Protokoll der Sitzung vom 23.02.2000

Herr Minister Reiche als Minister für Bildung, Jugend und Sport, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau KaiserNicht, es ist richtig, dass es in den nächsten Jahren einen Rückgang der Kinderzahlen gibt. Das führt aber leider nicht zu den entsprechenden Einsparungen bei den Landeszuschüssen. Denn das Problem gestaltet sich derart, dass - da haben Sie Recht - in den nächsten zwei Jahren zwei große vorwendliche

Jahrgänge aus dem System herausgehen. Das sind die Jahrgänge mit 35 000 bzw. 36 000 Kindern, aber die Hortplätze, die wir in Brandenburg anbieten, liegen über DDR-Niveau. Zu DDRZeiten gab es den Hort nur bis zur 4. Klasse, Sie können sich erinnern.

(Zuruf von der PDS: Deshalb waren wir ja ganz stolz.)

Also sind wir besser als in DDR-Zeiten. Der Zwischenruf hat sich bewahrheitet. Aber, Frau Kaiser-Nicht, von diesen beiden vorwendlichen Jahrgängen gingen z. B. nur 9 % der Jahrgangsstufe 6 in den Hort. Das heißt, die Entlastung bringt relativ wenig. Sie bringt etwas, da haben Sie Recht. Aber wir haben wegen der guten Familienpolitik von Alwin Ziel und seiner Vorgängerin und wegen der guten Kinder- und Jugendpolitik eine wachsende Geburtenrate in Brandenburg, weshalb mit einer Nachfrage...

(Zuruf von der PDS - Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Das ist aber fix gegan gen. - Heiterkeit bei der PDS)

- Frau Kaiser-Nicht. ich kann nicht dafür, wenn Sie bei den Fakten lachen müssen. Ich will es Ihnen doch in aller Ruhe erklären. Ich habe gesagt: wegen der guten Politik.

In den Alters- und Jahrgangsstufen 1 und 2, Frau Kaiser-Nicht, haben wir nicht wie in der Jahrgangsstufe 6 eine Nachfrage von 9 %, sondern von 30 bis 40 und teilweise sogar bis 50 %, sodass - schön, dass Sie zustimmen - das, was wir in den jüngeren Jahrgangsstufen wegen gestiegener Geburtenraten an Zuwächsen haben, mehr als überkompensiert und verrechnet wird mit den späteren Jahrgängen, die aus dem System herauswachsen. Also wird ein größeres Minus mit einem schneller wachsenden Plus verrechnet. Das ergibt insgesamt, liebe Frau Kaiser-Nicht, nach Adam Riese etwa null, sodass wir, wenn wir den bisherigen Standard halten wollten, die gleiche Summe in das System geben müssten. Wir sparen nicht in den nächsten Jahren, sondern erst in fünf, sechs oder gar sieben Jahren. Hin zum Jahr 2015 können wir dann einiges sparen. - Vielen Dank.

Ich danke auch. - Hoffentlich glaubt mir mein Enkel später einmal, warum er geboren worden ist.

Wir sind bei der Frage 124 (Anteil der Kommunalbeamten). Prof. Schumann hat Gele genheit, diese Frage zu formulieren.

Innenminister Schönbohm hat sich kürzlich mit der Aufforderung an die Kommunen gewandt, den Anteil der Beamten in den Kommunalverwaltungen zu erhöhen.

Ich frage die Landesregierung, unter welchen Gesichtspunkten sie sich für eine Erhöhung des Beamtenanteils in den Kommunalverwaltungen einsetzt.

Herr Minister Schönbohm. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Prof. Schumann, Artikel 33 Abs. 4 Grundgesetz schreibt vor, dass hoheitliche Aufgaben in der Rege] Beamten zu übertragen sind. Das ist der so genannte Funktionsvorbehalt.

Der Sachverhalt in den Landkreisen stellt sich so dar, dass rund zwei Drittel der Landkreise und kreisfreien Städte zu wenig Laufbahnbeamte beschäftigen. dabei in einigen Bereichen weniger als ein Prozent. Fast alle kreisangehörigen Ämter und hauptamtlich verwalteten Gemeinden beschäftigen ausschließlich den Amtsdirektor oder Bürgermeister im Beamtenverhältnis auf Zeit. Dies ist ein Zusammenhang, auf den mein Vorgänger, Kollege Ziel, auch schon mehrfach hingewiesen hat.

Mittelfristi g sollte angestrebt werden, den Anteil der Beamten an den in diesem Bereich Beschäftigten auf 10 bis 15 % zu erhöhen. Dies entspricht in etwa den Durchschnittssätzen in anderen Bereichen.

