Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

Herr Abgeordneter Schuldt, Sie sollten sich einmal fragen, warum alle Kollegen tuscheln und Ihnen nicht folgen. Sie lasen etwas ab, was Ihnen jemand aufgeschrieben hat, wobei Sie nicht verstanden haben, was Sie vorgetrugen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor Gerichten und Untersuchungsausschüssen gilt der Grundsatz, dass ein Antrag unzulässig oder überflüssig ist, wenn sein Anliegen offensichtlich überflüssig oder in der Bedeutung der Sache ungeeignet ist.

Das ist bei dem DVU-Antrag der Fall; denn wir haben eher zu viele als zu wenige Arbeitsmarktinstrumente. Ihr eigener Beitrag hat gezeigt, dass Sie nicht wissen, wovon Sie reden, weil Sie offensichtlich die Vielfalt der Möglichkeiten nicht überschauen. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab.

Statt immer neue Instrumente einzuführen, sollten wir uns bemühen, die vorhandenen Instrumente zu nutzen und die Dinge nicht immer zu zerreden. Wir haben eine Menge Probleme, jedoch nicht an der Stelle, an der Sie es versuchen zu inaugurieren. Es ist wichtig, das Instrumentarium zu sichten, transparent zu machen und dafür zu werben. Darum bemüht sich auch die neue, gerade beim Start befindliche Bundesregierung. Das Problem ist erkannt. Auch in den Koalitionsverhandlungen wird darüber gesprochen, wie man die Dinge zielgenauer und schärfer machen kann.

Ich denke, das Anliegen aller vernünftigen Menschen ist es, zu versuchen, arbeitslose Menschen in Arbeit zu bringen. Dass es jedoch nicht so einfach ist, wie Sie es permanent darstellen wollen, ist allen anderen Beteiligten klar. Sie haben natürlich immer den Stein der Weisen und die Lösung für alle Dinge, die es so jedoch nicht gibt. Deswegen ist der Antrag ungeeignet. Wir werden ihn weder überweisen noch werden wir ihm zustimmen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Für die Fraktion der Linkspartei.PDS hat der Abgeordnete Christoffers das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Linkspartei.PDS lehnt diesen Antrag aus einem einfachen Grund ab. Der Antrag ist überflüssig, weil die gesetzlichen Regelungen zur Einführung derartiger Modelle bestehen. Ich richte auch keinen Antrag an den Bundestag und an den Bundesrat zu einem Sachverhalt, der bereits geregelt ist.

Das Problem ist vielmehr, dass es mittlerweile sieben oder acht verschiedene Modelle von Kombilöhnen gibt, die alle in der Praxis erprobt werden und deren Auswertung erfolgen wird. Dieser Antrag ist inhaltlich und formal schlicht und ergreifend überflüssig. - Vielen Dank.

(Beifall bei PDS und SPD)

Vielen Dank. - Die Landesregierung meldete Redeverzicht an. Somit geht das Wort noch einmal an den Abgeordneten Schuldt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der deutsche Mittelstand sitzt in der Globalisierungsfalle, insbesondere auch

unsere fast ausschließlich von kleinen und mittelständischen Betrieben geprägte Wirtschaft in Brandenburg. Bereits bestehende Massenarbeitslosigkeit besonders im Niedriglohnsektor einerseits und der durch die internationalen Verflechtungen und insbesondere auch durch die EU-Ost-Erweiterung erfolgte Lohnkostendruck andererseits droht nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit unserer noch verbliebenen deutschen Betriebe restlos zu vernichten, sondern er wird - wenn die Entwicklung weitergeht - auch zu dem einstmals von Ferdinand Lassalle formulierten und durch die wirtschaftliche

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Klocksin [SPD])

Entwicklung des 20. Jahrhunderts längst überwunden geglaubten, „ehernen Lohngesetz“ führen; also dazu, dass im Bereich der unteren und mittleren Lohngruppen das Niveau langsam, aber stetig zum bloßen Existenzminimum hin verläuft.

Der Eingriff in die freie Preisbildung auf der Ebene der Löhne und Gehälter mittels Festlegung von Mindestlöhnen wie von den Gewerkschaften oder von Ihnen, meine Damen und Herren von links außen, gefordert, birgt jedoch die Gefahr, zusätzliche Arbeitsplatzverluste zu verursachen, weil Teile der heimischen Wirtschaft, die untertariflich arbeiten und nicht tariflich gebunden sind, erhebliche Wettbewerbsnachteile erleiden. Klafft die Lohnschere noch weiter auseinander, droht bei nicht ortsgebundenen Tätigkeiten die Standortverlagerung in Niedriglohnländer. Man braucht sich nur das Verhalten vieler multinationaler Konzerne anzusehen, um zu wissen, dass dies so ist.

