Ich eröffne die Aussprache und gebe der einreichenden Fraktion das Wort. Frau Abgeordnete Birkholz, bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahre 2001 hat die Bundesregierung unter dem Titel „Lebenslagen in Deutschland” erstmals einen Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt. Bemerkenswert daran ist zunächst die Tatsache, dass es einen solchen Bericht überhaupt gibt. Die konservativ geführte Vorgängerregierung hatte sich bekanntlich eher auf das Aussitzen von Problemen und das Ausblenden der sozialen Wirklichkeit spezialisiert. Obwohl sie mit ihrer Unterschrift unter das Abschlussdokument des Weltsozialgipfels von Kopenhagen 1995 die Verpflichtung abgegeben hatte, einen nationalen Armutsbericht zu erstellen, bedurfte es erst eines Regierungswechsels sowie außerparlamentarischen Drucks von Verbänden und Kirchen, ehe diese Verpflichtung eingelöst wurde.
Im ersten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wird zu Recht betont, dass eine genaue Analyse der sozialen Wirklichkeit in Deutschland notwendig sei, um Armut zielgenauer entgegenwirken und gesellschaftspolitische Reformmaßnahmen zur Stärkung sozialer Gerechtigkeit und gleicher Chancen für die Menschen ergreifen zu können. Ausdrückliches Anliegen ist eine systematische Berichterstattung, die Armut nicht einfach als ein Segment der verschiedenen Gebiete der Sozialpolitik betrachtet, sondern sich mit Ausgrenzungsphänomenen befasst, Problemlagen aufzeigt und Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Überwindung von Armutslagen und sozialer Ausgrenzung initiiert.
Spätestens mit dem Sozialwort der beiden großen Kirchen aus dem Jahre 1997 steht die Forderung im Raum, nicht nur Armut, sondern auch Reichtum zum Thema der politischen Debatte zu machen. Dabei geht es keineswegs darum, Neiddiskussionen zu befördern. Ziel muss es vielmehr sein, die soziale Verpflichtung des Eigentums, wie sie auch Gebot der Verfassung ist, im Auge zu behalten. Die Ungleichheit der Einkommen hat sich langfristig verstärkt. Die Polarisierung zwischen Arm und Reich wächst. Damit werden Chancengleichheit und gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in zunehmendem Maße infrage gestellt. Ohne die Begrenzung von Reichtum lässt sich Armut nicht wirksam bekämpfen.
Meine Damen und Herren, man kommt sicherlich nicht umhin, im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung auch die politische Wahrnehmung dieser Bundesregierung und insbesondere die Selbstdarstellung ihrer eigenen politischen Leistungen aufmerksam zur Kenntnis zu nehmen. Die Einschätzung des Berichts, dass sich die positiven Wirkungen ihrer Politik immer mehr herauskristallisierten, die wirtschaftliche Lage stabil sei und die Arbeitslosigkeit sinke, hat sich als reiner Zweck
optimismus erwiesen. Insbesondere in Bezug auf die zentrale Frage der Arbeitslosigkeit stehen wir inzwischen vor einer ähnlichen Situation wie 1998. Den damaligen Stand von 4,3 Millionen Arbeitslosen bewertet der Bericht der Bundesregierung als dramatisch. Experten erwarten für dieses Jahr eine ähnliche oder sogar noch darüber liegende Zahl. Die von der Bundesregierung beklagte Entwicklung der Zunahme sozialer Ausgrenzung und der abnehmenden Verteilungsgerechtigkeit hat sich mit dem Regierungswechsel von 1998 keineswegs umgekehrt.
Meine Damen und Herren, auch im Land Brandenburg ist die Diskussion um einen Armutsbericht nicht neu. Die Landesregierung hat sich bisher lediglich zu einer Berichterstattung über einzelne Aspekte und Lebenssituationen bestimmter Bevölkerungsgruppen durchringen können. Ich bin durchaus der Auffassung, dass in diesem Rahmen inzwischen auch Analysen vorliegen, die zur Diskussion und Entwicklung von Maßnahmen gegen Ausgrenzung und Unterversorgung herausfordern. Als Beispiel erwähne ich die Berichte über die soziale Situation und die Gesundheit von Schulanfängern bzw. Jugendlichen.
