Protokoll der Sitzung vom 28.09.2005

Meine Damen und Herren, nachdem Sie alle Gelegenheit hatten, den frisch gewählten Abgeordneten des Bundestages zu gratulieren, eröffne ich die heutige Plenarsitzung.

Es gibt noch einen Anlass zu gratulieren. Unsere Finanzministerin, Dagmar Ziegler, hat heute Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch - ich hoffe, von uns allen!

(Allgemeiner Beifall - Zuruf: Die Arbeitsministerin!)

Da bin ich ein bisschen der Zeit hinterher, Frau Arbeitsministerin.

(Heiterkeit)

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich - neben den gewohnten - weitere Gäste begrüßen. Der Kurs Politische Bildung der 12. Klasse des Immanuel-Kant-Gymnasiums Teltow ist heute zu Gast. Ihr habt heute sozusagen „Bewährung in der Produktion“. Nutzt diesen Praxistest und diskutiert anschließend darüber! Herzlich willkommen zu unserer Plenarsitzung!

(Allgemeiner Beifall)

Der Antrag der Fraktion Die Linkspartei.PDS - Die Bedingungen für Brandenburgs Entwicklung in der neuen EU-Förderperiode 2007 bis 2013 aktiv mitgestalten, Drucksache 4/1316 und die Unterrichtung des Landtages über die Mitwirkung der Landesregierung an der Gestaltung der EU-Förderpolitik in den Jahren 2007 bis 2013 gemäß Artikel 94 der Landesverfassung, Drucksache 4/1317, wurden von den Antragstellern zurückgezogen; Sie finden daher beide Punkte nicht auf der Tagesordnung.

Ich gehe davon aus, dass Ihnen der Entwurf der Tagesordnung fristgemäß zugegangen ist. Gibt es zur Tagesordnung Bemerkungen? - Wenn das nicht der Fall ist, lasse ich abstimmen. Wer mit der Tagesordnung einverstanden ist, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Damit ist die Tagesordnung einstimmig angenommen worden.

Der Ministerpräsident muss uns heute Nachmittag, ab 13 Uhr, verlassen, weil der Herr Bundespräsident zu Besuch in unserem Land ist. Der Ministerpräsident wird von Minister Schönbohm vertreten. Die Abwesenheit weiterer Abgeordneter entnehmen Sie bitte der Sitzordnung.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 1:

Aktuelle Stunde

Thema: Die Ausbildungssituation in Brandenburg am Beginn des Ausbildungsjahres

Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS

Wir eröffnen die Debatte mit dem Beitrag des Abgeordneten Görke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Wahl ist vorbei - die Probleme bleiben. Wenn die Bundesagentur für Arbeit morgen die neuesten Arbeitsmarkt- und Ausbildungszahlen für Brandenburg veröffentlichen wird, werden wir es wieder schwarz auf weiß haben: Tausende Brandenburger Jugendliche sind zu Beginn des neuen Ausbildungsjahres ohne Lehrstelle. Genau deshalb muss sich der Landtag mit dieser Thematik im Rahmen einer Aktuellen Stunde beschäftigen.

(Vereinzelt Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich beginne mit einer Feststellung der Bertelsmann Stiftung, die nicht im Verdacht steht, der Linkspartei.PDS nahe zu stehen. Im Länder-Ranking der Studie heißt es: Brandenburg steht für die schlechteste Ausbildungsstellenrelation - das ist das Verhältnis von vorhandenen Ausbildungsplätzen zur Anzahl der Ausbildungsplatzsuchenden - in der gesamten Bundesrepublik.

