Kati Engel

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Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Zuhörerinnen auf der Tribüne und am Livestream, liebe Kolleginnen, bekanntlich macht der demografische Wandel auch vor Thüringen nicht halt. Das hat zur Folge, dass die Anzahl der Fachklassen und Berufsschulen abnimmt und die Wege für Auszubildende immer länger werden, während gleichzeitig ihre Ausgaben für Fahrt und Unterbringung stetig steigen. In der Vergangenheit sind daher wiederholt Fälle bekannt geworden, in denen Auszubildende den Schulort oder den Ausbildungsgang gewechselt haben, weil sie die Fahrtkosten nicht mehr tragen konnten. Die Jugendberufshilfe weist auch darauf hin, dass viele Jugendliche aus diesen Gründen gar nicht erst eine Berufsausbildung anfangen, sondern sich gleich für eine wohnortnahe Alternative entscheiden. Im Vergleich zu Studierenden, deren Wege oft kürzer sind und die meist auf günstigere Semestertickets zurückgreifen können, gibt es demzufolge einen dringenden Unterstützungsbedarf für die Mobilität der Berufsschülerinnen.
Gerade Mobilität ist für junge Menschen ein grundlegendes Thema, das sich nicht nur auf den Bereich der Schule und Ausbildung beschränkt, sondern auch in den Bereich von Freizeit und Familie hineinwirkt. Mobilität beeinflusst die Lebensqualität von Jugendlichen in erheblichem Maße und das vor allem natürlich im ländlichen Raum. Außerdem ist eine bessere Unterstützung der Auszubildenden natürlich auch ein wichtiger Punkt, um die Ausbildungsattraktivität in Thüringen zu stärken, Abbrüche zu vermeiden und der Abwanderung junger Fachkräfte entgegenzuwirken. Dies hat unsere Koalition erkannt und deswegen in einem ersten Schritt die Richtlinie für Fahrt- und Unterbringungskosten überarbeitet. Da das nicht jeder weiß, dass Berufsschülerinnen die Möglichkeit haben, teilweise ihre Fahrt- oder Unterbringungskosten rückerstattet zu bekommen, werde ich einen Link auf meine Homepage genau an dieser Stelle in der Rede setzen und da könnt ihr dann nachsehen.
Als zweiten Schritt startete letzten Herbst das langersehnte Azubi-Ticket, auf welches nun fast 50.000 Berufsschülerinnen Anspruch haben. Mit dem Azubi-Ticket Thüringen können Auszubildende nun rund um die Uhr in nahezu ganz Thüringen Zug, Bus und Straßenbahn fahren, so oft sie wollen und wann sie wollen, denn das Ticket gilt nicht nur auf dem Weg vom Wohnort zur Berufsschule, sondern auch in der Freizeit. Mit einer Förderrichtlinie wird allen Kreisen die Teilnahme am Azubi-Ticket ermöglicht. Das Land ist auf die Mitwirkung der Landkreise angewiesen, weil diese die Aufgabenträgerschaft für Bus und Bahn innehaben, während das Land hingegen die Trägerschaft für den Schienennahverkehr innehat. Das Azubi-Ticket in Thüringen kostet rund 150 Euro, davon bezahlen die Auszubildenden lediglich 50 Euro. Die Differenz übernimmt der Freistaat Thüringen, dafür stehen insgesamt 10 Millionen Euro im Landeshaushalt bereit.
Die gestern nun veröffentlichten Ergebnisse der Marktforschung zeigen, dass die Nutzerinnen mit dem Azubi-Ticket sehr zufrieden sind, die Verkaufszahlen sind seit der Einführung kontinuierlich gestiegen. Durch das Azubi-Ticket gibt es 6 Prozent mehr Neukundinnen und mehr als 30 Prozent der Ticketinhaber fahren nun häufiger und auch länger mit Bus und Bahn. So profitiert neben den bisher nun fast 5.000 Azubis, die das Ticket innehaben, der öffentliche Nahverkehr und damit auch die Umwelt in Thüringen davon. Fast alle Thüringer Landkreise und kreisfreien Städte beteiligen sich an diesem Angebot. Einzig der Landkreis Greiz nimmt nicht teil und schließt damit etwa 2.000 Auszubil
dende von diesen Vorzügen des Tickets aus. Eine Gruppe Jugendlicher wollte daher unter dem Slogan „Azubi-Ticket Jetzt!“ ein Bürgerbegehren starten, doch das Landratsamt Greiz hat den Antrag auf ein Bürgerbegehren abgelehnt. In die Richtung von Frau Schweinsburg sei hiermit gerichtet: Auch junge Menschen haben ein Recht auf bezahlbare Mobilität, denn nur so ist es ihnen möglich, eine Ausbildung ihrer Wahl zu absolvieren und am gesellschaftlichen Leben überhaupt teilzuhaben.
Statt dass Sie junge Leute bestärken, sich für ihre Interessen einzusetzen, vergraulen Sie diese nur. Hier wird Politik auf dem Rücken der Schwächsten gemacht, denn die Nichtbeteiligung am Azubi-Ticket trifft schlussendlich nicht die rot-rot-grüne Landesregierung, sondern es trifft die Jugendlichen vor Ort. Ich halte das, ehrlich gesagt, für eine riesengroße Frechheit.
Der vorgebrachte Ablehnungsgrund, dass das Thüringer Azubi-Ticket lediglich ein bis Jahresende befristetes Pilotprojekt sei, ist schlicht und einfach nicht wahr. Für das Azubi-Ticket wird auch im geplanten Haushalt Geld eingestellt. Selbst für den Fall, dass mehr Mittel als eingestellt benötigt werden, ist Vorsorge getroffen. Die Linke steht daher solidarisch an der Seite der Gruppe junger Menschen um das Bürgerbegehren „Azubi-Ticket Jetzt!“. Denn das Azubi-Ticket ist ein Gewinn nicht nur für Greiz, sondern für den gesamten Ausbildungsstandort Thüringen. Vielen Dank.
„Es gibt keine drogenfreie Schule“ – Herr Loyen von der Landespolizeiinspektion Erfurt. „[E]in noch immer übliches Bild an Thüringer Schulen ist, dass vor und nach der Unterrichtszeit sowie […] in den Pausen rund um das Schulgelände herum geraucht wird“ – die Landesschülervertretung Thüringen. „An illegale Drogen kommt man ganz leicht durch Dealer direkt vor der Schule“ – ein Jugendlicher aus Eisenach. Dies alles sind Aussagen, die uns während der Anhörung zu unserem Selbstbefassungsantrag erreichten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Zuschauerinnen auf der Besuchertribüne und
am Livestream, blicken wir der Realität ins Auge: Die meisten Kinder und Jugendlichen haben bereits Erfahrungen mit Alkohol, Nikotin und anderen Drogen gemacht. Oft wollen sie diese einfach nur ausprobieren und hören danach selbst wieder mit dem Konsum auf. Einige von ihnen aber beginnen, regelmäßig Drogen zu konsumieren, und dies hat dann körperliche, emotionale sowie soziale Folgen. Sie entwickeln sogar eine Abhängigkeit und schaden sich selbst und anderen sehr stark. Der Einstieg des Drogenkonsums im Kindes- und Jugendalter ist mit einer Vielzahl von negativen psychosozialen Konsequenzen verbunden. Alkoholkonsum zum Beispiel wirkt sich auf alle Organsysteme sowie das zentrale Nervensystem aus und kann irreversible Schäden verursachen. Der Konsum von Cannabis in jungen Jahren kann die Entwicklung von psychischen Erkrankungen und psychotischen Symptomen fördern.
Selbstverständlich gibt es für die Drogen- und Suchtprävention auf Bundes- sowie auf Landesebene bereits gesetzliche Grundlagen. Es geht also nicht um die Frage, ob, sondern um die Frage, wie Präventionsmaßnahmen erfolgen sollen und können, also um deren Effektivität. Ich denke, dass wir uns alle darin einig sind, dass die Drogen- und Suchtprävention vor allem im Bereich der Schule anzusiedeln ist. Denn Kinder und Jugendliche verbringen nun einmal den größten Zeitraum ihres außerfamiliären Lebens in der Schule. Schule ist eben nicht nur Bildungsort, sondern besitzt auch eine weitreichende Sozialisationsfunktion. Sie ist Ausgangspunkt für Kontakte und Aktivitäten und beeinflusst maßgeblich die biografische Entwicklung.
Aber was genau macht eigentlich ein effektives Präventionsprogramm aus? Noch in den 70er-Jahren war die Suchtprävention zum großen Teil dem Konzept der Aufklärung durch reine Wissensvermittlung und Abschreckung verpflichtet. In Schulen wurden beispielsweise Broschüren über die Gefahren des Drogenkonsums verteilt, im Biologieunterricht angsteinflößende Filme über die möglichen gesundheitlichen Konsequenzen gezeigt oder der lokale Polizeibeamte kam mit einem sogenannten Drogenkoffer in die Klasse und zeigte den Schülerinnen, wie verschiedene psychotrope Substanzen aussehen. Durch Erfahrungsberichte von Konsumentinnen ist jedoch heute bekannt, dass verallgemeinernde Postulate und dämonisch besetzte, verzerrte Darstellungen – wie „alle Crystal-Konsumentinnen werden rasend schnell zu Zombies“ oder dass Produkten Batteriesäure oder Abflussreiniger beigemengt werden – dazu führen, dass Aussagen zur Gefährlichkeit von Drogen kategorisch als übertrieben abgelehnt werden und folglich wirkungslos bleiben. Konsumentinnen berichten, dass
sie präventive Maßnahmen als zu stark auf das Bild des kaputten Fixers zugeschnitten erlebt hätten.
Der erste Konsum dagegen findet gemäß der Schilderung der Konsumentinnen meist in der Peergroup, also in der Bezugsgruppe – oder früher sagte man Clique –, statt und beschert dem Konsumierenden zunächst Anerkennung und eindrucksvolle Verbesserung der eigenen Befindlichkeiten. Der Konsumierende erlebt ein gesteigertes Selbstbewusstsein. Er kann die Nacht durchtanzen oder überwindet seine Müdigkeit. Das Verschweigen von anfänglich positiven Wirkungen, dass das nicht benannt wird, haben viele Konsumentinnen als gravierenden Fehler bezeichnet. Präventionsprojekte, die das Konzept der Abschreckung benutzen, erweisen sich daher als wenig wirksam. Oft haben sie sogar eine gegenteilige Wirkung. Dazu zählt auch dieser sogenannte Revolution Train, der letztes Jahr auch an acht Thüringer Orten gastierte.
In dem zu multimedialen Erlebnisräumen umgestalteten Zug wird die scheinbare Lebenswelt von suchtmittelkonsumierenden Menschen dargestellt. So werden Szenen wie zum Beispiel der gewaltsame Zugriff einer Spezialeinheit, Beschaffungskriminalität in Form von Prostitution sowie die Darstellung einer stark verschmutzten Wohnung von Drogenkonsumentinnen gezeigt.
Dieser Ansatz erweist sich nicht nur als wenig wirksam, sondern gilt auch seit Jahrzehnten im Sinne einer gelingenden Suchtprävention als überholt. Es wird suggeriert, dass bei Drogenkonsum der Weg in die Kriminalität, in die Abhängigkeit bis hin in den Tod vorbestimmt wäre. Die Gründe für den Konsum werden dabei genauso außer Acht gelassen, wie das Aufzeigen von frühzeitigen Hilfen.
Gute Präventionsmaßnahmen im Bereich der Drogen- und Suchtprävention haben dagegen eine fließende Grenze zur Entwicklungsförderung und laufen über einen viel längeren Zeitraum mit einem wesentlich größeren Umfang. Effektives, primär präventives Bemühen zielt darauf ab, Schule so zu gestalten, dass die Schülerinnen sich wohlfühlen können und dass sie wichtige Impulse zur Persönlichkeitsentfaltung erhalten. Da gilt es, Risikofaktoren abzumildern und Schutzfaktoren zu stärken. Zentrale Schutzfaktoren sind zum Beispiel ein positives Selbstwertgefühl, das Vertrauen in die Selbstwirksamkeit, die Überzeugung, wichtige Ereignisse selbst beeinflussen zu können. Es hat auch einen Grund, warum meine Kolleginnen Diana Lehmann oder Astrid Rothe-Beinlich und ich die ganze Zeit
rumrennen und für Mitbestimmungsrechte für Kinder und Jugendliche werben. Wir wollen sie nicht nur beschäftigen, sondern wir gehen davon aus, dass es positive nachhaltige Effekte für die Persönlichkeitsentwicklung hat.
Weitere zentrale Schutzfaktoren sind Beziehungsund Konfliktfähigkeit, feste emotionale Bezugspersonen, ein gutes soziales Netzwerk oder nicht zuletzt ein förderliches Klima in der Schule, das heißt überschaubare Unterrichtsstrukturen und angemessene Anforderungen. Suchtprävention bedeutet die Förderung der Lebenskompetenz bei gleichzeitiger Wissensvermittlung über psychoaktive Substanzen und Suchtmechanismen sowie die Einflussnahme auf bestehende Rahmenbedingungen. Suchtprävention muss auch als Anlass für Begegnung, für Auseinandersetzung mit sich selbst und dem anderen als Beziehungsarbeit aufgefasst werden. Suchtprävention ist damit auch eine pädagogische Grundhaltung, die im wertschätzenden und respektvollen Umgang mit Schülerinnen, aber auch mit Kolleginnen zum Ausdruck kommt.
Ein solches Suchtpräventionsprogramm ist zum Beispiel IPSY, das die Psychologin Prof. Dr. Karina Weichold von der FSU Jena mit ihrem Team entwickelt hat. IPSY ist eine Abkürzung und steht dafür, dass erst aus dem Zusammenspiel von Information und psychosozialer Kompetenz der Schutz erfolgt. Psychisch gestärkte, gut informierte Jugendliche rauchen weniger, trinken weniger und konsumieren auch weniger andere Drogen. Bei IPSY geht es nicht nur darum, explizit vor Drogen zu warnen, sondern es werden auch die eigentlichen Ursachen für Drogenkonsum angegangen, indem Kompetenzen vermittelt werden, welche die Persönlichkeit stärken und den Jugendlichen helfen, Einflüssen im Peerkontex zu widerstehen, also dem Gruppendruck standzuhalten. Die Effekte werden noch dadurch verstärkt, dass das Programm über einen längeren Zeitraum – insgesamt drei Jahre – in der Schule implementiert wird. Es werden nicht nur Veränderungen der einzelnen Person, sondern im gesamten Klassenverband angestrebt. Durch die Veränderung des Sozialverhaltens der Schülerinnen erfolgt nämlich gleichzeitig eine Verbesserung des Klassenklimas. Damit geht IPSY genau das zentrale Problem an, was die Landeselternvertretung Thüringen in ihrer Stellungnahme ebenfalls beschrieben hat – ich zitiere –: „Das soziale Umfeld steht im Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum der Jugendlichen. Das Klima in der Klasse scheint relevantes Korrelat des Alkoholkonsums bei Kindern und Jugendlichen zu sein.“
Wir sind nun in Thüringen mit folgenden Problemstellungen konfrontiert: Wie die Gesundheitsförde
rung und damit auch die Suchtprävention in Thüringen erfolgt, liegt zu einem großen Ausmaß bei den Schulen selbst. Diese sind jedoch konfrontiert mit einer wahrlichen Angebotsflut an Präventionsmaßnahmen. Häufig werden deshalb der Einfachheit halber Präventionsstrategien gewählt, die kurzfristig durch Externe implementiert werden können und natürlich mit geringem Aufwand und geringen Kosten verbunden sind. Dass dies aber oftmals wenig effektiv ist, habe ich eben erläutert. Außerdem wissen wir relativ wenig über den aktuellen Drogenkonsum und die Suchtproblematiken von Thüringer Kindern und Jugendlichen. Die vorliegenden Daten sind nur begrenzt in der Lage, Rückschlüsse auf die aktuelle Situation zu geben, da sich diese Daten auf die Kriminalitätsstatistik beziehen und somit nur das Hellfeld des schwerwiegenden Konsums wiedergeben.
