Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Theel von der Fraktion der Linkspartei.PDS das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der Beantwortung der Großen Anfrage zu den Ergebnissen der Gemeindegebietsreform verweist die Landesregierung an vielen Stellen darauf, dass sie für eine aussagekräftige Bilanz mehr Zeit benötige. Wir wissen natürlich, dass solche grundlegenden Veränderungen nicht von heute auf morgen die gewünschten und erhofften Ergebnisse zeitigen. Dennoch halten wir einen Zeitraum von zwei Jahren für durchaus geeignet, eine Zwischenbilanz zu ziehen und darüber nachzudenken, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist und wo Kurskorrekturen erforderlich sind.
Allein die Tatsache, dass entgegen den vorangegangenen Versprechungen der CDU für kleine Kommunen die Weiterentwicklung des Amtsmodells verworfen wurde und dass massenhaft Zusammenschlüsse verordnet wurden, hat Wirkungen erzeugt,
die den Zielen der Reform entgegenstehen. Die Aussage der Regierung unter anderem zu Frage 32, dass sie eine weitgehende Akzeptanz der Reform und der unter politischem Druck erreichten Zusammenschlüsse erkennt, ist einer Überprüfung wert. Die Vielzahl der Klagen gegen diese Verfahrensweise spricht für sich und deckt diese Selbsteinschätzung der Regierung nicht. Alle Beteiligten gehen dabei davon aus, dass die eingeleitete Reform unumkehrbar ist. Ob diese Erkenntnis zu einem passiven Sich-Einfügen oder zu einer aktiven Mitgestaltung in den Gemeinden führt, hängt von den Rahmenbedingungen für die Arbeit in den Gemeinden ab.
Die Ungleichstellung von Gemeinden beim Übergang in neue Strukturen hat bereits zu ersten Problemen geführt. Einerseits schätzt die Landesregierung ein, dass sich die damals aufgestellten Übergangsregelungen bewährt hätten, andererseits macht die Landesregierung strenge Vorgaben zu eingeschränkten Handhabungen beim zwangsweisen Zusammenschluss der Gemeinden. Nur wenige Gemeinden haben diese Regeln nutzen können oder genutzt. Eine großzügigere Auslegung dieser Regeln wäre wünschenswert und gäbe der kommunalen Selbstverwaltung mehr Spielraum.
Ein zweites Problem: Um Gemeinden zum freiwilligen Zusammenschluss zu bewegen, wurden ihnen bessere Finanzausstattungen in Aussicht gestellt. Die Übersicht in der Anlage 1 zeigt aber, dass dieses Versprechen nicht eingehalten wird oder werden kann. Es bleibt festzustellen, dass in aller Regel die berlinfernen Gemeinden geringere Zuweisungen als vorher erhalten. Die Mehrzahl der Gemeinden im so genannten Speckgürtel um Berlin erhält dagegen mehr.
Die Landesregierung lobt sich für die Feststellung, dass die Mittel des kommunalen Finanzausgleichs im Jahre 2005 um 245 Millionen Euro höher sind als im Jahre 2004. Zur ganzen Wahrheit gehört aber, dass hierin Beiträge enthalten sind, die in den Vorjahren einbehalten wurden, und bereits 2006 ist die Entnahme von 50 Millionen Euro aus dem Anteil der Kommunen zugunsten des Landes vorgesehen. Möglich, dass durch die neuen Strukturen Kosteneinsparungen erreicht werden. Auf keinen Fall jedoch sollte diese Hoffnung Kürzungen der Zuweisungen in den kommenden Jahren begründen. Nicht zu vergessen ist hierbei, dass unsere Gemeinden den seit Jahren höchsten Schuldenstand halten. Kassenkredite, Zinszahlungen und Haushaltssicherungskonzepte, die jetzt auch Gemeinden treffen, die vor der Gemeindegebietsreform einen ausgeglichenen Haushalt hatten, verbessern die allgemeine Lage nicht.
