Protokoll der Sitzung vom 12.07.2001

Im Übrigen: Ob die Pharmaindustrie, die Pharmahändler und die Apotheker den entstehenden Preisvorteil an die Endverbraucher weitergeben, steht auf einem ganz anderen Blatt. Selbst dann, wenn niedrigere Arzneimittelausgaben die Krankenversicherungen entlasten würden, bedeutete dies nicht zwangsläufig Beitragsstabilität und somit die erstrebenswerten Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger.

(Zustimmendes Klopfen des Abgeordneten von Arnim [CDU])

Die Weitergabe der aus einer solchen Maßnahme resultierenden Umsatzsteuerersparnis an die Krankenkassen und an die Patienten kann weder erzwungen noch kontrolliert werden.

Es ist zutreffend, dass Arzneimittel in anderen Mitgliedsstaaten ermäßigt besteuert werden. Die für die Mehrwertsteuer verbindliche 6. EG-Richtlinie sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor. In diesen Staaten hat allerdings keine Reduzierung des Steuersatzes stattgefunden, sondern der ermäßigte Satz gilt seit eh und je. Das macht eben den großen Unterschied.

Der deutsche Gesetzgeber hat bei der Einführung der Mehrwertsteuer zum 1. Januar 1968 eine Gesamtkonzeption für die Besteuerung des Gesundheitsbereiches entwickelt. Danach kommen Sozialversicherungsträgern und Patienten zahlreiche Vergünstigungen zugute, denen die Besteuerung der Arzneimittel mit dem allgemeinen Steuersatz ausgewogen gegenübersteht. Es ist illusionär anzunehmen, das in Deutschland hohe Niveau der Arzneimittelpreise - beispielsweise im Vergleich zu Spanien zu sparen sei maßgeblich mit dem Steuersatz zu begründen. Die Mehrwertsteuer ist kein verlässliches Instrument zur nachhaltigen Kostendämpfung in diesem Bereich.

Dies zeigt sich auch an aktuellen Beispielen. Vor zwei Jahren haben sich einige EU-Staaten dazu entschieden, an einem Versuch teilzunehmen, für so genannte arbeitsintensive Dienstleistungen den ermäßigten Steuersatz einzuführen. Inzwischen liegen erste Erfahrungen aus den Mitgliedsstaaten vor, die an diesem Experiment teilnehmen. So kritisierte der niederländische Friseurverband ANKU, dass ein Großteil der Friseure die Mehrwertsteuerbegünstigung eben nicht an die Kunden weitergibt. Weitere Beispiele lassen sich mit Sicherheit finden.

Im Ergebnis führt die Steuersenkung nur zu einer Subventionierung der betreffenden Branchen zulasten des Steuerzahlers. Dieses ist nicht nur steuersystematisch falsch, sondern auch sozialpolitisch kontraproduktiv. Fehlentwicklungen lassen sich nur korrigieren, indem ihre Ursachen beseitigt werden. Diese liegen aber nicht auf steuerlichem Gebiet. Deshalb ist der Antrag der PDS abzulehnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort geht an die CDU-Fraktion. Frau Marquardt, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion um die Absenkung der Mehrwertsteuer wird seit vielen Jahren zum Teil in berechtigter Weise geführt, da diese insbesondere die chronisch Kranken belastet. Es handelt sich um eine Summe, die der Bundesregierung bei Verzicht oder Kürzung erhebliche Einnahmeverluste bescheren würde. Dies hat bislang jede Bundesregierung davon abgehalten, eine derartige Regelung auf den Weg zu bringen.

Auch der Gesundheitsausschuss des Bundestages hat sich in den

letzten Monaten - dies haben wir schon in vorigen Ausführungen gehört - zweimal mit dieser Thematik befasst. Letztlich wurde die Diskussion am 27.06. dieses Jahres in unserem zuständigen Ausschuss anlässlich einer Anhörung über die ambulante Versorgung geführt. Mein Fraktionskollege Dr. Wagner hat seine diesbezügliche Auffassung in einer Presseerklärung verdeutlicht.

Wir müssen diese Problematik aber auch vor dem Hintergrund diskutieren, dass in einigen EU-Ländern - auch dies ist bereits mehrfach gesagt worden - gar keine oder eine sehr viel geringere Mehrwertsteuer auf Pharmaka erhoben wird. Insoweit wäre eine Harmonisierung sicher dringend geboten.

Da auch die Bundesgesundheitsministerin ähnliche Gedanken äußert, können wir darauf hoffen, dass wir doch noch zu einer Lösung kommen. Aber es wird schwer sein, dafür den Bundesfinanzminister mit ins Boot zu holen.

Derartige Veränderungen lassen sich jedoch nicht im Schnellverfahren umsetzen, sondern bedürfen einer umfassenden Diskussion; denn letztlich müssten die Einnahmedefizite, die sich aus einer Absenkung des Mehrwertsteuersatzes ergäben, an anderer Stelle in irgendeiner Form ausgeglichen werden. Daher sollte der Antrag abgelehnt werden.

