Hermann Dinkla

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Sehr verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Landtag in seiner Gesamtheit kann stolz darauf sein, dass er sich als erster Landtag in der Bundesrepublik und über alle Fraktionen hinweg der Aufgabe gestellt hat, die NSVergangenheit aller 755 Abgeordneten ab dem Geburtsjahr 1928 mit wissenschaftlichen Methoden zu durchleuchten, und dass deswegen heute ein wissenschaftliches Werk vorliegt, das in dieser Form in der Bundesrepublik bisher einmalig ist.
Wie war die Ausgangssituation im Jahr 2008? - Ende des Jahres 2008 kam es im Landtag zu einer politischen Diskussion, die aufgrund einer Auftragsarbeit an Herrn Dr. Klausch durch einen Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE angestoßen wurde. Ich will gar nicht verschweigen, dass es die Fraktion DIE LINKE gewesen ist, die damit den Anstoß zur Diskussion im Landtag und somit auch für die nun vorliegende Untersuchung gegeben hat.
Gesagt werden muss allerdings auch, dass die von der Fraktion DIE LINKE herbeigezogene Untersuchung von Herrn Dr. Klausch in ihrer Beschränkung auf das konservative Parteienspektrum einseitig war und dass die Darstellung der geschichtlichen Problematik es an einer nötigen Differenzierung fehlen ließ.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eine Ausarbeitung der Qualität und Tiefe, wie sie jetzt vorliegt, gibt es bislang in keinem anderen Bundesland. Diese Publikation ist - das kann man schon heute sagen - sehr gut angenommen und aufgenommen worden und auf große Resonanz gestoßen. Täglich erreichen den Landtag Bitten und Fragen, wie und wo das Buch beschafft werden kann. Ich habe übrigens den Präsidentinnen und Präsidenten der Parlamente der anderen Bundesländer ebenfalls ein Exemplar mit einem Begleitschreiben übersandt und bin auf die Reaktion gespannt.
Was zeichnet diese Publikation aus, und wie gehen wir mit ihr um? - Den Wissenschaftlern, insbesondere auch Herrn Dr. Glienke, ist es in ausgezeichneter Weise gelungen, eine anspruchsvolle Arbeit vorzulegen. Die Qualität zeichnet sich besonders durch die Differenzierung aus und nicht durch das einfache Schubladendenken „NSDAP
Mitglied - Ja oder Nein?“ und, daraus folgernd, die fast fallbeilartige Zuordnung „Schuld und Verstrickung“. Die Verfasser haben sowohl die unterschiedlichen Wege in die NSDAP als auch die unterschiedlichen Wege der früheren Mitglieder in die junge Demokratie untersucht.
Immer wieder stellt sich die Frage, wie es passieren konnte, dass früher so viele Menschen ein Staatswesen bejahten, das ausdrücklich für Militarisierung und Uniformität und schließlich sogar für unvorstellbare Grausamkeiten, Massenmord und Genozid stand. Es gab neben der Topographie des Terrors mit ihren Gesinnungstätern die Mitläufer, die Opportunisten, die Karrieristen, die es in allen Systemen gab und gibt. Das Überzeugende an dieser Publikation ist der methodische Ansatz mit dem Ziel, die Einzelbiografien als Grundlage zu nehmen. Daraus resultiert die Erkenntnis, dass die isolierte Bestätigung einer Mitgliedschaft allein noch wenig sagt. Deshalb ist die Zahl von 204 NSDAP-Mitgliedern von insgesamt 755 Abgeordneten ohne Betrachtung der Biografien und der Beweggründe für den Parteieintritt nur begrenzt verwertbar. Die wichtigere Aufgabe des Projekts lag sicherlich in der Frage der Ämter und der Aufgaben im Dritten Reich sowie der Lebensprofile als Täter und Opfer. Insoweit liegt nun eine Arbeit vor, die alle Möglichkeiten der Recherche weit über Niedersachsen hinaus genutzt hat.
Der Bericht beschreibt für die ersten Parlamente im Land Niedersachsen eine für uns fast unvorstellbare Situation: Im Landtag fanden sich nach dem Zweiten Weltkrieg Täter und Opfer, Denunzianten und Denunzierte, Profiteure und Leidtragende des nationalsozialistischen Regimes nebeneinander, bisweilen in denselben Fraktionen. Wenn ich das Nebeneinander von Tätern und Opfern im Landtag anspreche, kann, meine Damen und Herren, auch nicht unerwähnt bleiben, dass namhafte Abgeordnete wie der spätere Ministerpräsident Diederichs und andere Abgeordnete unter der NSDAP in Schutzhaft und Konzentrationslagern gelitten haben, verfolgt wurden und ihre Existenz verloren haben.
Vielleicht hat der Wunsch, die junge Demokratie zu entwickeln, vieles an Schwierigkeiten im Nebeneinander und Miteinander überbrückt. Eines kann ich aber bereits heute sagen: All das, was nun für jedermann nachlesbar ist, ist nicht für holzschnittartige Schuldzuweisungen geeignet.
Ich stelle auch fest: In keiner hier anwesenden Fraktion, die auch schon nach dem Kriege im Landtag vertreten war, gibt es eine wie auch immer geartete eindeutige geschichtliche Kontinuität in der einen oder anderen Richtung.
