Protokoll der Sitzung vom 27.10.2004

Der jetzt bestehende Streit zwischen Berlin und Brandenburg und die seitens des Herrn Ministerpräsidenten und seines Stellvertreters offen ausgesprochene Absage lassen keine andere Interpretation zu. Deshalb appelliere ich an Sie, die überbordende Kostenfolge bei der Zusammenlegung der OVGs schon zum 1. Juli 2005 auszusetzen, Schaden zu begrenzen und unseren Initiativen zu folgen. - Bis dann.

(Beifall bei der DVU)

Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Christoph Schulze.

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Werte Anwesende! Dieser Antrag wundert nicht. Eine Fraktion, die eine Fraktionsvorsitzende hat, die auf Anhieb nicht weiß, wie viele Bundesländer es in diesem Land gibt - nämlich 16 -, hat natürlich große Sorge und muss sie natürlich auch haben, dass sich die Anzahl der Bundesländer ändert. Also will man alles beim Alten lassen, weil man den Veränderungen nicht so schnell folgen kann.

Im Übrigen zeugen sowohl der Antrag als auch das hier Dargelegte vom Unverständnis dieses Staatsvertrages. Ein Staat kann sich seiner Justiz nicht entledigen. Wir können sie nur organisieren. Alles andere ist schlicht und einfach Unfug und ent

spricht nicht dem Rechtsstaatsprinzip und der Richtergarantie aus dem Artikel 19 Grundgesetz. Insofern können wir das völlig unbeachtet lassen.

Der Antrag und der Gesetzentwurf sind grotesk, substanzlos, vor allem ziellos und letztendlich wirr.

Der Ministerpräsident und auch unser Fraktionsvorsitzender Baaske haben hier deutlich gesagt, wie die Meinung unserer Fraktion und auch der Koalition zur Fusion von Berlin und Brandenburg ist. Es geht nicht um das Ob, sondern es geht um das Wie und das Wann. Jeder bedächtige und kluge Mensch wird sich nicht unsinnigerweise unter Druck setzen, etwas mit einer Frist zu tun. Entscheidend ist, dass wir die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land mitnehmen; denn es wird eine Volksabstimmung geben. Wer diese Volksabstimmung auf Biegen und Brechen durchführen will, der wird sie verlieren.

Typisch für die DVU-Fraktion ist, rechts zu blinken und links zu fahren. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Kleine Anfrage 10 der Abgeordneten Hesselbarth, in der sie fragt, welche verfassungsrechtlich zulässigen Möglichkeiten die Landesregierung denn nun anstrebt und geradezu fordernd fragt, was denn nun in der Frage eines Zusammenschlusses, das heißt einer höheren Zusammenarbeit und Effizienz auf administrativer Ebene, um Kostensenkung zu erreichen, getan werden soll.

Da sieht man den Widerspruch. In einer Kleinen Anfrage inauguriert die Fraktion der DVU, dass man mehr tun müsse und in einem Antrag plus Gesetzentwurf genau das Gegenteil. Dem ist nichts hinzuzufügen. Wir sollten mit diesem Unsinn nicht unsere Zeit verschwenden. In diesem Sinne werden wir das ablehnen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Für die PDS-Fraktion spricht der Abgeordnete Sarrach.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleich die erste rechtspolitische Initiative der DVU ist ein Griff daneben und beredtes Zeugnis für die Unfähigkeit der DVU, demokratisch, rechtsstaatlich und praktisch verwertbar zu denken und zu handeln. Ich möchte deshalb meine Bitte aus der letzten Wahlperiode wiederholen: Verschonen Sie uns bitte mit rechtspolitischen Initiativen dieser Art; denn davon haben Sie wenig Ahnung!

(Beifall bei der PDS)

Sie nutzen damit auch niemandem, mal von der eigenen gewollten Effekthascherei abgesehen; denn die gesellschaftlichen Gruppen, deren Interessen Sie vermeintlich bedienen, lehnen es ab, von Ihnen als Mittel rechtsextremer Propaganda missbraucht zu werden.

So liegen die Verhältnisse auch beim Thema gemeinsame Obergerichte mit Berlin. In dieser Sache können und werden Sie mit dem Gesetzentwurf und dem Antrag nichts bewegen. Ich will auch gern versuchen, Ihnen das zu erklären.

Sie von der DVU glauben, dass ein offener Streit über die Länderfusion Berlin-Brandenburg die Möglichkeit eröffnet, die beschlossene Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte zu verhindern. Zu diesem Zweck beantragen Sie ein Gesetz zur Außerkraftsetzung des Gesetzes zu dem entsprechenden Staatsvertrag und gleichzeitig die Kündigung der Gerichtsfusion auf der Grundlage des Staatsvertrages.