(Beifall bei CDU und SPD)

Wir kommen noch einmal zum Antragsteller. Frau Abgeordnete Birkholz, bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte schon betont, dass Finanzminister von Amts wegen etwas gegen Steuersenkungen haben. In der Praxis läuft die Diskussion dann meist so, dass über Vorschläge diskutiert wird, wie die Einnahmeausfälle an anderer Stelle wieder ausgeglichen werden. Die PDS hat - das wird ja gern unterschlagen - eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, wie man die öffentlichen Einnahmen verbessern kann. Ich nenne nur eine erhöhte Mehrwertsteuer auf Luxusgüter, die höhere Besteuerung von Spekulationsgewinnen und die konsequente Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Wenn Sie mit dem Antrag also nur wegen der Gegenfinanzierung Probleme haben, dann wäre eigentlich mit einer Ausschussüberweisung die Chance gegeben, hier weitere Vorschläge zu diskutieren und Kompromisse zu suchen.

(Beifall bei der PDS)

Ehrlicherweise muss man dazu auch sagen, dass bisher noch kein Finanzminister und noch keine Finanzministerin gezögert haben, wenn es darum ging, der Krankenversicherung Aufgaben und Kosten aufzudrücken, die dort gar nicht hingehören.

Meine Damen und Herren, der Bundesrat hat vor zwei Jahren anlässlich eines Richtlinienvorschlages der EU-Kommission zu

ermäßigten Mehrwertsteuersätzen auf arbeitsintensive Dienstleistungen Stellung genommen. Es ging zwar nicht um Arzneimittel, aber die Argumentation ist schon bemerkenswert. Es heißt dort sinngemäß:

Nach Auffassung des Bundesrates würden durch die Einführung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf arbeitsintensive Dienstleistungen Steuerausfälle in nicht überschaubarer Milliardenhöhe für die Haushalte des Bundes, der Länder und Gemeinden entstehen, die ohne Gegenfinanzierung blieben.

In seiner Stellungnahme vertritt der Bundesrat darüber hinaus die Auffassung, dass neben einer Verletzung des Grundsatzes der Steuerneutralität auch Wettbewerbsverzerrungen zu anderen Mitgliedsstaaten in grenznahen Regionen nicht auszuschließen seien, was im klaren Widerspruch zu den Maßnahmen zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs stünde.

Wenn man dieses Argument konsequent aufgreift, kann es eigentlich nur heißen: Die Mehrwertsteuer für Arzneimittel muss in Deutschland gesenkt werden, da Deutschland in Europa auf diesem Feld eine Ausnahme darstellt.

Meine Damen und Herren, Sie müssen sich schon der Frage stellen und sie beantworten, wie Sie die erforderlichen finanziellen Spielräume bei den Krankenkassen eröffnen wollen, um zum Beispiel die von uns allen gewünschte Verbesserung der ärztlichen Vergütungen lösen zu können. Alles, was bisher an Lösungen in der Diskussion war, ist entweder zurückgestellt oder verschoben oder im Umfang verringert worden, sei es die Anhebung der Ostvergütungen oder die Positivliste. Nur mit Ankündigungen, die dann wieder zurückgenommen werden, wird es nicht gehen, auch nicht allein mit dem Wohnortprinzip. Je länger wir dabei zuschauen, desto unausweichlicher wird dann scheinbar die Lösung, die Finanzierungslasten den Patienten in Form neuer und höherer Selbstbeteiligungen überzuhelfen. Diesen Weg will die PDS nicht gehen. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Damit sind wir am Ende der Rednerliste und kommen zunächst zur Abstimmung über die Überweisung des Antrages an den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen. Wer diesem Überweisungsansinnen folgt, möge die Hand aufheben. Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist die Überweisung mehrheitlich abgelehnt.

Wir kommen dann zur Abstimmung in der Sache. Wer dem Antrag auf Drucksache 3/2999 folgt, möge die Hand aufheben. Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mehrheitlich abgelehnt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 13 und rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Auswirkungen Brandenburger Entscheidungen auf Berlin

Antrag der Fraktion der PDS

Drucksache 3/3000

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der antragstellenden Fraktion. Herr Prof. Bisky, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manchmal gibt es in diesem Hause schon Merkwürdigkeiten. Eigentlich seit Beginn der Wahlperiode versuchen die Koalitionsfraktionen, sich gegenseitig in Forderungen nach einer schnellen Fusion mit Berlin zu überbieten. Vor allem drängen sie die Brandenburger PDS medienwirksam, endlich ein Bekenntnis zur Fusion abzulegen. Welche Schritte aber auf einem Weg zu einer möglichen Fusion notwendigerweise zu gehen sind, in welchem Umfang vor allem die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern zum Nutzen der Berliner und Brandenburger weiter verbessert werden soll, spielt bei SPD und CDU kaum eine Rolle. Alle Versuche seitens der PDS, sich intensiver mit diesem Thema zu beschäftigen, wurden von Ihnen bisher abgeblockt; ich nenne nur das Stichwort Enquetekommission.