Der Blick in die Vergangenheit ist nicht das alleinige Anliegen in unserer Diskussion. Wenn wir uns gemeinsam der Vergangenheit stellen, dann tun wir das deshalb, weil es um unsere Zukunft geht. Die Frage ist doch: Was können und müssen wir aus der Vergangenheit lernen, damit unsere Demokratie gegen ihre Feinde gewappnet ist und hellhörig bleibt gegenüber jeder Form rassistischen und nazistischen Gedankenguts? Diese verhängnisvolle und menschenverachtende Ideologie darf keinen Nährboden in unserer Gesellschaft finden.
Im Ältestenrat steht nun die sorgfältige Analyse dieses umfassenden Projektabschlussberichtes an. Auch wenn es noch keine endgültigen Antworten auf alle Fragen gibt, darf man eines klarstellen: Dieses Parlament stellt sich gemeinsam und einstimmig der geschichtlichen Verantwortung und der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit. Dieses Bekenntnis ist wichtig und eindeutig. Dafür danke ich Ihnen.
Herr Kollege Schobert, bitte!
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Nation ist mit Zustimmung der Nachbarn und der Großmächte in einem Staat vereint. Die Bürger der ehemaligen DDR können stolz darauf sein, dass sie im November 1989 die Fesseln der ehemaligen DDR gesprengt haben.
Es war keine einseitige Entscheidung des Westens. Es waren die Bürger der DDR, die auf die Straße gegangen sind und das SED-Regime davongejagt haben.
Es war der Druck des Volkes, der mit Parolen wie „Wir sind das Volk!“, „Wir sind ein Volk!“ und „Deutschland, einig Vaterland!“ die Machthaber in die Enge trieben. Und es war nicht nur der totale wirtschaftliche Kollaps der DDR - nein, das gesamte politische System der DDR war 1989 gescheitert.
„Sofort, unverzüglich …“ - mit diesen lapidaren Worten zur neuen Reiseregelung - und dabei ist es fast unwichtig, ob dies ein sprachlicher Lapsus oder eine gezielte Information war - wurde der friedlichen Revolution zum endgültigen Sieg verholfen. Die Mauer, jahrzehntelang schändliches Symbol gewaltsamer Trennung in Deutschland und Europa und ideologisch verklärt „als antifaschistischer Schutzwall“ dargestellt, wurde einfach überrannt. Es sind unvergessliche Bilder, die sich in
unser kollektives Gedächtnis förmlich eingebrannt haben. Aber ich betone: Es war eine deutsche Sternstunde der europäischen und der deutschen Freiheits- und Demokratiegeschichte.
Es ist aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, deshalb auch konsequent, in diesem Zusammenhang z. B. an die russischen Dissidenten Sacharow und Solschenizyn, an das Vorbild der tschechischen Charta 77 mit Vaclav Havel, an die polnische Oppositionsbewegung Solidarnosc, an die ungarische Reform und an die Perestroika-Politik in Russland zu erinnern. Damals wurden Steine ins Rollen gebracht, die nicht mehr gebremst werden konnten. Sie eröffneten später den Spielraum für das überlegte politische Handeln von George Bush, Michail Gorbatschow und Helmut Kohl - übrigens gegen erhebliche Bedenken in verschiedenen europäischen Ländern.
Wir müssen heute noch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dankbar sein, dass die friedliche Demonstration der Menschen in der DDR eine Revolution der Kerzen und nicht der Waffen wurde. Wie oft wurde wohl in den vielen Kirchen, in der Leipziger Nikolaikirche oder in der Berliner Gethsemanekirche, zum Schluss gesungen: „Dona nobis pacem“?
Es gibt keine unfreiwillig passendere Aussage zu diesen spannungsgeladenen Stunden als die von Horst Sindermann, dem damaligen Volkskammerpräsidenten. Er sagte:
„Wir hatten alles geplant, wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht auf Kerzen und Gebete.“
Für diesen Mut, für das unglaubliche Maß an Besonnenheit, an dem auch die Kirchen großen Anteil hatten, und für den ungebrochenen Willen zur Freiheit sind wir den Menschen in der ehemaligen DDR, all denen, die durch ihren persönlichen Einsatz der Freiheit zum Durchbruch verhalfen, zu tiefstem Dank und großem Respekt verpflichtet.
Der DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz hat im Leipziger Gewandhaus die Montagsdemonstrationen in Leipzig ganz treffend formuliert:
„Was Karl Marx allen Berufsrevolutionären mit auf den Weg gab, dass die Idee zur materiellen Gewalt wird, wenn sie die Massen ergreift, fand in Leipzig eine kreative Umsetzung. Die Idee der Freiheit wurde zur Macht der Würde. Das werktätige Volk hat die Diktatur des Proletariats gestürzt, und das auch noch auf dem Karl-MarxPlatz.“
Dieses Zitat wollte ich Ihnen nicht vorenthalten!
Aber was bedeutete diese „Mauer der Furcht“, wie sie von Bundespräsident Köhler bezeichnet wurde, für das Leben der Deutschen? Es war eine Grenze mit brutalen Wirkungen, an der über 1 000 Menschen ihr Leben gelassen haben, weil sie den Weg in die Freiheit suchten. Und deshalb war die DDR kein missglücktes Experiment sozialistischer Planwirtschaft oder gar ein vermeintlich fürsorglicher Solidarstaat, wie das System der DDR zunehmend verharmlosend eingestuft wird.
