Protokoll der Sitzung vom 01.03.2001

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Oft hört man - Herr Dr. Wagner hat es auch erwähnt -, welche Er

folge der Maßregelvollzug doch aufzuweisen habe: Die durchschnittliche Rückfallquote läge bei den aus dem Strafvollzug Entlassenen bei 50 und bei den aus dem Maßregelvollzug Entlassenen bei 20 %. Es handelt sich hier wohlgemerkt um die durchschnittliche Rückfallquote. Dabei ist zu beachten, dass ja nicht nur Kinderschänder und Mörder in den Anstalten sitzen. Doch wie hoch die wirkliche Rückfallquote ist, weiß niemand so genau. Nicht einmal dem zuständigen Ministerium ist sie bekannt.

Als ich bei einer Anhörung die Vertreterin des Ministeriums nach der konkreten Rückfallquote von Serientätern und Kinderschändern fragte, antwortete sie unter anderem wie folgt: Hierfür Zahlen zu bekommen sei sehr schwierig. Man könne vielleicht auf Erhebungen von unabhängigen Instituten auch im Rahmen von Forschungsarbeiten zurückgreifen. - Mit anderen Worten: Man weiß es gar nicht.

Meine Damen und Herren! Es gab in der Vergangenheit den Fall Zurwehme, den Heidemörder, die „Bestie von Beelitz”. Es gab einen Fall Schmökel. Wie viele solcher Fälle wird es noch geben? Wie viele Opfer wird es noch geben?

In der heutigen Aktuellen Stunde geht es um die Situation des Maßregelvollzugs im Land Brandenburg. Wie ist die aktuelle Situation? Wesentlich anders als vor einigen Monaten noch ist sie nicht, außer, dass wieder einmal ein zu einer Therapie verurteilter Verbrecher von einem ihm gewährten Ausgang nicht zurückgekehrt ist, dass es in Neuruppin eine Gefangenenmeuterei unter Alkoholeinfluss gab, dass der Minister eine Expertenkommission zur Überprüfung des Maßregelvollzugs eingesetzt hat, die dann feststellen musste, dass jedes dritte erstellte Gutachten falsch ist, und dass wieder einmal darüber gesprochen wird, mehr Geld in den Maßregelvollzug zu investieren. Doch ein wesentlicher Fehler wird dabei nicht behoben werden, nämlich der, dass man Kinderschändern und Seriensexualstraftätern infolge der ihnen verordneten Therapie immer wieder die Möglichkeit gibt, das Klinikgelände zu verlassen.

Sind solche Verbrecher überhaupt therapierbar? Viele namhafte Phsychologen vertreten die Meinung, dass solche Leute nicht therapierbar sind. Aber was für eine Meinung vertritt das zuständige Ministerium? Ich zitiere aus dem Protokoll der bereits erwähnten Anhörung: Straftäter mit schweren Persönlichkeitsstörungen seien grundsätzlich schwerer therapierbar, vor allem müssten sie aufwendiger therapiert werden. Schwierige, aufwendige Verfahren wie Psychotherapie und Psychoanalyse seien hier nötig, um einen therapeutischen Fortschritt zu erreichen.

Meine Damen und Herren, wo bleibt hier der Schutz der Bürger vor diesen Bestien? Opferschutz muss vor Täterschutz gehen.

(Unruhe bei der SPD)

Im Interesse der Bürger muss man sich eben notfalls gegen die erhoffte Resozialisierung solcher Verbrecher entscheiden.

Natürlich müssen wir auch bedenken, dass viele, wenn nicht sogar alle Insassen des Maßregelvollzugs psychisch krank sind. Man sollte aber auch erkennen, dass viele Krankheiten nicht heilbar sind.

(Gemmel [SPD]: Man siehts!)

Der dafür zuständige Minister redet sich heraus. Auf meine Frage bei der Anhörung, was er von der Nichttherapierbarkeit von Seriensexualtätern und Kinderschändern halte, antwortete er: Wenn das Gericht entschieden hat, jemanden in den Maßregelvollzug einzuweisen, müsse er dann auch therapiert werden. Dies sei eine gerichtliche Festlegung. - Das mag stimmen, aber dem Land Brandenburg obliegt es, einzelne Lockerungsstufen festzulegen, und da kann es nicht sein, dass es Seriensexualstraftätern und Kinderschändern gestattet wird, das Klinikgelände zu verlassen - egal, ob unter Aufsicht oder nicht. Solche Leute gehören für immer hinter Schloss und Riegel. Eine entsprechende Regelung muss es im Land Brandenburg geben und nicht nur hier. Dafür ist der Minister zuständig. Er hat es versäumt, eine solche Regelung zu erlassen.

(Unruhe bei der PDS)

Er hat es auch versäumt, die Gutachter, die Schmökel die Lockerungsstufe 4 ermöglichten, vom Dienst zu entbinden; diese sind nach wie vor mit der Erstellung psychiatrischer Gutachten beauftragt, obwohl gegen sie Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung laufen.