Der jetzige Zustand entspricht nicht den Vorgaben des Grundgesetzes. Da das Innenministerium als Kommunalaufsicht die Einhaltung der Rechtsordnung durch die Gemeinden und Ämter zu überwachen hat, haben wir auf diesen Sachverhalt hingewiesen. Wir sind gemäß § 120 Gemeindeordnung verpflichtet, die Einhaltung des Artikels 33 Abs. 4 Grundgesetz zu überwachen. Darum wirken wir auf eine Erhöhung des Beamtenanteils hin. Darauf habe ich die Kommunalverwaltungen hingewiesen, Herr Prof. Schumann.

Ich bedanke mich. - Wir sind damit am Ende der Fragestunde und ich schließe den Tagesordnungspunkt 1.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Die Sorge uni das Kindeswohl - Vereinbarkeit von Familie und Beruf - zur aktuellen Debatte um die Kindertagesstätten

Antrag der Fraktion der CDU

Bevor ich in die Debatte einsteigen lasse, möchte ich den Hinweis darauf geben, dass es eine Vielzahl von Zuschriften zu dieser Problematik gibt, die den Landtag erreicht haben. Ich sehe mich außerstande, im Einzelnen zu antworten. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass alle Zuschriften den Ab geordneten in der Absicht, deren Inhalt bei der Diskussion dieser Problematik zu berücksichtigen, zugänglich gemacht worden sind.

Das Wort geht an die Abgeordnete Frau Blechinger von der beantragenden Fraktion. Bitte sehr!

Thema ist in den letzten Wochen so emotional diskutiert worden wie die beabsichtigten Veränderungen im Kita-Bereich. Es gab Demonstrationen, Protestveranstaltungen. Unterschriftensammlun gen. Protestbriefe. Wir als Abgeordnete bekamen Briefe von Kindern, die noch nicht lesen und schreiben können, die uns aber mitteilten, wie gern sie in die Kita gehen und wie nett ihre Erzieherinnen sind.

Nicht, dass Sie mich missverstehen. Ich habe großes Verständnis dafür, wenn Eltern sich Sorgen wegen möglicher Beeinträchtigungen in der Kinderbetreuung machen. Ich habe auch großes Verständnis dafür, wenn sich Erzieherinnen um ihren Arbeitsplatz sorgen. Ich habe aber kein Verständnis dafür, wenn Parteien und Institutionen Ängste von Eltern schüren, um daraus politisches Kapital zu schlagen oder verloren gegangenes Terrain zurückzuerobern.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich hätte mir gewünscht, dass die GEW in den vergangenen Jahren genauso engagiert gekämpft hätte, als es darum ging, Kürzungen im Bildungsbereich zu verhindern.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind gegenwärtig Zeugen einer Phantomdiskussion.

(Zurufe von der PDS)

Da werden in der Presse Behauptun gen aufgestellt oder von Leuten öffentlich wiedergegeben, das Land wolle die Kitas zerschlagen und die Frauen wieder zurück an den Herd schicken. Eltern würden in die Arbeitslosigkeit gedrängt, weil die Kindergärten nur noch sechs Stunden geöffnet hätten oder für Kleinkinder überhaupt keine Betreuung mehr vorgesehen wäre.

Wenn man dann in Veranstaltungen darüber informiert, dass für Kinder von berufstätigen Eltern keine Einschränkung in der Kinderbetreuung vorgesehen ist, dann stößt man auf Skepsis und Unglauben. Die Eltern können sich nämlich nicht vorstellen, dass sie für politische Zwecke instrumentalisiert wurden.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Deshalb möchte ich an dieser Stelle die genannten Prämissen bei den geplanten Änderungen noch einmal deutlich machen. Bei allen Änderun gen stehen die Interessen der Kinder an erster Stelle. Das Land garantiert die finanziellen Zuschüsse für eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung. die gleichzeitig den Kommunen größere Handlungsspielräume eröffnet.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist weiterhin gewährleistet. Das heißt, auch zukünftig können berufstätige Eltern eine ganztägige Betreuung für ihre Kinder bis zur 6. Schuljahrgangsstufe in Anspruch nehmen. Dies gilt auch, wenn Weiterbildung oder Qualifizierung absolviert werden. Welche Betreuungsangebote in der 5. und 6. Schuljahrgangsstufe angeboten werden, wird vor Ort entschieden.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kein

Auch für die Kinder nicht berufstäti ger Eltern besteht ab dem dritten Lebensjahr bis zur Versetzung in die 5. Klasse weiterhin ein Rechtsanspruch auf Betreuung für sechs Stunden in der Kita und

für vier Stunden im Hort. Dies ist die Mindestbetreuung. Wenn die familiäre Situation eine ganztägige Betreuung erforderlich macht, kann sie auch in Zukunft in Anspruch genommen werden.