Wenn den Kommunen nicht die Chance eingeräumt wird, auch künftig Mittel für die Infrastruktur, für die Freizeiteinrichtungen, für Sport, für die Ausstattung der freiwilligen Ortsfeuerwehren und anderes verfügbar zu haben, werden sie kaum Einfluss darauf nehmen können, dass die Fluktuation besonders in den berlinfernen Regionen gestoppt werden könnte. Die Größe der neu entstandenen Gemeinden rechtfertigt die direkte Zuweisung der Investitionspauschale, wie im Gesetz vorgesehen. Die Rückkehr zum Anlegen der goldenen Zügel durch die Landräte, wie zurzeit in der SPD diskutiert, sollte deshalb unbedingt verhindert werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zwei Jahre nach der Einführung der Gemeindegebietsreform im Land Brandenburg wird deutlich, dass neue Strukturen kein Selbstzweck sind und
Der strukturellen Diskussion muss zwingend die inhaltliche folgen. Kommunale Selbstverwaltung heißt gerade nicht, nur verlängerter Arm der Landesregierung auf kommunaler Ebene zu sein. Wegzukommen vom ordnungsstaatlichen Denken hin zur Bürgerkommune verlangt wesentlich mehr.
Die Regelung zur Ortsteilverfassung bleibt ebenso hinter den Versprechen und den Ansprüchen zurück. Ursprünglich sollten es starke Ortsteile werden mit Ortsbeiräten, die Anhörungs- und Beschlussrechte haben; die Ortsbürgermeister sollten Ehrenbeamte sein und eine stärkere Stellung im Ortsteil inne haben.
Davon ist nicht viel übrig geblieben. Es besteht die Gefahr, dass die Ortsbeiräte - so vermuten einige schon - nur noch eine Übergangsstufe für weitere Schritte sind. Eine angemessene Vertretung von Ortsteilen sicherzustellen sah die Landesregierung nicht als ihre Aufgabe an und hat das ja auch bei der Beantwortung der Fragen 79 und 81 zum Ausdruck gebracht. Es gibt keine angemessene Vertretung der Ortsteile, nur schnellstmögliche Integration.
Und wann kommt denn endlich die seit langem versprochene Novellierung der Gemeindeordnung? Wie soll sie aussehen und in welche Richtung ist sie gedacht? - Über solche Fragen sollte jetzt und nicht erst in Zukunft ehrlich diskutiert werden. Lassen Sie dabei die Gemeinden des Landes nicht außen vor! Es sollte jetzt und nicht erst in der nächsten Legislaturperiode die Ortsteilverfassung auf den Prüfstand gestellt und die Funktionalreform in Angriff genommen werden.
Geschieht das nicht, wird die kommunale Selbstverwaltung ausgebremst. Nutzen Sie die Fachkompetenz der Projektgruppe Funktionalreform, dann könnte die Gemeindegebietsreform vielleicht noch einen sinnvollen Abschluss finden!
Für eine gründliche Analyse der tatsächlichen Situation in den Gemeinden können wir natürlich Institute bemühen. Wir sollten aber viel mehr das nutzen, was wir haben, zum Beispiel die Hochschulen unseres Landes, die ebenfalls bereit wären, hier mitzuwirken. Ihre Aussagen hätten eine höhere Objektivität und Schlussfolgerungen aus diesen Erkenntnissen könnten schneller in die Praxis umgesetzt werden. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ungefähr zwei Jahre nach Abschluss der Gemeindegebietsreform im politischen Werk und fast zwei Jahren gelebter Gemeindegebietsreform in den Gemeinden und verbliebenen Ämtern stellt die PDS-Fraktion eine Große Anfrage zu den Ergebnissen der Gemeindegebietsreform. Das ist ein sinnvolles Zurückkommen
Für diejenigen, die es vielleicht nicht mehr im Kopf haben oder nicht dabei waren: Wir haben in der 3. Wahlperiode die Gemeindegebietsreform innerhalb kürzester Zeit, weil die Zeit für wahlperiodenübergreifende Projekte nicht vorhanden war, durchgeführt. Man darf nicht vergessen, dass die Gemeindegebietsreform seit 1996 auf der Tagesordnung stand.
Im Nachhinein betrachtet kann man durchaus sagen, dass diese Gemeindegebietsreform sorgfältig vorbereitet worden ist und auch ein Meilenstein war. Ich denke, wir sollten nicht in rechthaberischer Klein-klein-Manier versuchen, einander irgendwelche Dinge vorzuhalten.
Fakt ist, dass viele der Fragen, die in der Großen Anfrage aufgeworfen sind, nicht so beantwortet wurden, dass man befriedigt sein kann. Aber das liegt vermutlich nicht daran, dass man das im Ministerium oder in der Landesregierung nicht wollte, sondern weil es die Natur der Fragestellungen nicht zulässt. Denn das Wesen der kommunalen Selbstverwaltung ist eben auch die Vielfalt.