Jetzt beginnt die Verwirrung. Bedarf es neben der Kündigung auch der Außerkraftsetzung des Zustimmungsgesetzes zum Staatsvertrag? Wenn das Zustimmungsgesetz außer Kraft gesetzt ist, fehlt dann nicht der Kündigung die Rechtsgrundlage, die im Staatsvertrag enthalten ist?

Es gilt doch wohl Folgendes:

Erstens: Eine Aufhebung des Zustimmungsgesetzes und daneben eine Kündigung sind unsinnig, weil so selbstverständlich der Kündigung die Grundlage entzogen wird und weil dieses Vorgehen nicht berücksichtigt, dass der Staatsvertrag, dem in Brandenburg und in Berlin die Parlamente per Gesetz die Zustimmung erteilt hatten, ein Vertragswerk zweier Partner ist, das Bindungen auslöst. Das kann man nicht einfach mit einem Außerkraftsetzungsgesetz verkleistern.

Zweitens: Die Kündigung nach Artikel 33 Abs. 1 des Staatsvertrages ist ohne Aufhebung des Zustimmungsgesetzes möglich. Aber erfüllt sie auch den von der DVU erhofften Zweck? Nach Artikel 33 Abs. 1 gilt eine Frist von einem Jahr, die jeweils bis zum 31. Dezember für die Erklärung der Kündigung genutzt werden muss. Das heißt, die ab 1. Juli 2005 zu vollziehende Errichtung des gemeinsamen Oberverwaltungsgerichtes und des gemeinsamen Landessozialgerichtes kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr verhindert werden, weil die Kündigung des Vertrages frühestens ab dem 01.01.2006 möglich ist.

Das Ziel der Initiative wird klar verfehlt. Sie von der DVU provozieren vielmehr, nach nur einem halben Jahr gemeinsamer Obergerichte eine dann finanziell, organisatorisch und politisch ineffektive Rückabwicklung vorzunehmen. Selbst wenn man wie die PDS mit guten Argumenten gegen die Bildung dieser Obergerichte hier im Landtag gestritten hat, stellt dieses Szenario für mich keine erstrebenswerte Perspektive für die betroffenen Obergerichte und insbesondere für die Rechtsuchenden dar. Das gilt umso mehr, weil es eben nicht zutrifft, dass die Gerichtsfusion vor allem ein bald zu bildendes gemeinsames Bundesland als zwingende Geschäftsgrundlage des Staatsvertrages voraussetzt.

Sie haben aus der Präambel einen entscheidenden Satz vergessen zu zitieren, Herr Schuldt:

„Sie sind natürliche Partner“

- die Länder -

„für eine landesgrenzenübergreifende Zusammenarbeit. Deshalb sind die Länder Berlin und Brandenburg übereingekommen, gemeinsame Fachobergerichte zu errichten.“

Von einer Fusion wird in der Präambel nicht gesprochen. Also hören Sie auf, auch bei der Gesetzgebung zur Gerichtsfusion einen angeblichen Perspektivwechsel zu entdecken. Während

sich in der Politik täglich Perspektiven und Positionen schlagartig ändern können, darf dies für die Gesetzgebung nicht bedeuten, auf jeden vorbeifahrenden Zug zu springen. Gesetzgebung muss berechenbar und darf nicht derart kurzlebig sein.

Auch wenn mir in der vergangenen Wahlperiode der Beschluss über gemeinsame Obergerichte zum Nachteil der dezentralen Konzentration Brandenburgs sehr gegen den Strich gegangen ist, gehört zur Demokratie die Akzeptanz von damaligen Mehrheitsentscheidungen, deren Bestand auch nach den Wahlen nicht fraglich ist. Deshalb empfehle ich Ihnen von der DVU: Lernen Sie trotz des Herrn Frey, im Kopf und im Genick demokratisch zu denken! Lernen Sie rechtliche Zusammenhänge und Konsequenzen erst einmal verstehen, bevor Sie sich in diesem Bereich versuchen! Der Landtag ist keine Spielwiese für suchende Freizeitjuristen.

Die PDS-Fraktion ist gegen die Überweisung beider Initiativen.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei der SPD)

Die Landesregierung hat auf einen Beitrag verzichtet. - Ich frage, ob von der DVU-Fraktion die verbleibende Redezeit genutzt werden soll.

(Schuldt [DVU]: Ja!)