Da das eindeutig Versäumnisse des Ministers sind, forderte unsere Fraktion der Deutschen Volksunion bereits im November des vergangenen Jahres den Rücktritt von Minister Ziel. Diese Rücktrittsforderung stelle ich heute im Namen der Fraktion der Deutschen Volksunion erneut. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner. - Das Wort geht noch einmal an die Fraktion der SPD, an die Abgeordnete Konzack.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wahrlich, Versachlichung und Zwischenbilanz sind angesagt und das besonders, nachdem hier von meiner Vorrednerin mit inhumanen Ausdrücken versucht wurde, einen Horrorfilm zu inszenieren.

Unter der Überschrift „Versachlichung und Zwischenbilanz” hat meine Fraktion diese Aktuelle Stunde zur Situation des Maßregelvollzugs beantragt. Versachlichung, weil wir den Menschen im Land das sichere Gefühl zurückgeben wollen, bestmöglich vor psychisch kranken Straftätern geschützt zu sein. Zwischenbilanz, weil Gesundheitsminister Ziel seit der Flucht Schmökels dafür und für die Verbesserung des Maßregelvollzugs einen ganzen Katalog von Maßnahmen auf den Weg gebracht hat. Ich gehe davon aus, dass der Minister diese in seiner Rede im Einzelnen selbst darstellen wird.

Meine Damen und Herren, zur Versachlichung gehört es aber auch, bei den Brandenburgerinnen und Brandenburgern für den Therapieauftrag und die Notwendigkeit des Maßregelvollzuges zu werben. Wir haben nicht nur die gesetzliche, sondern auch die ethische Pflicht, den Menschen zu helfen, die wegen einer psychischen Krankheit Straftaten begangen haben. Mein Kolle

ge Werner Kallenbach hat das vorhin ausführlich erläutert. Die Problematik ist auch von Frau Birkholz und Herrn Dr. Wagner fachlich zutreffend dargestellt worden.

Mein Eindruck ist aber, dass die öffentliche Debatte der vergangenen Wochen und Monate diesem Anliegen mehr geschadet als genutzt hat. Die DVU-Rede hat das noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht. Man fühlt sich wie an einem üblen Stammtisch. Mit solchen Schlagzeilen wie „Schon wieder ein Verbrecher geflohen” und „Wieder Ausbruch aus Klinik” wurde der Eindruck vermittelt, im Maßregelvollzug stünden die Türen offen wie Scheunentore.

(Frau Hesselbarth [DVU]: Es ist ja auch so!)

Gesundheitsminister Ziel wurde es zum Vorwurf gemacht, dass Ärzte Fehldiagnosen stellten, Pfleger ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkamen und ein Patient vom Freigang, der ihm gesetzlich zusteht, nicht zurückkehrte. Es ist absurd, daraus die Forderung nach dem Rücktritt des Ministers abzuleiten. Eine solche Forderung ist völlig unhaltbar.

(Frau Hesselbarth [DVU]: Er und niemand anders ist dafür verantwortlich!)

Alwin Ziel hat das ihm Mögliche in die Wege geleitet, nämlich all das, was Sie, Frau Birkholz, vorhin in Ihrer Rede gefordert haben. Die von ihm eingesetzte Expertenkommission hat den Maßregelvollzug kritisch unter die Lupe genommen und wird ihre Ergebnisse dem Parlament bis Mitte März präsentieren.

(Frau Hesselbarth [DVU]: Darauf sind wir jetzt schon gespannt!)

Ich gehe davon aus, dass wir dann im Ausschuss darüber und über all die heute von Ihnen in Sachlichkeit eingebrachten Vorschläge, auch die von Herrn Dr. Wagner, beraten werden. Dazu haben wir im Ausschuss genügend Zeit.

Es ist im Übrigen auch eine große Leistung, eine solche Kommission einzusetzen, die den Maßregelvollzug öffentlich, transparent macht. Das ist beispielgebend für andere Bundesländer, von denen man nicht einmal die genaue Zahl der Entweichungen in der Vergangenheit erfahren kann.

Meine Damen und Herren, seien Sie versichert, dass Minister Ziel auch in Zukunft die volle Unterstützung der SPD-Fraktion bei der weiteren Verbesserung des Maßregelvollzuges genießen wird.

(Beifall bei der SPD)

Was die Versachlichung der Debatte in der Vergangenheit auch nicht vorangebracht hat, war der Vorschlag aus Ihren Reihen, meine Damen und Herren Koalitionspartner, den Maßregelvollzug dem Justizministerium zu unterstellen. Es muss schon etwas für sich haben, dass er mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern in allen Bundesländern organisatorisch dem Gesundheitsministerium angegliedert ist.