Allerdings wird auch deutlich, dass dies eine systematische Berichterstattung unter dem Blickwinkel von Armut und Reichtum und die Entwicklung entsprechender Strategien nicht ersetzen kann. Insbesondere in Bezug auf die Einkommensdynamik im Niedriglohnbereich, die Lebenslagen von Familien mit Kindern sowie den Einkommensreichtum und eine Vermögensanalyse sind Informationsdefizite festzustellen. Vor allem aber fehlen Schlussfolgerungen für eine aktive Politik der Armutsbekämpfung auf Landesebene.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion beantragt die Überweisung des Antrags „Brandenburger Armuts- und Reichtumsbericht” an den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen. Dies bietet Gelegenheit, auch anhand des Berichts der Bundesregierung über die detaillierte Konzeption des Berichts, über die Beteiligung von Betroffeneninitiativen und Verbänden an einem Beratungsprozess in allen wichtigen Phasen der Berichterstellung sowie über weitere Fragen gründlich zu diskutieren. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Birkholz, und gebe das Wort an die Fraktion der SPD. Bitte, Frau Abgeordnete Redepenning.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nichts muss die Demokratie mehr fürchten als fehlende Demokraten, Menschen, die sich aus Enttäuschung abgewandt haben, weil sie den geistigen und materiellen Wohlstand, der sie umgibt, zwar wahrnehmen, die sich bei ihren Bemühungen, daran teilzuhaben, aber im Stich gelassen fühlen. Es ist deshalb in einer pluralistischen Gesellschaft wie der unseren eine der wichtigsten Aufgaben von Politik, die Anstrengungen darauf zu konzentrieren, den einen die Möglichkeit zu eröffnen, Bildung und Einkommen zu erwerben sowie Vermögen aufzubauen, ohne die anderen zu hindern, ihren Wohlstand zu erhalten. Eine ausgewogene Einkommens- und Vermögensstruktur vermeidet So
zialneid und trägt zu einem spannungsfreien Verhältnis zwischen den verschiedenen Sozialgruppen bei. Armut und soziale Ausgrenzung hingegen führen zur Spaltung und erhöhen das Risiko der Radikalisierung der betroffenen Schichten.
Der 1. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung liefert als Gesamtschau der sozialen Wirklichkeit in Deutschland umfangreiches Datenmaterial zur Analyse von Armut und Reichtum, soweit dies auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse überhaupt möglich ist. Er nennt die Armutsrisiken und gibt Handlungsempfehlungen zu ihrer Vermeidung.
Einen solchen Bericht fordert nun die PDS für Brandenburg. Sein Zweck erschließt sich mir gleich aus mehreren Gründen nicht.
Erstens: Wozu brauchen wir einen Bericht, dessen Ergebnisse schon vorliegen? Arm zu sein bedeutet, über so geringe Mittel zu verfügen, dass man von der allgemein üblichen Lebensweise ausgeschlossen ist. Dieses Risiko droht laut Bundesbericht bei Arbeitslosigkeit und beim Bezug von Sozialhilfe. Es droht Alleinerziehenden, gering Qualifizierten, Niedriglohnempfängern, Familien mit drei oder mehreren Kindern und Zuwanderern. Sollte es in Brandenburg andere Armutsrisiken geben als diese, die mit anderen Mitteln bekämpft werden müssten, wäre ein landesspezifischer Bericht möglicherweise sinnvoll.
Zweitens: Haben wir nicht schon einen solchen Bericht in Form der brandenburgischen Sozialindikatoren? Die von der PDS als unzureichend charakterisierte Analyse der sozialen Lage im Land ist alles andere als das. Ihre Systeme sozialer Indikatoren geben einen umfangreichen Überblick über die grundlegenden sozialpolitischen Daten Brandenburgs und sind immer noch gut genug, um der Regierungskoalition in Mecklenburg-Vorpommern als Orientierungshilfe bei der Erstellung einer eigenen Sozialberichterstattung zu dienen.
Drittens möchte ich die PDS daran erinnern, dass die Sozialindikatoren vor ihrer Veröffentlichung ausgiebig diskutiert wurden. Darüber hinaus lade ich Sie herzlich ein, an der Weiterentwicklung des Indikatorensystems mitzuwirken.
Viertens glaube ich kaum, dass ein Brandenburger Armuts- und Reichtumsbericht in der Lage wäre, die von der PDS geforderte Analyse des Vermögens und des Reichtums im Land zu leisten. Zum einen weist hier schon der Bundesbericht auf die sehr begrenzte Datenlage hin. Zum anderen steht der Datenschutz diesem Vorhaben in nicht unerheblichem Maße im Wege.
Meine Damen und Herren, es gibt in Brandenburg ein umfangreiches Berichterstattungswesen zur sozialen Struktur der Bevölkerung. Neben den Sozialindikatoren liefern auch der Arbeitsmarktbericht und die regelmäßigen Erhebungen zur sozialen Lage und Gesundheit von jungen Menschen wichtige Erkenntnisse. Diese sollten genutzt werden, um Methoden und Instrumente zu entwickeln und zu modifizieren mit dem Ziel, der Armut im Land zu begegnen.
Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Redepenning, und gebe das Wort an die Fraktion der DVU. Bitte, Frau Abgeordnete Fechner.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem nun die Bundesregierung einen so genannten Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt hat, fordert jetzt auch die PDS von der Landesregierung einen solchen Bericht für das Land Brandenburg.