20 Jahre nach dem Mauerfall muss allen klar sein: Die SED-Herrschaft war ohne demokratische Legitimation, also eine Diktatur. Die Menschen mussten in ständiger Angst vor Gängelung, Bespitzelung und vor den Foltergefängnissen der Staatssicherheit leben. Weshalb haben denn so viele Menschen die großen Gefahren der Flucht auf sich genommen? - Es war die Flucht vor den Schikanen der SED-Staatsmacht, und es war der unstillbare Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben in Freiheit, den über 1 000 Menschen an der innerdeutschen Grenze mit ihrem Leben bezahlten.
Kein demokratisches Land dieser Welt, in dem Menschen- und Bürgerrechte etwas gelten, darf seinen Bürgern das antun, was die SED, was die Stasi ihren Bürgern zugemutet hat.
Die Bürgerrechtler haben mit der von ihnen erzwungenen Öffnung der Stasiakten ans Licht gebracht, dass Unrecht, Heimtücke, Gemeinheit, Verrat und Verleumdung an der Tagesordnung waren. Damit wurde der Herrschaftsapparat der SED fast mikroskopisch demaskiert. Allein schon dieses Wirken der Stasi macht den Unrechtsstaat aus.
Wie war es denn um das Rechtssystem in der DDR bestellt? - Die Justiz wirkte mit, als schon
kurz nach dem Kriege auf dem Boden der späteren DDR die politisch motivierten Repressalien einsetzten. Ich erinnere an die zwangsweise Enteignung von Grundbesitzern und Unternehmern unter dem Deckmantel eines heuchlerischen Antifaschismus. Ich erinnere an die schon bald einsetzende politische Verfolgung Andersdenkender bis hin zur Zwangsvereinigung der Sozialdemokratischen Partei mit der Kommunistischen Partei im April 1946. Es gab unzählige Opfer, darunter auch viele Sozialdemokraten. Viele erlitten erneute Verfolgung nach dem Unrecht der gerade überwundenen Zeit des Nationalsozialismus - und dies häufig genug auch noch in den Lagern, die schon dem Terror der Nazis dienten.
In der späteren DDR war die Justiz niemals unabhängig, sondern immer Teil des SED-Machtapparates. Gerade in der Frage nach der Unabhängigkeit der Justiz unterscheidet sich aber elementar der Rechtsstaat vom Unrechtsstaat. Walter Ulbricht machte kein Hehl daraus, dass die Justiz als - ich zitiere - „Waffe im Klassenkampf" instrumentalisiert werden sollte. Deshalb darf nur eine historische Wahrheit Bestand haben: Die DDR war ein Unrechtsstaat, und der SED-Staat war ein Gefängnis.
Zum Wesen der Diktatur gehörte auch, dass demokratische Parteien in der DDR keine Chance auf einen politischen Wettbewerb im System hatten. Es gehörte zum System, sich mit den sogenannten Blockparteien eines scheindemokratischen Deckmäntelchens zu bedienen, um die Alleinherrschaft der SED zu beschönigen. In Wirklichkeit waren auch die Blockparteien stasidurchsetzt und kontrolliert, sodass jeder oppositionelle Ansatz im Keim erstickt wurde.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele deshalb Mitglied einer Blockpartei wurden, um dem ständigen Druck der SED auszuweichen. Andere wiederum haben an die Zukunft ihrer Kinder, an den Studienplatz oder auch an den Arbeitsplatz gedacht. Manche werden aber auch im Herzen die Idee der demokratischen Parteien bewahrt haben. Die Blockparteien waren jedoch Bestandteil eines ausgeklügelten totalitären Systems. Und natürlich hat es auch willfährige Mitläufer gegeben.
In der Freude über den Fall der Mauer müssen wir aber auch an den 9. November 1938, an das schlimme Ereignis der Reichspogromnacht, erinnern, als nationalsozialistische Schergen die Men
schenwürde der jüdischen Mitbürger, Toleranz und Freiheit mit Füßen traten.
Fast auf den Tag genau vor 20 Jahren wurde aber auch der Sprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, brutal von der RAF ermordet. Wir haben fast vergessen, dass zum Zeitpunkt des Mauerfalls der freie Teil Deutschlands noch immer vom Terror linksextremistischer Ideologen bedroht war.
Diese Daten unserer Geschichte müssen uns deutlich machen, dass nur eine wehrhafte Demokratie Schutz gegen jede Art und Gestalt des Extremismus bietet.
Die junge Generation, die in einem geeinten und freien Deutschland groß geworden ist, kennt nichts anderes als ein Leben in Freiheit. Und dass diese Freiheit mehr bedeutet als Abwesenheit von Zwang und Unterdrückung, müssen junge Menschen lernen. Es muss ihnen vermittelt werden, dass gerade das vereinte Deutschland eine besondere Verantwortung hat und der Freiheit, dem Recht und der Menschenwürde verpflichtet ist.
Das Bild der DDR als totalitärer Unterdrückungsstaat verschwindet zunehmend aus der öffentlichen Wahrnehmung. Wir dürfen nicht zulassen, dass aus Nostalgie oder gar bewusster Geschichtsverfälschung nur noch die Erinnerung an eine vermeintlich fürsorgliche DDR zurückbleibt, in der man eigentlich gut leben konnte.