Dieses Dilemma wird durch die Tatsache verschärft, dass eine freie Preisbildung auf dem Lohnsektor auch sozialpolitisch problematisch ist. Arbeit muss sich lohnen, sonst wird sie nicht angenommen.

(Beifall bei der DVU)

Unterschreitet der Stundenlohn jedoch eine bestimmte Höhe, so verbleibt dem Arbeitnehmer selbst bei Vollzeittätigkeit ähnlich wenig wie bei dem durch das Arbeitslosengeld II in Euro und Cent gegossenen Existenzminimum. Da gerade die Lohngruppen, die einfache Tätigkeiten vergüten, besonderem Konkurrenzdruck ausgesetzt sind, kann eine Schwächung minderqualifizierter Tätigkeiten nicht weiter hingenommen werden, da ansonsten die dort Beschäftigten faktisch vom ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen und zeitlebens alimentiert werden oder in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen feststecken. Oder wollen Sie das? Wollen Sie nur abhängige Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben, die ständig auf Alimente angewiesen sind? Nein, ich denke, dass Sie Menschen haben wollen, die ihren Lebensmittelpunkt auch durch Arbeit wieder in Ordnung bringen und von der Gesellschaft angenommen werden.

(Beifall bei der DVU)

Will man also die negativen Folgen einer künstlichen Lohnerhöhung vermeiden, ohne die Binnennachfrage nach einfachen Tätigkeiten abzuwürgen, bleibt nur die staatliche Bezuschussung der am Markt gebildeten Löhne, also das Kombi-Lohnmodell mit den gewünschten Nebeneffekten der haushaltspolitischen Entlastung gegenüber der Finanzierung der Arbeitslosigkeit.

Unser Ziel ist es, durch das mit dem vorliegenden Antrag vorgeschlagene Kombi-Lohnmodell - nennen wir es ruhig Bran

denburger Konzept einer mittelstandsbezogenen Lohnbezuschussung - nach spätestens drei Jahren und entsprechender Qualifizierung sich selbst tragende Vollzeitarbeitsplätze zu schaffen. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Meine Damen und Herren! Die Fraktion der DVU beantragt die Überweisung des Antrags in der Drucksache 4/2086 an den Wirtschaftsausschuss - federführend - und an den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie. Wer diesem Überweisungsantrag folgt, den bitte ich um das Handzeichen. Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung in der Sache. Wer dem Antrag in der Drucksache 4/2086 zustimmt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 20 und rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:

Einsetzung einer Enquetekommission „Demografische Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensbereiche der Menschen in Brandenburg sowie ihre Folgen für die politischen Handlungsfelder“

Antrag der Fraktion der DVU

Drucksache 4/2087

Der Abgeordnete Schulze eröffnet die Debatte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Stirbt Brandenburg aus? - Wenn die Entwicklung so weiter geht wie bisher, sicherlich nicht ganz, aber teilweise. Dies, meine Damen und Herren - das wissen Sie alle ganz genau - , ist durchaus keine Schwarzmalerei. Alle Statistiken und Prognosen von Bevölkerungswissenschaftlern - ich nenne hier nur den renommiertesten deutschen Bevölkerungswissenschaftler Prof. Herwig Birg - sagen voraus, dass ganz Deutschland in den nächsten Jahrzehnten massive demografische Umwälzungen wird hinnehmen müssen. Während diese in Westdeutschland eher mittelfristig eintreten werden, sind die für ganz Deutschland zu erwartenden Bevölkerungsveränderungen in den neuen Bundesländern schon heute zu beobachten und werden sich in den nächsten 15 Jahren noch beschleunigen. Insoweit können die neuen Bundesländer und insbesondere Brandenburg auch mit Blick auf die Bewältigung der demografischen Herausforderungen sozusagen eine Vorreiterrolle für Gesamtdeutschland spielen.