Die entscheidende Größe auf dem so genannten Ausbildungsmarkt ist das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen. Genau bei dieser Größe verzeichnen wir seit Jahren eine Stagnation auf niedrigem Niveau, obwohl die Kammern mit ihren Mitgliedern auch in diesem Jahr alles versucht haben, die betriebliche Ausgangsbasis deutlich zu verbessern. Man kann nüchtern feststellen: Weder der Brandenburger Ausbildungskonsens noch der nationale Ausbildungspakt schaffen in diesem Jahr die nötige Entlastung auf dem Ausbildungsmarkt. Ich sage Ihnen voraus: Nicht einmal statistisch wird der Vorjahresstand erreicht.

Wie durch ein Wunder wird mit den morgigen Trendzahlen der BA für den Monat September die noch Ende August vorhandene Anzahl von über 10 000 nicht vermittelten Jugendlichen in sich zusammensacken. Viele von Ihnen werden sagen: Kein Grund zur Panik! Die Übriggebliebenen werden wir im Rahmen einer Nachvermittlungsaktion irgendwie vermitteln.

Wo sind diese tausenden Jugendlichen geblieben? Darauf gibt es in Brandenburg eine eindeutige Antwort: Die Ausbildungsfrage wird, wie immer in den letzten Jahren, in den Oberstufenzentren gelöst; denn nach dem Schulgesetz unterliegen die Absolventen der weiterführenden Schulen, die noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, der Berufsschulpflicht. Hier münden also diese Jugendlichen ein und sind damit aus der Statistik herausgefallen.

Entweder man absolviert einen rein schulischen Ausbildungsgang oder man bekommt - mit etwas Glück - einen der begehrten außerbetrieblichen Ausbildungsplätze. Möglicherweise landet man in den öffentlich finanzierten Warteschleifen oder in den Sonder- und Benachteiligtenprogrammen der BA.

Ich möchte klarstellen: Wir als Linkspartei haben nichts gegen die Programme für Benachteiligte dort, wo sie angesichts der persönlichen Situation der Betroffenen notwendig sind. Unser Kritikpunkt bezieht sich darauf, dass die so genannten Marktbenachteiligten, das heißt diejenigen Jugendlichen, für die der Markt nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt, in diesen Programmen landen.

Meine Damen und Herren! Es ist schon interessant, wie sich der Anstieg der Staatsfinanzierungsquote im Brandenburger Ausbildungssystem darstellt. Ich möchte das am Beispiel des

Agenturbereichs Cottbus verdeutlichen: 8 000 Bewerbern stehen 2 100 betriebliche Ausbildungsplätze gegenüber. Daraus ist ableitbar, wie viele potenzielle Azubis sich später in außerbetrieblichen Ausbildungsgängen wiederfinden.

Nach Berechnungen des DGB Berlin-Brandenburg beträgt der Nettojahresaufwand der regionalen Wirtschaft für die Ausbildung ca. 5 Millionen Euro. Im selben Zeitraum werden, hoch gerechnet auf das Jahr 2005, im Rahmen der Kofinanzierung von EU-Mitteln 78 Millionen Euro vonseiten des Landes und des Bundes sowie Agenturmittel für die Ausbildung bereitgestellt. So sieht momentan in unserem Land die Lastenverteilung aus!

Die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen in Brandenburg ist sehr unterschiedlich. Man könnte annehmen, dass gerade Klein- und Kleinstbetriebe nicht ausbilden. Eine interessante Erhebung des Bundesinstituts für Berufsbildung offenbart, dass insbesondere Unternehmen mit einer Größe von über zehn Mitarbeitern - das sind in der Region immerhin 10 000 - eine eher unterdurchschnittliche, niedrige Ausbildungsquote aufweisen.

Viele von Ihnen kennen sicherlich aus dem Wirtschaftsteil der „Märkischen Allgemeinen“ die Übersicht der Top-100-Unternehmen in Brandenburg. Werfen wir einen Blick in die Ausbildungszahlen einiger Unternehmen, die von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, durch Steuererleichterungen entlastet wurden, damit sie Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen.