(Widerspruch des Abgeordneten Schippel [SPD])

- Ich sage Enquetekommission.

Nun haben Sie anstelle der parlamentarischen Beratung als Instrument die regelmäßigen Beratungen der Fraktionsvorsitzenden von SPD, CDU, PDS und Bündnis 90/Die Grünen aus Berlin und Brandenburg vorgeschlagen. Auch wenn wir uns andere Formen hätten vorstellen können und weiter im Auge haben, hat sich die PDS im Interesse der Schaffung von Vertrauen zwischen Landespolitikern aus Berlin und Brandenburg an diesen Gesprächen beteiligt.

(Homeyer [CDU]: Ein Schelm, der Böses dabei denkt!)

Im Ergebnis wurden Erklärungen verabschiedet, von denen ich annehme, dass die Unterzeichner sie als gemeinsame Geschäftsgrundlage und auch als Grundlage für ihr parlamentarisches Handeln verstanden wissen wollen.

Als ich aber in der vergangenen Woche der Kollegin Blechinger und dem Kollegen Fritsch vorgeschlagen habe, eine Vereinbarung der Erklärung von Fürstenwalde zum Beschluss unseres Landtages zu machen, kniffen die großen Fusionsbefürworter ganz einfach. Übrigens kostete der Beschluss gar nichts.

(Schippel [SPD]: Was nichts kostet, ist nichts wert!)

Eine Fraktion teilte uns schriftlich mit, dass sie im Hinblick auf eine mögliche Fusion der Länder Berlin und Brandenburg erst nach der in Berlin anstehenden Wahl des Abgeordnetenhauses und der Wahl eines neuen Senats Handlungsbedarf in der Sache sehe.

Ich muss Ihnen sagen, dass ich manchmal die Welt nicht ganz begreife. Ich habe ja nicht vorgeschlagen, hier und heute die

Fusion von Berlin und Brandenburg zu beschließen oder sie gar in der nächsten Woche zu vollziehen. Mein Vorschlag für eine gemeinsame Initiative der drei Fraktionsvorsitzenden, der Ihnen jetzt als Antrag der Fraktion der PDS vorliegt, enthält als zentralen Punkt die Aufforderung an die Landesregierung,

„... künftig bei allen Gesetzgebungsvorhaben sowie bei ihren sonstigen Vorhaben die Auswirkungen auf Berlin aufzuzeigen und insbesondere die Auswirkungen auf die Kooperationen beider Länder auf dem Weg zu einem möglichen gemeinsamen Land zu bewerten... Gesetzliche und anderweitige Regelungen innerhalb der gemeinsamen Region sind zu harmonisieren. Grundsätzlich soll vermieden werden, dass Brandenburger Regelungen bewusst gegen Interessen Berlins verstoßen.”

Damit knüpfte ich unmittelbar an den Text der Presseerklärung an, den die Fraktionsvorsitzenden am 30. Mai im brandenburgischen Fürstenwalde gemeinsam verabschiedet haben, allerdings mit einer Ergänzung: Es wurde nicht nur ein Auftrag an die Landesregierung formuliert, sondern wir schlagen Ihnen auch vor, dass sich der Landtag selbst bindet. Der Landtag muss die Interessen Berlins in seine Entscheidungsfindung einbeziehen. Das kostet nichts und ist kein unsittlicher Antrag.

(Klein [SPD]: In gewisser Weise schon!)

Was das mit der Frage zu tun hat, ob sich die politischen Mehrheiten im Brandenburger Landtag und im Abgeordnetenhaus irgendwann einmal für oder gegen eine Fusion entscheiden, müssen Sie den Bürgerinnen und Bürgern in Brandenburg und Berlin einmal erklären.

Waren wir uns nicht schon einmal einig, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Land Brandenburg und der in seiner Mitte liegenden deutschen Hauptstadt notwendig ist, und zwar unabhängig davon, ob es bis 2009 eine Fusion beider Länder gibt oder nicht? Die Frage aller Fragen ist doch schließlich: Wollen Sie als Parlamentarier etwas dafür tun, dass die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg eine andere Qualität erhält, oder wollen Sie sich weiter darauf beschränken, den wohlklingenden Versprechungen von Landesregierungen, wie wir sie gestern gerade erst wieder aus dem Munde des Berliner und des Brandenburger Regierungschefs hörten, zu vertrauen? Soll das öffentliche Gezänk über Sachfragen so weitergehen wie bisher?

Beide Regierungen schaffen es immer wieder, in der Öffentlichkeit zu dokumentieren, wie der erreichte Grad der Zusammenarbeit ist. Nehmen wir zum Beispiel den aktuellen Krematoriumsstreit zwischen Berlin und Brandenburg. Müssen wir uns wirklich auch noch um die Toten lauthals streiten?, frage ich.