Protokoll der Sitzung vom 28.09.2005

Ich schließe damit Tagesordnungspunkt 12 und rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:

Ein Jahr EU-Osterweiterung, VI. Allgemeine Fragen zur EU-Förderpolitik in Brandenburg und zur weiteren Entwicklung der Europäischen Union

Große Anfrage 13 der Fraktion der DVU

Drucksache 4/1395

Antwort der Landesregierung

Drucksache 4/1935

Ich eröffne die Debatte mit dem Redebeitrag der DVU-Fraktion. Es spricht zu uns der Abgeordnete Nonninger.

(Dr. Klocksin [SPD]: Können wir den Text nicht zu Pro- tokoll nehmen?)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Der Erfolg der Osterweiterung wird daran gemessen, wie die Entwicklung in dem grenznahen Raum verläuft“, stellte vor ca. einem Jahr Staatssekretär Harms fest. Aber gerade die Entwicklung in den grenznahen und nunmehr auch den übrigen Regionen außerhalb des so genannten Speckgürtels um Berlin ist trotz geflossener Strukturfondsmittel besorgniserregend.

Handwerk und Dienstleistungssektor stehen unter enormem Kostendruck. Immer neue Pleitenrekorde, Betriebsverlagerungen nach Osten, kein Durchbruch bei großen Industrieansiedlungen, Scheinselbstständige aus Osteuropa sowie weitere ungebremste Abwanderung vorwiegend junger Deutscher aus den Grenzregionen prägen die aktuelle Entwicklung.

Dazu kommt die monatelange, ja jahrelange Diskussion um die kommende Förderperiode 2007 bis 2013. Leider steht diese unter einem ungünstigen Stern; denn es ist kein Geheimnis, dass weite Teile des Landes Brandenburg aus der Ziel-1-Förderung herausfallen können.

Die verschiedenen EU-Regionen weisen sehr große Unterschiede in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung auf. Insbesondere durch die 2004 vollzogene Osterweiterung ergibt sich ein enormes wirtschaftliches und soziales Gefälle. Der erbitterte Streit über die Finanzausstattung 2007 bis 2013 wirft ein bezeichnendes Licht auf die EU.

Das Vertrauen nicht nur unserer Bürger in diese EU schwindet immer mehr. Die Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden sprechen eine deutliche Sprache. Eine schnelle Einigung bei der Finanzausstattung, die zwar bitter nötig wäre, um Planungssicherheit zu schaffen, ist nicht in Sicht. So sträubt sich London beharrlich gegen die Abschaffung des so genannten Briten-Rabatts, der 1984 durch Frau Thatcher ausgehandelt wurde.

Die deutsche Regierung beharrt wie fünf weitere Nettozahler zu Recht darauf, dass der EU-Haushalt auf 1 % der EU-Wirtschaftsleistung beschränkt bleibt. Die EU-Kommission hatte hingegen 1,24 % vorgeschlagen.

Die so genannte Ziel-1-Förderung oder eine wie auch immer geartete gleichrangige Förderung hat für die neuen Bundesländer und insbesondere für Brandenburg einen sehr hohen Stellenwert. Es ist wohl für alle klar ersichtlich, dass die Entwicklungsrückstände in Brandenburg nicht aufgeholt werden konnten. Der Aufbau Ost ist durch die verfehlte Politik der Bundes- und der Landesregierung zum Stillstand gekommen.

(Dr. Klocksin [SPD]: Glauben Sie eigentlich selber, was Sie da erzählen?)

Offensichtlich ist die Landesregierung zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt, dargestellt durch die Beantwortung der Fragen 8 und 9. - Das können Sie gern nachlesen, Herr Klocksin.

(Dr. Klocksin [SPD]: Ich habe es sogar gelesen, aber es stimmt trotzdem nicht!)

Die DVU-Fraktion begrüßte es, wenn es angesichts der wirtschaftlichen Lage zu einer Reduzierung des negativen Nettosaldos Deutschlands käme, unter anderem durch gesteigerte Rückflüsse in die neuen Bundesländer. Doch hier sind angesichts der Realitäten der letzten Jahre wohl erhebliche Zweifel angebracht.

Deutschland war und ist der Zahlmeister dieser EU und dieser EU-Osterweiterung. Allein seit der Wiedervereinigung hat Deutschland von 1990 bis 2002 142,6 Milliarden Euro netto an die EU entrichtet und vom 1. Januar 2002 bis heute noch einmal rund 20 Milliarden Euro Nettozahlungen geleistet.