In Anbetracht dieser im Rahmen der Anhörung zum Selbstbefassungsantrag deutlich gewordenen Problematik haben wir deshalb den nun vorliegenden Antrag verfasst, denn im Hinblick auf die großen Unterschiede der durchgeführten Präventionsmaßnahmen in Thüringen brauchen wir dringend einheitliche Standards für die Präventionsarbeit sowie eine Vernetzung aller beteiligten Akteure. Zusätzlich bedarf es einer Befähigung der Lehrkräfte durch Aus-, Fort- und Weiterbildung im Bereich der Drogen- und Suchtprävention. Außerdem benötigen wir endlich verlässliche repräsentative Daten zur Verbreitung von Suchterkrankungen und zum Drogenkonsum unter Jugendlichen.
Natürlich, Herr Bühl, ist das auch möglich, zum Beispiel macht das die Stadt Frankfurt jährlich. Seit 2002 veröffentlicht die Stadt Frankfurt einen Monitoringbericht zu Drogentrends, der einen Überblick über Drogengebrauchssituationen in der Stadt bietet und sich unter anderem auf eine repräsentative klassengestützte Schülerinnenbefragung beruft.
Im Sinne einer effektiven Drogen- und Suchtprävention für alle Kinder und Jugendlichen in Thüringen bitte ich Sie daher, diesem Antrag zuzustimmen.
Erlauben Sie mir bitte noch eine abschließende Bemerkung: Ein schulbasiertes Interventionsprogramm wie zum Beispiel IPSY kann nur ein Teil einer umfassenden Drogenpräventionspolitik sein, denn schulbasierte Interventionen können nur ein begrenztes Spektrum einschlägiger Risiko- und Schutzfaktoren für Drogenkonsum beeinflussen, nicht aber solche, die in Familie, in der Freizeit und in der weiterreichenden Gesellschaft liegen. Hier
sind wir alle gefordert. Wir alle sollten einmal überprüfen, wie wir gerade im öffentlichen Raum mit Suchtmitteln umgehen. Es hilft dabei nicht, hier jetzt zwischen illegalen oder legalen Drogen zu unterscheiden, denn diese Unterteilung ist vollkommen willkürlich und sagt rein gar nichts über die Gefährlichkeit einer Substanz aus. Laut der Weltgesundheitsorganisation geht jeder 20. Todesfall auf Alkohol zurück. Damit sterben daran jedes Jahr mehr Menschen als durch Aids, Gewalt und Verkehrsunfälle zusammen. Kollektive Besäufnisse unter dem Deckmantel der Brauchtumspflege, wie wir sie gerade jetzt in der Faschingszeit erleben, sind der beste Beweis, dass Alkoholmissbrauch eben kein Problem einer Randgruppe ist, sondern Alkohol die Gesellschaftsdroge schlechthin ist.
Dr. Raphael Gaßmann, der Geschäftsführer der deutschen Hauptstelle für Suchtfragen – DHS – beschreibt dies so – ich zitiere –: „In Deutschland haben wir ein Konsumverhalten, das völlig unvernünftig ist, das kann eine Gesellschaft sich nur leisten, wenn sie das Problem herunterspielt. […] Als einzige von allen psychoaktiven Substanzen wird nur der Alkohol nicht geahndet. […] Die deutsche Politik erlaubt, bewirbt und fördert ihn sogar.“ Vielleicht denken Sie am Wochenende mal darüber nach. Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Besucherinnen, liebe Zuhörerinnen am Livestream, liebe Kolleginnen, der Landtag hat sich mit Beschluss vom September letzten Jahres zur Entwicklung einer eigenständigen Jugendpolitik für Thüringen bekannt. Ein Schwerpunkt bildet hierbei die Stärkung und die Ausweitung der Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte von Kindern und jungen Menschen, denn wir Koalitionsfraktionen verstehen die Belange Jugendlicher als politische Gesamtaufgabe, die sich durch alle Ressorts und Verwaltungsebenen ziehen muss, wobei möglichst natürlich alle Beteiligten an einen Tisch geholt werden sollen. Wir wollen nicht mehr nur über junge Menschen reden, sondern endlich mit ihnen ins Gespräch kommen, ihre Meinung hören und diese natürlich auch in Entscheidungsprozesse einbinden.
Der nun heute zu verabschiedende Gesetzentwurf zur Änderung des Thüringer Kinder- und Jugendhilfe-Ausführungsgesetzes hat daher selbst bereits einen breiten Beteiligungsprozess erfahren. Nachdem wir diesen hier im Plenum vergangenen August diskutierten, folgten sowohl eine schriftliche als auch eine mündliche Anhörung aller Beteiligten. Zudem war es allen Betroffenen in einer Online-Anhörung im Diskussionsforum des Thüringer Landtags möglich, Kritik und Anregung zu äußern. Wir jugendpolitischen Sprecherinnen der Koalitionsfraktionen diskutierten außerdem den Gesetzentwurf mit dem Landesvorstand des Landesjugendrings Thüringen und im vergangenen Dezember auch mit dem Landesjugendhilfeausschuss. Auf unserer zweiten Fachtagung „FOKUS Jugendpolitik“ zu Beginn dieses Jahres waren außerdem Jugendliche und die in der Jugendhilfe Tätigen eingeladen, mit uns über die Gesetzesnovelle zu diskutieren. Ich verstehe daher an dieser Stelle nicht, warum die CDU sich nicht beteiligt gefühlt hat. Beteiligung hat auch immer mit einem gewissen Maß an Eigenverantwortung zu tun und auch ein bisschen an Aktivität. Man muss auch schon im Landesjugendhilfeausschuss oder bei Anhörungen anwesend sein, um mitreden zu können.
Ich möchte an dieser Stelle für all die konstruktiven Hinweise, Anregungen und Verbesserungsvorschläge danken, die uns in dieser Zeit zugetragen worden sind. Nur dadurch ist es uns gelungen, diesen Gesetzentwurf zu präzisieren und abzurunden, sodass ich guten Gewissens heute sagen kann: Heute stärken wir nicht nur die Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen, sondern heute setzen wir auch einen weiteren Meilenstein in der Ent
wicklung einer eigenständigen Jugendpolitik für Thüringen.
Allerdings konnten natürlich nicht alle Vorschläge und Anregungen in das ThürKJHAG – also das Thüringer Kinder- und Jugendhilfe-Ausführungsgesetz – aufgenommen werden, weil sie teilweise einfach den gesetzlichen Rahmen überstiegen. Das hat jetzt nichts mit „mutlos“ zu tun, wie der Herr Bühl das gesagt hat, sondern das hat einfach etwas mit gesetzlichen Regelungen zu tun. Deshalb haben wir uns entschlossen, einen Entschließungsantrag begleitend dazu zu verfassen, denn schließlich ist eine jugendgerechte Politik unser Ziel, die ressortübergreifend positive Rahmenbedingungen für ein gelingendes Aufwachsen aller Kinder und Jugendlichen in Thüringen schafft.
Der nun heute zu verabschiedende Gesetzentwurf sowie der Entschließungsantrag sehen dazu insbesondere folgende Neuregelungen vor: die Verbesserung der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte junger Menschen, die gesetzliche Verankerung der örtlichen Jugendförderung, die Stärkung der Jugendverbandsarbeit, die gesetzliche Verankerung der Schulsozialarbeit, die Einführung eines regelmäßigen Berichts über die Lebenslage junger Menschen in Thüringen, einen Jugendcheck für Thüringen zu entwickeln, ein Modellprojekt „Beschwerde und Ombudschaft“ für Kinder und Jugendliche in Thüringen zu schaffen sowie die Anerkennung des Ehrenamts zu erhöhen.
Kinder und Jugendliche sind sowohl nach den UNKinderrechten als auch nach dem SGB VIII an allen sie betreffenden Angelegenheiten und Entscheidungen zu beteiligen. Um dieses Recht weiterhin umzusetzen und auszubauen, wollen wir die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in den kommunalen Jugendhilfeausschüssen und im Landesjugendhilfeausschuss festschreiben. Außerdem konkretisieren wir die Beteiligungsrechte der Kinder und Jugendlichen im Bereich der Jugendhilfeplanung und stärken diese. Gerade die Beteiligung junger Menschen ist enorm wichtig. Über die Hälfte der Kinder in Thüringen würde gern bei Entscheidungen mitreden, zum Beispiel auf Ebene ihrer Gemeinde. Aber mehr als die Hälfte der Kinder glaubt nicht, dass ihre Meinung ernst genommen wird. Dabei steht gerade die Einschätzung, dass die eigene Stimme Gehör findet, im engen Zusammenhang mit dem Wohlbefinden. So berichtet das LBS-Kinderbarometer immer wieder, dass sich Kinder und Ju
gendliche, die der Auffassung sind, dass ihre Meinung ernst genommen wird, wohler fühlen als Kinder, die nicht dieser Auffassung sind. Die Studie „Kinderbeiräte in Stiftungen“ von 2013 zeigte klar, dass sich Kinder und Jugendliche, die in Entscheidungsprozesse eingebunden wurden, auch später in der Gesellschaft aktiv beteiligten. Ebenso ist der Deutsche Kinderschutzbund der Auffassung, dass Partizipation ein wichtiger Beitrag zur Weiterentwicklung der Demokratie ist.
In diesem Sinne erfordert das Aufwachsen in einer demokratischen Gesellschaft eine möglichst frühe und umfassende Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Planungen, Maßnahmen und Entscheidungen. Diese Selbstwirksamkeitserfahrung hat nicht nur positive Aspekte auf die Persönlichkeitsentwicklung, hierdurch ergibt sich auch für die Erwachsenen die Chance, bislang nicht beachtete Aspekte einer Maßnahme oder Entscheidung überhaupt erst einmal wahrzunehmen, zu bemerken und zu analysieren.
Wir wollen daher die Mitbestimmung von jungen Menschen in Thüringen weiter stärken. Dafür werden wir auch bis 2020 eine überörtliche Servicestelle „Mitbestimmung“ einrichten. Diese wird Kommunen und junge Menschen bei der Umsetzung von Beteiligungsprozessen beraten, begleiten und unterstützen. Außerdem ebnen wir den Weg für ein landesweites Jugendmitbestimmungsgremium und geben damit der jungen Generation die Chance, ihre eigene Interessenvertretung auf Landesebene zu etablieren.
Mit der gesetzlichen Verankerung des Förderprogramms „Örtliche Jugendförderung“, kurz auch „Jugendpauschale“ genannt, erhalten nicht nur die Landkreise und kreisfreien Städte eine höhere Planungssicherheit, auch für Fachkräfte und junge Menschen ergeben sich dadurch mehr Verlässlichkeit und Kontinuität. Zweck der „Örtlichen Jugendförderung“ ist die Unterstützung der örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei der Erfüllung ihrer bestehenden Aufgaben in den Bereichen Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit, Jugendsozialarbeit und Kinder- und Jugendschutz sowie im Bereich der ambulanten Maßnahmen für straffällige junge Menschen. Mittels der „Örtlichen Jugendförderung“ werden überwiegend Personalausgaben finanziert. Die gesetzliche Verankerung ist demnach auch ein wichtiger Schritt für mehr Sicherheit der Arbeitnehmerinnen in diesem Bereich. Denn mit der gesetzlichen Verankerung gibt es keinen Grund mehr, Arbeitsverträge der Fachkräfte zeitlich an die Laufzeit der Richtlinie zu binden. Wir alle wissen, dass Befristung gute Arbeit verhindert.
Denn befristete Beschäftigte schleppen sich öfter krank zur Arbeit, nehmen seltener Urlaub und überfordern sich häufiger. Befristungen schaffen Unsicherheit und erschweren eine verlässliche Lebensplanung. Ängste um die berufliche Zukunft sind daher bei Befristeten doppelt so stark verbreitet wie bei Unbefristeten.
Gute Arbeit kann nur unbefristet sein!
Wir stärken außerdem die Jugendverbandsarbeit und deren freiwillige Zusammenschlüsse und würdigen damit auch das große ehrenamtliche Engagement junger Menschen, das damit einhergeht. Wir Koalitionsfraktionen messen den Jugendverbänden und ihren freiwilligen Zusammenschlüssen eine besondere Bedeutung in der Jugendhilfelandschaft bei, denn sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung. Jugendverbände regen Kinder und Jugendliche zur Selbstbestimmung an, fördern gesellschaftliche Mitverantwortung sowie soziales Engagement. Jugendverbandsarbeit ist mehr als bloße Freizeitbeschäftigung, sie ist eine grundlegende Orientierungshilfe in der Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen. Als Zusammenschlüsse von Heranwachsenden mischen die Jugendverbände sich außerdem in politische Prozesse ein und vertreten die Anliegen der jungen Generation. Jugendverbandsarbeit ist somit der Motor einer mitwirkungsorientierten eigenständigen Jugendpolitik.
Weiterhin stärken wir die schulbezogene Jugendsozialarbeit an Thüringer Schulen als eine besondere Form der Jugendsozialarbeit, denn durch die schulbezogene Jugendsozialarbeit wird die Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule verwirklicht. Die Schulsozialarbeit dient der individuellen und sozialen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, indem diese über das schulische Angebot hinaus ihre Fähigkeiten entfalten können, Anerkennung erfahren und soziale Prozesse gestalten können. Soziale Benachteiligung, individuelle Beeinträchtigung und strukturelle Nachteile werden durch die Schulsozialarbeit abgebaut, indem Ausgrenzung und Risiken des Scheiterns entgegengewirkt wird. Durch sie werden junge Menschen zur Kritikfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit sowie zur Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen befähigt. Mit der gesetzlichen Verankerung der schulbezogenen Jugendsozialarbeit schaffen wir auch hier nicht nur mehr Planungssicherheit für
die Landkreise und kreisfreien Städte, auch für die Schulsozialarbeiterinnen sowie Schüler und Schülerinnen ergibt sich mehr Verlässlichkeit und Kontinuität. Dies ist nicht nur ein wichtiger Schritt hin zu guter Arbeit, sondern auch die Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe im Sinne einer ressortübergreifenden, eigenständigen Jugendpolitik.
Als Umsetzung des Beschlusses des Thüringer Landtags vom September 2017 zur eigenständigen Jugendpolitik haben wir nun ebenfalls die Erstellung eines Berichts über die Lebenslagen junger Menschen in Thüringen gesetzlich verankert. Beginnend ab dieser Legislaturperiode soll künftig alle fünf Jahre ein Bericht über die Lebenslagen junger Menschen in Thüringen erstellt werden, natürlich auch unter Beteiligung junger Menschen. Dieser soll eine Darstellung über die Lebenssituation junger Menschen in Thüringen sowie die wichtigsten Entwicklungstendenzen der Jugendhilfe enthalten. Ziel der Berichterstellung ist, fundierte Kenntnisse als Planungsgrundlage weiterer jugendpolitischer und sozialer Maßnahmen zu erhalten.
