDP-Fraktion heute gestellt hat, ist nicht ganz neu. Er stand nämlich am 17. Januar schon im Deutschen Bundestag zur Debatte, und am 15. April wurde er hier eingebracht, pikanterweise fünf Tage nach der Veröffentlichung des Wille-Gutachtens zum Fonds, interessanterweise unter völliger Missachtung genau dieses Gutachtens. Das ist das, was der aktuelle Streit ist: Wir Hessen werden angeblich gebeutelt.
Schauen wir uns jetzt noch einmal genau an, wovon da die Rede ist.Wir reden über § 272 SGB V. Der sieht vor, dass Länder, die besonders hohe Ausgaben haben und die deshalb mit der Einführung des Fonds einen Zusatzbeitrag erheben müssten, einen Ausgleich bekommen. Es ist die hessische Überteuerung, die Tatsache, dass die Ausgaben in Hessen höher sind als woanders – in Bayern und in Baden-Württemberg noch viel schlimmer –, die dazu führt, dass wir einen Ausgleich bekommen sollen, weil wir höhere Ausgaben haben, und die Sachsen, die es offenkundig so dicke haben, haben ein Gesundheitswesen, das deutlich preiswerter ist.Von denen würden jetzt 300 oder mehr Millionen zum Ausgleich in reiche Bundesländer fließen.
Meine Damen und Herren, da haben Herr Wille und Herr Wasem allerdings recht. Das ist wirklich ein Gedanke, der einer solidarischen Krankenversicherung zutiefst fremd ist, wie überhaupt die Vorstellung dieses Regionalausgleichs der solidarischen Krankenversicherungen zutiefst fremd ist. Tatsächlich findet nämlich die Verteilungskorrektur innerhalb der Regionen statt. Das, was in einer bestimmten Region mehr erwirtschaftet wird, führt dazu, dass dort das Gesundheitswesen schon seit Langem eher höhere Ausgaben hat. Jetzt schaffen wir einen völlig wesensfremden Kreuz- und Quertransfer, indem wir eine völlig abwegige Kategorie, nämlich diesen vermeintlichen Ausgleich zwischen Ländern, aber nur auf der Ausgabenseite und nicht in der Gesamtkonstruktion, einführen.
Das Ganze ist, mit Verlaub, grober Unfug. Es ist nur deshalb drin, weil auf den letzten Drücker Herr Stoiber zu der Erkenntnis kam, er müsse dort irgendetwas tun, damit er etwas für Bayern getan hat; und weil in Bayern demnächst Landtagswahl ist, gibt es in Bayern eine große Aufregung über den Fonds, und alle plappern es nach. Das müssen wir hier nicht tun.
An einer Stelle möchte ich allerdings Herrn Schaus entschieden widersprechen.
Ich finde es überhaupt nicht begrüßenswert, dass wir in diesem Landtag so lange über bundespolitische Themen reden. Ich finde das im Gegenteil sehr bedauerlich. Herr Rentsch, die Tatsache, dass Sie den Setzpunkt zur Gesundheitspolitik allein mit einem Thema gefüllt haben, das kein landespolitisches ist, ist bedauerlich.
Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, Herr Rentsch, nach den Alternativmöglichkeiten zu schauen und nachzusehen,was eigentlich das FDP-Landtagswahlprogramm für die Landespolitik in den Gesundheitsfragen vorsieht. Wenn man den umfänglichen Teil zu bundespolitischen Themen, die uns hier nun einmal doch deutlich weniger betreffen, weil die an anderer Stelle zu diskutieren und zu
entscheiden sind, einmal weglässt, stellt man auf einmal fest, Herr Rentsch, dass sozialliberale Kooperation geradezu der Königsweg ist, um das Gleichgewicht zwischen Fürsorge und Freiheit in hessischer Gesundheitsversorgung hier bei uns zu erreichen.
Da steht drin, Sie wollten mehr Hilfe zur Selbsthilfe. Ja, Herr Rentsch, das würde ich gern mit Ihnen gemeinsam machen, nämlich die Selbsthilfe stärken. Die SPD-Fraktion hat im letzten Jahr einen großen Selbsthilfetag gemacht, den Andrea Ypsilanti eröffnet hat. Sie sehen, das Thema hat bei uns eine große Bedeutung.
Dann kommt das Thema Prävention und Vorsorge, damit Menschen in der Lage sind, sich eigenverantwortlich um ihre Gesundheit zu kümmern.Auch da gäbe es viel zu tun. Es waren Frau Lautenschläger und Ihre Landesregierung, die das Präventionsgesetz zu Fall gebracht haben. Vielleicht würden wir für Hessen gemeinsam da eine Stärkung erreichen.
