Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

Der Bericht ist an nicht wenigen Stellen oberflächlich, nach unserer Wahrnehmung zum Beispiel in Bezug auf die Zusammenarbeit mit Berlin. Da ist man auf der Ebene der Verwaltung durchaus schon weiter, als es der Bericht vermittelt. Zudem wäre es ja auch schlimm, Frau Ministerin, wenn es außer Ihrem gemeinsamen Besuch mit Frau Helbig in Poznan an sichtbaren Ergebnissen im politischen Bereich nichts gäbe. Aber auch hierzu schweigt man sich aus. Klar, mit Rot-Rot kann man ja nicht zusammenarbeiten.

Der Bericht belegt einmal mehr, was die PDS schon in den vergangenen Jahren immer wieder gesagt hat. Die Politik von SPD und CDU hat maßgeblich dazu beigetragen, dass unser Land auf die Erweiterung der Europäischen Union unzureichend vorbereitet ist.

(Zwischenruf von der CDU: Na, na, na!)

Dieser Bericht verdient vor allem eines nicht, nämlich seinen Titel. Die Landesregierung war so kühn, den Dritten Erweiterungsbericht mit der Überschrift „Von der Vorbereitungsstrategie zur Integrationsstrategie“ zu versehen. Auf den zuletzt genannten Aspekt, Ihre so genannte Integrationsstrategie, meine Damen und Herren von der Landesregierung, möchte ich mich im Weiteren konzentrieren.

Wie die Kollegen des Ausschusses wissen, hat das auch bei der kürzlich erfolgten Zusammenkunft mit dem Berliner Europaausschuss eine gewissen Rolle gespielt, als jemand - ich glaube, das war der Kollege Apelt von der Berliner CDU - die fehlende Konkretheit der Vereinbarung von Brandenburg und Berlin mit dem Marschallamt von Großpolen ansprach. Diese Aussage kann und muss sich auf den Stand der Integration Brandenburgs und der westpolnischen Woiwodschaften generell beziehen. Leider liefert der Erweiterungsbericht auch insoweit nur einen veralteten Sachstand.

So wertvoll der Workshop der Landesregierung Brandenburg und der politischen Gremien der Woiwodschaften Lebuser Land und Westpommern auch gewesen ist - diese Wertung unterstütze ich ausdrücklich -, so wenig bringt uns der Stand von Mitte März 2003 heute weiter, da uns nur noch wenige Tage vom Beitritt Polens trennen.

Nicht nur auf der polnischen Seite, nicht nur in Berlin unter einem CDU/SPD-Senat, nicht nur von den Bundesregierungen unter Kohl und Gerhard Schröder und auch nicht nur in Brüssel wurde in den vergangenen 14 Jahren vieles versäumt, was Integration hätte befördern können; auch die für die Landespolitik in Brandenburg zuständigen Parteien SPD, F.D.P. und Bündnis 90 sowie die CDU seit 1999 in besonderer Verantwortung für die Europapolitik haben Chancen vertan, haben Fragen nicht rechtzeitig angepackt, deren Antwort für die rechtzeitige Vorbereitung des Landes auf die Osterweiterung zwingend erforderlich gewesen wäre. Zwar bringt es nichts, das heute nur zu beklagen, wohl aber muss man es in dem Freudentaumel, der uns am 1. Mai 2004 und um den 1. Mai 2004 herum sicherlich umgeben wird, zumindest benennen dürfen.

Dass die deutsch-polnische Grenzregion von vielen hier im

Lande immer noch nicht als Region, die nur gemeinsam von Deutschen und Polen gestaltet werden kann, begriffen wird, ist Ergebnis konkreter Politik in Brüssel, in Berlin und in Warschau, aber eben auch in Potsdam.

Der Dritte Erweiterungsbericht bestätigt uns in unserer Auffassung, dass Brandenburg, Berlin und die polnischen Nachbarwoiwodschaften einen wirklich integrativen Ansatz für ihre Region brauchen. Gemeinsame Bildung ist dabei genauso wichtig wie eine gemeinsame Arbeitsmarktpolitik. Abgestimmte Aktivitäten im Bereich Umwelt sind gleichrangig mit der Lösung von Verkehrsproblemen. Die Anerkennung als gemeinsamer Wirtschaftsstandort ist unabdingbar. Für einen solchen Ansatz in der künftigen Landespolitik wird die Brandenburger PDS weiter streiten. - Danke.