Da die Belange junger Menschen bei allen Gesetzesvorhaben und Gestaltungsprozessen unserer Gesellschaft zu berücksichtigen und mitzudenken sind, werden wir außerdem ein Konzept zur Umsetzung eines Jugendchecks für Thüringen entwickeln. Der Jugendcheck ist ein Prüf- und Sensibilisierungsinstrument, das die Auswirkungen geplanter Gesetzesvorhaben auf junge Menschen sichtbar macht. Die möglichen Auswirkungen – sowohl die beabsichtigten Wirkungen als auch die unbeabsichtigten Nebenwirkungen – einzelner Vorhaben und Gesetze auf die Lebenslagen junger Menschen werden dadurch erfasst und aufgezeigt. Der Jugendcheck ist im engeren Sinne natürlich kein Instrument der politischen Beteiligung. Wir möchten damit jugendpolitische Beteiligungsprozesse auch nicht infrage stellen, sondern diese ergänzend begleiten. Der Jugendcheck dient der Information und der Sensibilisierung politischer Entscheidungsträgerinnen, damit Auswirkungen auf junge Menschen in Gesetzgebungsprozessen und öffentlichen Debatten überhaupt erst mal in den Blick genommen werden. Denn wir wollen sowohl die gesellschaftliche als auch die politische Aufmerksamkeit für die Lebenslagen und Belange junger Menschen steigern.
Damit Kinder und Jugendliche ihre Rechte aber überhaupt erst mal besser kennenlernen und auch dauerhaft wahrnehmen können, werden wir ein Modellprojekt „Beschwerde und Ombudschaft für Kinder und Jugendliche“ in Thüringen initiieren. Kinder und Jugendliche erhalten dadurch die Möglichkeit, sich niedrigschwellig an eine unabhängige Institution zu wenden, die bei Problemen einen Klärungs
und Vermittlungsprozess gestaltet. Ziel ist, junge Menschen über ihre Rechte zu informieren und in der Sicherstellung ihrer Rechte zu unterstützen. Theoretischer Ausgangspunkt der Ombudschaften ist natürlich eine Machtungleichheit zwischen jungen Menschen und den Institutionen. Ombudschaftliches Engagement zielt deshalb darauf ab, diese Asymmetrie mit den zur Verfügung stehenden fachlichen und notfalls natürlich auch juristischen Mitteln und Beratungsmöglichkeiten wieder auszugleichen. Außerdem wird die Ombudsstelle insbesondere Fachkräfte und Einrichtungen für die Kinderrechte sensibilisieren und bei der Verbesserung von Beteiligungs- und Beschwerdestrukturen unterstützen. Wir wollen durch dieses Modellvorhaben überprüfen, ob eine solche Struktur überhaupt angenommen wird und die beabsichtigten Ziele – Information, Unterstützung und Vermittlung – auch erreicht werden. Sollte sich dieses Modellvorhaben in dieser Form dann bewähren, werden wir diese Struktur natürlich dauerhaft etablieren und das Landesgesetz dementsprechend ergänzen.
Zu guter Letzt wollen wir natürlich auch das Ehrenamt in seiner Form stärken. Ehrenamtliche leiten Gruppen, Ferienfreizeiten, Seminare sowie Fortbildungen und sind kontinuierlich in Gremien sowie Vorstandsämtern aktiv. Gerade in Jugendverbänden als Werkstätten der Demokratie nimmt das Ehrenamt eine grundlegende Rolle ein. Sowohl für Kinder- als auch für Jugendgruppen als auch für die Persönlichkeitsentwicklung ist ehrenamtliches Engagement daher von unschätzbarem Wert. Gerade wegen dieser Selbstverständlichkeit gilt es, diese beständig und unter hohem persönlichen Einsatz geschehenen Aktivitäten besonders zu würdigen und zu unterstützen. Als ein Grundpfeiler der Demokratie und als Beitrag für eine soziale, funktionierende Zivilgesellschaft muss sich dies auch in der öffentlichen Anerkennung wiederfinden. Wir wollen daher sowohl die Attraktivität als auch die Anerkennung des Ehrenamts in der Jugendarbeit erhöhen. Vor allem die bisherigen Freistellungsregelungen werden wir deshalb überprüfen und verbessern.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Rot-Rot-Grün stärkt mit diesem Gesetzentwurf und mit diesem Entschließungsantrag die Mitbestimmungsrechte von Kindern und Jugendlichen.
Denn insbesondere die Beteiligung junger Menschen braucht Ernsthaftigkeit durch gesetzlich verbriefte Rechte und verlässliche Strukturen sowie Kontinuität bei den Angeboten der Jugendarbeit und der politischen Jugendbildung. Dieser Gesetzentwurf ist die Grundlage für eine eigenständige Ju
gendpolitik in Thüringen. Außerdem sichern wir die Jugend- und die Schulsozialarbeit langfristig und schaffen für alle Beteiligten endlich Planungssicherheit sowie Bedingungen für gute Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe.
Im Sinne aller Thüringer Kinder und Jugendlichen sowie im Sinne der in der Jugendhilfe Tätigen bitte ich Sie daher, heute diesem Gesetzentwurf und dem dazugehörigen Entschließungsantrag zuzustimmen. Vielen Dank.
Adams, Dirk; Becker, Dagmar; Berninger, Sabine; Blechschmidt, André; Bühl, Andreas; Diezel, Birgit; Dittes, Steffen; Emde, Volker; Engel, Kati; Fiedler, Wolfgang; Floßmann, Kristin; Geibert, Jörg; Gentele, Siegfried; Grob, Manfred; Gruhner, Stefan; Hande, Ronald; Dr. Hartung, Thomas; Harzer, Steffen; Hausold, Dieter; Helmerich, Oskar; Henfling, Madeleine; Henke, Jörg; Hennig-Wellsow, Susanne; Herold, Corinna; Herrgott, Christian; Hey, Matthias; Heym, Michael; Höcke, Björn; Holbe, Gudrun; Holzapfel, Elke; Jung, Margit; Kalich, Ralf; Kellner, Jörg; Kießling, Olaf; Kobelt, Roberto; Dr. König, Thadäus; König-Preuss, Katharina; Korschewsky, Knut; Kowalleck, Maik; Kräuter, Rainer; Krumpe, Jens; Kubitzki, Jörg; Kummer, Tilo; Kuschel, Frank; Lehmann, Annette; Lehmann, Diana; Leukefeld, Ina; Lieberknecht, Christine.
Adams, Dirk; Becker, Dagmar; Berninger, Sabine; Blechschmidt, André; Bühl, Andreas; Diezel, Birgit; Dittes, Steffen; Emde, Volker; Engel, Kati; Fiedler, Wolfgang; Floßmann, Kristin; Geibert, Jörg; Gentele, Siegfried; Grob, Manfred; Gruhner, Stefan; Hande, Ronald; Hartung, Thomas; Harzer, Steffen; Hausold, Dieter; Helmerich, Oskar; Henfling, Madeleine; Henke, Jörg; Hennig-Wellsow, Susanne; Herold, Corinna; Herrgott, Christian; Hey, Matthias; Heym, Michael; Höcke, Björn; Holbe, Gudrun; Holzapfel, Elke; Jung, Margit; Kalich, Ralf; Kellner, Jörg; Kießling, Olaf; Kobelt, Roberto; König, Thadäus; König-Preuss, Katharina; Korschewsky, Knut; Kowalleck, Maik; Kräuter, Rainer; Krumpe, Jens; Kubitzki, Jörg; Kummer, Tilo; Kuschel, Frank; Lehmann, Annette; Lehmann, Diana; Leukefeld, Ina; Lieberknecht, Christine.
Aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe
In der Nacht vom 16. zum 17. Oktober 2018 soll es in einer Jugendhilfeeinrichtung – betreutes Wohnen – im Wartburgkreis einen Abschiebeversuch in einem sogenannten Dublin-Verfahren gegeben haben. Nach meinen Informationen sollte ein inzwischen 18-jähriger als unbegleiteter minderjähriger Ausländer erfasster Heranwachsender nach Italien rücküberstellt werden. Der junge Mann sei nicht angetroffen worden. Unmittelbar nach dem Rücküberstellungsversuch wurde nach meiner Kenntnis seitens des Jugendamts die Jugendhilfe abgebrochen bzw. beendet und der junge Mann in der Ge
meinschaftsunterkunft in Gerstungen untergebracht.
Ich frage die Landesregierung:
1. Wie hat sich der geschilderte Vorgang zugetragen?
2. Gibt es hinsichtlich der Integrität bzw. des Schutzes von Jugendhilfeeinrichtungen und der Vermeidung möglicher Kindeswohlgefährdungen Vorschriften, gesetzliche Regelungen oder Handlungsanweisungen, die in derartigen Fällen zu beachten sind, und wenn ja, welche?
3. Sind der Landesregierung weitere Fälle im Jahr 2018 bekannt, in denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe in Thüringen durchgeführt oder versucht wurden?
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Besucherinnen und Besucher auf der Zuschauertribüne, liebe Zuschauer und Zuschauerinnen am Livestream, werte Kolleginnen, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf möchte die Landesregierung das ThürFKG ändern, also das Thüringer Gesetz zur Förderung
der Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen für Kinder.
Liebe Besucherinnen, liebe Besucher, wir haben hier im Landtag so eine seltsame Angewohnheit: Wir geben Gesetzen gern sehr lange, unverständliche Namen, nur um die dann wiederum mit noch abstruseren Abkürzungen noch unverständlicher zu machen. Aber Sie brauchen jetzt im Moment überhaupt keine Sorgen zu haben. Alles, was Sie sich jetzt für diese Debatte merken müssen, ist, dass wenn das Kürzel „ThürFKG“ fällt, das Thüringer Gesetz zur Förderung der Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen für Kinder gemeint ist.
Im Gegensatz zum langen Namen ist das Gesetz eher einfach. Darin ist lediglich das Thüringer Einladungs- und Erinnerungsverfahren für die Früherkennungsuntersuchungen – auch die sogenannten U-Untersuchungen – sowie das Verfahren für gegebenenfalls folgende Meldungen an das Jugendamt gesetzlich beschrieben.
Das bereits 2008 in Kraft getretene Gesetz soll nun aufgrund seiner positiven Auswirkungen auf die Kindergesundheit und den Kinderschutz um weitere fünf Jahre verlängert werden. Bereits vor zehn Jahren forderten die Bundesländer die Einführung eines bundesweit einheitlichen Einladungs- und Erinnerungsverfahrens für die Früherkennungsuntersuchungen für Kinder. Doch bis heute ist der Bundesgesetzgeber dieser Forderung leider nicht nachgekommen. Daher haben fast alle Bundesländer – so auch Thüringen – eigene Einladungs- und Erinnerungsverfahren eingeführt. Thüringen hat dabei im Vergleich zu anderen Bundesländern ein recht engmaschiges Netz des Gesundheits- und Kinderschutzes von Kleinund Vorschulkindern entwickelt. Nur wenige Eltern in Thüringen versäumen die Früherkennungsuntersuchungen für ihre Kinder. Jahr für Jahr werden dadurch zwischen 97 und 98 Prozent erreicht. Bei Kindern, die auch nach einer Erinnerung nicht am Untersuchungstermin teilnehmen, wird das Jugendamt informiert. Dieses entscheidet dann, ob es die Eltern einlädt oder sie in der Wohnung aufsucht.
Es ist daher notwendig – und dies hat auch die schriftliche Anhörung im Ausschuss ergeben –,
dass die Gültigkeit des Gesetzes um weitere fünf Jahre verlängert wird. Zudem sind redaktionelle Anpassungen notwendig. Für Sie, liebe Besucherin
nen und Besucher, als Erläuterung: Es wurden zum Beispiel die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres – kurz KinderRichtlinien genannt – verändert und umbenannt in Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses für die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern, also nur noch Kinder-Richtlinie. Und da ist es natürlich richtig und wichtig, wenn auch doch sehr bürokratisch, die Verweise im ThürFKG daran anzupassen.
Die Kinderrichtlinie ist nämlich eine wichtige Grundlage für das ThürFKG, denn darin sind die Kriterien für die Früherkennungsuntersuchungen U1 bis U9 festgelegt – also von unmittelbar nach der Geburt bis zum Alter der Kinder von etwa fünf Jahren.
Die vom Land Thüringen im April durchgeführte Befragung sowie die im Ausschuss durchgeführte Anhörung der Jugendämter, des Thüringer Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte sowie des Vorsorgezentrums für Kinder am Landesamt für Verbraucherschutz hat deutlich gemacht, dass das ThürFKG wesentlich zur Verbesserung von Kindergesundheit und Kinderschutz beiträgt. So hat das hiesige Einladungs- und Erinnerungsverfahren die Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen signifikant erhöht und ist mittlerweile auf einem stabilen, sehr hohen Niveau. Es erhalten dadurch fast alle Thüringer Kinder eine wissenschaftlich anerkannte Untersuchung zur Früherkennung von Gesundheitsstörungen, welche die normale körperliche oder geistige Entwicklung beeinträchtigen oder gefährden. Und ich denke, dass allen klar sein dürfte, dass je früher eine solche körperliche oder geistige Störung erkannt und behandelt wird, desto besser doch die Chancen auf eine Heilung sind.
Außerdem haben die Jugendämter angegeben, dass die an sie weitergeleiteten Informationen, zum Beispiel über eine Nichtteilnahme an der Untersuchung, dazu beitragen konnten, Anzeichen einer Kindeswohlgefährdung überhaupt erst wahrzunehmen oder Hilfebedarf bei Familien schneller zu erkennen und diese zu unterstützen. Allein die Möglichkeit der schnelleren Intervention der Jugendämter spricht für das ThürFKG.
Natürlich gibt es auch Kritik an dem Gesetz. Der bürokratische Aufwand, der mit den Einladungen, Erinnerungen und dem Meldeverfahren einhergeht, ist sehr hoch, birgt die Gefahr menschlicher Fehler und kann natürlich noch optimiert werden. In der schriftlichen Anhörung wurde deshalb häufig die Anregung vorgebracht, die Meldeformulare sowie das Verfahren zu evaluieren und zu verbessern. Die Kritik ist natürlich begründet, aber leider nicht im Rahmen dieser Gesetzesänderung zu lösen, denn die Ursachen für die Falschmeldungen sind nicht im Gesetz begründet, sondern liegen im Voll
zug bzw. bei der Umsetzung der gesetzlichen Regelung. Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat daher in der Beratung des Sozialausschusses Anfang Dezember bereits zugesichert, dass es weitere intensive Gespräche mit allen am Verfahren Beteiligten geben wird. Ziel ist es, das Meldeverfahren zu effektivieren sowie eine Evaluierung zu veranlassen und dies nicht erst nach fünf Jahren, sondern jetzt beginnend.
Damit erübrigt sich leider auch Ihr Änderungsantrag, liebe CDU. Im Zuge dieser Kritik am Meldeverfahren aber eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufzumachen, halte ich für moralisch falsch, denn: Wie viel ist uns ein gesundes Kind wert?
Wie viel kostet Kindeswohl? Wie viel Zeit und Geld sind wir alle bereit, in den Kinderschutz zu investieren? Im Moment haben wir zur Verlängerung des Gesetzes keine Alternative. Eltern, Kinder, Ärzte und Jugendämter bestätigen den positiven Nutzen des ThürFKG für Kindergesundheit und Kinderschutz. Selbst wenn das ThürFKG nur der Kindergesundheit dient und nicht dem Kinderschutz, so wie es die kommunalen Spitzenverbände behaupten, selbst dann lohnt sich doch der damit verbundene Aufwand.
Ich bin sofort am Ende.
Denn das Wohlbefinden von Kindern kann mit keinem Geld der Welt aufgewogen werden. Ich bitte Sie daher, diesem Gesetzentwurf der Landesregierung zuzustimmen. Vielen Dank.