Wir haben - um es noch einmal für die Kolleginnen und Kollegen zu rekapitulieren - in den Jahren 2002 und 2003 15 Anhörungstage mit allen betroffenen Gemeinden gehabt. In insgesamt 131 Stunden konnten sich die Gemeinden
und ihre Vertreter zu den Gesetzentwürfen äußern. Es gab zahlreiche andere Sitzungen und im März 2003 ist die Gemeindegebietsreform dann verabschiedet worden.
Fakt ist: Diese Gemeindegebietsreform war unvermeidlich und - auch das möchte ich ins Gedächtnis zurückrufen - der Untergang des Abendlandes, so wie es von den Kollegen der PDS im Innenausschuss immer wieder beschworen worden ist, ist Gott sei Dank nicht eingetreten. Er konnte auch nicht eintreten, weil die zum Teil völlig überzeichneten Probleme und Befürchtungen nicht eintreten konnten - ansonsten hätte der Untergang des Abendlandes kommen müssen.
Fakt ist: Auch eine Gemeindegebietsreform in ihrem Gesetzeswerk, in der verwaltungstechnischen Umsetzung und natürlich nachher auch im gelebten Leben der Menschen ist Menschenwerk, und alles, was Menschen tun, bringt auch Fehler und Probleme mit sich. Es ist nie vollkommen und muss nachbearbeitet werden. Das passiert stets und ständig.
Ich werde Ihnen sagen, warum ich mich für die Stellungnahme zu diesem Teil der Großen Anfrage heute zur Verfügung gestellt habe: Seit 2003, seit der Kommunalwahl, bin ich Stadtverordneter in Zossen. Als ich mir Ihre Fragestellung und die Antwort der Landesregierung durchlas und mir vergegenwärtigte, was letztendlich mit dieser Fragestellung insinuiert war, fühlte ich mich aufgerufen.
In Zossen, früher das Amt Zossen, hatten alle Gemeinden bis auf die Stadt Zossen Verfassungsklage eingereicht. Das Land Brandenburg ist ja von Verfassungsklagen regelrecht überschwemmt worden: Es sind über 250 Stück. Ich habe beim Verfassungsgericht nachgefragt: Die meisten Klagen sind abgearbeitet, ungefähr 70 Verfassungsbeschwerden stehen noch im
Raum, etwa 20 sind punktweise durchgedrungen, aber auch mit Dingen, die nicht im Gesetzeswerk begründet liegen. Lediglich zwei sind im Gesetzeswerk begründet; die anderen betrafen Probleme bei Anhörungen.
Was wir daraus erkennen, ist, dass das, was in jeder Sitzung gebetsmühlenartig heruntergeleiert wurde - diese Gemeindegebietsreform ist verfassungswidrig, sie greift in die Rechte ein usw. -, nicht stichhaltig ist.
Wie gesagt, in meiner Heimatstadt Zossen haben alle amtsangehörigen Gemeinden bis auf die Stadt Zossen geklagt; alle Prozesse sind verloren worden. Was ist dort seit Oktober 2003 geschehen? - Wir haben eine aus 28 Personen bestehende Stadtverordnetenversammlung. Diese Stadtverordnetenversammlung arbeitet sehr harmonisch - hier und da mit den Auseinandersetzungen, die man erwarten kann, die auch zum Leben gehören.
Jeder, der die Stadt Zossen vor 2003 gesehen hat und sie heute sieht, sagt: Diese Stadt blüht ja mit einem Mal auf! - Genau das ist bezweckt worden: bestimmte Hemmnisse, die in der Amtsstruktur vieler Gemeinden lagen, das Auseinanderfallen von politischer und Verwaltungsverantwortung aufzuheben.
Ich rede nicht von den Dingen, die theoretisch sein könnten, müssten oder sollten, sondern von den praktischen Dingen des Lebens, die sich auch ablesen lassen. Wie gesagt, meine Heimatstadt Zossen blüht durch die Beseitigung der Anachronismen auf. Wir haben zum Beispiel eine Turnhalle gebaut, über deren Errichtung in der Gemeinde Wünsdorf seit 1997 geredet worden ist. Bis 2003 ist ihre Errichtung nicht zustande gebracht worden. Diese Turnhalle ist vor einem halben Jahr von der Gemeinde Wünsdorf und dem Amt Zossen eingeweiht worden, 2,9 Millionen Euro hat sie gekostet. Es gibt auch eine verlässliche Halbtagsschule, weitere Turnhallen sind in der Planung usw.