Die Deutsche Bahn AG, ganz oben auf der Liste, stellt bei 8 852 Beschäftigten nur 145 Ausbildungsplätze bereit. Die Ausbildungsquote liegt hier bei 1,6 %, obwohl nach dem Ausbildungssicherungsgesetz eine Quote von 7 % vorgehalten werden müsste.

Auch die Deutsche Post World Net AG, mit 11 500 Beschäftigten das größte Unternehmen in Berlin und Brandenburg, bildet in diesem Jahr nur noch marginal aus. Gerade vor dem Hintergrund der Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft zur Beendigung der Ausbildungsplatzmisere ist es unglaublich, dass sich dieser Weltkonzern ausgerechnet in einer Region, in der der Arbeitsmarkt mit Problemen behaftet ist, aus der Ausbildungsveranwortung stehlen will und mit einer Ausbildungsquote von 1,7 % im Jahr 2002 - das waren 195 Azubis - seine Ausbildungsaktivitäten auf 40 Azubis in diesem Jahr zurückgefahren hat. Das ist eine Ausbildungsquote von 0,3 %.

Diese Unternehmen - und da gebrauche ich einen Begriff der Bertelsmann Stiftung - sind Trittbrettfahrer. Sie rekrutieren ihren Fachkräftebedarf aus den Ausbildungsanstrengungen anderer Unternehmen und zunehmend auch aus den staatlich finanzierten Ausbildungsgängen. In diesem Zusammenhang sage ich Ihnen: Die jahrelangen Appelle an das Verantwortungsbewusstsein der Unternehmen haben offenbar nicht gefruchtet. Deshalb sind wir der Auffassung, dass an einer solidarischen Abgabe von denjenigen, die nicht oder zu wenig ausbilden, obwohl sie mehr tun könnten, kein Weg vorbeiführt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Deshalb halten wir es für wichtig, an unserem Ziel der solidarischen Umlagefinanzierung festzuhalten, um endlich den ausbildungswilligen Firmen eine Möglichkeit der Ausbildung zu geben.

Im Übrigen, sehr geehrte Frau Ministerin Ziegler, bedanke ich mich für die konkrete Antwort auf meine Kleine Anfrage zur Ausbildungsumlage, eine Antwort, die aussagt, dass bei Einführung dieser Umlage von den insgesamt 70 000 Brandenburger Unternehmen rund 56 000 Betriebe - rund 80 % - aufgrund der Kleinbetriebsstruktur mit unter zehn Beschäftigten von dieser Umlage befreit wären. Sie wären also Empfänger! Das erwähne ich nur in Vorahnung der Diskussion, die wir sicher über diese Umlage in der nächsten Runde noch führen werden.

Kürzlich konnte man lesen, dass die Partner des Brandenburger Ausbildungskonsenses, unter anderem auch die Landesregierung, den Brandenburger Ausbildungspreis 2005 ausgelobt haben, um Akteure mit beispielhafter Ausbildungsbilanz zu würdigen. Es ist richtig und wichtig, eine solche Form der Würdigung vorzunehmen. Nur ist es ein wenig pikant, dass die Landesregierung dafür steht, dass sie gerade in den Berufen des öffentlichen Dienstes seit dem Jahr 2002 die Ausbildung in diesen Berufsbildern um ein Viertel zurückgefahren hat.

Meine Damen und Herren von der Regierung, Sie stehen in der Pflicht, nicht nur mit plakativen Äußerungen auf die Verantwortung der Wirtschaft bei der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen hinzuweisen, sondern auch selbst die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand wahrzunehmen und mit gutem Beispiel voranzugehen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Sonntagsreden und nette Briefe des Ministerpräsidenten an die jetzigen Zehntklässler verhelfen keinem Jugendlichen zu einem Ausbildungsplatz und ändern nichts am Trend der Abwanderung aus diesem Land.