Ich danke Ihnen, Frau Wolff-Molorciuc, und gebe der Fraktion der SPD das Wort. Bitte, Herr Abgeordneter Lenz. - Wo ist er denn?

(Frau Uta-Brigitte Müller [SPD]: Er ist nicht hier! - Wei- tere Zwischenrufe von der SPD)

- Ach so, Herr Dr. Wiebke wird sprechen. Das ist ja wieder einmal eine hervorragende Koordination seitens der Geschäftsführer.

(Klein [SPD]: Das geht auf meine Kappe, Herr Präsi- dent!)

Bitte sehr, Herr Dr. Wiebke.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! 60 % aller Ostdeutschen lehnen den EU-Beitritt der zehn osteuropäischen Länder ab. Zu diesem Schluss kommt das so genannte „Mitteldeutsche Wirtschaftsmagazin“ aufgrund der Befragung von 1 012 Menschen in den ostdeutschen Ländern.

Nun mag man über die EU-Erweiterung urteilen, wie man will - positiv oder negativ, optimistisch oder pessimistisch, euphorisch oder gelassen -, in jedem Fall stehen wir vor einem geschichtsträchtigen Ereignis. In genau einem Monat wird aus dem Europa der Fünfzehn ein Europa der Fünfundzwanzig. Am 1. Mai macht Europa einen bedeutenden Schritt auf dem Wege zur europäischen Integration, zu mehr politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit, zur Stärkung der gemeinsamen Werte, zur Erhöhung des allgemeinen Lebensniveaus und damit zu mehr Stabilität und Frieden in Europa.

Dieser Schritt ist nicht problemlos und bedurfte einer intensiven Vorbereitung für die Beitrittsländer wie für die Europäische Union, für das Nachbarland Polen wie für Deutschland, für die Nachbarregion Brandenburg wie für die angrenzenden Woiwodschaften in Polen, Lebuser Land, Westpommern, aber auch Masowien und Großpolen. Brandenburg hat sich dieser Aufgabe gestellt und in bisher zwei Berichten Rechenschaft darüber abgelegt.

Heute nun, 30 Tage vor der EU-Osterweiterung, liegt der Dritte Bericht der Landesregierung zur Vorbereitung der Landesstrategie vor. Ich möchte mit diesem Bericht nicht so streng umgehen wie meine Vorrednerin. Es ist aber anzumerken, dass der Bericht tatsächlich zu spät kommt, viel zu spät. Wir hätten uns gewünscht, diese Debatte spätestens im Herbst vergangenen Jahres führen zu können.

Um meine Kritik abzurunden, noch Folgendes: In der Kürze der Zeit zwischen der Zuleitung des Berichts und der heutigen Landtagsdebatte war der Bericht leider nicht umfassend auszuwerten. Schade eigentlich, Frau Ministerin. Natürlich kann ich darauf verweisen, dass sich die Ministerin diesem Bericht hier umfassend gewidmet hat. Deshalb kann ich mich als Abgeordneter eigentlich den politischen Aspekten des europäischen Integrationsprozesses zuwenden.

Da schon der Titel des Berichtes „Von der Vorbereitungsstrategie zur Integrationsstrategie“ in die Zukunft weist, schlage ich vor, den Bericht in einer der nächsten Sitzungen des Europaausschusses intensiver zu behandeln. Es gilt zu prüfen, ob die in diesem Bericht dokumentierten Handlungsfelder für ein weiteres Zusammenwachsen der Regionen von Polen und Brandenburg ausreichend sind.

Ein wichtiger Punkt der Vorbereitung des Landes Brandenburg auf die EU-Osterweiterung war der in dem Zweiten Fortschrittsbericht angekündigte und im März 2003 umgesetzte Workshop des Landes Brandenburg und der Woiwodschaften Lebuskie und Zachodniopomorskie in Frankfurt (Oder) und Slubice.

Unter dem Motto „Gemeinsam in der Europäischen Union: Aus Nachbarn werden Partner“ berieten Verwaltungen beider Länder unter Einbeziehung der Abgeordneten über eine strategische Partnerschaft und Zusammenarbeit auf dem Weg in die erweiterte Union. Die im Ergebnis entstandenen Handlungsempfehlungen sind in der Anlage des Berichts verzeichnet.

Meine Damen und Herren, der im Bericht ausgemachte Handlungsbedarf in den acht Kernbereichen ist sehr umfassend. Er stellt eine sehr genaue Analyse dar und unterbreitet Konzepte zur Bewältigung unserer Aufgaben. Wir als Abgeordnete werden die Umsetzung begleiten und gegebenenfalls, Frau Ministerin, Änderungen und inhaltliche Erweiterungen einbringen.