Frau Redepenning hat begründet, warum ihre Fraktion den Antrag ablehnt. Aus denselben Gründen lehnt auch meine Fraktion den Antrag ab, denn vieles ist auch schon allgemein bekannt und ändern wird sich ohnehin nichts. Demzufolge habe ich meinen Redebeitrag gekürzt.
Eine Frage habe ich aber noch an die Genossen der PDS. Sie schreiben in Ihrer Begründung: Die Vermeidung von Armut und die Begrenzung von Reichtum gehören zu den originären Aufgaben der Landesregierung. - Haben Sie da nicht Ihr Parteiprogramm zitiert? Denn noch ist es im Land Brandenburg so, dass hier jeder so viel Reichtum anhäufen darf, wie er möchte, solange er diesen Reichtum redlich erwirbt. So soll es auch bleiben. - Ich danke.
Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner. - Das Wort geht an die Fraktion der CDU. Bitte, Frau Abgeordnete Schulz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich kann mich kurz fassen. Meine Koalitionskollegin Redepenning hat schon alles Wesentliche vorgetragen.
Erstens nehme ich das durchsichtige Manöver der PDS zur Kenntnis, sich für die nächsten Wahlen zu empfehlen.
Zweitens: Die Definition von „reich” und „arm” bereitet selbst Wissenschaftlern nach wie vor Probleme. Diese Feststellung ist übrigens auch in dem Bundesbericht enthalten.
Drittens: Die Frage der Verhältnismäßigkeit von Aufwand und Nutzen eines solchen Berichts - Frau Kollegin Redepenning ist darauf bereits eingegangen - ist durchaus kritisch zu prüfen. Ich verweise ebenfalls auf den Bericht zu den Sozialindikatoren.
Viertens möchte ich hinzufügen, dass ich für eine Diskussion über eine regelmäßige vernünftige Sozialberichterstattung im Land Brandenburg natürlich zur Verfügung stehe, damit wir die entsprechenden Tendenzen beobachten und unsere Handlungsoptionen daraus ableiten können. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Schulz, und gebe das Wort an die Landesregierung. Herr Minister Ziel, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mir erlaubt, einmal nur das einschlägige Kompendium der von meinem Haus in der letzten Zeit selbst erstellten oder in Auftrag gegebenen Sozialberichterstattung mitzubringen.
Das sind alles Einzelberichte, die natürlich nicht den Armutsund Reichtumsbericht der Bundesregierung ersetzen sollen. Ich halte es für richtig, dass die Bundesregierung nach Jahren einen solchen Bericht vorgelegt hat. Wir alle, die wir hier im Saal anwesend sind - seien es Abgeordnete, seien es Ministerinnen oder Minister -, sind doch angetreten, um etwas gegen Ungerechtigkeit, Armut und Ausgrenzung zu tun. Deshalb halte ich es für wichtig, dass wir darüber sprechen, Schlussfolgerungen ziehen und das entsprechende Handeln einleiten. Ich will mich dem überhaupt nicht entziehen.
Aber vorhin, als es nicht um die Sozialberichterstattung, sondern um das Polizeigesetz ging, war die Forderung zu hören: Untersuchungen, Studien, Berichte, Berichte und nochmals Berichte. Das erinnert an die Situation in der DDR. Dieses Berichtswesen hat uns doch alle kaputtgemacht!
Ein sinnvolles Berichtswesen finden Sie in diesen Unterlagen, die hier mitgebracht habe. Ich nenne sie jetzt nur, weil es zu weit führte, wenn ich im Einzelnen darauf einginge: „Brandenburger Sozialindikatoren - Bevölkerung, Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Einkommen, Bildung, Wohnen, Gesundheit, Behinderung, Pflege”, „Sozialpolitik im Überblick”, „Familien im Mittelpunkt”, „Menschen mit Behinderung”, „Landesaltenbericht”, „Familienbericht des Landes Brandenburg”, „Einschüler in Brandenburg - soziale Lage und Gesundheit”, „Soziale Lage und Gesundheit von jugendlichen Menschen im Land Brandenburg”.
Meine Damen und Herren, Sie sollten mich nicht missverstehen, aber wir sollten wirklich einmal innehalten und überlegen, welches Maß wir tatsächlich wollen. Wer die betreffenden Daten und Fakten erfahren möchte, der findet sie. Deshalb schließe ich mich dem an, was meine Kollegin Redepenning hier schon gesagt hat. - Vielen Dank.
Ich danke Ihnen, Herr Minister Ziel. Damit sind wir am Ende der Aussprache und kommen zur Abstimmung.
Die Fraktion der PDS hat beantragt, den Antrag in der Drucksache 3/3752 an den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen zu überweisen. Wer diesem Überweisungsantrag folgen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist die beantragte Überweisung mehrheitlich abgelehnt worden.
Somit stimmen wir jetzt ab über den Antrag in der Drucksache 3/ 3752 in der Sache. Wer dem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt worden.