Es darf keine schleichende Verklärung der Vergangenheit geben. Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, auf keinen Fall dürfen die Täter die Deutungshoheit über die Vorgänge von damals erhalten.
Wir dürfen nicht zulassen, dass die über 1 000 Toten an der Grenze und der Mauer in Vergessenheit geraten und dass über den menschenverachtenden Überwachungsapparat mit fast 100 000 Stasimitarbeitern, über die Drangsalierung von Christen und Oppositionellen, über die Indoktrination der Jugend und über Kommunikationsverbote mit der Einschränkung der Meinungsfreiheit und auch der Einschränkung der Reisefreiheit in der DDR nicht gesprochen wird oder werden darf. Dazu bedarf es neben Lehrplänen und Geschichtsbüchern auch außerschulischer Lernorte.
Einige von uns sind in Marienborn gewesen - auch am 9. November; das will ich ausdrücklich betonen.
Diese Aufarbeitung der Geschichte der DDR bleibt eine elementare Aufgabe. Die Frauen und Männer des 17. Juni 1953 mussten 36 Jahre warten, bis die Mauer 1989 fiel. Die Erinnerung an diesen Tag muss ebenfalls unauslöschlicher Bestandteil deutscher Geschichte sein. Es geht hierbei nicht um Schuldzuweisungen oder Besserwisserei. Es geht zum einen darum, die Lebensleistungen der Menschen in der DDR vor dem Hintergrund eines diktatorischen Regimes zu würdigen. Vor allem geht es aber darum, unserer Jugend ein Bildungsfundament der Geschichte zu geben, das sie stark macht gegen Extremismus und Gefahren der Zukunft. Aus dem Mauerfall, verehrte Kolleginnen und Kollegen, erwächst ein Vermächtnis, weiter an der Vollendung der Einheit zu arbeiten und sich immer bewusst zu sein, dass der Mauerfall ein Sieg des unstillbaren Wunsches nach Freiheit war.
Das ist schon anders geregelt. Der Kollege hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Zu der Kurzintervention erteile ich Ihnen das Wort, Herr Dr. Sohn. Wie bekannt, maximal anderthalb Minuten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stelle fest: Die breite Mehrheit dieses Hauses stellt die Notwendigkeit an sich nicht infrage. Das ist unstrittig.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe mir die Mühe gemacht, die im Haus vorliegenden Unterlagen durchzusehen. Seit dem Jahr 1994 befasst man sich hier mit Umbau, Veränderungen, Anpassungen, mit der ständigen Aktualisierung,
mit der Instandsetzung und auch mit der Modernisierung. Passiert ist bislang aber viel zu wenig. Wir haben jetzt eine Ausgangssituation, die dringendes Handeln wirklich erfordert.
Im jetzigen Verfahren hat es aber keine Geheimdiplomatie gegeben. Es gibt auch keine einsamen Entscheidungen des Landtagspräsidenten. Es gibt jetzt im Gegensatz zum Jahr 2002 ein wirklich offenes und transparentes Verfahren, Frau Kollegin Helmhold. All die Maßnahmen, die wir bislang im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt haben - gemeinsam mit den Medien, Internetpräsentationen, die für alle Bürger zugänglich sind, Gespräche mit der Stadt und vielen anderen -, zeigen, dass der Wille da ist - auch bei mir persönlich -, nicht abzuschotten. Stattdessen öffnen wir uns für die Argumente und auch für die Diskussion. Insofern weise ich Ihren Vorwurf, dass hier auf Transparenz verzichtet würde, mit allem Nachdruck zurück.
Fest steht ja, dass verschiedene Verbände Kritik geübt haben. Sie haben sie aufgelistet. Dazu stehe ich auch. Ich sage Ihnen aber auch Folgendes: Ich habe mit allen Verbänden - auch mit denen, die es nicht für nötig erachtet haben, einen Brief an den Landtagspräsidenten zu schreiben - Gespräche geführt. Mit allen! Ich habe Gesprächsangebote unterbreitet. Ich glaube, auch das spricht dafür, dass wir uns hier nicht abschotten, sondern uns mit unseren Argumenten in die Auseinandersetzung einbringen wollen.
Man muss bei der Kritik differenzieren und aufpassen, worum es geht. In den Unterlagen seit 1994 findet sich immer wieder Fundamentalkritik. Darauf sind Sie ja eben eingegangen, Frau Kollegin. Sie haben auch, wie es immer wieder geschieht, Leserbriefe aufgegriffen, in denen es heißt, dass die Schulen saniert werden müssen und dass das Geld dann in anderen Bereichen fehlt. Ich glaube, das ist eine Auffassung, die für andere Argumente wenig zugänglich ist. Das ist meiner Ansicht nach nicht angemessen. Dies haben auch die Beiträge der anderen Kolleginnen und Kollegen deutlich gezeigt.
Es gibt - auch das muss ich sagen - über die gesamte Phase hinweg eine fachlich exzellente Begleitung durch das Staatliche Baumanagement und auch durch das beteiligte Architekturbüro. Vor allem gibt es eines: eine unzweifelhaft demokrati
sche Legitimation der Baukommission. Auch das stelle ich mit allem Nachdruck fest.