- Herr Abgeordneter Schuldt, Sie haben das Wort für knapp fünf Minuten. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Inhalt Ihrer Rede, Kollege Schulze, zeigte, dass Sie sich weder mit dem Staatsvertrag zur Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte noch mit dem Gesetz zum Staatsvertrag inhaltlich befasst haben. Mir drängt sich sogar der Verdacht auf, dass Sie die monatelange politische Diskussion dazu in der letzten Legislaturperiode verschlafen haben müssen oder nicht verstanden haben. Dass Frau Kollegin Richstein nun nicht mehr Ministerin ist, ist für uns als DVU-Fraktion letztlich ein Indiz dafür, dass die Koalitionsfraktionen und den Herrn Ministerpräsidenten in Bezug auf die Gerichtsfusion ein schlechteres Gewissen plagt, als es vermutet wird.

(Lachen bei der SPD)

Zum Glück gibt es eine neue Justizministerin, die zumindest in der Frage der Länderfusion der Presse gegenüber wenig Zurückhaltung gezeigt hat. In den „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ vom 7. Oktober 2004 war zu lesen:

„CDU-Fraktionsvorsitzende Beate Blechinger betont, dass es in der Fusionsfrage keinen Dissens zur SPD gebe. Angesichts der Berliner Finanzprobleme, aber auch der Stimmung im Lande bestehe keine Chance zur Volksabstimmung in Brandenburg 2006. Man müsse den Tatsachen ins Auge sehen, so Blechinger.„

So ähnlich ließ sich heute Morgen auch der Ministerpräsident ein.

Deshalb haben wir uns von Ihnen Standhaftigkeit im Hinblick auf die Gerichtsfusion versprochen; denn Sie wissen selbst am besten, Frau Ministerin, dass die für den Staatsvertrag zur Gerichtsfusion grundlegende Frage der Länderfusion vom Tisch ist.

Kurz nachdem die Brandenburger Koalitionsfraktionen einhellig ihren Konsens in dieser Frage postuliert hatten, forderte die Berliner CDU-Fraktion Herrn Wowereit auf, sich mit Herrn Ministerpräsidenten Platzeck ins Benehmen zu setzen, damit die Idee einer Länderfusion nicht ad acta gelegt werde. Die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus äußerte sich der Presse gegenüber noch deutlicher. Sie verkündete öffentlich, sie sehe mit der Absage der Volksabstimmung die Fusion am Ende.

Nach alledem werden Sie, meine Damen und Herren von der Landesregierung, nicht umhinkommen, das zu verhindern, was zum Beispiel mit dem gemeinsamen OVG Lüneburg der Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein Ende der 80er Jahre passiert ist: die Auflösung aus politischen Gründen. Wenn man zudem die Kosten in Millionenhöhe für den Gerichtsumzug, die Personaldebatte im Hinblick auf die Angestellten des nichtrichterlichen Dienstes, die Folgekosten etwa wegen der nicht kompatiblen EDV und die Tatsache berücksichtigt, dass dem Land Berlin durch Urteil des dortigen Finanzgerichtshofes wegen des Haushaltschaos nur Verpflichtungen zu Ausgaben gestattet sind, die sich aus bundesgesetzlichen Festlegungen und landesrechtlichen Vorschriften ergeben

(Schulze [SPD]: Was ist denn ein Staatsvertrag? Eine lan- desrechtliche Vorschrift!)

- dazu gehört jedenfalls nicht die Gerichtsfusion -, gebietet es schon die Vernunft, diesen Wahnsinn abzublasen.

(Beifall bei der DVU)

Nur durch die sofortige Außerkraftsetzung des Gesetzes zum Staatsvertrag, Herr Sarrach, können wir indes die Kündigungsfrist nach § 33 des Staatsvertrages ohne größere Folgen auslaufen lassen. Deshalb bitte ich Sie noch einmal, sowohl unserem Antrag auf Kündigung des Staatsvertrages als auch unserem Antrag auf Außerkraftsetzung des Gesetzes zuzustimmen. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung.

Zum Ersten beantragt die Fraktion der DVU die Überweisung des Gesetzentwurfs zur Außerkraftsetzung des Gesetzes zu dem Staatsvertrag über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte, Drucksache 4/16, zur federführenden Beratung an den Hauptausschuss und an den Rechtsausschuss. Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Damit ist die Überweisung mit deutlicher Mehrheit abgelehnt.

Im Falle der Ablehnung des Überweisungsantrags ist es geboten, über den Antrag in der Sache abzustimmen. Wer dem genannten Gesetzentwurf, Drucksache 4/16, seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegen