Protokoll der Sitzung vom 31.03.2004

Dann kommen wir zur Frage 2026 (Denkzettel des Flücht- lingsrats), gestellt vom Abgeordneten Werner.

Der Flüchtlingsrat Brandenburg hat anlässlich des Antirassismus-Tages namentlich benannten Mitarbeitern der Ausländerbehörde des Landkreises Elbe-Elster mit Begleitschreiben einen so genannten Denkzettel für die Planung und Durchsetzung der angeblich unmenschlichen Abschiebung einer fünfköpfigen türkischen Familie verpasst. Dies wird damit begründet, dass sich diese Personen des strukurellen und systemimmanenten Rassismus schuldig gemacht hätten.

Obgleich die Kreisverwaltung nach mir vorliegenden Informationen die Verleihung dieses „Denkzettels“ durch eine einstweilige Anordnung verhindern konnte, frage ich die Landesregierung: Wie ist die Sach- und Rechtslage bezüglich des dem „Denkzettel“ zugrunde liegenden ausländerrechtlichen Einzelfalls?

Herr Innenminister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Werner, die vom Flüchtlingsrat Brandenburg vorgenommene Verleihung des so genannten Denkzettels an zwei Mitarbeiter des Landkreises Elbe-Elster ist auf einen ausländerrechtlichen Einzelfall zurückzuführen. Diese Verleihung ist nicht akzeptabel. Ich möchte Ihnen diesen ausländerrechtlichen Fall einmal vortragen als Beispiel für einen Teil der Probleme, mit denen wir uns auseinander zu setzen haben:

Es geht um ein türkisch-kurdisches Ehepaar, das im Jahr 1996 aus der Osttürkei nach Deutschland eingereist ist und im Jahr 1997 Asylanträge gestellt hat. Auch für die drei in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Kinder wurden Asylanträge gestellt. Alle Anträge wurden vom zuständigen Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgelehnt. Die angestrengten Klagen der Familie blieben erfolglos.

Infolge der unanfechtbaren Ablehnung der Asylanträge war die inzwischen fünfköpfige Familie seit September 2002 vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Der Landrat des Landkreises Elbe-Elster war als zuständige Ausländerbehörde nach den geltenden ausländerrechtlichen Bestimmungen also verpflichtet, die Ausreise der Familie sicherzustellen. Der Landrat beschaffte daher im Januar 2003 für die Familienmitglieder auf einen Monat befristete Passersatzpapiere.

Nachdem der Ende Januar 2003 von der Familie gestellte Antrag auf Wiederaufgreifen des Asylverfahrens seitens des Bundesamtes erneut abgelehnt wurde, entzog sich die Familie der geplanten Abschiebungsmaßnahme am 3. Februar durch Untertauchen. Am 20. Februar 2003 teilte dann der Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Tröblitz dem Landrat mit, dass sich die Familie in der Obhut seiner Kirchengemeinde befinde und in kircheneigenen Räumlichkeiten untergebracht sei. Danach begann auch eine öffentlichkeitswirksame Diskussion um diese Familie.

Da der Landrat aufgrund der Rechtslage jedoch weiterhin gehalten war, die vollziehbare Ausreiseverpflichtung der Familie

durchzusetzen, beantragte er zur Durchsetzung der Abschiebung die gerichtliche Anordnung von Abschiebungshaft. Auf der Grundlage des Gerichtsbeschlusses wurden die Eheleute in die Abschiebungshafteinrichtung verbracht und die drei Kinder in die Obhut des Jugendamtes gegeben.

(Zuruf der Abgeordneten Wolff-Molorciuc [PDS])

Zur Einholung von Gutachten zum Gesundheitszustand der Eheleute sprach der Landrat im Folgenden nochmals Duldung aus. Die fachärztlichen Gutachten, die daraufhin eingeholt wurden, bestätigten unter der Voraussetzung einer getrennten und begleitenden Rückführungsmaßnahme die Reise- und Flugtauglichkeit aller fünf Familienangehörigen. Der durch den Landrat hinzugezogene Amtsarzt bestätigte dieses Ergebnis. Daraufhin wurden vom Landrat des Elbe-Elster-Kreises die Möglichkeiten der Durchführung einer Rückführung geprüft.

Da der Ehemann und dreifache Kindesvater in der Vergangenheit wiederholt damit gedroht hatte, im Falle einer Abschiebung sich und seinen Kindern etwas anzutun, musste er als gewalttätig eingeschätzt werden. Daher hat der Landrat die Polizei um Hilfe gebeten, damit die geplante Abschiebung vorgenommen werden konnte. Die Polizei hat den Ehemann und Vater am 20. Januar außerhalb des Asylbewerberheims aufgegriffen und auf der Grundlage eines richterlichen Beschlusses in Gewahrsam genommen.

(Zuruf von der PDS)

- Ja, Sie müssen doch wissen, wie kompliziert das ist und wie sorgfältig die Behörden arbeiten. Ich weiß, bisweilen tut es Ihnen weh, dass das Recht mehr hergibt als Ihr Sachverstand. Aber in Ordnung.

(Zurufe von der PDS)

- Ich bin gleich fertig. Sie brauchen nur noch einen Augenblick zuzuhören.

Die zur Ausreise verpflichtete Familie wurde sodann getrennt nach Familienmitgliedern zum Flughafen Bremen gefahren und dort dem Bundesgrenzschutz übergeben.

Ein erneuter Antrag der Familie, den Landrat im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, die Durchführung der Abschiebung zu untersagen und der Familie Duldung zu erteilen, hat das Verwaltungsgericht noch in derselben Nacht, in der der Antrag gestellt wurde, abgelehnt. Daraufhin ist die Familie entsprechend zurückgeführt worden.

Von daher gesehen, meine Damen und Herren, bestand für den Landrat des Kreises Elbe-Elster aufgrund der bestehenden Rechtslage gar keine andere Möglichkeit als die, so zu handeln, wie er gehandelt hat.

Ich möchte in aller Schärfe zurückweisen, dass solche „Denkzettel" vergeben und Mitarbeiter einer Ausländerbehörde in dieser Art und Weise diffamiert werden. Wenn woanders Mitarbeiter so diffamiert würden, stünden Sie alle auf den Barrikaden. Es kann nicht sein, dass Mitarbeiter unserer Ausländerbehörden, die ihre Aufgaben unter schwierigsten rechtlichen wie menschlichen Bedingungen wahrnehmen, in dieser Art und

Weise diffamiert werden. Ich wäre dankbar, wenn Sie dieses Anliegen unterstützten.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte von dieser Stelle aus allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ausländerbehörden ausdrücklich dafür danken, dass Sie unter diesen schwierigen Bedingungen ihre Aufgaben wahrnehmen. Ich würde mich freuen, wenn Sie dieses ebenfalls unterstützen könnten.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind bei der Frage 2027 (Haltung der Landesregierung zur Zukunft der öffentlichen Daseinsvorsorge), gestellt von der Abgeordneten Stobrawa. Bitte.

Vor einigen Wochen wurde in Brüssel der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt vorgelegt. Dazu steht nunmehr die Entscheidung im Bundesrat an. Hinter dem scheinbar komplizierten Titel verbirgt sich eine auch für die Brandenburger Kommunen und ihre Unternehmen entscheidende Frage, nämlich die Frage danach, welche rechtlichen Möglichkeiten sie bei der Erbringung von Dienstleistungen für die Einwohnerinnen und Einwohner ihrer Kreise und Gemeinden künftig haben werden. Zudem kann der Richtlinienentwurf erhebliche Auswirkungen auf Zehntausende von Beschäftigten vor allem in kommunalen Unternehmen unseres Landes haben. In einer Veranstaltung des DGB Berlin-Brandenburg wurde dieser Richtlinienentwurf deshalb kürzlich als offensichtliches „Dynamit“ bezeichnet.

Angesichts dessen frage ich die Landesregierung: Mit welcher Position wird sie in die Verhandlungen des Bundesrates zum Vorschlag für eine Richtlinie für Dienstleistungen im Binnenmarkt gehen?

Herr Innenminister, Sie haben erneut das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Stobrawa, mit der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt wird ein anspruchsvolles Ziel formuliert, welches Gegenstand eines äußerst schwierigen und auch langwierigen Verfahrens ist. Die Richtlinie geht weit über die öffentliche Daseinsvorsorge hinaus. Ich bin sicher, dass sie uns auch noch in den verschiedenen Ausschüssen hier beschäftigen wird.

Der Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge bzw. der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse spielt dabei eine nur untergeordnete Rolle.

Ich möchte ganz kurz einige Gedanken aus der Begründung dieser Novelle vortragen.

Dienstleistungen sind heute ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Sie generieren fast 70 % des Bruttoinlandsprodukts und der Beschäftigten.

Es wird des Weiteren festgestellt, dass ein wesentliches Wachstumspotenzial besteht, welches aufgrund der zahlreichen bestehenden Hemmnisse bisher nicht ausgeschöpft werden kann. Dabei werden der freie Dienstleistungsverkehr, die Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringungen und ähnliche Fragen angesprochen.

Der Abbau dieser Hemmnisse zum Verbessern der Wettbewerbsfähigkeit ist das Ziel dieser Richtlinie. Der Bereich der kommunalen Dienste, wie Sie ihn angesprochen haben, ist weder direkt noch indirekt Gegenstand der beabsichtigten Regelung.

Der Umgang der Europäischen Union mit der Förderung der Bereitstellung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse ist ebenso wenig wie die Öffnung des Dienstleistungsbereichs für den Wettbewerb Gegenstand des vorliegenden Vorschlags.

Da jedoch nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Regelungen Auswirkungen haben, wie Sie sie vermuten, haben wir im Bundesrat gemeinsam mit anderen Bundesländern, zum Beispiel Bayern und Nordrhein-Westfalen, eine Stellungnahme zu diesem Entwurf abgegeben, aus der ich einige wenige Elemente nennen möchte.

Wir weisen darauf hin: Die Erleichterung der Ausübung der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern in den Mitgliedsstaaten und der freie Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten sollten gefördert werden.

Wir weisen auf die Feststellung hin, dass Regelungen der Daseinsvorsorge, zum Beispiel Festsetzen und Ausüben eines Anschluss- und Benutzungszwanges, grundsätzlich Sache der Mitgliedsstaaten sind - es bleibt also innerhalb der nationalen Regelungskompetenz - und dass die Richtlinie die Erbringung von Dienstleistungen durch die lokalen Gebietskörperschaften wie Gemeinden oder Landkreise nicht erfasst, da die Betätigung gemeindlicher Unternehmen nach dem Örtlichkeitsprinzip grundsätzlich auf das Gemeindegebiet beschränkt ist.

Damit ist, so meine ich, erkennbar, wohin wir wollen. Wir wollen durch Wettbewerbsfähigkeit die Dynamik verbessern, aber die Möglichkeit der Diensterbringung vor Ort erhalten. Die Diskussion, die mit dem Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse der EU-Kommission über die Frage der wettbewerblichen Behandlung der staatlichen bzw. kommunalen Förderung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Gang gesetzt worden ist, muss weiterhin kritisch begleitet werden. Brandenburg will gemeinsam mit den anderen Bundesländern auch hier darauf dringen, dass Regelungen der Daseinsvorsorge grundsätzlich Sache der Mitgliedsstaaten bleiben.

Es gibt noch Klärungsbedarf. Frau Stobrawa, bitte.

Herr Minister, habe ich Sie recht verstanden, dass es bereits

eine gemeinsame Stellungnahme der Länder zu dem Grünbuch gibt? - Gibt es auch schon Bemerkungen innerhalb des Kabinetts dahin gehend, welche Position die Landesregierung vertreten wird?

Wir haben die Sache innerhalb des Kabinetts nicht im Einzelnen erörtert, sondern sie ist in den Fachausschüssen gewesen. Wir haben unsere Stellungnahme im Innenausschuss abgegeben. In dem Augenblick, wo sie auf der Tagesordnung des Bundesrates ist und eine gemeinsame Beschlussfassung des Bundesrates erfolgt, wird die Befassung im Kabinett erfolgen. Ich gehe aufgrund der bisherigen Gespräche und der weiteren von uns entwickelten Positionen davon aus, dass dieses dann die gemeinsame Position des Kabinetts sein wird.

Herr Sarrach, bitte.

Herr Minister, Sie sprachen vom Örtlichkeitsprinzip, das Sie so habe ich Sie verstanden - bewahren wollen. Heißt das, dass Sie in Brandenburg die Änderung der Gemeindeordnung im Bereich der wirtschaftlichen Betätigung mit Blick auf die Öffnung des Örtlichkeitsprinzips aufgegeben und sich von diesem Anliegen, für das Sie ja jahrelang warben, verabschiedet haben?

Ich habe darauf hingewiesen, dass es im Rahmen dieser EURichtlinie darum geht, das Örtlichkeitsprinzip nicht durch EURegelungen sozusagen aufzulösen, sondern dass dieses im Rahmen einer nationalen Entscheidungsfähigkeit bleibt. Sie wissen - wir haben es bereits mehrfach besprochen, Herr Sarrach -, dass wir im Rahmen der Innenministerkonferenz eine Arbeitsgruppe in einem Arbeitskreis haben, die sich mit dieser Frage beschäftigt. Die Fragen sind noch nicht endgültig beantwortet, sodass wir im Rahmen dieser EU-Richtlinie die Möglichkeit haben, so oder so zu entscheiden.

Danke sehr. - Jetzt hat der Abgeordnete Dellmann Gelegenheit, die Frage 2028 (Untere Havel als Bundeswasserstraße) zu formulieren.

Laut Medienberichten sollen die Landkreise Havelland und Stendal vorgeschlagen haben, die Untere Havel auch künftig als Bundeswasserstraße niederer Kategorie auszuweisen. Der Naturpark Westhavelland hat sich diesem Vorschlag angeschlossen und ihn ausdrücklich begrüßt.

In diesem Zusammenhang frage ich die Landesregierung: Welche Position bezieht sie zu dem Vorschlag, die Untere Havel auch künftig als Bundeswasserstraße niederer Kategorie auszuweisen?

Herr Minister Szymanski, Sie haben das Wort.