Eines wird es nicht geben - das darf ich in aller Offenheit sagen -: Im Hinblick auf das, was wir hier vorhaben, wird es kein Diktat von außen geben. Nach sorgfältiger Abwägung entscheidet dieser Landtag souverän und eigenständig über das, was und wie gebaut wird, und nicht aufgrund von Einflüssen von außen. Ich glaube, das ist etwas, was wir hier noch einmal mit allem Nachdruck betonen sollten.
Wir wollen - ich hoffe, das tun alle - aus dieser Bunkersituation hier heraus. Ziel der Verwirklichung ist ein Höchstmaß an Funktionalität, Wirtschaftlichkeit, Energietechnik, Mediengerechtigkeit, Barrierefreiheit und Besucherfreundlichkeit.
Ich will noch einmal etwas zu dem Argument sagen, der Landtag tage ja nur drei Tage im Monat. Dieses Argument verstehe ich überhaupt nicht; denn wir haben, wenn wir diesen Bau verwirklichen, auch eine Diskussion darüber zu führen, wie wir uns die Öffnung des Parlaments insgesamt vorstellen. Ich stelle fest, dass in den letzten zwei Wochen aufgrund hervorragender Veranstaltungen bzw. Ausstellungen hier im Hause annähernd 1 500 Gäste gewesen sind, die durchaus auch hier im Plenarsaal waren. Insofern kann man das nicht darauf reduzieren, dass man sagt: nur drei Sitzungstage und sonst gar nichts. - Diese Argumentation ist völlig falsch.
Wir müssen uns auch mit dem künftigen Öffentlichkeitskonzept befassen.
Ich will dann noch einiges zu dem Antrag und der Position der Grünen sagen. Ich muss mich etwas zurückhalten, Frau Kollegin. Aber ich sage in aller Offenheit: Was Sie hier politisch vollführen, ist ein doppelter Rittberger nach dem anderen; denn die Position, die Sie im letzten und auch im vorletzten Jahr, also 2007, nach außen vertreten haben - der Kollege Schwarz ist darauf eingegangen -, haben Sie ja nun nicht so ganz echt wiedergegeben. Sie haben nämlich seinerzeit, wie in den Unterlagen nachzulesen ist, ausgeführt, dass mit einem neu gebauten Plenarsaal eine Reduzierung deutlich
unter den Niedrigenergiehausstandard erreicht werden könnte. Angesichts dessen halte ich fest: Was sich jetzt vollzieht, Ihre späte Liebe zu Oesterlen, das ist Populismus pur.
Es gibt natürlich Unterschiede zu der Situation des Jahres 2002. Das wird ja niemand leugnen wollen. Es gibt eine andere Situation in der Portikushalle. Ferner ist das Sockelgeschoss mit einzubeziehen; das ist im Jahre 2002 überhaupt nicht gemacht worden. Sicherlich muss auch im Hinblick auf den Gaststättenbereich neu definiert werden, wie mit Besuchern umgegangen werden soll. Es gibt einen neu definierten Raumbedarf. Vor allem aber gibt es eines, nämlich ein anders artikuliertes Interesse der Landeshauptstadt Hannover, die im Gegensatz zu 2002 jetzt ganz klar sagt: Wir möchten, dass mit der baulichen Veränderung des Landtages eine städtebauliche Bereicherung einhergeht.
Wenn wir nur hier in der Kubatur bauen, dann ändert sich überhaupt nichts. Das muss man einmal eindeutig festhalten.
Der damalige Siegerentwurf - das sage ich in aller Klarheit - weist, bezogen auf die jetzigen Ansprüche, erhebliche Mängel auf. Das, was in den Zeitungen stand, dass diese Ansprüche zu 90 % erfüllt werden können, stelle ich schlicht und ergreifend infrage. Das wird nämlich nicht erreicht. Deshalb führt kein Weg daran vorbei, dass wir einen neuen Architektenwettbewerb durchführen. Dies sollten wir auch schon aus wettbewerbsrechtlichen Gründen tun. Wenn wir jetzt die Vorschläge von 2002 quasi reaktivieren, den Betreffenden die Chance zur Nachbesserung geben, möglicherweise nur dem Ersten, der dann die Vorschläge des Dritten übernimmt, dann werden - das liegt doch auf der Hand - wenige Tage später die Rechtsanwälte vor der Tür stehen. Das sollten wir uns schon aus diesem Grund nicht zumuten, meine Damen und Herren.
Es geht überhaupt nicht um das Schlechtreden der Architektur von Oesterlen. Aber im Ergebnis können wir mit einem neuen Architektenwettbewerb die Chance auf einen großen, architektonisch bril
lanten und städtebaulich besonders reizvollen Entwurf bekommen.
Im Moment nicht. Ich möchte das im Zusammenhang darstellen. Anschließend können wir das gerne noch einmal besprechen.
Das, was ich eben gesagt habe, werden wir am Ende des Architektenwettbewerbs zu bewerten haben.