Die von Ihnen geäußerten Ideen, Herr Vietze - jetzt ist er leider nicht im Raum -,

(Abgeordneter Vietze [PDS] macht sich bemerkbar. - Allgemeine Heiterkeit - Klein [SPD]: Er wirft seinen Schatten auf Dich!)

finde ich übrigens absurd, nämlich die Neuruppiner Klinik von heute auf morgen zu schließen; es sei denn, Sie wollen die Patienten bis zur Fertigstellung der Neubauten bei sich zu Hause aufnehmen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Niemand, der nicht wie Sie polemisieren will, wird ernsthaft glauben, dass wir über 50 Maßregelpatienten einfach so in der Bundesrepublik verteilen können, zumal alle Länder mit Überbelegungen zu kämpfen haben. Es ist ja nicht so, dass wir mit diesem Problem allein wären. Solche politischen Hiebe, die ihr Ziel ohnehin verfehlt haben - auch von reimenden Dichtern in den eigenen Reihen -, nutzen niemandem, weder den Bürgerinnen und Bürgern, die einen Anspruch auf höchstmögliche Sicherheit haben, noch uns Abgeordneten, die wir gemeinsam den Maßregelvollzug verbessern wollen, damit sein gesetzlicher Auftrag - Heilung, Besserung, Wiedereingliederung - bei größtmöglichem Schutz der Allgemeinheit erfüllt werden kann. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Konzack. - Das Wort geht an die Landesregierung, Herrn Minister Ziel.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin in den vergangenen Tagen wiederholt gefragt worden, warum diese Aktuelle Stunde stattfindet und wer mir da eins auswischen will.

Ich habe mich dem gestellt und begrüße es sehr, dass wir heute und hier über den Maßregelvollzug reden, denn mir liegt sehr daran, Aufklärung, Klarstellung und Transparenz zu gewährleisten.

Nach den tragischen Ereignissen um die gewaltsame SchmökelFlucht habe ich sofort und energisch Maßnahmen ergriffen, die die notwendige Therapie im Maßregelvollzug noch sicherer machen.

Dazu gehören folgende Punkte: Sämtliche Lockerungen am Standort Neuruppin wurden sofort ausgesetzt. Die Zahl der externen Gutachterinnen und Gutachter wird erhöht. Diese externen Gutachter werden seit Oktober sehr viel früher bei jeder einzelnen Behandlung vor jeder wesentlichen Lockerung hinzugezogen. Schließlich habe ich nicht nur für die Zukunft eine externe Prüfung festgelegt, sondern es werden auch rückwirkend alle im Maßregelvollzug untergebrachten Straftäter durch externen Sachverstand erneut überprüft.

Für Neuruppin ist diese Nachbegutachtung inzwischen erfolgt. Das Gutachten liegt vor. Darüber werden Sie heute auch in der Zeitung gelesen haben. Der von mir eingesetzte Mediziner hat seine Zweitmeinung sehr abgewogen und differenziert niederge

legt und in den allermeisten Fällen die Therapie in Neuruppin bestätigt.

In einigen der 56 begutachteten Patientenakten ist er darüber hinaus der Meinung, dass eine weitergehende Lockerung verantwortet werden kann. In anderen Fällen rät er zu stärkerer Zurückhaltung. In einigen wenigen Fällen empfiehlt er, die Lockerungen zurückzunehmen.

Ich wiederhole gern, was ich in der Aktuellen Stunde gesagt habe: Bei 43 von den 56 Patienten wird also der Therapieverlauf ohne Beanstandung beibehalten. Bei neun von ihnen kann sogar noch stärker gelockert werden. 13 von 56 sollen zunächst oder auf längere Sicht in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt werden.

Diese patientenbezogenen Therapieempfehlungen kann ich natürlich nicht veröffentlichen, aber es ist sichergestellt, dass die Erkenntnisse des Gutachtens in die Arbeit der Expertenkommission Eingang finden.

Meine Damen und Herren, Sie dürfen sicher sein, dass all diese Therapieempfehlungen konsequent umgesetzt werden. Das habe ich angeordnet. Das Gutachten bestätigt, dass es richtig und wichtig war, diesen Weg zu gehen. Ich habe ebenfalls angeordnet, dieses Nachbegutachtungsverfahren auf die anderen Maßregelvollzugskliniken auszudehnen. Das läuft bereits.

Meine Damen und Herren! Das alles heißt doch nicht mehr und nicht weniger, als das gesamte Therapiegeschehen im brandenburgischen Maßregelvollzug auf den Prüfstand zu stellen. Auf diesen Prüfstand ist es gekommen.

Jetzt komme ich zur Frage der Sicherheit. Wie Sie wissen, habe ich vor allem mit dem Einsetzen einer unabhängigen Expertenkommission einen Schritt getan, wie er bislang in kaum einem anderen Bundesland gegangen wurde. Hier lässt ein Minister erstmals den gesamten Maßregelvollzug im Land durchleuchten. Die Kommission hat den Auftrag, Aufklärung und Transparenz in die Organisation und die Abläufe im Maßregelvollzug Brandenburgs zu bringen.