Meine Damen und Herren! Dass es erhebliche Unterschiede in den Auffassungen gibt, was im Interesse der Kinder liegt, wird besonders bei der Gruppe der Kinder von null bis drei Jahren deutlich. Denen, die meinen, dass es das höchste Glück eines Kleinstkindes ist, die größte Zeit seiner Wachphase in einer Kita zu verbringen, empfehle ich das Gespräch mit einem Kinderpsychologen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Wenn aber eine Mutter in einem Leserbrief an die _Märkische Oderzeitung" schreibt, dass ihr Sohn nicht geboren worden wäre, wenn sie sich nicht hätte sicher sein können, dass sie für ihn einen Krippenplatz bekommt, dann verschlägt es mir die Sprache. Und wenn Eltern wie in der „Vor Ort"-Sendun g in Frankfurt (Oder) zum Thema Kita frenetisch Beifall klatschen, wenn eine Erzieherin ihnen erzählt, dass die Eltern allein gar nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu erziehen, weil sie keine pädagogischen Fachkräfte sind, dann sehe ich dringenden Handlungsbedarf, aber nicht in der Ausweitung der Krippenerziehung, sondern in der Ausweitung der Hilfen für die Erziehung in der Familie.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Denn das Wichtigste für ein Kleinkind, natürlich auch für ältere Kinder. aber insbesondere für jene im Kleinstkindalter ist die Liebe und Zuwendung der Eltern. In den ersten Jahren wird die emotionale Bindung aufgebaut, ohne die eine gesunde Entwicklung nicht möglich ist und ohne die auch eine Erziehung nicht funktionieren kann. Ohne emotionale Bindung funktioniert keine Erziehung. Das Entwickeln von Beziehungsfähigkeit und Vertrauen, ohne die keine Persönlichkeit bestehen kann, hat viel mit Zeit zu tun, Zeit, die sich die Eltern für ihre Kinder nehmen. Das ist nicht neu und das ist weltumspannend so.

Viele von Ihnen werden das Buch _Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupery kennen, ein Buch voller Lebensklugheit und Gefühlswahrheit. Dort sagt der Fuchs zum kleinen Prinzen:

„Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, sie macht deine Rose so wichtig. Die Menschen haben diese Wahrheit vergessen, aber du darfst sie nicht vergessen, du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast."

Doch zurück zur Kleinkindbetreuung. Manche sind der Auffassung, dass auch die Krippenerzieherinnen den Kindern die Liebe und Zuwendung geben können, die sie brauchen. Wenn das so wäre, wenn also die emotionale Beziehung zur Erzieherin die gleiche Qualität hätte wie die Beziehung zu den Eltern, dann wäre es für das Kind die gleiche Katastrophe. wenn die Erzieherin wechselt, als wenn es seine Mutter oder seinen Vater verlöre. Das kann aber nicht das Ziel sein.

(Beifall bei CDU und SPD)

problematisch für die Kinder der Wechsel von Erzieherinnen ist. Deshalb ist nach unserer Auffassung der ganztägige Aufenthalt von Kleinstkindern in einer Kita keine ideale Lösung. Wir wissen aber, dass es Umstände gibt. die Eltern zwingen, ihre Kinder vor dem dritten Lebensjahr betreuen zu lassen. Deshalb sollten wir eine Betreuungsform stärken, die den genannten Risiken zu begegnen sucht. Die Tagespflege ist eine solche, der familiären Situation eher angenäherte Form. Mehrfach wechselnde Bezugspersonen. wie sie für die Kitas nun einmal typisch und auch nicht zu vermeiden sind, halten wir für Kinder im Alter von null bis zwei Jahren für eher problematisch. Dass über die praktische Umsetzung, über Voraussetzungen und Bedingungen der Einrichtungen der Tagespflege noch gesprochen werden muss, ist selbstverständlich.

Meine Damen und Herren, es geht uns nicht darum. Eltern ein schlechtes Gewissen einzureden. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder das Recht der Frauen auf Berufstätigkeit ist für uns ein hohes Gut, das wir achten. Es liegt wohl auf der Hand. dass es abwegig wäre, gerade von mir etwas anderes zu erwarten. Wer aber Eltern einredet, es sei besser für Kinder, wenn sie den ganzen Tag in der Kita verbringen,

(Zurufe von der PDS)