Protokoll der Sitzung vom 24.10.2001

(Zuruf des Abgeordneten Schippel [SPD])

wo noch jeder das fast uneingeschränkte Recht hat, sich darzustellen, seine Meinung kundzutun oder was auch immer. Dieses einzig freie Medium wollen Sie jetzt im weitesten Sinne auch noch zensieren. Doch das wird Ihnen nicht gelingen. Ich nehme stark an, wenn Sie ein klein wenig nachdenken, dann wissen Sie auch, warum das in absehbarer Zeit nicht möglich sein wird. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke der Frau Abgeordneten Fechner. - Das Wort hat jetzt die Landesregierung, Herr Minister Reiche.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Dass ein Düsenjet mit wenigen Handgriffen zu lenken ist, kann jeder Computerbesitzer mit handelsüblichen Simulationsprogrammen feststellen und üben. Zusatzprogramme ahmen die Cockpits moderner Jets bis auf den letzten Schalter nach. Sämtliche Steuerungs- und Navigationscomputer funktionieren am Bildschirm verblüffend realitätsnah. Minutiös werden Starts und Landungen demonstriert.

Solche Anleitungen und Internetadressen zum Herunterladen von Simulationsspielen fanden Ermittler in Boston in dem zurückgelassenen Gepäck von verdächtigen Arabern, unter ihnen ein Pilot.

Am Internet erleben wir wie an keinem anderen Medium, wie dicht Gebrauch und menschenverachtender Missbrauch, wie eng nützliche und strafbare Inhalte beieinander liegen können. Aber noch immer gilt die alte Weisheit des Kirchenvaters Thomas von Aquin „abusus non tollit usum”, dass der Missbrauch, der möglich ist, den Gebrauch nicht aufhebt.

Beim Internet haben wir eine bisher noch nie vorhandene Dynamik kennen gelernt. 70 Jahre hat es gebraucht, bis sich der Fortschritt von der Erfindung von Bell, nämlich des Telefons, bis zu 50 Millionen Nutzern entwickelt hat. 30 Jahre hat es gebraucht von der Erfindung des Fernsehens bis zu 50 Millionen Nutzern. Aber nur fünf Jahre hat es gebraucht, bis das Internet 50 Millionen Nutzer hatte.

Das Internet selbst ist wertfrei, kennt keine Moral. Der Nutzer bestimmt, welche Inhalte er aus den mittlerweile rund vier Milliarden Homepages abruft, und er bestimmt, wie er damit umgeht und was er daraus macht.

Kinder und Jugendliche wachsen ganz selbstverständlich mit der neuen Technik auf. Sie haben zum Teil eine große technische Kompetenz, aber - das muss man auch ganz deutlich herausstellen - sie haben noch nicht die soziale Kompetenz, das alles zu verkraften, was sie sich anschauen können und was da auf sie einströmt.

Übrigens ist da all denen zu widersprechen, die auch dies wieder nutzen oder genutzt haben, um die geringeren Kompetenzen der Lehrer an der Stelle zu beschreiben. Natürlich sind die Kompetenzen der erwachsenen Lehrer nicht besser als die der anderen erwachsenen Gesellschaft. Aber dies ist eine Chance auch für moderne Schule, dass man eben miteinander lernt, voneinander lernt. Die junge Generation lernt diese vierte Kulturtechnik ganz selbstverständlich.

Wir müssen diese Jugendlichen, wir müssen ihre Eltern, wir müssen alle, die sie begleiten, betreuen, fördern und fordern, sensibilisieren für gefährdende, beeinträchtigende sozial-ethisch desorientierende Angebote. Wir müssen sie für den Jugendmedienschutz gewinnen, wenn wir nicht zulassen wollen, dass Raubbau an ihren Seelen betrieben wird. Und gerade das kann sich eine Gesellschaft in keinem Fall leisten.

Gerade weil das Internet ein für die Gesellschaft so wichtiges Medium ist, ist es mir außerordentlich wichtig, dass wir uns sachlich mit den problematischen Aspekten der Internetnutzung auseinander setzen.

Frau Große, uns ging es ja gerade, um die von Ihnen zu Recht geforderte Chancengleichheit zu gewährleisten, darum, mit einem im bundesweiten Vergleich einzigartigen Programm, mit den 100 Millionen DM für m.a.u.s., wenigstens in den Schulen, weil es eben leider nicht in den Elternhäusern überall geboten werden kann, den Jugendlichen diesen ganz normalen Umgang zu gewährleisten. Insofern muss man beides tun. Man darf nicht das eine tun und das andere lassen.

Jugendmedienschutz heißt, den Missbrauch zu thematisieren, Akteure, Anbieter und Nutzer auf mögliche Gefahren und Risiken hinzuweisen, Gefährdungspotenziale einzugrenzen, über Medien wirkungsvoll zu informieren, Kinder, Jugendliche und Eltern auf mögliche Gefährdungen und Beeinträchtigungen hinzuweisen und sie über den Umgang mit problematischen Angeboten zu sensibilisieren, um dann auch im Zusammenwirken von freiwilliger Selbstkontrolle, staatlicher Aufsicht und Entwicklung sowie Stärkung von Medienkompetenz funktionierende und effektive Strukturen zu schaffen.