Dann sprechen Sie von der Stärkung der Palliativmedizin. Wenn ich an die Debatte vom letzten Jahr zurückdenke, wo wir genau das mehrfach diskutiert haben, kann ich mich entsinnen, dass es gerade auf der Ebene zwischen der FDP, den GRÜNEN und uns eine hohe Übereinstimmung in der Frage gab, wie der Bereich der Palliativmedizin verbessert werden kann.
Oder reden wir von der Stärkung der Familie, wenn sie Pflege übernimmt. Reden wir von der erweiterten Honorarverteilung. Meine Damen und Herren, da gab es das Phänomen – das hätte früher keiner geglaubt –, dass ein sozialdemokratischer Gesetzentwurf insbesondere von der FDP an dieser Stelle Zustimmung erfuhr. Möglicherweise ist auch das ein Thema, das wir landespolitisch angehen können und müssen, an dem wir gemeinsam arbeiten können.
Sie beklagen die Regressforderung. Auch hier bin ich mit Ihnen in dieser Sorge einig, dass wir dafür sorgen müssen, dass unsinnige und falsche Regressforderungen keinesfalls eintreten dürfen, wie überhaupt das Thema Selbstverwaltung ein wichtiges ist, wir aber in der Frage der Selbstverwaltung wie in der Klärung der Budgetüberschreitungen deutlich mehr Effizienz brauchen. Da sind wir uns, glaube ich, völlig einig, dass im Umgang mit der KV und in der Frage der Berechnung der Arzthonorare diese Landesregierung vor eineinhalb Jahren ein geradezu katastrophales Bild abgegeben hat. Ich bin sicher, da hätten wir gemeinsam aus durchaus unterschiedlichen Blickwinkeln ein hervorragendes und deutlich besseres Ergebnis erreicht und viele der Sorgen,gerade der niedergelassenen Ärzte, um ihr Honorar, aber auch die Angst vor Bankrott und Pleiten ganz anders abwenden können, wenn man die landespolitische Aufgabe – ich rede nur von der landespolitischen Aufgabe, eine Selbstverwaltung einer vernünftigen Kontrolle zuzuführen – gemeinsam gestaltet hätte.
Wenn ich sehe, wie die Befürchtungen angesichts des EBM 2008 sind, dann sage ich Ihnen allerdings: Da sollten wir dringend etwas tun.Warum sollte es jetzt gleich funktionieren, wenn es in der Vergangenheit nicht funktioniert hat? Herr Rentsch, vielleicht wäre eine Ausrichtung auf landespolitische Fragestellungen viel sinnvoller. Sie stellen fest, da gibt es große Übereinstimmungen.
Ambulant vor stationär – ja, genau das. Flächendeckende Sicherung der ambulanten Versorgung, bessere Nachbetreuung und eine Weiterentwicklung der Krankenhauskonferenzen – Herr Rentsch,wir wollten schon in der vorletzten Legislaturperiode im Krankenhausgesetz eine Stärkung der regionalen Konferenzen als Vernetzungsinstitution auch über den Krankenhaussektor hinaus. Ich glaube, auch an der Stelle würden wir sehr schnell zusammenkommen, wenn es darum geht, die Kooperation ambulant/stationär im Dienste der Leistungserbringer, aber gleichermaßen im Sinne der Patienten zusammenzubringen.
Wenn Sie dann das Belegärztesystem stärken wollen: In meinem Landkreis Marburg-Biedenkopf gibt es ein hervorragendes Belegkrankenhaus. Das ist nicht nur eine Frage der ökonomischen Situation, sondern eine Frage der Patientenzentriertheit der Medizin.Das ist der einzige Ort, an dem die Kooperation ambulant/stationär so gut funktioniert, dass der Patient tatsächlich im Mittelpunkt steht und nicht die Institution. Auch an der Stelle finden wir große Übereinstimmungen.
Das Gesundheitswesen ist eine Wachstumsbranche. Sie bietet für Hessen große Optionen in der Wirtschaftsentwicklung, aber auch auf dem Arbeitsmarkt. Das Land Nordrhein-Westfalen hat vor einigen Jahren einen Masterplan Gesundheitswirtschaft vorgelegt, um diesen Zukunftsbereich zu stärken. Herr Rentsch, lassen Sie mich das noch einmal sagen: Eine sozialliberale Kooperation in diesen Fragen – das sollten wir doch einmal in Ruhe miteinander besprechen – wäre der Königsweg zur Steigerung von Wirtschaftlichkeit und Effizienz und zur Zusammenführung der Fürsorge wie der Wirtschaftlichkeitsforderung im Gesundheitswesen. Das ist eine landespolitische Perspektive, und die können und sollten wir gemeinsam angehen. – Vielen Dank.