Die DVU-Fraktion fordert, darüber auf den politischen Bühnen nicht länger hinwegzuschweigen.

(Frau Hackenschmidt [SPD]: Ihre eigenen Leute hören nicht zu!)

Es stellt sich nicht erst heute die Frage, wohin diese Unsumme wirklich verschwindet: Wie viel fließt tatsächlich in Projekte, die Deutschland ausgewählt hat? Wie viel versickert in Form von Gehältern und Beraterhonoraren für EU-Partnerunternehmen?

46 % des EU-Budgets verschlingt mittlerweile der Agrarsektor. So wurde zum Beispiel durch Satellitenaufnahmen festgestellt, dass es in Italien nicht genügend Ackerland gibt, um all die Oliven zu produzieren, für die das Land Zuschüsse beantragt hat.

(Zuruf von der SPD: Diese bösen Italiener!)

Es ist ein Skandal ohnegleichen, wenn es der Europäische Rechnungshof das zwölfte Jahr in Folge abgelehnt hat, den EU-Haushalt abzusegnen - mit der Begründung, dass er definitiv für die sinnvolle Verwendung von nur 9 % der Ausgaben bürgen kann.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort erhält die Abgeordnete Stobrawa von der Linkspartei.PDS.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verbitte mir in Zukunft, dass Sie sagen, dass ich Ihr Mensch bin. Wenn Sie von „unseren Menschen“ sprechen, möchte ich in Zukunft davon ausgenommen werden. Ich bin nicht Ihr Mensch.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS und vereinzelt bei der SPD - Frau Hackenschmidt [SPD]: Ich auch nicht!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die DVU will eigentlich keine Analyse, sie bedient auch im Zusammenhang mit den allgemeinen Fragen zur EU-Förderpolitik und zur weiteren Entwicklung der EU in bekannter Manier alte Vorurteile. „Lasten der Finanzierung“, „erhebliche Anpassungsprobleme“, „Konkurrenzdruck“ und dergleichen mehr, das sind Worte, die immer wieder neu beschworen werden. Oder auch, wie in Ihrem Vortext zu lesen:

„Die Kontrollen an der Grenze Brandenburgs zu Polen sind weitgehend entfallen, aber die Probleme mit internationaler organisierter Kriminalität, illegaler Migration und sonstiger grenzüberschreitender Kriminalität sind geblieben.“

Genau diese Sätze - fast wortwörtlich - konnte man schon vor dem Beitritt der zehn Neuen nicht nur von der DVU, sondern auch von Ihren Verbündeten von der rechtsextremen NPD immer wieder hören.

(Schuldt [DVU]: Stimmt doch!)

Nehmen Sie doch endlich einmal zur Kenntnis, dass sich seit dem 1. Mai 2004 Entwicklungen vollzogen haben, die nicht Ih

rem Horrorszenario entsprechen, das Sie hier und in der Öffentlichkeit immer wieder aufzubauen versucht haben.

Die Chancen und vor allem auch der reale Gewinn der Erweiterung für Brandenburg, gerade auch für die Sicherung von Arbeitsplätzen im Land, wird von Ihnen negiert. Die Landesregierung setzt dankenswerterweise Fakten und eindeutige Positionen dagegen, zum Beispiel: Jeder zehnte Euro, den Brandenburger Firmen im Ausland verdienen, stammt aus Geschäften mit Polen; 50 % Exportzuwachs nach Polen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum; Polen ist hier an erster Stelle. - So könnte man die Reihe dieser Beispiele beliebig fortsetzen.

(Zuruf des Abgeordneten Schuldt [DVU])

Die DVU agiert scheinheilig, denn was wollen Sie uns eigentlich mit folgender Feststellung sagen: „Die Bürgerinnen und Bürger Brandenburgs wechseln vielfach über die Grenze nach Polen, um dort als Verbraucher billige Warenangebote zu nutzen, etwa Zigaretten zu erwerben oder kostengünstig zu tanken“? Wollen Sie damit einen Aufruf starten, dass Brandenburger in Zukunft nicht mehr in Slubice oder in Gubin einkaufen sollen?

(Zuruf des Abgeordneten Schuldt [DVU])

Oder lassen Sie vielleicht Ihre Partei- oder Fraktionszeitung auch in einer polnischen Stadt drucken wie Ihre rechtsextremen Verbündeten im Sächsischen Landtag?