Ich will noch etwas in aller Deutlichkeit sagen - das klang beim Kollegen Schwarz bereits an -: Derzeit ist es so, dass sich die Oesterlen-Anhänger - wenn ich das so formulieren darf - in der Presse sehr stark darstellen. Aber zur Wahrheit gehört, dass ich Ihnen als Präsident in aller Klarheit sage: An mich gerichtete Mitteilungen, Telefonate, Briefe oder E-Mails sagen auch etwas völlig anderes. Ich will Ihnen das Drastischste hier gar nicht übermitteln. Aber dort ist immer wieder von einem schnellst möglichem Abriss des Plattenbaus, des Bunkers, des Kastens - um nur drei Begriffe zu zitieren - die Rede. Diese Stellungnahmen werden jedoch nicht öffentlich gemacht, weil befürchtet wird, dass in der öffentlichen Diskussion dann von hier und da starker Gegenwind kommt bzw. der eine oder die andere dann auch niedergemacht wird. Das will man nicht. Ich sage aber - das gehört zur wahrheitsgemäßen Betrachtung dazu -, dass es, was die Bewertung, auch in architektonischer Hinsicht, angeht, sehr unterschiedliche Positionen gibt, die zum Teil sehr krass sind. Das geht übrigens so weit, dass auch gesagt wird, man könne jetzt auch historische Pläne von Georg Ludwig Laves, die damals nicht verwirklicht worden sind, umsetzen.
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal auf das eingehen, was von der Landeshauptstadt Hannover hierzu vorgebracht wird. Es ist erforderlich, dass wir das Einvernehmen mit der Landeshauptstadt Hannover herstellen. Deshalb sage ich in aller Klarheit - damit gehe ich auf das ein, was Herr Kollege Bartling hier gesagt hat -: Ich bin dafür, die Landeshauptstadt in die Jury mit einzubinden. Das war für mich eigentlich - wenn ich das so sagen darf - gesetzt. Es hat ja auch im Vorfeld viele Gespräche mit der Landeshauptstadt gegeben. Dort ist das breit diskutiert worden. Aus der
Landeshauptstadt sind auch an mich persönlich Wünsche herangetragen worden, die jetzige Chance zu nutzen und eine Veränderung des Platzes der Göttinger Sieben sowie die Anbindung an die Leine mit in die Planung einzubeziehen. Das sollten wir jetzt nicht ausblenden.
Meine Damen und Herren, das weitere Verfahren ist klar geregelt. Das ist doch überhaupt kein Geheimnis. Es wird jetzt nicht so sein - Herr Kollege Hagenah, das darf ich in aller Klarheit sagen -, dass wir selbst im Hause quasi den Raumbedarf so erstellen, dass es nicht in die Kubatur passt. Darauf wäre ich auch selbst gekommen; das darf ich Ihnen einmal sagen. Wir beauftragen eine parlamentserfahrene Firma, die diese Phase eins - wenn ich das so nennen darf - bewertet. Diese hat sich bereits in Hessen und in anderen Bundesländern mit diesen Fragen befasst. Das ist dann eine neutrale Feststellung, die wir anschließend diskutieren können. Ich glaube, das ist der richtige Weg.
Es wird eine intensive Auseinandersetzung auch mit den denkmalschutzrechtlichen Belangen geben; das ist überhaupt keine Frage. Es wird den Entwurf eines Auslobungstextes geben; auch das ist keine Frage. Das ist fest zugesagt; darüber brauchen wir gar nicht zu diskutieren. Nach unserer Zeitachse soll das Ende März/Anfang April in der Baukommission diskutiert werden. Von mir aus kann das Satz für Satz geschehen; das alles können wir gerne machen.
Diese Punkte werden vor einer endgültigen Entscheidung auch der Öffentlichkeit vorgelegt werden. Wie der Auslobungstext formuliert ist, werden die Mitglieder der Baukommission Ende März/Anfang April sehen. Dann können wir darüber intensiv diskutieren.
Meine Damen und Herren, eines darf ich aber noch einmal sagen - das bezieht sich wieder auf den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen; das sage ich hier im Klartext -: Bei mir gibt es keine Bereitschaft - eine solche sehe ich auch bei vielen anderen Kollegen nicht -, vor dem Umbau bzw. Neubau einen städtebaulichen Wettbewerb durchzuführen. Wer das jetzt fordert, der tut dies trotz des Wissens - vielleicht aus taktischen Gründen -, dass in dieser Legislaturperiode überhaupt keine Baumaßnahme mehr durchgeführt wird bzw. durchgeführt werden kann. Nach meiner Wahr
nehmung will das die breite Mehrheit in diesem Hause nicht.
Ja.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, die Präferenz ist eindeutig. Das ist auch Beschlusslage der Baukommission. Insofern werden wir die Feinheiten zu diskutieren haben, wenn die Diskussion in Bezug auf die textliche Ausgestaltung in der Baukommission ansteht.
Meine Damen und Herren, weil vom Kollegen Hagenah und anderen immer wieder die Worte „Kompromisse“ und „Einschränkungen“ gebraucht werden, weise ich auf Folgendes hin: Setzen wir zu stark auf Kompromisse - dies gilt für alle Nutzer, ob Abgeordnete, Besucher oder Verwaltung -, bindet uns dies auf Jahrzehnte. Die Fehler, die wir jetzt machen, die Kompromisse, die wir jetzt eingehen, wirken nicht wenige Jahre, sondern Jahrzehnte nach. Wir bauen nicht für einen kurzen Zeitraum, sondern für Jahrzehnte. Dieser besondere Blickwinkel darf hierbei nicht untergehen.
Niedersachsens neues Parlament soll ein Symbol für Offenheit und Transparenz werden: Abschied von der „Bunkersituation“, moderne, mediengerechte Arbeitsbedingungen für Abgeordnete und Medienvertreter, Barrierefreiheit - dieser Begriff ist heute noch nicht gefallen -, Besucherfreundlichkeit, Funktionalität, Wirtschaftlichkeit, moderne Energiekonzepte. Wir wollen nicht, dass dieser Bau ein „Energiekiller“ ist. Es können auch modellhaft Konzepte umgesetzt werden.
Abschließende Bemerkung: Niemand will einen Luxusbau, der unverantwortlich viel Geld für architektonische Spielereien verschlingt. Ich glaube aber, dass wir alle die Kraft haben sollten, uns zu einem modernen Parlamentsgebäude zu bekennen.
Gut, dann bedanke ich mich noch für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Ich will nur eines in aller Klarheit sagen: Wir sollten uns unmissverständlich davon
distanzieren, dass es eine Chance gäbe, den Wettbewerb von 2002 zu reaktivieren.
Herr Kollege Wenzel, dies geht schlicht und ergreifend nicht, und deshalb sollten wir auch den Mut haben, dies klarzustellen. Eines kann man nicht tun, was Sie in dem Antrag getan haben: Sie können nicht auf der einen Seite für eine städtebaulichen Wettbewerb argumentieren und auf der anderen Seite dafür plädieren, dass man sich bei den Baumaßnahmen nur innerhalb der Kubatur bewegen dürfe. Dies halte ich für unlogisch; denn wenn wir, dem erklärten Wunsch der Landeshauptstadt folgend, hier einen markanten Punkt setzen wollen, müssen wir uns in Richtung auf den Platz der Göttinger Sieben öffnen. Andere Städte haben einen Roten Platz; dies ist ein toter Platz.
Ich wehre mich auch etwas dagegen, dass man das Kostenargument im Hinblick auf den Plenarsaalbau immer so anführt, als gehe es hier um etwas ganz Besonderes. Zweifellos ist er als Symbol der Demokratie auch etwas Besonderes. Aber in den letzten sieben Jahren haben wir im Bereich der Justizvollzugsanstalten in Niedersachsen 235 Millionen Euro investiert; Einzelmaßnahmen haben 110 Millionen Euro und, wie in Göttingen, 65 Millionen Euro gekostet. Dort wurde überhaupt nicht darüber diskutiert, ob diese Baumaßnahmen nicht auch 5 oder 10 Millionen Euro billiger hätten sein können. Ich will jetzt keine gedankliche Assoziation zu Justizvollzugsanstalten herstellen. Darum geht es mir nicht.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Adler, der 70. Jahrestag der Reichspogromnacht, der wir am Mittwoch im Plenum gedacht haben, hat einmal mehr gezeigt, wie wichtig eine aktive und auch kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist. Dabei ist es von elementarer Bedeutung, ein umfassendes und auch differenziertes Bild der Vergangenheit zu zeichnen.
Ich wiederhole in diesem Zusammenhang nachdrücklich meine Aussage, die ich im Rahmen einer Feierstunde zum 60. Jahrestag der Staatsgründung Israels gemacht habe: Es ist unsere historische Verantwortung und Pflicht, allen Versuchen der Geschichtsklitterung und der Geschichtsverdrehung schon im Ansatz wirkungsvoll zu begegnen.
Der Landtag wird seine vielfältigen Anstrengungen zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus weiterführen. Er wird sich auch der Frage zuwenden, wie die Zeit des Nationalsozialismus in
den Aufbau eines neuen demokratischen Deutschlands und insbesondere in die Geschichte des Niedersächsischen Landtags hineingewirkt hat.
Lassen Sie mich zuvor folgende Feststellungen treffen:
Erstens. Die Fraktion DIE LINKE hat ihrem parlamentarischen Antrag eine Pressekonferenz vorausgeschickt, in der sie die Studie des Historikers Dr. Klausch vorstellte. Diese Studie trägt - in großer und fettgedruckter Schrift - die Überschrift „Braune Wurzeln“. Dann - immer noch im Fettdruck -: „Alte Nazis in den niedersächsischen Landtagsfraktionen von CDU, FDP und DP.“ Und schließlich folgt in kleiner, etwas magerer Schrift der Hinweis: „zur NS-Vergangenheit von niedersächsischen Landtagsabgeordneten in der Nachkriegszeit.“
Meine Damen und Herren, diese Aufmachung suggeriert - oder kann zumindest so verstanden werden -, dass es eine ununterbrochene Linie des Einflusses des Nationalsozialismus bis heute auf die Politik zweier hier im Landtag vertretener Fraktionen gäbe.
In einem Presseartikel ist dies auch noch prompt mit der diffamierenden Überschrift „Wulffs braune Ahnen“ aufgegriffen worden. Ich glaube, zumindest für die übergroße Mehrheit dieses Hauses zu sprechen, wenn ich solche Verdächtigungen und Unterstellungen auf das Schärfste zurückweise.
Ich stelle mich auch als Präsident des Landtages ausdrücklich vor dieses Haus und erkläre: Eine solche Kontinuität gibt es nicht.
Zweitens. Die Studie des Historikers Dr. Klausch genügt keinesfalls den hohen Ansprüchen, die wir an die Aufarbeitung der Vergangenheit stellen müssen. Die Untersuchung ist auch nach eigener Einschätzung der Fraktion DIE LINKE nicht vollständig und in ihrer Einseitigkeit methodisch nicht haltbar.