Ich werde mich mit Nachdruck dafür einsetzen, dass der Jugendmedienschutz im Blick staatlichen Handelns bleibt, und mich ebenso dafür einsetzen, dass Projekte, die die Medienkompetenz stärken, gefördert werden und dass dabei Kinder, Jugendliche, Eltern, Lehrer und Multiplikatoren auch als Zielgruppe im Auge behalten werden. Kinder und Jugendliche unterstehen unserem besonderen Schutz. Deshalb bin ich Ihnen dankbar, dass Sie, Frau Große, vermerkt haben, dass wir hier mit der zweiten großen Veranstaltung voll im Interesse dieses Antrages liegen, und freue mich mit Ihnen auf die Diskussion in den zuständigen Ausschüssen. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU sowie vereinzelt bei der PDS)

Ich danke Herrn Minister Reiche. - Wir sind am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt angekommen und kommen zur Abstimmung. Die Fraktion der PDS beantragt, die Drucksache 3/3306 an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport - federführend -, an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen, an den Ausschuss für Inneres und an den Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kultur zu überweisen. Wer diesem Überweisungsantrag folgt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist mehrheitlich so beschlossen worden.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 13 und rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Verfassungsgerichtliche Verfahren 1 BvF 1/96, 1 BvR 1697/96, 1 BvR 1718/96, 1 BvR 1783/96 und 1 BvR 1412/97

Antrag des Präsidenten des Landtages

Drucksache 3/3444

Weiterhin liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS in Drucksache 3/3465 vor.

Ich eröffne die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt und erteile der Fraktion der PDS, Herrn Abgeordneten Vietze, das Wort, da der Antragsteller auf eine zusätzliche Begründung verzichtet hat.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine gemeinsame Wertevermittlung und Werteerziehung für alle Schülerinnen und Schüler, die Entwicklung von Dialogfähigkeit und Toleranz in einem Unterrichtsfach wird in der demokratisch und pluralistisch strukturierten Gesellschaft und von allen auch angesichts der jüngsten bedrohlichen Entwicklung, nicht nur von uns, als wichtig erachtet.

Das Lehrfach LER, also Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde, ist eine große bildungspolitische Errungenschaft, die nicht nur zu bewahren, sondern, da es ein Unterrichtsfach ist, welches sich im Aufbau befindet, auch zielgerichtet auszubauen ist. Ich finde, dies verdient deshalb hervorgehoben zu werden, weil diese bildungspolitische Errungenschaft mit dem engagierten Wirken von Abgeordneten seit der 1. Legislaturperiode verbunden ist. Frau Birthler war eine Initiatorin dieses Unterrichtsfachs. Ich kann mich an viele Streitgespräche im Verfassungsausschuss in der 2. Legislaturperiode erinnern, nach denen dann das Schulgesetz mit absoluter Mehrheit durch die SPD im Land Brandenburg in Kraft gesetzt wurde. Es ist sozusagen ein Herzensanliegen, hat unlängst ein Landesvorsitzender geschrieben. Ich finde, das muss es auch sein, denn es ist wichtig und richtig, dass man sich auch hinsichtlich dieses Sachverhaltes so engagiert.

Das Grundgesetz und die Verfassung des Landes Brandenburg ermöglichen eine gesetzliche Regelung, wie sie im Brandenburgischen Schulgesetz für das Pflichtfach LER vorgesehen ist. Zugleich regelt der § 9 des Brandenburgischen Schulgesetzes dezidiert das Recht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, den Religionsunterricht im Rahmen der Schulen durchzuführen. Es gibt diesbezüglich weitgehende Regelungen. Selbst die Verfassungsrechtler und Verfassungsrichter, die uns ihren Standpunkt übermittelt haben, kommen nicht umhin festzustellen, dass in Brandenburg über das Maß jener Länder hinaus, in denen Religionsunterricht Pflichtfach ist, die finanzielle Absicherung erfolgt. Das ist nicht zu kritisieren. Es ist bisher bei den Haushaltsentscheidungen immer gemeinsam erklärter Wille gewesen und demzufolge auch sicherlich eine wichtige Voraussetzung für zu führende Gespräche.

Trotzdem ist es notwendig, die sachliche Feststellung zu treffen, weil in den letzten Tagen auch anderes zu lesen war, zum Beispiel, dass nicht die PDS dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat, um möglicherweise Koalitionskonflikte zu schüren: Es gibt zu dem Brandenburgischen Schulgesetz mehrere Klagen und Verfassungsbeschwerden der Bundestagsfraktion der CDU, der evangelischen und katholischen Kirche sowie die Verfassungsbeschwerden von Eltern. Ziel der Kläger ist es, das Bundesverfassungsgericht möge feststellen, dass das Brandenburgische Schulgesetz, soweit die öffentlichen Schulen dem Religionsunterricht die Anerkennung als ordentliches Lehrfach versagen, mit dem Grundgesetz unvereinbar ist.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Aber natürlich.

Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Vietze, Ihr Antrag entspricht in etwa dem Beschluss des SPD-Parteitages in Eisenhüttenstadt. Insofern kann man für den Antrag eigentlich dankbar sein.

Stellen Sie bitte eine Frage!

Die Frage dazu: Haben Sie diesen Antrag gestellt, weil Sie den Beschluss des SPD-Landesparteitages kennen oder obwohl Sie den Beschluss kennen?

Erstens kenne ich den Beschluss des SPD-Landesparteitages, aber dass sich das Bundesverfassungsgericht an alle Abgeordneten gewandt hat, um eine Position abzugeben, ob es möglicherweise einen außergerichtlichen Vergleich gibt, ist völlig unabhängig, nehme ich an, von einem Parteitag der SPD geschehen. Insofern muss ich natürlich auch sagen, dass die Beschlussfassung von SPD-Parteitagen auch für die Opposition außerordentlich interessant ist. Aber wer die Wahlsendung mit Herrn Fritsch in der letzten Woche gesehen hat, der weiß auch, dass es für die Abgeordneten nichts Bindendes gibt, was dort beschlossen wurde. Insofern ist es ab und zu ganz günstig, einmal ein bisschen nachzuhelfen, um die Beschlussfassung zu gewährleisten.

(Beifall bei der PDS)

Ich komme zum Thema zurück, was sehr wichtig ist. Ich glaube, nicht nur die Abgeordneten unserer Fraktion, sondern möglicherweise auch die der SPD, vielleicht auch Minister und die Landesregierung sowie die Prozessbevollmächtigten haben ein herausgehobenes Interesse an einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes.

Diese Erwartungshaltung ist verständlich, weil ja angestrebt wird festzustellen, das Brandenburger Schulgesetz sei in einer wichtigen Frage nicht grundgesetzkonform. Es wäre also schon wichtig, wenn das Bundesverfassungsgericht entscheiden würde: Ist dem so oder ist dem nicht so?

Die rechtlichen Auffassungen dazu sind gegensätzlich und damit ist natürlich die Möglichkeit für einen gerichtlichen Vergleich nicht gegeben. Nun wird vorgeschlagen - das ist das Anliegen des Antrags des Präsidenten des Landtags -, dennoch in Gespräche einzutreten. Dazu sagen wir klar und deutlich: Wir

verschließen uns einem solchen Gespräch nicht. - Da der Landtag Prozessbeteiligter ist, sagen wir aber auch: Wir sollten nicht nur die Entscheidung über die Gesprächsteilnahme treffen; unserer Auffassung nach ist der Landtag zugleich auch die Instanz, die dazu berufen ist zu sagen, worüber geredet werden sollte, was der Spielraum für dieses Gespräch ist und wo die Grenzen für die Entscheidungsmöglichkeiten der Vertreter, der Verfahrensbevollmächtigten sind.

Wir sagen klar und deutlich - das zu formulieren ist auch das Anliegen unseres Entschließungsantrags -: LER ist Unterrichtsfach für alle, Religionsunterricht ein Angebot für alle, die dieses Fach in Anspruch nehmen wollen. - Weiter gehende Rechte müssen diskutiert werden, können ihren Niederschlag in einem Staat-Kirchen-Vertrag finden.

Also: Wir sind offen für ein Gespräch. Die Grenzen sind für uns aber klar gezogen: Es kann keinen Verzicht auf LER als Pflichtfach geben, weil bei der Alternative, Religion als Wahlpflichtfach, das ursächliche Anliegen, eine gemeinsame Wertevermittlung und -erziehung, unmöglich gemacht wird. Unser Entschließungsantrag beinhaltet nicht mehr und nicht weniger als das Bekenntnis zum Brandenburgischen Schulgesetz.

Herr Abgeordneter, da jeder den Entschließungsantrag kennt...

Ich komme auch nicht zum Inhalt, Herr Präsident.

Kommen Sie bitte zum Schluss!

Ich komme zu meinem letzten Satz. - Meine Damen und Herren, wir setzen niemanden unter Druck,

(Zuruf von der CDU: Nicht mehr!)

es sei denn, Sie fühlen sich schon unter Druck gesetzt, wenn wir eine namentliche Abstimmung beantragen oder wenn Sie die von Ihnen, Kolleginnen und Kollegen der SPD, eingebrachten Regelungen des Brandenburgischen Schulgesetzes, die inzwischen Gesetzeskraft haben, vertreten müssen. Das aber ist unsere Aufgabe. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke dem Abgeordneten Vietze. - Ich gebe das Wort der Fraktion der SPD, Herrn Abgeordneten Fritsch.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben als Landtag heute die Frage zu beantworten: Wollen wir eine außergerichtliche Verständigung versuchen oder nicht? Das ist die Frage und nur die soll heute beantwortet werden.