Lieber Herr Kollege Rentsch, nicht dass wir uns missverstehen: So groß ist die Liebe denn doch noch nicht – auch wenn das Gelb heute ausdrücklich für Sie gewählt war und der blaue Hintergrund dazu auch;
ich habe die rote Krawatte bei Ihnen ähnlich verstanden –, dass wir die grundsätzlichen Positionen, die die Gesundheitspolitik auf Bundesebene angehen und bei denen wir durchaus unterschiedliche Auffassungen haben, deswegen negieren oder sie nicht zum Disput stellen.
Ich glaube allerdings, wir sind sehr nah beieinander, trotz der Kritikpunkte, die Sie eben noch einmal angebracht haben. Dass viele der niedergelassenen Kollegen sich über eine Fehlkonstruktion beklagen, die mehr Bürokratie bedeutet, darüber bin ich mit Ihnen einig. Man muss aber sehr genau gucken, welche Teile davon landespolitische Aufgaben sind, an welchen Stellen die landespolitische Aufgabe darin bestünde, hier Aufsicht auszuüben und dafür zu sorgen, dass die Effizienz der Selbstverwaltung steigt. An der Stelle wären wir gut beraten, zu
sammenzuarbeiten, weil da die Übereinstimmung, die ich eben beschrieben habe, sehr hoch ist.
Deshalb mache ich noch einmal ausdrücklich das Angebot,dass wir in diesen Fragen,in denen wir landespolitisch über Gesundheitspolitik reden und in denen wir uns weitaus näher sind, als wenn wir die große bundespolitische Klammer davor setzten, zusammenarbeiten. Wir müssen in den landespolitischen Fragestellungen sehr genau prüfen, wie viele gemeinsame Projekte unter den besonderen Bedingungen dieses Landtags anstehen und erreichbar sind. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir da in der Kooperation weiter kommen,als es in der Vergangenheit war oder als es die bundespolitischen Auseinandersetzungen immer wieder nahelegen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Böse Zungen sagen immer, der Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat sei das erfolgreichste Instrument zur Verhinderung geordneter Gesetzgebung. Manchmal braucht es diesen Vermittlungsausschuss gar nicht. Manchmal gelingt das schon in Verhandlungen durch Zustimmung durch eine Landesregierung.
Frau Ministerin, wir wollen klarstellen: Diesem § 272 SGB V, von dem das Gutachten sagt, er sei inkonsistent, widersprüchlich und ganz und gar untauglich, das zu erreichen, was er erreichen soll, haben in diesem Haus lediglich Sie zugestimmt. Die Einzige, die Verantwortung für das Chaos trägt, das im Zusammenhang mit dem Gesundheitsfonds entstanden ist, nämlich mit dieser völlig unpraktikablen und völlig unsinnigen Konvergenzregelung, sind Sie in diesem Haus.
Tatsächlich ist diese Regelung überhaupt nur deshalb entstanden, weil Herr Stoiber auf den letzten Drücker einbringen wollte, dass er eine eigene Rolle spielt. Das Einzige, was an diesem Paragrafen fehlt, sind die Ähs, die Herr Stoiber sonst dazwischen gebracht hätte.
Meine Damen und Herren, diese Konvergenzklausel ist im Ansatz untauglich.Wenn Sie jetzt von der Verordnung reden, dann sage ich Ihnen: Die Verordnung über die Datengrundlage ist schon fertig. Die ist im Januar beschlossen worden.Wer hat der Datenberechnungsrechtsverordnung im Bundesrat zugestimmt? – Frau Lautenschläger; denn im Dezember wurde die Verordnung einstimmig angenommen.
Nein, meine Damen und Herren, wenn jemand für diese Konstruktion, die zu dem völlig aberwitzigen Ergebnis führt, dass Versicherte in Sachsen den Versicherten in Hessen einen mindestens zweistelligen Millionenbetrag überweisen müssen – das halte ich, Landesinteressen hin oder her, für zutiefst ungerecht, weil es den Leuten in Sachsen deutlich schlechter geht, da sie viel mehr Arbeitslosigkeit und auch sonst viel mehr Probleme haben –, in diesem Haus Verantwortung trägt, dann sind Sie es, Frau Ministerin.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Debatte um die Konstruktion der Stiftungsuniversität Frankfurt hat die SPD-Fraktion allzeit deutlich gesagt, dass für sie die Frage der Rechtsform der Hochschulen des Landes
Hessen – und eine solche bleibt die Stiftungsuniversität Frankfurt zweifellos – nicht das primäre Kriterium ist, sondern vielmehr die Frage, was an diesen Hochschulen passiert, ob sie den Kriterien genügen, die man an zukunftsfähige Hochschulen stellen muss.