Wichtig für die Zukunft wird unter anderem die Einbindung Berlins in die Zusammenarbeit mit den polnischen Grenzregionen sein. Berlin-Brandenburg ist zwar noch kein gemeinsames Bundesland, Frau Ministerin, aber es ist unabweisbar eine gemeinsame Region, vor allem was die Darstellung nach außen betrifft.

Ab dem 1. Mai wird auch die Förderung von grenzüberschreitenden Projekten einfacher. Durch den möglichen Einsatz von Fördermitteln aus der Gemeinschaftsinitiative INTERREG III A auf beiden Seiten von Oder und Neiße können Regionen besser und komplexer entwickelt werden.

Meine Damen und Herren, in den vergangenen Landtagssitzungen haben wir bereits über die zukünftige Gestaltung der europäischen Strukturfonds nach 2006 gesprochen. Sowohl für Polen als auch für Brandenburg ist eine Höchstförderung auch nach 2006 nicht nur notwendig, sondern unverzichtbar, um die

Anpassung der Lebensverhältnisse realisieren zu können. Die Kohäsionsbemühungen der Europäischen Union dürfen nicht auf halbem Weg stehen bleiben. Für die Grenzregionen hat Brandenburg stets ein länderübergreifendes Grenzprogramm gefordert. Dieser Forderung wurde entsprochen, allerdings war die Mittelausstattung eher symbolischer Natur. Im Herbst 2003 hat die Europäische Kommission für die gesamte Grenzregion im Erweiterungsgebiet ganze 17 Millionen Euro Fördermittel bereitgestellt, um ein vorbereitetes Programm über die Auswirkungen der Erweiterung auf die Grenzregionen zu installieren. Damit werden kleinere Projekte in den Grenzregionen unterstützt. Wichtigstes Ziel bleibt es, die jahrzehntelange Trennung der Regionen östlich und westlich von Oder und Neiße zu beseitigen und somit eine homogene Wirtschaftsregion zu schaffen. Dabei können wir aus dem Zusammenwachsen anderer Grenzregionen lernen. Beispielgebend sind die Integrationserfolge der deutsch-französischen Grenzregionen.

Um in diesem größeren Europa erfolgreich zu sein, meine Damen und Herren, brauchen wir eine gemeinsame länderübergreifende Wirtschaftsregion. Wichtig ist auch künftig der öffentliche Diskussionsprozess im Land Brandenburg, damit bestehende Wissensdefizite und Vorbehalte bezüglich unserer Nachbarn weiterhin abgebaut werden können. Vor allem aber hierbei wende ich mich besonders an unsere jungen Menschen - müssen die Sprachbarrieren überwunden werden.

(Beifall des Abgeordneten von Arnim [CDU])

Hier müssen wir gerade unsere jungen Menschen motivieren, Polnisch zu lernen, um künftig die menschliche Integration, das menschliche, aber auch das wirtschaftliche Zusammenwachsen entscheidend mittragen zu können.

Auch 30 Tage vor der EU-Osterweiterung zeigen Diskussionen zur eingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit, zur Dienstleistungsfreiheit, zur Niederlassungsfreiheit und zu Fragen der inneren Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger auf beiden Seiten von Oder und Neiße, dass der Prozess der Erweiterung auch zukünftig von uns begleitet werden muss. Der Bericht zeigt aber auch deutlich, dass wir im Bereich Brandenburger Europapolitik auf dem richtigen Weg sind.

Nun ist dieser Bericht sicher der letzte im Vorfeld der Erweiterung der Union. Doch der Prozess der Integration der neuen Mitgliedsländer - hier vor allem Polens - wird uns auch in den nächsten Jahren begleiten. Deshalb freue ich mich als scheidender Landtagsabgeordneter darauf, demnächst aus diesem Hause über die Fortschreibung der Integrationsstrategie hoffentlich nur Positives zu hören.

Meine Damen und Herren, in der Gesamtschau jahrelanger Bemühungen und Aktivitäten unseres Landes komme ich zu der berechtigten Auffassung: Wir sind vorbereitet. Die osteuropäischen Länder können kommen: Wir, ich - ich hoffe, wir alle heißen sie willkommen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke dem Abgeordneten Dr. Wiebke und gebe das Wort der Fraktion der DVU, dem Abgeordneten Nonninger. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einen Monat vor der EU-Osterweiterung weisen die zehn Beitrittsstaaten noch immer gravierende Defizite auf. Im letzten Bericht des EUParlaments wird vor allem Polen als Problemfall angesehen. Polen werden erhebliche Versäumnisse bei der Bekämpfung der Korruption und beim Aufbau der Verwaltung vorgeworfen. Brandenburg steht vor dramatischen Folgen für die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und den sozialen Frieden. Doch von all dem steht in diesem verspäteten Bericht nichts.

Meine Damen und Herren von der Landesregierung, die Ängste und Sorgen der Bevölkerung können auch durch Ihren Dritten Bericht zur Vorbereitung des Landes auf die Erweiterung der EU nicht ausgeräumt werden. Nach neuesten Umfragen fürchten mittlerweile knapp 90 % der Bevölkerung zusätzliche Konkurrenz um Arbeitsplätze und fast 60 % sehen künftig Einbußen bei ihrem Lebensstandard auf sich zukommen.

Nach wie vor gibt es keine Mehrheit des Volkes für die Erweiterung zu diesem Zeitpunkt. Das wissen Sie genau, meine Damen und Herren der Koalitionsparteien. Deswegen wurde die deutsche Bevölkerung - wie auch bei der Einführung des Euro - bewusst nicht gefragt. Die DVU-Fraktion forderte schon mehrfach Volksentscheide als Zeichen von mehr Demokratie und als Grundlage für eine verantwortungsbewusste Europapolitik.

Mit dem vorgelegten Dritten Bericht zur Erweiterung wird klar, dass die vorhandenen strukturellen Defizite nicht beseitigt werden können und damit Brandenburg den Vorteil der geographischen Nähe zu den Beitrittsländern nicht genügend nutzen kann.

Das Ergebnis bezüglich der Grenzlandförderung, welche sich für die europäische Förderung der an die Beitrittsländer angrenzenden Regionen einsetzt, ist völlig unzureichend.

Es kann nicht sein, dass ein Finanzrahmen in Höhe von 195 Millionen Euro für fünf Jahre für insgesamt 23 Grenzregionen in fünf Mitgliedsstaaten das letzte Wort sein soll, noch dazu, wenn drei Viertel dieser Mittel für den Ausbau der transeuropäischen Netze vorgesehen sind. Hier muss mehr geschehen.

Auch hält die DVU-Fraktion die Regelungen zur Förderung des Arbeitsmarktes und zur Qualifizierung für völlig unzureichend. Hier ist sofortige Hilfe erforderlich. Wo sollen Brandenburgerinnen und Brandenburger noch Arbeit finden? Jeden Tag erreichen uns Hiobsbotschaften. Die Spirale der Verlagerung von Arbeitsplätzen nach Osteuropa dreht sich immer schneller.

Nach einer Studie der IHK plant bereits jedes vierte Industrieunternehmen die Auslagerung von Produktion, Verwaltung und Logistik nach Osteuropa. Hauptgrund, wie wir alle wissen, sind Billiglöhne und niedrige Steuersätze. Jetzt macht auch Siemens Ernst. Über 10 000 Arbeitsplätze sollen in den Osten verlagert werden. Es sollen nicht nur einfache Fertigungsarbeitsplätze, sondern Hightechjobs verlagert werden.

(Homeyer [CDU]: Wieso verlagert?)

Mittlerweile ist es schon so weit gekommen, dass die Industrieverbände die Unternehmen auffordern, ins Ausland zu gehen. Das sind die wahren so genannten Chancen der EU-Osterwei

terung. Leider haben die Millionen Arbeitslosen nichts davon. Der Wettbewerbsdruck für die noch verbliebenen Brandenburger Betriebe nimmt weiter zu. So stellte auch Ifo-Chef Sinn fest:

„Die Löhne im Osten müssen sinken.“

Weiter argumentierte er:

„Vorerst wird es entlang der polnischen und der tschechischen Grenze zu einer Entleerung der Gebiete auf deutscher Seite kommen.“

Noch einige Worte zu den Beitrittsländern. Auch die Beitrittsstaaten werden von der EU zu drastischen sozialen Einschnitten gezwungen. Das Mittel dafür sind die so genannten Beitrittskriterien. Diese Kriterien legen unter anderem fest, wie viel Geld ein Land für Sozialleistungen ausgeben darf. Betroffen sind dieselben Bereiche, die Herr Schröder in Deutschland mit der Agenda 2010 angreift: Rente, Arbeitslosenversicherung und Gesundheitswesen.