Sie stellen auch die Frage, wie es mit der Jugendarbeit weitergeht. Man kann feststellen: Vorher, auf Amtsebene, machte jeder seins. Die reicheren Gemeinden leisteten sich mehr, Gemeinden, die nicht so wohlhabend waren, weniger. Wir haben jetzt eine über die ganze Stadt koordinierte Jugendarbeit. Nach 2003 hat sich ein Jugendparlament etabliert, angestoßen von der neuen Stadtverwaltung, von der neuen Stadtverordnetenversammlung, und dieses Jugendparlament mischt sich ein. Das heißt, von einer Hoffnungslosigkeit, von einer Desillusionierung oder einer Abkoppelung der Bürgerinnen und Bürger kann keine Rede sein. Ganz im Gegenteil: Wir machen eine überörtliche erfolgreiche Jugendarbeit.
Meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion und Kollege Theel, ich konnte Ihren Beitrag inhaltlich nicht richtig verstehen. Auch an anderen Stellen in Teltow-Fläming, wo ich mir einen Überblick verschaffen konnte und meine Einschätzung erlauben kann, kann ich feststellen, dass die Gemeindegebietsreform die Gemeinden nach vorn bringt. Auch die Finanzkraft der Gemeinden, wenn Sie auf die Anlage 1 verweisen, ist nicht geringer, sondern stärker geworden, insbesondere auch durch
Alles in allem bleibt festzustellen, dass die Durchführung einer Gemeindegebietsreform der richtige Schritt war. Ob er rechtzeitig gegangen worden ist oder vielleicht eher hätte erfolgen können oder müssen, bleibt dahingestellt. Aber Fakt ist, er ist erfolgreich.
Wenn man sich die Protokolle und die Anträge und das ganze Palaver, auch den Austausch von Argumenten im Vorfeld betrachtet, muss man feststellen, dass all die Sorgen und Befürchtungen nicht eingetreten sind. Mein Fraktionsvorsitzender, Herr Baaske, hat es heute in der Aktuellen Stunde schon gesagt: Es geht nicht darum, den Leuten Angst vor der Zukunft zu machen und immer zu sagen, was alles passieren könnte. Wir müssen ihnen Hoffnung machen, ihnen Vertrauen einflößen und müssen selbst vorangehen. Die entscheidende Frage ist: Ist das Glas halb voll oder halb leer? - Eine Frage von Optimismus oder Pessimismus.
Ich denke, wir müssen den Menschen in diesem Lande, die mit ihrem Leben klarkommen müssen, Hoffnung machen, wir müssen sie unterstützen und dürfen nicht versuchen, die Dinge, die erfolgreich geleistet worden sind, kleinzureden und durch den Kakao zu ziehen.
Ich meine, die Gemeindegebietsreform ist, auch weil sie - und das kann niemand bestreiten - sehr intensiv im Innenausschuss und im Landtag behandelt und begleitet worden ist, ein Erfolg. Lassen Sie keine Abstriche zu! Insofern ist es gut, dass wir heute noch einmal darüber gesprochen haben und dass sich Ihre Zukunftsbefürchtungen in diesem Zusammenhang nicht bewahrheitet haben, sondern es ein erfolgreiches Projekt geworden ist.
Wir sollten an dieser Stelle all denjenigen, die sich im Rahmen der Umsetzung der Gemeindegebietsreform in den Verwaltungen, aber auch auf der politischen Ebene Gedanken gemacht haben - es sind viele Anhörungen auf kommunaler Ebene durchgeführt worden -, danken.
So, wie wir es bei der Entstehung dieses Reformwerks gehandhabt haben, sollten wir auch in Zukunft verfahren: aufeinander hören und einander zuhören. Wir sind nicht immer auf einen Nenner gekommen, aber wir haben einander zugehört und einander ernst genommen. Das vermisse ich in letzter Zeit manchmal, da sich die Fronten verhärten. Ich denke, wir sollten uns vielleicht das, was Kollege Baaske zu Finnland und dem dort herrschenden Stil, große Probleme gemeinschaftlich zu schultern, auf die Fahnen schreiben und uns nicht immer gegenseitig Negatives vorwerfen. - Ich bedanke mich.