Eine abschließende Bemerkung sei mir allerdings auch gestattet, und zwar an die Adresse der Landesregierung: Wir könnten uns diese heutige und vielleicht auch andere Diskussionen ersparen, wenn die Landesregierung den Landtag über ihre Aktivitäten im Bereich der Europapolitik regelmäßig informieren würde. Es reicht meiner Meinung nach nicht aus, nur Kommunikationsstrategien zu entwickeln, wie Europa mehr an die Menschen in Brandenburg herangebracht werden kann, sondern Sie sollten endlich auch uns, die Abgeordneten, als Partner und Multiplikatoren betrachten. Dafür brauchen wir aber auch Informationen, die uns gegenwärtig zum Teil vorenthalten werden. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Es spricht der Abgeordnete Christoph Schulze für die Fraktion der SPD.

Herr Präsident! Werte Kollegen! Frau Stobrawa, ich teile Ihre Hoffnung, dass sich, wenn die Landesregierung Ihre Kommunikationsstrategie, in welcher Richtung auch immer, ändern würde, solche Großen Anfragen erübrigten, nicht; denn es geht ja gerade darum, sich die Selbstprophezeihung zu organisieren. Das macht die DVU-Fraktion auch nicht ganz ungeschickt, aber nichtsdestotrotz haben wir jetzt die Möglichkeit, darauf zu reagieren. Hier geht es um allgemeine Fragen und es ist schon bemerkenswert, wie das an dem Thema vorbeigeht.

Die Europäische Union ist doch als Konsequenz und Schlussfolgerung aus dem Gemetzel der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegründet worden, in dem die Völker in Europa knietief

in Blut und Tränen gewatet sind, was Millionen das Leben gekostet hat. Natürlich gibt es, wenn man sich als Staatenbund zusammenschließt, Probleme. Dort, wo Menschen in Dörfern zusammenleben, oder auch allein zwischen den neuen Bundesländern gibt es eine Konkurrenzsituation, gibt es auch Neid und Missgunst, Verteilungskämpfe. Zwischen den Bundesländern Ost und West oder zwischen den Ländern, die in der alten Europäischen Union waren, gibt es auch immer noch den einen oder anderen Zwist, den Neid. Nehmen wir nur die Landwirtschaftspolitik mit Frankreich oder den EU-Briten-Rabatt.

Das jetzt auf die EU-Osterweiterung zu projizieren ist schlicht und einfach grotesk; denn die EU-Osterweiterung ist doch die konsequente Antwort auf den Fall des Eisernen Vorhangs und auf eine Situation, über die wir doch nur froh sein können. Bis 1990 haben wir jeden Tag, ohne dass wir uns dessen vielleicht in jedem Fall bewusst waren, unter der atomaren Todesdrohung gelebt. Wenn damals irgendjemand in Ost oder West ausgerastet wäre, wären wir hier alle ausradiert worden. In dem Zusammenhang sind doch die Probleme, die wir jetzt haben, absolut marginal. Sie sind ärgerlich für den Einzelnen, sie sind manchmal nicht erklärbar und man fragt: Warum passiert das jetzt? - Aber es ist nicht so, dass der Untergang des Abendlandes passiert.

Ich möchte bitten, noch eines, wenn wir über eine gemeinsame Europäische Union sprechen, zu beachten: 60 % des deutschen Exports - Deutschland ist Exportweltmeister - gehen in die Europäische Union. Das heißt, wir machen unsere Geschäfte mit den Ländern der Europäischen Union und daher ist all das, was die Europäische Union mit sich brachte, ein echter Fortschritt, ein echter Vorteil für Deutschland. Jetzt kleinlich aufzurechnen, wer wovon einen Vorteil oder einen Nachteil hat, ist so banal und so unsinnig, dass man es gar nicht mehr nachvollziehen kann.

Es geht doch im Prinzip, was die Europäische Union betrifft, darum, nicht das Trennende zu betonen, sondern das, was uns verbindet. Was verbindet uns denn mit den Menschen in Polen, in Frankreich usw.? Das ist doch die Anerkennung der universellen Menschenrechte, der Menschenrechtscharta. Das wäre mal ein Punkt, der hier aufgegriffen werden sollte, wo Sie sich bekennen könnten zur Europäischen und zur Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen, zum Gleichheitsgrundsatz, dazu, dass alle Menschen gleich sind, gegen Diskriminierung usw. Mit der Politik, die Sie verfolgen, können Sie dem gar nicht zustimmen; das verstehen wir schon. Dass Sie Ressentiments schüren, um dort Unsicherheit zu erzeugen, woraus Sie dann Ihren Nektar saugen können, verstehen wir auch. Aber wir teilen diese Auffassung nicht.

(Zurufe von der DVU)