Bleiben wir gleich bei der Verantwortung der Regierung. Nicht nur ein ausreichendes Angebot an betrieblichen Lehrstellen ist wichtig, sondern auch eine qualifizierte Berufsausbildung. Ende August veröffentlichte die Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“ ihren Bildungsmonitor. Herr Minister Rupprecht, Sie werden dort wie folgt zitiert:

„Schwarz auf weiß und auf einer breiten wissenschaftlichen Grundlage wird im Bildungsmonitor belegt, dass wir die Leistungsfähigkeit unseres Schulsystems weiter ausgebaut haben... Mit diesem Spitzenergebnis bestätigt sich der positive Trend.“

Herr Minister Rupprecht, dabei müssen Sie eine gravierende Feststellung ausgeblendet haben, nämlich die, dass im Brandenburger Berufsausbildungssystem nur knapp drei Viertel der Azubis die Ausbildung überhaupt bestehen. Das ist die schlechteste Bilanz aller Bundesländer. Vor diesem Hintergrund haben Sie in diesem Jahr 216 Stellen in den Berufsschulen gestrichen und - gegen den Protest der Vertragspartner des Brandenburger Ausbildungskonsenses - zahlreiche befristete Arbeitsverträge von Berufsschullehrern nicht verlängert. Diese Streichungen lassen voraussichtlich noch die Absicherung des Unterrichts entsprechend der Stundentafel zu, aber an einen dringend notwendigen Teilungsunterricht, um zum Beispiel die vorhandenen Werkstätten und teuren Labors wirklich anwendungsorientiert nutzen zu können, ist unter solchen Bedingungen kaum zu denken. So bleibt die von der Wirtschaft erhobene Forderung nach einem besseren Berufsschulunterricht nur ein Wunschtraum.

Meine Damen und Herren, die Lage beim betrieblichen Ausbildungsplatzangebot ist desolat. Das steht im völligen Gegensatz zum mittelfristigen Fachkräftebedarf der Wirtschaft, aber auch der öffentlichen Verwaltungen. Nach dem Demografiebericht steht jetzt schon fest: Jeder vierte Beschäftigte im Land wird bis 2015 in Rente gehen und muss ersetzt werden. Eines steht fest: Die Fachkräftesicherung kann nur vor Ort in den Brandenburger Unternehmen und den öffentlichen Verwaltungen erfolgen. Deshalb diese eindringliche Forderung an die Wirtschaft, aber auch an die öffentlichen Arbeitgeber. Wer jetzt nicht ausbildet, darf sich 2010 nicht darüber beklagen, dass es zu wenig qualifizierte junge Menschen in der Region gibt.

Meine Damen und Herren, welche Alternativen stehen zur Wahl, um die immer wiederkehrenden Probleme auf dem Ausbildungsmarkt zu lösen?

Erstens: Entweder wir verstaatlichen die Berufsausbildung oder wir fördern und fordern das Engagement der Unternehmen, die ausbilden.

Zweitens: Entweder wir setzen deutlich und nachhaltig auf die Stärkung der schulischen Bildung, um die Ausbildungsvoraussetzungen der Schulabgänger zu verbessern, oder wir geben immer mehr für Benachteiligtenprogramme aus.

Die Antworten der Linkspartei.PDS lauten - erstens - Einführung einer solidarischen Umlagefinanzierung jetzt und - zweitens -: Bildung muss endlich Priorität haben, auch in diesem Landeshaushalt. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich danke dem Abgeordneten Görke. - Die Debatte wird mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fortgesetzt. Es spricht die Abgeordnete Dr. Schröder.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, Herr Görke, die Zahlen liegen schwarz auf weiß vor. Das ist aber noch lange kein Grund, hier im Parlament schwarz-weiß zu malen.

(Lachen bei der Linkspartei.PDS)

Sie glauben doch nicht, dass Sie mit Ihrer Rede und der Diskreditierung des Ausbildungskonsenses auf Landesebene einem Jugendlichen, der derzeit eine Ausbildungstelle sucht, auch nur im Geringsten eine Hilfe angeboten haben.