Ich gebe Ihnen recht, dass es Ihnen damit nicht um Kosten-Nutzen geht, sondern um die Effektivierung des Verfahrens, das ist richtig. Allerdings hat die Staatssekretärin bereits im Ausschuss zugesagt, dieses Verfahren sowieso zu evaluieren, weshalb Ihr Änderungsantrag eigentlich hinfällig ist.
Adams, Dirk; Becker, Dagmar; Berninger, Sabine; Blechschmidt, André; Bühl, Andreas; Carius, Christian; Dittes, Steffen; Emde, Volker; Engel, Kati; Fiedler, Wolfgang; Floßmann, Kristin; Geibert, Jörg; Gentele, Siegfried; Grob, Manfred; Gruhner, Stefan; Hande, Ronald; Hartung, Thomas; Harzer, Steffen; Hausold, Dieter; Helmerich, Oskar; Henfling, Madeleine; Henke, Jörg; Hennig-Wellsow, Susanne; Herold, Corinna; Herrgott, Christian; Hey, Matthias; Heym, Michael; Höcke, Björn; Holbe, Gudrun; Holzapfel, Elke; Huster, Mike; Jung, Margit; Kalich, Ralf; Kellner, Jörg; Kießling, Olaf; Kobelt, Roberto; König-Preuss, Katharina; Korschewsky, Knut; Kowalleck, Maik; Kräuter, Rainer; Krumpe, Jens; Kubitzki, Jörg; Kummer, Tilo; Kuschel, Frank; Lehmann, Annette; Lehmann, Diana; Leukefeld, Ina.
Adams, Dirk; Becker, Dagmar; Berninger, Sabine; Blechschmidt, André; Bühl, Andreas; Carius, Christian; Dittes, Steffen; Emde, Volker; Engel, Kati; Fiedler, Wolfgang; Floßmann, Kristin; Geibert, Jörg; Gentele, Siegfried; Grob, Manfred; Gruhner, Stefan; Hande, Ronald; Hartung, Thomas; Harzer, Steffen; Hausold, Dieter; Helmerich, Oskar; Henfling, Madeleine; Henke, Jörg; Hennig-Wellsow, Susanne; Herold, Corinna; Herrgott, Christian; Hey, Matthias; Heym, Michael; Höcke, Björn; Holbe, Gudrun; Holzapfel, Elke; Huster, Mike; Jung, Margit; Kalich, Ralf; Kellner, Jörg; Kießling, Olaf; Kobelt, Roberto; König-Preuss, Katharina; Korschewsky, Knut; Kowalleck, Maik; Kräuter, Rainer; Krumpe, Jens; Kubitzki, Jörg; Kummer, Tilo; Kuschel, Frank; Lehmann, Annette; Lehmann, Diana; Leukefeld, Ina.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Besucherinnen, liebe Zuhörerinnen am Livestream, liebe Kolleginnen, der Landtag hat sich mit Beschluss vom September letzten Jahres zur Entwicklung einer eigenständigen Jugendpolitik für Thüringen bekannt. Einen Schwerpunkt bildet hierbei die Ausweitung der Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte von Kindern und jungen Menschen. Wir Koalitionsfraktionen verstehen die Belange Jugendlicher als politische Gesamtaufgabe, die sich durch alle Ressorts und Verwaltungsebenen zieht und alle Beteiligten an einen Tisch holt. Wir wollen nicht mehr nur über, sondern endlich auch mit Kindern und Jugendlichen reden und diese in Entscheidungsprozesse auch aktiv einbinden.
Die Stärkung und die bedarfsgerechte Ausgestaltung der Jugendarbeit, der Jugendverbandsarbeit sowie der Jugendsozialarbeit, die für uns sowieso zur sozialen Daseinsvorsorge gehören, sind dabei ein zentrales Element einer eigenständigen Jugendpolitik. Unser Ziel ist eine jugendgerechte Politik, die ressortübergreifend positive Rahmenbedingungen für ein gelingendes Aufwachsen aller Kinder und Jugendlichen in Thüringen schafft.
Der nun heute zu beratende Gesetzentwurf zur Änderung des Thüringer Kinder- und Jugendhilfe-Ausführungsgesetzes sieht daher insbesondere folgende Neuregelungen vor: Die Verbesserung der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte junger Menschen, die gesetzliche Verankerung der örtlichen Jugendförderung, die Stärkung der Jugendverbandsarbeit, die gesetzliche Verankerung der Schulsozialarbeit sowie die Einführung eines regelmäßigen Berichts über die Lebenslagen junger Menschen in Thüringen.
Kinder und Jugendliche sind sowohl nach den UNKinderrechten, aber auch nach dem Sozialgesetzbuch VIII an allen sie betreffenden Angelegenheiten und Entscheidungen zu beteiligen. Um dieses Recht weiterhin umzusetzen und auszubauen, wollen wir die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in den Jugendhilfeausschüssen und im Landesjugendhilfeausschuss festschreiben. Außerdem konkretisieren wir die Beteiligungsrechte der Kinder und Jugendlichen im Bereich der Jugendhilfeplanung und stärken diese, denn gerade Beteiligung ist jungen Menschen enorm wichtig. Über die Hälfte der Kinder in Thüringen würde gern an Entscheidungen zum Beispiel in ihrer Gemeinde teilhaben. Aber mehr als die Hälfte der Kinder glaubt nicht, dass ihre Meinung ernst genommen wird. Dabei steht gerade die Einschätzung, dass die eigene Stimme Gehör findet, in engem Zusammenhang mit dem Wohlbefinden. So berichtet das LBS-Kinderbarometer immer wieder, dass Kinder und Jugendli
che, die der Auffassung sind, dass ihre Meinung erst genommen wird, sich wohler fühlen als Kinder, die nicht diese Ansicht teilen. Die Studie „Kinderbeiräte in Stiftungen“ von 2013 zeigte klar, dass Kinder und Jugendliche, die in Entscheidungsprozesse eingebunden wurden, sich auch später in der Gesellschaft aktiv beteiligten. Ebenso ist der deutsche Kinderschutzbund der Auffassung, dass Partizipation ein wichtiger Beitrag zur Weiterentwicklung der Demokratie ist.
In diesem Sinne erfordert das Aufwachsen in einer demokratischen Gesellschaft eine möglichst frühe und umfassende Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Planungen, Maßnahmen und Entscheidungen. Dies dient nicht nur ihrer Persönlichkeitsentwicklung, hierdurch ergibt sich auch die Chance, bislang nicht beachtete Aspekte einer Maßnahme oder Entscheidung überhaupt erst einmal zu bemerken und zu analysieren.
Mit der gesetzlichen Verankerung des Förderprogramms Örtliche Jugendförderung, kurz auch „Jugendpauschale“ genannt, erhalten nicht nur die Landkreise und kreisfreien Städte eine höhere Planungssicherheit, auch für Fachkräfte und junge Menschen ergibt sich dadurch mehr Verlässlichkeit und Kontinuität. Zweck der Örtlichen Jugendförderung ist die Unterstützung der örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei der Erfüllung ihrer bestehenden Aufgaben in den Bereichen Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit, Jugendsozialarbeit und Kinder- und Jugendschutz sowie im Bereich der ambulanten Maßnahmen für straffällige junge Menschen. Mittels der Örtlichen Jugendförderung werden überwiegend Personalausgaben finanziert. Die gesetzliche Verankerung ist demnach auch ein wichtiger Schritt für mehr Sicherheit der Arbeitnehmerinnen in diesem Bereich, denn mit der gesetzlichen Verankerung gibt es keinen Grund mehr, Arbeitsverträge der Fachkräfte zeitlich an die Laufzeit der Richtlinie zu binden. Wir alle wissen, dass Befristung gute Arbeit verhindert, denn befristete Beschäftigte schleppen sich öfter krank zur Arbeit, nehmen seltener Urlaub und überfordern sich häufiger. Befristungen schaffen Unsicherheit und erschweren eine verlässliche Lebensplanung. Ängste um die berufliche Zukunft sind daher bei Befristeten doppelt so stark verbreitet wie bei Unbefristeten. Gute Arbeit kann daher nur unbefristet sein.
Wir stärken außerdem die Jugendverbandsarbeit und würdigen damit auch das große ehrenamtliche Engagement junger Menschen, das damit einhergeht. Wir Koalitionsfraktionen messen den Jugendverbänden und ihren freiwilligen Zusammenschlüssen eine besondere Bedeutung in der Jugendhilfelandschaft bei, denn sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung. Jugendverbände regen Kinder und Jugendliche zur Selbstbestimmung an, fördern gesellschaftliche Mitverantwortung sowie soziales Engagement.
Jugendverbandsarbeit ist mehr als bloße Freizeitgestaltung. Sie ist eine grundlegende Orientierungshilfe in der Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen. Als Zusammenschlüsse von Heranwachsenden mischen sich die Jugendverbände außerdem in politische Prozesse ein und vertreten die Anliegen der jungen Generation. Jugendverbandsarbeit ist somit der Motor einer mitwirkungsorientierten eigenständigen Jugendpolitik.
Weiterhin stärken wir die schulbezogene Jugendsozialarbeit an Thüringer Schulen als eine besondere Form der Jugendsozialarbeit, denn durch die schulbezogene Jugendsozialarbeit wird die Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule verwirklicht. Die Schulsozialarbeit dient der individuellen und sozialen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, indem diese über das schulische Angebot hinaus ihre Fähigkeiten entfalten, Anerkennung erfahren und soziale Prozesse gestalten können. Soziale Benachteiligung, individuelle Beeinträchtigung und strukturelle Nachteile werden durch die Schulsozialarbeit abgebaut, indem Ausgrenzung und Risiken des Scheiterns entgegengewirkt wird. Durch sie werden junge Menschen zur Kritikfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit sowie zur Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen befähigt. Mit der gesetzlichen Verankerung der schulbezogenen Jugendsozialarbeit schaffen wir auch hier nicht nur mehr Planungssicherheit für die Landkreise und kreisfreien Städte, sondern für die Sozialarbeiterinnen und Schülerinnen ergibt sich auch mehr Verlässlichkeit und Kontinuität. Dies ist nicht nur ein wichtiger Schritt hin zu guter Arbeit, sondern auch die Weiterentwicklung der Kinderund Jugendhilfe im Sinne einer ressortübergreifenden eigenständigen Jugendpolitik.
Als Umsetzung des Beschlusses des Thüringer Landtags vom September 2017 zur eigenständigen Jugendpolitik haben wir ebenfalls die Erstellung eines Berichts über die Lebenslagen junger Menschen in Thüringen verankert. Beginnend ab dieser Legislaturperiode soll künftig alle fünf Jahre ein Bericht über die Lebenslagen junger Menschen in Thüringen erstellt werden. Dieser soll eine Darstellung über die Lebenssituation junger Menschen in Thüringen sowie die wichtigsten Entwicklungstendenzen der Jugendhilfe enthalten. Ziel der Berichterstellung ist es, einerseits fundierte Kenntnisse als Planungsgrundlage weiterer jugendpolitischer und sozialer Maßnahmen zu erhalten, andererseits werden dadurch auch junge Menschen, zum Beispiel durch Befragungen, zumindest indirekt an diesen Planungsprozessen beteiligt.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass RotRot-Grün mit diesem Gesetzentwurf die Mitbestimmungsrechte von Kindern und Jugendlichen stärkt und weiter ausbaut. Denn insbesondere die Beteiligung junger Menschen braucht Ernsthaftigkeit durch gesetzlich verbriefte Rechte und verlässliche
Strukturen sowie Kontinuität bei den Angeboten der Jugendarbeit und der politischen Jugendbildung. In diesem Sinne ist dieser Gesetzentwurf die Grundlage für eine eigenständige Jugendpolitik in Thüringen.
Wir sichern die Jugend- und die Schulsozialarbeit langfristig und schaffen für alle Beteiligten endlich Planungssicherheit. Und wir schaffen ebenso Bedingungen für gute Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe. Ich freue mich daher sehr, diesen Antrag im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport weiter beraten zu können und in einer Anhörung mit allen Beteiligten darüber ins Gespräch zu kommen. Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Zuschauerinnen auf der Besuchertribüne und am Livestream! Als arm gilt in Europa jeder Mensch, der weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens seines Landes zur Verfügung hat. Für eine Familie in Deutschland mit zwei Kindern unter 14 Jahren wären das weniger als 1.926,00 Euro netto im Monat. Dies betrifft bis zu 19 Prozent aller Kinder, in Ostdeutschland ist sogar jedes vierte Kind von Armut bedroht. Allein in Thüringen leben fast 50.000 Kinder und Jugendliche in sogenannten Bedarfsgemeinschaften. Wenn auch Armut in Deutschland oft nicht als absolutes Elend daherkommt, so äußert sie sich doch als soziale Ungleichheit und Ausgrenzung. Armen Kindern fehlt es neben dem Markenschuh und der Wertschätzung meistens auch an Selbstbewusstsein. Sie erleben oft mehr Streit zu Hause, neigen öfter zu Risikoverhalten, müssen häufiger Klassen wiederholen. Die Tür zur Zukunft fällt da nicht ins Schloss, sie geht gar nicht erst auf.
Ihre Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe und soziale Beziehungen sind ebenso stark eingeschränkt, da sie von vielen Bereichen des Lebens, wie Kinobesuchen oder Musikunterricht, von vorn
herein ausgeschlossen sind. Prof. Dr. Christoph Butterwegge spricht hier von einer strukturellen Gewalt, die Kinder und Jugendliche noch härter trifft als Erwachsene. Auf Kinderarmut gibt es aber verschiedene Antworten und nicht nur eine, sondern eine Bündelung verschiedener Maßnahmen, welche möglich und auch nötig sind.
Im Folgenden möchte ich auf die fünf wichtigsten eingehen:
Die grundlegendste Antwort auf Kinderarmut kann nur der Ausbau des Sozialstaats an sich sein. Hier benötigen wir einen Paradigmenwechsel vom schlanken, ja geradezu ausgedörrten wieder hin zu einem interventionsfähigen, breit aufgestellten Sozialstaat.
Weiterhin brauchen wir eine neue zeitgemäße Beschäftigungspolitik, denn um Kinderarmut zu vermeiden, müssen existenzsichernde Arbeitsplätze für die Eltern geschaffen werden. Wir müssen anfangen, darüber zu reden, wie wir in Deutschland Arbeit, Einkommen und Vermögen so umverteilen können, dass es für alle zum Leben reicht.
Wir brauchen eine gebührenfreie Bildung vom Kindergarten bis hin zur Uni, um allen Kindern die gleichen Chancen auf Bildung überhaupt erst zu ermöglichen. Wir brauchen auch eine eigenständige Kindergrundsicherung, denn aktuell werden Kinder je nach Erwerbssituation ihrer Eltern höchst ungleich finanziell gefördert. Die Kinder von Gut- und Spitzenverdienerinnen profitieren mit steigenden Einkommen von den steuerlichen Kinderfreibeträgen. Diese gegenwärtige Ungleichbehandlung von Kindern ist höchst ungerecht. Unserer Gesellschaft sollte jedes Kind gleich viel wert sein. Der Staat muss jedem Kind die gleichen Chancen gewähren. Das Existenzminimum muss für alle Kinder als garantiertes Kinderrecht gelten, nicht nur für diejenigen Kinder, deren Eltern Steuern zahlen.
Die Linke steht daher an der Seite des Bündnisses KINDERGRUNDSICHERUNG und fordert eine eigenständige Kindergrundsicherung für alle Kinder. Außerdem – und jetzt komme ich zum eigentlichen Thema der Aktuellen Stunde – wenden Familien einen überdurchschnittlich hohen Anteil ihres Einkommens für die Versorgung und die Erziehung ihrer Kinder auf. Es ist daher dringend notwendig, Eltern finanziell zu entlasten und zu unterstützen.
Wie kann es sein, dass ganze Branchen vom reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent profitieren, Familien aber nicht? Hundefutter, Fahrten mit dem Sessellift, Hotelübernachtungen, Blumen, Pralinen, Gemäldeskulpturen, Münzen, Medaillen und sogar das Popcorn im Kino, auf all das bezahle ich
7 Prozent Mehrwertsteuer, wohingegen Kinderautositze, private Kinderbetreuung, Kinderbekleidung, ja sogar Schulessen mit 19 Prozent besteuert werden. Hier wären sofort familienfreundliche Änderungen möglich. Andere Länder machen das ja auch, und zwar schon seit vielen Jahren. Bereits 2011 wurden in Luxemburg Kinderbekleidung und Kinderschuhe mit nur noch 3 Prozent besteuert. In Großbritannien und in Irland muss auf diese Produkte gar keine Mehrwertsteuer mehr gezahlt werden.
Daher werden wir uns als Linke weiterhin an der Seite des Bündnisses „7 Prozent für Kinder“, welches die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen im Übrigen bereits vor sieben Jahren gegründet hat, für eine reduzierte Mehrwertsteuer auf Produkte und Dienstleistungen für Kinder starkmachen, damit hierzulande endlich auch die Bedürfnisse von Kindern und Familien bei der Mehrwertsteuerreglung berücksichtigt werden.
Außerdem wird sich Die Linke weiterhin einsetzen für eine starke öffentliche Infrastruktur, die allen Kindern Förderung und Teilhabe ermöglicht, eine gebührenfreie Bildung, die soziale Unterschiede ausgleicht und gleiche Chancen eröffnet, eine familienfreundliche Arbeitswelt und gute Arbeitsbedingungen, die allen gesellschaftliche Teilhabe und finanzielle Sicherheit gibt, den Ausbau des Sozialstaats, der die von Armut Betroffenen nachhaltig unterstützt und den Namen Sozialstaat auch verdient. Und wir werden uns für eine eigenständige Kindergrundsicherung einsetzen. Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Zuschauerinnen auf der Besuchertribüne und am Livestream, der Antrag, welchen wir heute abschließend beraten, hat bereits eine lange Geschichte hinter sich. Meine Vorrednerinnen sagten es ja bereits. Im Februar des vergangenen Jahres brachte die CDU-Fraktion einen Antrag mit dem Titel „Drogenabhängige Schwangere und Mütter in Thüringen“ in das Plenum ein. Dieser wurde an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit überwiesen, dort beraten und es wurden drei öffentliche Anhörungen durchgeführt. Dies war nötig, da sich immer wieder neue Problemlagen auftaten bzw. sich immer wieder Nachfragen für uns ergeben haben. Im Ergebnis der Behandlung im Ausschuss haben alle vier demokratischen Fraktionen einvernehmlich einen gemeinsamen, umfassenderen Antrag erarbeitet, der den zutage getretenen Problemlagen auch Rechnung trägt. Die CDU-Fraktion hat daraufhin ihren ursprünglichen Antrag zurückgezogen.
Mit dem nun vorliegenden Antrag sollen durch verschiedene Maßnahmen auf Landes- und Bundesebene die bedarfsgerechte Versorgung und Beratung von Schwangeren, Eltern und Kindern aus suchtbelasteten Familien sowie Eltern mit psychischen Erkrankungen weiterentwickelt und verbessert werden.
Im Folgenden möchte ich kurz erläutern, warum dies notwendig ist und auf welche Problemlagen wir in der Anhörung gestoßen sind. In Deutschland leben etwa 2,6 Millionen Kinder mit alkoholkranken Eltern zusammen. Hinzu kommen noch mal 40.000 bis 60.000 Kinder drogenabhängiger Eltern. Das heißt, dass jedes sechste Kind von einer Suchtkrankheit in der Familie betroffen ist. Und hier sind die Kinder, die unter nicht stofflichen Abhängigkeiten im Elternhaus leiden, wie Spielsucht, Onlinesucht, Arbeitssucht, noch gar nicht mit eingerechnet, da sich diese Zahlen nur sehr schwer einschätzen lassen. Alle diese Kinder sind oft durch ihre Sozialisationsbedingungen schwer belastet und benachteiligt. Laut Statistik wird ein Drittel von ihnen später selbst abhängig werden, ein weiteres Drittel wird psychische und soziale Störungen davontragen und nur ein Drittel wird es schaffen, aus dieser
belastenden Situation mehr oder weniger unbeschadet hervorzugehen.
Kinder aus suchtbelasteten Familien werden auch als „vergessene Kinder“ bezeichnet, einerseits, weil ihre Eltern mit ihrer Aufmerksamkeit vollständig um ihre Sucht kreisen – so bleibt natürlich wenig Raum für Zuwendung –, andererseits aber auch, weil sie von der Gesellschaft vergessen werden. Kinder suchtkranker Eltern erhalten in Deutschland eben nicht die Aufmerksamkeit, die sie benötigen. So werden immer noch die Alkoholproblematik in der Gesellschaft verharmlost und die vielfältigen Schäden und Belastungen dieser Kinder zu wenig ernst genommen. In Kindergärten, Schulen und im Gesundheitswesen fehlt es an Wissen über diese Kinder. Die Mitarbeiterinnen in diesen Bereichen sind im Umgang mit Kindern suchtkranker Eltern oft überfordert und alleingelassen. Hinzu kommt, dass die vorhandenen Hilfesysteme zu wenig miteinander kooperieren, sodass Kinder aus suchtbelasteten Familien allzu oft durch die Maschen der Hilfenetze hindurchrutschen. Eigentlich ist Deutschland bekannt für seine Bürokratie. Alles ist gesetzlich geregelt, Zuständigkeiten und Verfahrenswege sind klar und eindeutig beschrieben. Dies trifft natürlich auch auf die sozialen Leistungen zu. Lässt man jetzt die Frage nach der Feinmaschigkeit des sozialen Netzes und der Sinnhaftigkeit mancher gesetzlicher Regelung einmal außen vor, so verfügt Deutschland mit seinen zwölf Teilen des Sozialgesetzbuchs über ein gut strukturiertes Regelungssystem sozialer Dienstleistungen.
Betrachten wir doch einmal die verschiedenen Hilfen, die bei einer suchtkranken Familie zum Tragen kommen. Nehmen wir als Beispiel eine alkoholkranke Mutter, ich nenne sie jetzt der Einfachheit halber mal Frau Schmidt, mit ihrem fünfjährigen Sohn Jonathan. Zuerst macht Frau Schmidt eine Entgiftung, also einen körperlichen Entzug in einem psychiatrischen Fachkrankenhaus. Diese medizinische Heilbehandlung ist eine Hilfe nach dem SGB V. Die Kosten- und Leistungsträger dafür sind in der Regel die Krankenkassen. Danach macht Frau Schmidt eine medizinische Rehabilitation, also die eigentliche Entwöhnung in einer Fachklinik für Suchterkrankungen. Dies ist eine Hilfe nach dem SGB VI, wofür wiederum Rentenversicherungsanstalten die Kosten- und Leistungsträger sind. Wir dürfen aber auch Frau Schmidts Sohn Jonathan nicht vergessen. Nehmen wir an, dass er während der Entgiftung der Mutter stationär in einer Kinder- und Jugendeinrichtung betreut wurde und dass Mutter und Sohn Hilfen zur Erziehung erhalten. Dann sind das wiederum Maßnahmen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz, also dem SGB VIII. Dazu kommt noch die Bestimmung des sogenannten Klammergesetzes, des SGB IX, wonach Maßnahmen nach den verschiedenen Teilen der Sozialgesetzbücher so von den Sozialleistungsträgern miteinander zu
koppeln sind, dass sie für die Betroffenen als Maßnahmen wie aus einer Hand wirken. Wir haben es also allein in unserem Beispiel von Frau Schmidt und Jonathan mit vier verschiedenen Sozialgesetzbüchern zu tun. Klare Regelungen und Zuständigkeiten haben aber eben auch unerwünschte Nebenwirkungen. Sie können zu einer Versäulung von Hilfesystemen führen. Dann verlaufen zwischen den zuständigen Behörden und Kostenträgern unüberwindbare Gräben, die zu Situationen führen, die für Betroffene und Außenstehende nur schwer nachvollziehbar sind.
Meine beiden Kolleginnen hatten es ja auch schon angesprochen. In unserem Beispiel übertritt Frau Schmidt bei der Entlassung aus der akutklinischen in die rehabilitative Versorgung – also von der Entgiftung in die Entwöhnung – eine Grenze, nämlich von stationär zu ambulant. Die Kosten des stationären Entzugs werden grundsätzlich von der Krankenversicherung übernommen, die Entwöhnung und Rehabilitation jedoch in vielen Fällen von der Rentenversicherung. Im besten Fall soll dieser Übertritt nahtlos gelingen. Verschiedene Krankenkassen, Krankenhäuser und die Rentenversicherungsanstalten haben sich im Juli letzten Jahres auf ein sogenanntes Nahtlosverfahren verständigt, welches den Zugang zur Suchtrehabilitation verbessern soll. Herzstück dieses Verfahrens ist die begleitete Anreise der Patienten vom Krankenhaus in die Entwöhnungseinrichtung. Aber die Realität sieht leider ganz anders aus. In der Anhörung wurde uns oft berichtet, dass die Bearbeitung und Bewilligung der Reha-Anträge zu lange dauert oder das Nahtlosverfahren aufgrund von Platzmangel in den Folgeeinrichtungen nicht möglich ist. Für unsere Frau Schmidt bedeutet das, dass sie nach der Entgiftung in der psychiatrischen Fachklinik zurück nach Hause in ihr altes, gewohntes Umfeld entlassen wird. Sie hat bisher nur den körperlichen Entzug hinter sich. Sie hat noch nicht gelernt, ihren Alltag neu zu organisieren. Sie hat noch nicht gelernt, überhaupt mit dem Suchtdruck irgendwie umzugehen. Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass ein solches Vorgehen absurd und unverantwortbar ist.
Kommen wir zu einem weiteren Problem: Im weiteren Verlauf hat Frau Schmidt nun einen Platz in einer Rehabilitationseinrichtung und Jonathan darf als Begleitkind auch bei ihr sein. Aber nur selten und nur verbunden mit einem sehr hohen organisatorischen Aufwand, wie es zum Beispiel – Frau Meißner hat es ja bereits angesprochen – dem Suchthilfezentrum WENDEPUNKT in Wolfersdorf gelingt, können Einrichtungen die notwendigen sozialpädagogischen Unterstützungsbedarfe für Begleitkinder durch die Kinder- und Jugendhilfe erhalten. Denn oftmals scheitert die Realisierung für diese Hilfen an viel zu vielen bürokratischen Hürden.
Und nicht nur das – die Klinik Römhild schrieb in ihrer Stellungnahme: „Nachteilig ist, bei uns können die Kinder lediglich als Begleitkinder aufgenommen werden, obwohl sie parallel eigentlich einer eigenen psychotherapeutischen Behandlung bedürfen.“ Auf die Nachfrage, warum dies nicht möglich sei, erwiderten sie, dass die Krankenkassen eine psychotherapeutische Behandlung des Kindes ablehnen, solange sich ein Elternteil in einer Reha-Maßnahme befindet. Und das eigentlich Absurde ist, dass in der Klinik Römhild das nötige Fachpersonal für eine Therapie der Kinder vor Ort ist. Es sind sozusagen die Therapeuten da, es findet sich nur niemand, der die Kosten dafür übernehmen würde. Es ist in unserem Rechtssystem bis heute nicht möglich, das System Familie in die medizinische Rehabilitation zu vermitteln. Selbst wenn klar ist, dass die Krankheit Sucht die Therapie der gesamten Familie erfordert; die bestehenden gesetzlichen Regelungen sowie die gesamte Infrastruktur der Therapie von Suchtkranken bieten hierfür keinerlei Option.
Bereits 2003 wurden auf einer Fachkonferenz im Bundesgesundheitsministerium zehn Eckpunkte zur Verbesserung der Situation von Kindern aus suchtbelasteten Familien verabschiedet. Unter Punkt 1 heißt es: „Kinder aus suchtbelasteten Familien haben ein Recht auf Unterstützung und Hilfe, unabhängig davon, ob ihre Eltern bereits Hilfeangebote in Anspruch nehmen.“ Doch bis heute ist nichts geschehen – nach 15 Jahren! –, um diesen Kindern einen gesetzlichen Anspruch auf Hilfe zu geben. Die Bundesdrogenberichte halten immer wieder fest, dass Kinder von Suchtkranken in Deutschland oft keine adäquate Hilfe und Unterstützung erhalten und dass für sie eine flächendeckende Hilfe im Rahmen einer Regelfinanzierung notwendig ist. Aber wie diese Regelfinanzierung sichergestellt werden kann, darauf hat die Bundespolitik bis heute keine Antwort gegeben. Es gibt bis heute in den Sozialgesetzbüchern auch keine Anspruchsgrundlage für diese Kinder auf präventive Hilfe. Erst wenn es zu spät ist, erst wenn die Kinder und Jugendlichen infolge ihres Aufwachsens in einer dauerhaft von Unberechenbarkeit und emotionaler Abwesenheit der Eltern geprägten Atmosphäre krank oder sozial auffällig werden, erst dann greifen die Hilfeansprüche aus der Jugendhilfe oder der Krankenversicherung.
Die umfangreiche Anhörung verschiedener Vereine, Fachverbände, Leistungserbringer und Kostenträger zum Thema hat gezeigt, dass die Behandlung suchtkranker Eltern mit ihren Kindern mit dem Angebot der gemeinsamen stationären Aufnahme eine große Chance bietet, die Kontinuität der Beziehung aufrechtzuerhalten und die gegenseitigen Ressourcen zu nutzen und zu stärken. Aus diesem Grund bedarf es eben einer Anpassung der erforderlichen gesetzlichen Grundlagen, der Behandlungszeiten und der Rahmenbedingungen sowohl
für die Entgiftung und die Rehabilitation als auch für die ambulante Nachsorge für suchtkranke Eltern mit ihren Kindern.
Die im Antrag aufgeführten Maßnahmen auf Landes- und Bundesebene, die sich aus der Anhörung ergeben haben, sollen außerdem dazu führen, dass bei einem entsprechenden Behandlungsbedarf eine zeitnahe Umwandlung des Status des Kindes als Begleitperson in den des Patienten mit entsprechenden Behandlungen und Therapien möglich wird. Der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut Prof. Dr. Stachowske, welcher Anfang der Neunziger eine stationäre Eltern-Kind-Einrichtung für drogenabhängige Eltern und ihre Kinder konzipierte und selbst bis 2011 leitete, drückte es in seiner Stellungnahme so aus – ich zitiere –: „Aufgrund dieser Erfahrung möchte ich ohne Einschränkung drauf hinweisen, dass gut entwickelte Therapieangebote für Eltern und ihre Kinder – und dies meint Kinder jeglichen Alters – sinnvolle und erfolgreiche Therapiekonzepte sein können. Von den Eltern und ihren Kindern, die die Therapieprozesse regelhaft beendet haben, ist kaum jemand rückfällig geworden. Viele der Kinder, die an diesen Therapien teilgenommen haben, habe ich auch mittel- und langfristig in ihrer Lebensentwicklung begleiten können. Ich weiß, dass sie hohe Bildungsabschlüsse erreicht haben, dass sie sich zu kreativen und liebenswürdigen Menschen entwickelt haben, es sind Studienabschlüsse im In- und Ausland abgeschlossen worden usw. Kurz: Dies ist die geeignete und für mich die einzig geeignete Art der Therapie dieser Familiensysteme.“ Auch bei allen Belastungen in diesen Familien, auch diese Kinder lieben ihre Eltern. Mit der richtigen Art von Unterstützung können die Familien mit den suchtbedingten Schwierigkeiten zurechtkommen und die Kinder haben dann eine gute Chance, sich zu gesunden, reifen und lebensfrohen Erwachsenen zu entwickeln. Und Ziel muss es sein, die Eltern trotz Suchterkrankung zu unterstützen, schließlich sind diese Menschen krank und eine vorsätzliche Schädigung der Kinder ist, wie bei allen anderen Eltern auch, meist die Ausnahme. Deshalb bitte ich um Zustimmung. Vielen Dank.
Sehr geehrte Präsidentin, liebe Besucher, liebe Zuhörerinnen am Livestream, liebe Kolleginnen! Im Zentrum der Debatte, die wir gerade führen, steht die duale Berufsausbildung und deren Zukunft. Die Menschen in Deutschland, auch die Wirtschaft, halten viel von der dualen Ausbildung. Duale Ausbildung bedeutet eine enge Verzahnung von Lernen, einerseits in der Berufsschule und andererseits in der beruflichen Praxis unter Federführung eines konkreten Ausbildungsbetriebs, welcher auch für die soziale Sicherung des Auszubildenden aufkommt.
Ihr Antrag, liebe CDU, hat bereits einen langen Weg hinter sich. Er wurde im Juli 2017 eingereicht, letzten November vom Plenum an den Bildungsausschuss überwiesen und im Dezember dort das erste Mal besprochen. Im Januar wurde eine schriftliche Anhörung beschlossen, welche der Ausschuss dann im März ausgewertet hat. Die CDU reichte im Ergebnis der Anhörung einen Änderungsantrag ein. Das ist ein langer Weg, aber auch ein langer Weg heißt nicht automatisch, dass es ein guter Antrag ist. Tatsächlich finden wir Ihren Antrag ziemlich schwach und daran hat auch Ihr Änderungsantrag nichts geändert. Natürlich ist die Zukunft der dualen Ausbildung ein wichtiges Thema. Dies bestätigten auch übereinstimmend alle Anzuhörenden.
Sie begrüßten das Anliegen der Landespolitik, sich über die Zukunft der dualen Ausbildung Gedanken zu machen und Ideen zu entwickeln.
Die Koalitionsfraktionen haben ihre Ideen dazu im vorliegenden Antrag „Fachkräfteentwicklung in Thüringen: Beschäftigte halten, bilden und fördern“ dargelegt. Zu diesem Antrag wird meine Kollegin Ina Leukefeld später noch ausführlich sprechen.
Liebe Zuhörerinnen, lassen Sie mich bitte nachfolgend begründen, warum wir dem CDU-Antrag nicht folgen können. Unter der Überschrift „Duale Ausbildung stärken“ beschränkt sich die CDU vollkommen auf die schulischen Maßnahmen und Möglichkeiten, wie es ja meine Kollegin Diana Lehmann bereits angesprochen hat. Wichtige Themen, wie zum Beispiel Rahmenbedingungen von Ausbildung, Ausbildungsqualität, Ausbildungsvergütung, Berufseinstiegsbegleitung, die in diesem Zusammenhang wichtig wären, sogar unerlässlich sind, finden in Ihrem Antrag überhaupt keine Erwähnung. Ihr Antrag bezieht sich vor allem auf die Berufsorientierung an Gymnasien. Dies ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass immer mehr junge Menschen einen Studienplatz einer dualen Berufsausbildung vorziehen. Unserer Ansicht nach liegt das jedoch nicht allein an den mangelnden Informationen über die Möglichkeiten einer dualen Ausbildung nach dem Abitur, sondern daran, dass junge Menschen durchaus gute Gründe haben, wenn sie sich für ein Studium entscheiden. So sind noch immer Menschen mit einer akademischen Ausbildung seltener von Arbeitslosigkeit betroffen als Menschen mit einem Abschluss einer dualen Berufsausbildung. Außerdem erscheint vielen jungen Menschen die Studienzeit natürlich attraktiver als Ausbildungsjahre, denn viele Auszubildende sehen sich unverändert mit großen Belastungen konfrontiert. Natürlich spricht sich das rum, denn auch junge Menschen sind vernetzt und tauschen sich aus über schlechte Arbeitsbedingungen, Überstunden, fachlich ungenügende Anleitung, eine unterdurchschnittliche Ausbildungsvergütung und das Gefühl, als billige Arbeitskraft ausgenutzt zu werden. Die duale Berufsausbildung wird erst dadurch attraktiv, wenn es selbstverständlich wird, dass es gute tarifliche Vergütung gibt und betriebliche Mitbestimmung durch Betriebsräte und Jugend- und Auszubildendenvertretungen auch gewährleistet wird. Das spricht Jugendliche an und nur so können wir Ausbildungsstellen auch besetzen.
Dies bestätigt auch der aktuelle Ausbildungsreport, welcher jährlich von der DGB-Jugend veröffentlicht wird. So wird darin erneut festgestellt, dass Auszubildende in Betrieben mit betrieblicher Mitbestimmung viel zufriedener sind mit ihrer Ausbildung. Auch in diesem Punkt ist unser Antrag zur Fachkräfteentwicklung weitreichender. So wird dort unter Punkt III die Landesregierung gebeten, Maßnahmen zur Stärkung der Attraktivität der dualen Ausbildung sowie zur Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung zu entwickeln und auch umzusetzen. Gelingt es uns nicht, die Berufsausbildung massiv
qualitativ zu verbessern, die Tarifbindung der Thüringer Betriebe signifikant zu erhöhen und Mitbestimmung weiter flächendeckend zu verankern, so nützt uns auch die schönste Imagekampagne nichts.
Davon jetzt einmal abgesehen gibt es immer noch Hunderte Jugendliche, die den Einstieg in eine berufliche Ausbildung gar nicht erst schaffen. Auch wenn es vielleicht möglich sein sollte, einen Teil der jungen Menschen, die sich auf ein Studium orientieren, für den dualen Bereich zurückzugewinnen, so ist es aus Sicht der Koalitionsfraktionen dringlicher, besonders auf die Jugendlichen mit Problemlagen zu schauen und hier neuere und bessere Wege zu finden und umzusetzen.
Die Berufseinstiegsbegleitung zum Beispiel findet in Ihrem Antrag, liebe CDU, gar keine Erwähnung. Die Koalitionsfraktionen sehen aber auch hier Handlungsbedarf. Neben der Stärkung der Berufsvorbereitung und der Berufsorientierung an den Thüringer Schulen messen wir der Berufseinstiegsbegleitung, insbesondere für Schülerinnen mit Förderbedarf, eine besondere Bedeutung zu. Durch die verhaltene Ausbildungsbeteiligung vieler Betriebe wurden vorhandene Potenziale in der Vergangenheit nicht genutzt. Gleichzeitig stehen aber die Thüringer Unternehmen vor der Herausforderung, dem steigenden Fachkräftebedarf zu begegnen. Die Stärkung der praxisnahen und am Bedarf orientierten Berufsorientierung und die Einstiegsbegleitung ins Berufsleben sind dabei nur ein möglicher Weg, ungenutzte Potenziale zu aktivieren. Weitere Möglichkeiten wird Ihnen meine Kollegin Ina Leukefeld in ihrer nachfolgenden Rede näher erläutern.
Liebe Kolleginnen, liebe Zuhörerinnen, es ist augenscheinlich, dass viele Punkte des CDU-Antrags von rein ideologischen Motiven gesteuert sind. So will die CDU, dass in Schulen mehr für das Unternehmertum geworben wird. Aber das geht komplett an der Lebensrealität der Schülerinnen vorbei.
Die Wenigsten werden später eine eigene Firma gründen. Vielmehr ist es doch wahrscheinlich, dass sie Arbeitnehmerinnen werden. Wir halten es deshalb für sinnvoller, dass sich junge Menschen vor Beginn ihrer Berufsausbildung intensiv und kritisch mit der Funktionsweise des vorherrschenden kapitalistischen Wirtschaftssystems auseinandersetzen.
Dazu gehören selbstverständlich auch Themen wie „Konfliktregelung in der Ausbildung“, „betriebliche Mitbestimmung“, „Gewerkschaften und Streikrecht“ sowie das Tarifvertragssystem. Diese Auffassung vertritt im Übrigen auch die GEW, die Gewerkschaft
Erziehung und Wissenschaft. In ihrer Stellungnahme zum CDU-Antrag hat die GEW den einseitigen Bezug des Antrags auf wirtschaftlich verwertbares Wissen kritisiert und unterstrichen, dass Schule einen allgemeinen persönlichkeitsbildenden Auftrag hat, der darüber weit hinausgeht. Die Gewerkschaft kritisierte ebenfalls den starken Bezug auf das Unternehmertum
und wünschte sich in Anlehnung an die tatsächlichen Interessen der Schülerinnen, dass die Rolle und die Rechte von Arbeitnehmerinnen einen eben solchen Stellenwert einnehmen mögen.
Um es abschließend zusammenzufassen: Der vorliegende Antrag der CDU betrachtet Ausbildung und Arbeit lediglich aus Sicht der Unternehmerinnen. Dieser Ansatz wird aber weder zu einer Stärkung der dualen Ausbildung führen, noch das Image von Thüringen als Arbeits- und Wirtschaftsstandort nachhaltig verbessern.
Wir können die Qualität von Ausbildung und Arbeit nur verbessern, wenn wir alle Blickrichtungen einnehmen, und dazu gehört eben auch die Sicht der Auszubildenden und die Sicht der Arbeitnehmerinnen.
Meine Damen und Herren, aus den dargelegten Gründen werden die Koalitionsfraktionen daher dem Antrag der CDU nicht zustimmen. Ich plädiere dafür, den in meinen Augen weitreichenderen Antrag der Koalitionsfraktionen in Drucksache 6/5554 an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit, den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport und den Ausschuss für Wirtschaft und Wissenschaft zu überweisen. Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Besucherinnen, liebe Zuhörerinnen am Livestream, liebe Kolleginnen! Warum drehen wir die Sachlage nicht einfach mal um und fragen uns, welche Argumente heute eigentlich überhaupt noch für ein Cannabis-Verbot sprechen.
Geschichtlich gesehen ist die Kriminalisierung von Cannabis nur eine recht kurze Episode unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Wir sollten also aufhören, die Forderung nach der Entkriminalisierung auf den Prüfstand zu stellen, und beginnen, dieses kurze Experiment der Kriminalisierung zu beleuchten. Welche positiven Aspekte hat uns denn das Cannabisverbot bisher gebracht? Das hehre Ziel einer abstinenten Gesellschaft ganz ohne Cannabiskonsum konnte ja augenscheinlich nicht erreicht werden. Weder konnte das Angebot merklich eingeschränkt werden, noch ist die Nachfrage merklich zurückgegangen. Inzwischen ist bekannt, dass für die Ablehnung von Drogen andere Gründe als die Strafverfolgung ausschlaggebend sind. Es gibt eben keine belastbaren Untersuchungen, die belegen, dass Drogenverbote den Konsum einschränken oder eine Legalisierung den Drogenkonsum steigern würde. Dies kann man leicht belegen, indem man zum Beispiel die Konsumraten von Deutschland und den Niederlanden vergleicht. Trotz des Verbots konsumieren etwa drei Millionen Menschen in Deutschland regelmäßig Cannabis. Die positiven Ergebnisse des Cannabisverbots sind also nur eine leichte Hemmschwelle im Gebrauch und in der Beschaffung. Diesen geringen positiven Erfolgen stehen jedoch etliche negative Folgen gegenüber. Durch das Verbot stigmatisieren wir Konsumentinnen. Ansonsten unbescholtene Bürger und Bürgerinnen werden kriminalisiert, was oftmals eine Zäsur im Lebenslauf und beruflichen Werdegang nach sich zieht. Dadurch entstehen doch erst kriminelle Karrieren.
Mit einem Verbot fördern wir illegale Strukturen sowie die organisierte Kriminalität. Diese haben wiederum durch fehlende legale Konkurrenz das Monopol inne und können die Preise hochtreiben, wie
sie wollen. Künstlich hohe Preise führen aber zur Beschaffungskriminalität und belasten damit wiederum die Gesellschaft. Ebenso fördern hohe Preise in Verbindung mit einer kurzfristigen Angebotsverknappung oftmals einen gesundheitsschädlichen Mischkonsum mit Tabak, Alkohol oder anderen Drogen. Hinzu kommt, dass durch fehlende staatliche Kontrollen die Qualität der Droge starken Schwankungen unterliegt. Für die Konsumentinnen bedeutet das nicht nur einen ungewissen Wirkstoffgehalt, sondern auch oftmals die Gefahr gesundheitlicher Schäden durch Streckstoffe. Außerdem ist es dem Dealer an der Ecke nicht nur egal, was er verkauft, sondern auch, wem er es verkauft. Durch eine staatlich regulierte Abgabe wäre hier ein verlässlicher Verbraucher- und Jugendschutz möglich.
Ein Verbot geht immer auch einher mit einer Tabuisierung. Ein ehrlicher und offener Diskurs über Konsum wird erschwert. Schülerinnen zum Beispiel können kaum ihre Erfahrungen mit Eltern oder Lehrerinnen angstfrei reflektieren. Die Kriminalisierung belastet die Polizei, die Justiz, die Gefängnisse. Es werden Kapazitäten gebunden, welche in anderen Bereichen fehlen. Selbst der Vorsitzende des Bundes der Kriminalbeamten, André Schulz, fordert ebenfalls eine Entkriminalisierung. Er meinte, ich zitiere: Aus polizeilicher Sicht stellt sich die Drogenbekämpfung als extrem personalaufwendig dar und leider als wenig zielführend. – Zwar gibt es mittlerweile eine Eigenbedarfsgrenze – in Thüringen liegt diese bei zehn Gramm –, dennoch werden in der Regel erstmal eine Strafanzeige erstattet, ein Verfahren angelegt, Asservate eingetütet usw. Mehrere Beamte beschäftigen sich also mit dem Vorgang, welcher am Ende häufig eingestellt wird. Das kostet Zeit und Geld. Der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer, hat 2015 ausgerechnet, dass die Strafverfolgung von Cannabiskonsumentinnen die Steuerzahlerinnen jährlich bis zu 2 Milliarden Euro kostet. Aber weder die kriminellen Machenschaften noch lebensbedrohliche Beimischungen würden dadurch verhindert.
Demgegenüber stehen massive Steuerausfälle, die wir hätten haben können: Genussmittelsteuer, Umsatzsteuer, Gewinnsteuer, Lohnsteuer sowie der Einnahmeausfall bei den Sozialkassen durch die Illegalisierung der Arbeitsplätze. Würde man Cannabis legalisieren, könnte man also nicht nur 2 Milliarden Euro in der Strafverfolgung sparen, es kämen sogar zusätzlich bis zu 2 Milliarden Euro an Steuereinnahmen hinzu, wenn man eine ähnliche
Besteuerung wie in den US-Bundesstaaten vornehmen würde.
Das Cannabisverbot hat also nicht nur sein eigentliches Ziel verfehlt, sondern hat auch eine Vielzahl neuer Problemlagen geschaffen. Das Experiment ist gescheitert. Die Politik hat nicht die Aufgabe, Menschen zu erziehen, sondern eine informierte und risikobewusste Konsumentscheidung zu ermöglichen. Ich hoffe, dass morgen viele Abgeordnete parteiübergreifend im Bundestag dies im Kopf haben und dem Antrag von FDP, Linke und den Grünen zustimmen. Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe zwei Besucher, liebe Zuhörerinnen am Livestream, werte Kolleginnen, wer heute in Thüringen eine Ausbildung anfangen will und sich erst jetzt im November entscheidet, hat dennoch immer noch eine riesige Auswahl an beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten.
Kauffrau für Verkehrsservice, Gebäudereinigerin, Elektronikerin für Betriebstechnik, Elektronikerin für Energie- und Gebäudetechnik, Elektronikerin für Informations- und Telekommunikationstechnik, Maler und Lackiererin, Trockenbaumonteurin, Kauffrau im Einzelhandel, Kauffrau für Büromanagement, Kauffrau für Dialogmarketing, Kauffrau für Groß- und Außenhandel, Kauffrau für Versicherung und Finanzen, Industriekauffrau, Sport- und Fitnesskauffrau, Köchin, Hotelfachkraft, Hörakustikerin, Metallbauerin, Restaurantfachkraft, Fachkraft für Systemgastronomie, Berufskraftfahrerin, Alltagsbegleiterin, Technische Zeichnerin, Veranstaltungstechnikerin, Friseurin, Fachkraft für Lagerlogistik, Anlagenmechanikerin für Sanitär, Heizung und Klimatechnik, Fachkraft für Lederbearbeitung, Fachkraft für Schutz und Sicherheit, Tierwirtin, Werkzeugmechanikerin – dies alles sind Berufe, in denen allein im Raum Erfurt jetzt noch Ausbildungsplätze frei sind, also wo junge Menschen ab morgen anfangen könnten. Denn wie bereits 2015 und 2016 sind
auch in diesem Jahr im Herbst noch rund 6.000 Ausbildungsplätze in ganz Thüringen unbesetzt. In vielen Branchen gibt es durch diese Entwicklung bereits einen erheblichen Mangel an beruflichen Nachwuchskräften.
Ein Ergebnis dieser Situation ist es, dass die Neigung von Betrieben, auszubilden, weiter zurückgeht. Das ist ein ernstes Problem, denn an dieser Stelle ist die Zukunft des dualen Ausbildungssystems direkt betroffen. Insofern ist das Thema, das die CDU mit ihrem Antrag hier anspricht, durchaus wichtig und aktuell. Dennoch halten wir als Linksfraktion den Antrag der CDU für nicht weitgehend genug, denn er bezieht sich vor allem auf die Berufsorientierung an Gymnasien. Dies ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass immer mehr junge Menschen einen Studienplatz einer dualen Berufsausbildung vorziehen. Unserer Ansicht nach liegt das jedoch nicht allein an mangelnden Informationen über die Möglichkeiten einer dualen Ausbildung, denn junge Menschen haben nämlich durchaus gute Gründe, wenn sie sich für ein Studium entscheiden. So sind zum Beispiel immer noch Menschen mit einer akademischen Ausbildung seltener von Arbeitslosigkeit betroffen als Menschen mit einem Abschluss einer dualen Berufsausbildung. Außerdem erscheint vielen jungen Menschen die Studienzeit attraktiver als Ausbildungsjahre, denn viele Auszubildende sehen sich unverändert mit großen Belastungen konfrontiert. Natürlich spricht sich das rum, denn auch junge Menschen reden mit ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis darüber, über ihre Arbeitsbedingungen, über Überstunden, fachlich ungenügende Anleitung, eine unterdurchschnittliche Ausbildungsvergütung oder schlicht und einfach das Gefühl, als billige Arbeitskraft ausgenutzt zu werden. Die duale Berufsausbildung gewinnt erst an Attraktivität, wenn es selbstverständlich ist, dass gute tarifliche Vergütung gezahlt wird und betriebliche Mitbestimmung durch Betriebsräte und Jugend- und Auszubildendenvertretungen gewährleistet wird. Das spricht junge Menschen an. Nur so können Ausbildungsstellen auch besetzt werden. Dies bestätigt auch immer wieder der jährliche Ausbildungsreport der DGB-Jugend. Der ist für dieses Jahr, 2017, bereits erschienen. So wird darin zum Beispiel jedes Jahr aufs Neue festgestellt, dass Auszubildende in Betrieben mit betrieblicher Mitbestimmung viel zufriedener mit ihre Ausbildung sind.
Gelingt es uns also nicht, die Berufsausbildung massiv qualitativ zu verbessern, die Tarifbindung der Thüringer Betriebe signifikant zu erhöhen und Mitbestimmung weiter flächendeckend zu verankern, so nützt uns auch die schönste Imagekampagne nichts.
Letztendlich aber muss es auch wirksame Kontrollen zur Überwachung der Ausbildungsqualität geben. Verstöße und Nichteinhaltung gesetzlicher Re
gelungen und Verordnungen sind nämlich keine Kavaliersdelikte. Es ist Aufgabe der Kammern, dafür Sorge zu tragen, dass vor Ort die festgelegten Standards eingehalten werden. Doch gerade hier offenbart sich ein zentrales Problem. Auf der einen Seite sind sie für die Kontrolle der Ausbildung zuständig, auf der anderen Seite sind sie ein arbeitgeberfinanzierter Interessenverband. Diese Doppelstruktur führt häufig dazu, dass der Kontrolle der Ausbildung nur unzureichend nachgekommen wird. Wenn Missstände aufgedeckt werden, dann folgen darauf meist keine wirklichen Sanktionen. Hier liegt der Fehler im System. Die Kammern sind gezwungen, ihre zahlenden Mitglieder zu sanktionieren. Das kann nicht funktionieren. Unabhängige Kontrollinstanzen könnten da ein Ausweg sein.
Auszubildende brauchen eine Beschwerdestelle, der sie auch vertrauen. Es bedarf eines Beschwerdemanagements, das Auszubildende in ihren Problemen tatsächlich ernst nimmt, ihnen Schutz gewährt und das für die Auszubildenden auch leicht zugänglich ist.
Nicht umsonst fordern die Gewerkschaften schon lange eine Reform des Berufsbildungsgesetzes, um die Qualität der Berufsausbildung zu verbessern und somit auch attraktiver zu machen. Doch alle Novellierungs- und Reformversuche wurden bisher seitens der CDU-Fraktion im Bundestag blockiert und zurückgewiesen. Davon jetzt einmal abgesehen gibt es immer noch Hunderte Jugendliche, die den Einstieg in eine berufliche Ausbildung gar nicht erst schaffen. In Thüringen haben wir – wie in vielen anderen Bundesländern auch – einen hohen Sockel an jungen Menschen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, von denen die wenigsten nach dem Verlassen der Schule einen Weg in eine berufliche Zukunft finden. Trotz aller demografischen Probleme ist diese Zahl der Jugendlichen in den letzten Jahren kaum zurückgegangen. Die Ursachen dafür sind so vielfältig wie die Menschen selbst: problematische Familiensituationen, gesundheitliche Einschränkungen, eine Reihe unterschiedlicher Belastungen, denen junge Menschen ausgesetzt sind und bei denen sie Unterstützung brauchen; gesundheitliche Unterstützung, sozialpädagogische Unterstützung oder manchmal auch einfach nur konzentrierte Nachhilfe, um die nächste Prüfung zu bestehen.
Auch wenn es vielleicht möglich sein sollte, einen Teil der jungen Menschen, die sich auf das Studium orientieren, für den dualen Bereich zurückzugewinnen, so ist es aus Sicht der Linksfraktion dringlicher, auf die Jugendlichen mit Problemlagen zu schauen und hier neuere und bessere Wege zu finden. Erfahrungen aus anderen Bundesländern, wie zum Beispiel aus Hamburg, zeigen, dass man mit kooperativen Ansätzen, die die Unterstützungsmöglichkeiten der verschiedenen Systeme koppeln, weiterkommt. Manches ist hier bereits in Bewe
gung. Es ist daher gut, diesen Stand zu bilanzieren und über die Dinge zu reden, die als Nächstes getan werden müssen.
Ich möchte noch mal auf zwei Themen, die in diesem Zusammenhang wichtig sind, insbesondere eingehen: die Berufsorientierung an den Schulen und die begleitenden Hilfen beim Übergang von den Schulen in die Ausbildung. Im Sommer 2016 hat die von Bundes- und Landesregierung gemeinsam unterzeichnete Vereinbarung „Abschluss und Anschluss [...]“ das Ziel gestellt, die Zahl der Schulabgängerinnen ohne Schulabschluss zu verringern und den Anteil der Jugendlichen, die eine Ausbildung erfolgreich abschließen, zu erhöhen. Hierfür soll die Landesstrategie zur praxisnahen Berufsorientierung strukturell optimiert werden – ein Ziel, das ich so auch in den ersten Anstrichen Ihres Antrags herauslese, liebe CDU-Fraktion, und wo wir uns durchaus treffen könnten.
Leider ist das Niveau der Berufsorientierung an Thüringer Schulen sehr unterschiedlich. Es gibt einerseits sehr gute Beispiele mit festen Kooperationen, mit ortsnahen Unternehmen und vielen Möglichkeiten für die Schülerinnen, sich auszuprobieren. Aber es gibt auch Schulen, an denen diesen Bereichen immer noch viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. Eine Möglichkeit, dem abzuhelfen, wäre vielleicht, die Berufsorientierung im Zuge der aktuell vorgesehenen Novellierung des Thüringer Schulgesetzes als verbindliche Aufgabe für alle allgemeinbildenden Schulformen festzuschreiben, wie es unter anderem der Landesausschuss für Berufsbildung – kurz LAB – vorschlägt. Dadurch wäre es möglich, die Berufsorientierung landesweit qualitativ und quantitativ nachhaltig zu sichern.
Es gibt jedoch noch ein anderes Problem. Im Jahr 2020 endet die gegenwärtige ESF-Förderperiode. Es ist davon auszugehen, dass Thüringen nicht mehr zu den Vorranggebieten dieser Förderung gehören wird und dass in diesem Zusammenhang die Finanzierung der Berufsorientierung umgestellt werden muss. Diese notwendige Neuordnung sollte aus unserer Sicht Anlass sein, zu diskutieren und zu entscheiden, in welcher Form sowohl die Berufsorientierung an den Schulen als auch die am Übergang ansetzenden Hilfen über die ESF-Förderperiode hinaus neu organisiert und gesichert werden können. Denn was die Hilfen beim Übergang von Schule in Ausbildung angeht, die im CDU-Antrag leider gar nicht vorkommen, so sieht meine Fraktion hier ebenfalls dringenden Handlungsbedarf. In Thüringen sind am Übergang von Schule und Ausbildung verschiedene Hilfen wirksam. Zu ihnen gehören Berufseinstiegsbegleiterinnen, Übergangskoordinatorinnen, das Konzept der assistierten Ausbildung und das Projekt „PraWO plus“. Über Berufseinstiegsbegleiterinnen, die im Rahmen der BundLänder-Initiative „Bildungsketten“ von der Bundesagentur gefördert werden, werden an 88 Schulen
rund 840 Jugendliche betreut. Von den aus der ESF-Förderung finanzierten Übergangskoordinatorinnen werden circa 1.500 Schülerinnen erreicht und am Projekt „PraWO plus“ nehmen laut Bildungsministerium thüringenweit 30 Förderzentren und allgemeinbildende Schulen teil. Um hier bessere und nachhaltigere Effekte zu erreichen, ist es notwendig, die vielen guten Ansätze, die in diesen Bereichen vorhanden sind, stärker aufeinander abzustimmen und eine ausgewogene regionale Verteilung zu schaffen.
Liebe Kolleginnen, liebe Zuhörerinnen, aus Sicht der Fraktion Die Linke geht der Antrag der CDU in einigen Fragen in die richtige Richtung. Zur Berufsorientierung zum Beispiel habe ich mich geäußert. Auch die Frage des Ausbaus von Praktika und die bessere Vernetzung von Schulen im Territorium sind Ansätze, die man weiterverfolgen sollte. Im September vergangenen Jahres gab es auf der Tagung der Koalitionsfraktionen „Fokus Jugendpolitik“ im Workshop „Schule und Ausbildung“ eine lebhafte Diskussion darüber, in welcher der Bedarf zur Verbesserung der Berufsorientierung vor allem an Gymnasien und insbesondere die Verstärkung von Einblicken in die duale Ausbildung deutlich wurde.
Aber andere Punkte des CDU-Antrags sind reine ideologische Motive. So will die CDU in ihrem Antrag, dass in Schulen mehr für das Unternehmertum geworben wird. Das geht komplett an der Lebensrealität der Schülerinnen vorbei, denn die wenigsten werden doch später eine eigene Firma gründen. Vielmehr ist es wahrscheinlicher, dass sie Arbeitnehmerinnen werden.
Wir halten es deshalb für sinnvoller, dass sich junge Menschen schon vor Beginn ihrer Berufsausbildung intensiv und kritisch mit der Funktionsweise unseres Wirtschaftssystems auseinandersetzen. Dazu gehören selbstverständlich auch Themen wie „Konfliktregelung in der Ausbildung“, „betriebliche Mitbestimmung“, „Gewerkschaften“ und „Tarifvertragssystem“. Ob dagegen Unternehmensplanspiele und die Propaganda für den Beruf der Unternehmerin geeignet sind, Kindern und Jugendlichen wirklich Lust auf eine berufliche Ausbildung zu machen, erscheint mir fragwürdig.
Aber auch darüber können wir gern im Ausschuss diskutieren. Aus diesem Grund plädiere ich auch dafür, diesen Antrag an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport zu überweisen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Besucherinnen, liebe Zuhörerinnen am Livestream, liebe Kolleginnen, wir behandeln heute zwei Anträge, welche sich beide mit dem Themenfeld der eigenständigen Jugendpolitik befassen. Ein Antrag ist von der CDU-Fraktion und der andere ist von den Fraktionen Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
Beide Anträge wurden – wie bereits erwähnt – letztes Jahr in das Landtagsplenum eingebracht und dann an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport überwiesen. Zu beiden Anträgen fanden sowohl eine schriftliche als auch eine mündliche Anhörung statt, welche wiederum im Ausschuss dann ausgewertet wurden. Durch diese Anhörungen erhielten wir eine ganze Reihe von Ideen und Anregungen, aber auch Kritik, an welchen Stellen etwas verändert werden müsste, wenn wir mehr Mitbestimmung für junge Menschen in Thüringen erreichen wollen.
Für die Stellungnahmen möchte ich mich ausdrücklich noch einmal bei allen Anzuhörenden bedanken.
Sie haben uns bei unserer Arbeit sehr geholfen und wir haben viele ihrer Ideen und Vorschläge in unseren Antrag aufgenommen und eingearbeitet, was man leider von dem CDU-Antrag nicht behaupten kann. So stellt die CDU heute ihren unveränderten Antrag wieder zur Beratung.
Aber um was geht es denn eigentlich und was bedeutet denn eigenständige Jugendpolitik? Eigenständige Jugendpolitik ist ein Politikansatz, der die Bedürfnisse und Anforderungen von Jugendlichen in den Fokus der Debatte rücken will. Dabei soll die
Jugendphase als Ganzes in den Blick genommen werden. Die bisherige isolierte Betrachtung einzelner Teilaspekte, wie zum Beispiel Bildung, Familie oder Arbeit, soll aufgehoben werden. Die Gestaltung jugendlicher Lebenslagen wird als politische Gesamtaufgabe verstanden, die sich durch alle Ressorts und Verwaltungsebenen zieht und alle Beteiligten an einen Tisch holt. Die Entwicklung einer eigenständigen Jugendpolitik ist also ein Prozess, der darauf abzielt, Jugendpolitik als selbstständiges Politikfeld mit einem eigenen Selbstverständnis zu etablieren, wie es in anderen Politikfeldern schon lange der Fall ist, zum Beispiel bei der Finanz- oder Umweltpolitik.
Eigenständige Jugendpolitik bedeutet also, dass nicht mehr nur über, sondern endlich auch mit den Jugendlichen geredet werden soll. Somit würden nämlich die Jugendlichen ernst zu nehmende Partnerinnen in der Politik werden. Uns als Linksfraktion ist es wichtig, dass am Ende die eigenständige Jugendpolitik nicht zu einem inhaltsleeren Modebegriff verkommt, denn wir wollen keine bloße Schaufensterpolitik betreiben, wir wollen verbindliche Grundlagen für mehr Mitbestimmung schaffen.
Deswegen ist uns die gesetzliche Verankerung der Rechte von Kindern und Jugendlichen besonders wichtig.
Aber genau das hat der vorliegende CDU-Antrag nicht im Blick. Ihr Antrag, liebe CDU-Fraktion, zeigt ganz deutlich zwei Dinge, zum Ersten: Sie, liebe CDU, sind verdammt beratungsresistent, denn Sie haben es wirklich geschafft, keinen, keinen einzigen Hinweis der Anzuhörenden in irgendeiner Form aufzunehmen. Und Ihr Antrag zeigt außerdem, dass Sie nach über einem Jahr politische Diskussion immer noch nicht verstanden haben, worum es bei dem Thema der eigenständigen Jugendpolitik eigentlich geht. So fordern Sie in Ihrem Antrag im ersten Punkt die Erarbeitung eines Landesprogramms, das Sie quasi neben die bereits existierende Jugendpolitik und die anderen Politikfelder stellen wollen. Und genau das wollen wir nicht. Denn hier wird der Ansatz einer eigenständigen Jugendpolitik gänzlich missverstanden, denn eigenständige Jugendpolitik soll nicht etwas Neues, von oben Aufgestülptes sein, sondern ist ein Politikansatz, der durch alle Ressorts geht und Verwaltungsebenen und alle Beteiligten an einen Tisch holt. Ein Landesprogramm, das fast alle Protagonisten einer eigenständigen Jugendpolitik bereits bei der Erarbeitung ausschließt, ist da wenig hilfreich und betont lediglich Ihr eingeschränktes Ressortdenken. Ebenso picken Sie sich in den weiteren Punkten Ihres Antrags lediglich einzelne Teilaspekte heraus, statt das Thema ganzheitlich zu erfassen.
Um es noch einmal zusammenzufassen: Eigenständige Jugendpolitik heißt für uns: Stärkung der
Angebote der Jugendarbeit, Einbeziehung und Mitbestimmung junger Menschen auf allen Ebenen, Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse von Jugendlichen sowie die Geltendmachung jugendpolitischer Aspekte und Sichten in allen Politikfeldern. Deshalb haben wir uns innerhalb der Koalition auf folgende Maßnahmen verständigt: die Entwicklung eines ressortübergreifenden Maßnahmenkonzepts, welches im Dialog mit Kommunen, Verbänden, Wissenschaft, freien Trägern sowie Jugendlichen entwickelt werden soll, die Stärkung der außerschulischen Jugendarbeit, die Erhöhung der örtlichen Jugendförderung auf 15 Millionen Euro, die gesetzliche Verankerung der Mitbestimmungsrechte von Kindern und Jugendlichen in der Thüringer Kommunalordnung, die Entwicklung eines sogenannten Jugend-Checks in Thüringen und wir werden prüfen, ob die UN-Kinderrechte ausreichend in der Thüringer Verfassung verankert sind.
Außerdem haben wir noch folgende Punkte aus der Anhörung aufgenommen: die Erarbeitung eines Lebenslagenberichts junger Menschen, der alle fünf Jahre vorgelegt werden soll, die Stärkung der Jugendforschung für die bessere Untersetzung jugendpolitischer Entscheidungen, die Stärkung der Mitwirkungsrechte von Schülerinnen sowie die Reformation des Kinderund Jugendhilfe-Ausführungsgesetzes, um vor allem die Mitbestimmungsund Mitwirkungsrechte junger Menschen weiter auszubauen.
Liebe Kolleginnen, die Rahmenbedingungen für junge Menschen haben sich bekanntlich in den vergangenen Jahren stark verändert. Einerseits hat der demografische Wandel dazu geführt, dass der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung immer weiter zurückgegangen ist. Gleichzeitig haben sich aber auch die Anforderungen an junge Menschen stark gewandelt. Unsicherheiten in der persönlichen und beruflichen Zukunft haben zum Beispiel stark zugenommen. Höhere Anforderungen stellen sich an Flexibilität und Mobilität. In vielen Bereichen hat die öffentliche Unterstützung für den Schritt in ein selbstständiges Leben, für den Schritt in einen Beruf abgenommen. Denken wir da zum Beispiel nur an das BAföG oder diese bescheuerte Regelung, dass Kindergeld, welches eigentlich für Schülerinnen gedacht sein sollte, bei Hartz-IV-Familien wieder abgezogen wird.
Das Leben der jungen Menschen bietet somit heutzutage neben einer Fülle von Möglichkeiten auch eine Fülle an Herausforderungen und an Gegenwind.
Umso wichtiger ist es, Jugendlichen in Thüringen eine stärkere Stimme zu geben. Die Anliegen, Probleme und Bedürfnisse von Jugendlichen müssen endlich ernst genommen werden. Mit der Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei den Kommunalwahlen sind wir in Thüringen einen ersten wichtigen Schritt in die richtige Richtung gegangen.
Denn nur indem wir jungen Menschen etwas von unseren Befugnissen, von unserer Macht abgeben, können wir ihnen ermöglichen, sich selbst zu entfalten und wirksam zu werden. Nicht zuletzt ist die Stärkung von jungen Menschen auch eine Stärkung unserer Demokratie, was leider heutzutage wichtiger ist denn je.
Liebe Kolleginnen, lassen Sie uns heute die Chance nutzen und die eigenständige Jugendpolitik in Thüringen voranbringen. Tun wir dies bitte gemeinsam und vor allem auf Augenhöhe mit den Jugendlichen. Nur so können wir ihre gesellschaftliche Position stärken und ausbauen. Ich bitte Sie deshalb, der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Jugend und Sport Folge zu leisten und dem Antrag der Koalitionsfraktionen zuzustimmen. Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Zuschauerinnen am Livestream, lieber Gast auf der Besuchertribüne, eigentlich wollte ich es recht kurz machen, aber da nun Herr Kellner so eine Grundsatzdebatte über die Absenkung des Wahlalters angestoßen hat und auch meine Kollegin Anja Müller hoch motiviert ist, meine Rede noch zu hören, halte ich sie dann doch und versuche, das möglichst schnell über die Bühne zu bringen.
Durch die Absenkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre haben Jugendliche den Rechtsstatus eines Bürgers ihrer Gemeinde bzw. ihres Landkreises erhalten und können so wesentlich mehr Einfluss auf die Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensumfelds nehmen. Denn über das aktive Wahlrecht bei Gemeinderats-, Kreistags- und Bürgermeisterwahlen hinaus haben Jugendliche ab 16 Jahren hiermit auch weitere Beteiligungsmöglichkeiten erhalten, wie zum Beispiel Beantragung
und Unterzeichnung von Bürgerbegehren und Stimmrecht bei Bürgerentscheiden. Um diese Tatsache und das damit verbundene Wahlrecht für Jugendliche noch bekannter zu machen und die Beteiligung an Wahlen auf der kommunalen Ebene nachhaltig zu stärken, fordern wir die Landesregierung mit dem vorliegenden Antrag auf, eine Erstwählerkampagne zu initiieren. Unser Ziel ist es dabei, Erstwählerinnen zu ermutigen, sich an den Kommunalwahlen im kommenden Jahr zu beteiligen, aber sie auch zu motivieren, sich mit dem Themenfeld Politik auseinanderzusetzen.
Und ja, Herr Kellner, auch wir haben uns die Mühe gemacht, verschiedene Studien zu lesen. Diese Studien, zum Beispiel eine empirische Forschung der Universität Stuttgart, belegen, dass das politische Interesse von Jugendlichen in etwa genauso hoch ist wie das von Erwachsenen. Zu behaupten, dass Jugendliche nicht an Politik interessiert sind, wäre demnach ein Widerspruch der aktuellen Erkenntnisse. Die hier oft und auch von Ihnen, Herr Kellner, angeführte Skepsis Jugendlicher zum Beispiel gegenüber einer Wahlaltersabsenkung hat daher andere Gründe. Es gibt Leute, die machen sich die Mühe, die reden mit Jugendlichen und fragen danach, warum es diese Skepsis gibt, zum Beispiel Prof. Dr. Klaus Hurrelmann. Er fand heraus, dass Jugendliche oftmals an sich selbst den Anspruch stellen, erst über ein umfassendes politisches Wissen verfügen zu müssen, um überhaupt an Wahlen teilnehmen zu können.
Genau diese diffusen Bedenken sind es, die wir den Jugendlichen mit dieser Kampagne, mit der Einführung einer adäquaten Erstwählerkampagne, nehmen wollen. Mit dieser können wir Sachverhalte überparteilich und jugendgerecht vermitteln, zum Beispiel die Bedeutung und die Aufgaben von Kommunalpolitik, einen Überblick über die Parteiprogramme und deren Kandidaten, das Wissen über den Wahlvorgang an sich – wie funktioniert die Stimmabgabe, wie sieht ein Stimmzettel aus – sowie die Möglichkeit der Mitbestimmung über den bloßen Wahlakt hinaus. Meine Kollegin Frau RotheBeinlich erwähnte es bereits, dass eine solche Erstwählerkampagne auch nachhaltig fruchten kann. Das zeigen zum Beispiel die Auswertungen aus Baden-Württemberg, dort wurde bereits 2014 im Vorfeld der Kommunalwahlen eine Kampagne unter dem Titel „Wählen ab 16“ durchgeführt. Dort konnte festgestellt werden, dass sich die Erstwählerkampagne, ich zitiere, „grundsätzlich positiv auf die Wahlbeteiligung der Jugendlichen ausgewirkt“ hat. Dennoch sollte sich natürlich eine Gesamtbewertung einer solchen Kampagne nicht allein auf die Höhe der Wahlbeteiligung beziehen. In BadenWürttemberg wurden des Weiteren durch die Erstwählerkampagne nicht nur erfolgreich gesellschaft
liche und politische Gruppierungen mit Vertretern der Verwaltung und der Kommunen vernetzt, sondern diese Kampagne gab auch den Anstoß für zahlreiche weiterführende kommunale Aktivitäten. Zudem ist es dort auch gelungen, Multiplikatoren nicht nur zu gewinnen und zu qualifizieren, sondern auch zu halten, sodass sie im Nachhinein eingesetzt werden können.
Liebe Kolleginnen, es hat sich in den vergangenen Monaten immer wieder gezeigt, dass Demokratie und der Erhalt unserer demokratischen Grundordnung leider nicht selbstverständlich sind. Daher ist es umso wichtiger, dass wir uns dafür einsetzen und insbesondere das Recht auf freie Wahlen stärken. Mit einer gut durchdachten Erstwählerkampagne in Thüringen können wir diejenigen erreichen, welche die politische Zukunft unseres Landes bestimmen werden, nämlich unsere Jugendlichen. Daher bitten ich und meine Kollegin Anja Müller, die leider nicht mehr im Raum ist, Sie, diesem Antrag zuzustimmen. Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Besuchertribüne und am Livestream! Ich möchte ergänzend zu meiner Kollegin Karola Stange in meiner Rede den Schwerpunkt auf ein spezielles Thema legen, ein Thema, welches eine besondere und eine subtile Form der Ausgrenzung und Gewalt gegenüber den Schwächsten in unserer Gesellschaft darstellt: die Kinderarmut.
Kinderarmut ist leider ein immer noch zu wenig beachtetes Thema im politischen Diskurs. Dies hat verschiedene Gründe: Unser Armutsbild ist einerseits von drastischer Not, Hunger und Obdachlosigkeit geprägt. Kinderarmut in Deutschland dagegen kommt weniger spektakulär daher, oftmals wird sie gar nicht als solche erkannt. Des Weiteren wird oft versucht, die Schuld für die Notsituation den Armen selbst zuzuschieben. Im Fall der Kinder sind es natürlich deren Eltern, die gesellschaftlich dann schnell als „faul“, „asozial“ oder „Säufer“ abgestempelt werden. Es wird ihnen unterstellt, sie hätten sich selbst in diese Lage gebracht, und daher wird von ihnen auch erwartet, dass sie sich selbst aus dieser Misere befreien – ein bisschen wie Münchhausen, der sich am eigenen Haar aus dem Sumpf ziehen soll.
Kinderarmut stellt aber nicht nur in den sogenannten Ländern der Dritten Welt ein Problem dar, sondern natürlich auch in Thüringen und in Deutschland. Hier kann sie sogar erniedrigender und deprimierender sein, weil sie sich wenn auch nicht als
absolutes Elend, so doch als soziale Ungleichheit und Ausgrenzung äußert. Armen Kindern fehlt – neben den symbolhaften Markenschuhen und der Wertschätzung – meistens auch das Selbstbewusstsein, Chancen zu ergreifen. Sie erleben oft mehr Streitigkeiten zu Hause, neigen öfter zu Risikoverhalten, müssen häufiger Klassen wiederholen. Die Tür zur Zukunft fällt da nicht ins Schloss, nein, sie geht gar nicht erst auf. Arme Kinder leiden nicht nur unter schlechter Ernährung, unzureichender ärztlicher Versorgung, sie haben auch schlechtere Chancen auf Bildung. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie später eine Hochschule besuchen, ist um ein Vielfaches geringer als bei gleichaltrigen Kindern mit anderen sozialen und finanziellen Voraussetzungen. Ihre Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe und soziale Beziehungen sind ebenso stark eingeschränkt, da sie von vielen Bereichen des Lebens – wie etwa Kinobesuche oder Musikunterricht – von vornherein ausgeschlossen werden. Prof. Dr. Christoph Butterwegge spricht hier von einer „strukturellen Gewalt, die Kinder und Jugendliche noch härter trifft als die Erwachsenen“.
Als arm gilt in Europa jede und jeder, der weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens seines Landes zur Verfügung hat; also für eine Familie in Deutschland mit zwei Kindern unter 14 Jahren wäre das weniger als 1.926 Euro im Monat netto. Dies betrifft bis zu 19 Prozent aller Kinder; in Ostdeutschland ist sogar jedes vierte Kind von Armut bedroht. Fünf von 100 Minderjährigen leiden unter „erheblichen materiellen Entbehrungen“, wie es das Bundessozialministerium ausdrückt.
Bei Kindern von Alleinerziehenden ist das Risiko, in Armut aufzuwachsen, sogar mehr als doppelt so hoch wie in Zwei-Eltern-Familien. Wie Ministerin Heike Werner bereits in der Regierungserklärung erwähnte, leben allein in Thüringen fast 50.000 Kinder und Jugendliche in sogenannten Bedarfsgemeinschaften. Das bedeutet, dass 15 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren in Thüringen auf Hartz IV angewiesen sind. Das sind etwa 1.500 mehr als es noch vor zwei Jahren waren.
Die Quote für die unter 15-Jährigen, die auf Hartz IV angewiesen sind, ist noch höher; da sind es sogar 16 Prozent.
Da komme ich jetzt hin.
Aber warum ist das denn so, warum scheint es denn so, dass kein Hilfsprogramm greift und dass Kinderarmut bundesweit stetig zunimmt? Häufig werden bei der Beantwortung dieser Frage Ursache