Meine Damen und Herren, wenn man über den Parlamentarismus der Nachkriegszeit und die
Nachwirkungen des Nationalsozialismus neue Erkenntnisse gewinnen will, so muss der Historiker selbstverständlich alle Fraktionen und Abgeordnete der Nachkriegszeit in den Blick nehmen, zumal auch sonst der Eindruck entstehen kann, Parlamentarier des politisch linken Spektrums wären generell nicht in den Nationalsozialismus verstrickt gewesen. Es darf auch nicht ausgeblendet werden, dass sich niedersächsische Parlamentarier im lebensbedrohenden Widerstand gegen Hitler eingesetzt haben.
Ebenso haben Abgeordnete den niedersächsischen Parlamentarismus der Nachkriegsjahre nachhaltig mitgeprägt, die aufgrund ihrer demokratischen Gesinnung aus Ämtern enthoben wurden oder sogar die Schrecken der Konzentrationslager überlebt haben. All das muss zusammen gesehen und auch differenziert gewürdigt werden.
Ebenso ist es völlig unzureichend, sich mehr oder weniger mit der Feststellung der früheren Mitgliedschaft einzelner Abgeordneter in einer NS-Organisation zu begnügen, um hieraus „braune Wurzeln“ abzuleiten. Dazu müsste man mehr über die Hintergründe und das weitere Wirken im sogenannten Dritten Reich wissen.
Nach gut 70 Jahren können allerdings nur noch die Wenigsten direkt gefragt werden, aus welchen Gründen sie sich damals für eine Mitgliedschaft in nationalsozialistischen Institutionen oder Parteien entschieden haben. Waren es opportunistische Motive? War es die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren und damit die Existenzgrundlage für die eigene Familie? Oder war es die eigene Überzeugung, die zur Unterstützung der menschenverachtenden Ziele Hitlers und seiner Schergen führte?
Noch wichtiger ist aber die Analyse des weiteren Wirkens in der Nachkriegszeit und in der folgenden Phase der sich stabilisierenden Demokratie. Wenn wir genau hinsehen, werden wir alle Seiten des menschlichen Verhaltens, auch des Fehlverhaltens, finden. Wir werden den Unbelehrbaren und den stets Angepassten finden, der sein Fähnlein in den Wind gehängt hat. Wir werden auf Personen stoßen, die ihre Vergangenheit mit Scham, manche aber auch ohne schlechtes Gewissen, ver
drängt haben. Wir werden diejenigen Abgeordneten in Erinnerung rufen, die Widerstand geleistet und für ihre Überzeugung gelitten haben. Und wir werden diejenigen finden, die aus der Geschichte gelernt und sich zu überzeugten Demokraten gewandelt haben.
Es war Aufgabe der jungen Demokratie, diese Menschen für die Demokratie zu gewinnen und sie einzubinden.
Meine Damen und Herren, ich komme auf die Frage zurück, wie die Nachwirkungen der nationalsozialistischen Zeit auf den Nachkriegsparlamentarismus erforscht werden können. Eines geht nach meiner festen Überzeugung nicht: dass eine parlamentarische, möglicherweise gemäß d’Hondt nach Fraktionsstärken besetzte Kommission Geschichte erkundet und bewertet. Über geschichtliche Wahrheit lässt sich nicht mit politischen Mehrheiten befinden.
Gefragt ist vielmehr eine wissenschaftlich und methodisch saubere, aber auch unabhängige Erforschung der zu stellenden Fragen. Es verbietet sich auch, die Unabhängigkeit der Forschung durch eine politische Begleitung infrage zu stellen.
Damit stellt sich erstens die Frage, wer den Landtag sachkundig beraten kann. Ich werde die Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen um Unterstützung bitten. Sie ist in ihrer fachlichen Breite und Pluralität besonders geeignet, dem Landtag fundierte Vorschläge dazu zu unterbreiten, mit welchen Methoden und Fragestellungen Erkenntnisse über Einwirkungen und Nachwirkungen des Nationalsozialismus auf den Niedersächsischen Landtag und seinen Weg zu einer stabilen, auf Werte verpflichteten Demokratie gewonnen und wie die Biografien der Abgeordneten der Nachkriegszeit vervollständigt und in den Erkenntnisprozess einbezogen werden können.
Ist mithilfe der Historischen Kommission ein Arbeitsauftrag sachverständig formuliert, stellt sich zweitens die Frage, wer diesen Forschungsauftrag erfüllen könnte. Meine Absicht ist, einen Auftrag an eine wissenschaftliche Forschungseinrichtung zu vergeben. Auch hierzu werde ich den Rat der Historischen Kommission einholen.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns auf diesen Weg verständigen können, bin ich guter Hoffnung, dass wir zu neuen Erkenntnissen gelangen, die die Vergangenheit in ihrer ganzen Differenziertheit und Vielfältigkeit abbilden, und dass durch die gewonnen Erkenntnisse im Ergebnis auch der niedersächsische Parlamentarismus gestärkt wird. Dann, aber erst dann wird auch die Zeit gekommen sein, über die gefundenen Antworten im parlamentarischen Raum zu diskutieren und die Ergebnisse politisch zu bewerten.
So weit mein Vorschlag. Ich würde mich freuen, wenn er die breite Zustimmung des Hauses fände. Mein Rat an die Antragsteller lautet, zu überdenken, ob sie die weitere Beratung aussetzen oder eventuell sogar den Antrag zurückziehen.
Herzlichen Dank.