Zur Freiheit der Hochschulen, gerade auch der Universität Frankfurt, gehört natürlich, dass sie eine Vielzahl von Fragen selbst entscheiden können. Genauso gehört aber dazu, dass das Land, das den ganzen Laden bezahlt – insofern ist die Bezeichnung Stiftungsuniversität ein wenig irreführend, denn auch diese Hochschule existiert ausschließlich dadurch, dass sie aus Steuermitteln finanziert wird und aus Steuermitteln ein Stiftungskapital bekommen hat –, daraus einen Anspruch auf Mitsprache bei wesentlichen Fragen ableiten kann und dies gesetzlich nicht nur regeln darf, sondern, davon bin ich überzeugt, gesetzlich sogar regeln muss.
Ich vernehme mit Freude die große Übereinstimmung mit der FDP, liebe Nicola Beer. Natürlich wollen auch wir an Hessens Hochschulen die besten Köpfe haben. Da in einem Nebensatz angedeutet wurde, dass wir über das Kapazitätsrecht reden müssen, sage ich: Wir müssen unbedingt über das Kapazitätsrecht reden. Ob eine hessische Regelung das Gelbe vom Ei ist oder ob man vielleicht eine bundesweite Entwicklung haben möchte, ist zu hinterfragen. Wir haben schon vor zehn Jahren vorgeschlagen, dieses vorsintflutliche Instrument einer Überprüfung zuzuführen. Aber auch darüber werden wir uns sicherlich verständigen.Entscheidend ist doch – eigentlich ist das doch ein geradezu liberaler Ansatz –, dass die Besten weiterhin einen freien Zugang zu den Hochschulen haben. Genau darum geht es.
Meine Damen und Herren, gerade die Reduktion auf ein formales, in seinen Auswirkungen offenkundig überhaupt nicht überprüftes, durch die Universität Frankfurt auch gar nicht rechtfertigbares oder empirisch belegbares Kriterium widerspricht dem Gedanken, dass der freie Zugang der Besten zu den Hochschulen auf diese Weise geregelt werden kann. Der Ausschluss des Zugangs zur Universität Frankfurt für Menschen, die „nur“ über eine Fachhochschulreife verfügen, widerspricht vollständig dem Gedanken der Durchlässigkeit, bei dem in der Vergangenheit in diesem Hause große Einigkeit bestand, als wir z. B. die Meisterbriefe zu einer ausreichenden Qualifikation für den Hochschulzugang erklärt haben.
Nein, meine Damen und Herren, es kommt darauf an, dass die Hochschulen, wenn sie denn selber auswählen dürfen, nachvollziehbare Qualitätsparameter anwenden und ihre Wahl gerade nicht auf formale Vereinfachungen reduzieren.
Deshalb halten wir die Frankfurter Entscheidung für nicht richtig und für überprüfungsbedürftig. Deshalb werden wir mit Interesse der Beratung im Ausschuss und einer Anhörung entgegensehen, von der wir uns Hinweise erhoffen, wie die Qualität unserer Hochschulen durch qualitätsvolle Zugangskriterien erhöht werden kann.
Eines ist allerdings klar – da stimme ich Sarah Sorge voll und ganz zu –: Das Hessische Hochschulgesetz ist in den letzten Jahren Entwicklungen unterworfen gewesen, die dringend einer Erneuerung und Revision bedürfen. Deshalb ist es tatsächlich ein wenig unangemessen, mit hüb
schen kleinen Facetten daherzukommen, mit einer nach der anderen. Damit könnten wir uns jahrelang beschäftigen, am Ende würde doch nicht alles zusammenpassen. Nein, die SPD-Fraktion spricht sich entschieden dafür aus, dass wir das Hessische Hochschulgesetz einer vollständigen und grundsätzlichen Novellierung unterwerfen – gemeinsam mit den Präsidien, mit den Hochschullehrern, mit den Senaten, mit dem Mittelbau, mit den gesellschaftlich relevanten Gruppen und, was gerne vergessen wird, allen voran gemeinsam mit den Studierenden. Der Zweck der Hochschulen ist nämlich zuallererst, Studierende optimal auszubilden. Da gibt es eine Vielzahl von Punkten, an denen wir arbeiten müssen, die innerhalb von fünf Minuten nicht einmal grob anzureißen sind. Deshalb will ich das jetzt gar nicht tun.
Wir sehen mit großem Interesse den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf entgegen, und wir hoffen, dass man auch in Frankfurt ein Einsehen hat, dass sich die Besten nicht mit einfachen formalen Regeln erfassen bzw. die anderen so einfach ausschließen lassen.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Danke sehr, Herr Dr. Spies. – Ich darf Frau Kühne-Hörmann für die Fraktion der CDU das Wort erteilen.