In Brandenburg wird die Bevölkerung bis zum Jahre 2020 deutlich schrumpfen und sich die Altersstruktur zulasten der jüngeren Generationen deutlich verändern. Abwanderung, Bildungskatastrophe, Massenarbeitslosigkeit und der Zusammenbruch der gesamten Infrastruktur, beschleunigt durch die so genannte neue Förderpolitik der Landesregierung, prägen den so

genannten äußeren Entwicklungsraum aufgrund der politischen Unfähigkeit der Landesregierungen seit 1990.

Der Bericht der Landesregierung „Demografischer Wandel in Brandenburg - Erneuerung aus eigener Kraft“ weist bekanntlich auf all diese Probleme hin. Darin steht klar und deutlich zu lesen, dass Brandenburg insgesamt bis 2020 ca. 7 % seiner Gesamtbevölkerung, die berlinferneren Regionen jedoch 15 % verlieren werden. Doch diese Landesregierung hat ja, wie ihr so genanntes schönes neues Leitbild beweist, die Lausitz, die Prignitz, die Uckermark, den Spreewald und was sonst noch mehr als 50 Kilometer vom Berliner Großraum entfernt ist, längst abgeschrieben - anders ist ihr schönfärberischer Demografiebericht nicht zu erklären.

Meine Damen und Herren der anderen hier vertretenen Fraktionen! Wachen Sie endlich auf und sehen Sie, wohin unser Brandenburg in den nächsten 20 bis 50 Jahren steuert! Wenn nicht schnell umgesteuert wird, werden die nächsten 50 Jahre in ganz Deutschland, aber insbesondere in Brandenburg mit seiner bereits heute zu verzeichnenden Bevölkerungsausdünnung, durch die Entwicklung der letzten 15 Jahre geprägt sein, in der ein starker Rückgang der Kinderzahl pro Frau und auch der absoluten Geburtenzahlen zu verzeichnen war. Es kommt also bereits jetzt zu einem Rückgang der Elternzahl, der ebenso massiv wie der vorangegangene Rückgang der Geburtenzahlen ist. Mit anderen Worten: Die dezimierte Zahl der potenziellen Eltern wird automatisch zu einem weiteren Geburtenrückgang führen, der dann wiederum einen Elternrückgang bedeutet. Wir befinden uns somit in einer bevölkerungspolitischen Todesspirale.

Die bereits erwähnte Abwanderung tut ein Übriges. Wenn sich in diesem Land nicht bald etwas ändert, wird bei anhaltendem Bevölkerungsschwund und Abwanderung aus den berlinferneren Regionen das Horrorszenario des Herrn Ex-Ministerpräsidenten Dr. Stolpe - ich zitiere -, „eine Tankstelle mit angeschlossener Imbisstheke auf dem Weg von Polen in die Altbundesländer“, in absehbarer Zeit Wirklichkeit. Dies wollen wir als DVU-Fraktion unter allen Umständen verhindern. Doch die oberflächliche Behandlung Ihres Demografieberichts durch die Fachausschüsse allein kann keine tragfähige Arbeitsgrundlage einer zukunftsfähigen Handlungsstrategie zur Bewältigung der demografischen Katastrophe ergeben.

(Beifall bei der DVU)

Diese kann nur im Rahmen einer tief schürfenden Behandlung des Problems in einer Enquetekommission erarbeitet werden. Daher fordern wir mit dem vorliegenden Antrag wie bereits vor fast einem Jahr, endlich eine solche einzusetzen. - Ich bedanke mich vorerst.

(Beifall bei der DVU)

Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der Koalitionsfraktionen fort. Die Abgeordnete Funck erhält das Wort. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Es ist eine schon recht fortgeschrittene Stunde, und

wir debattieren hier über ein Thema, das enorm wichtig, aber nicht neu ist.

Lassen Sie mich daran erinnern, dass bereits 1930 Wissenschaftler festgestellt haben, dass wir dramatische Bevölkerungsprobleme bekommen werden, wenn die Familienpolitik damals hieß es nicht Familienpolitik -, wenn das, was die Familien gemacht haben, nämlich nicht mehr genug Kinder zu bekommen, so weitergeht. Diese dramatischen Auswirkungen spüren wir mittlerweile und das wird noch deutlich zunehmen. Wir wissen auch, dass nach 1930 Politik versucht hat, massiv gegenzusteuern. Ich weiß leider nicht mehr die Namen der Heime für Mütter usw. Auch das hat nicht geholfen.

(Zuruf von der SPD: Vorsicht!)

Dies nur, um deutlich zu machen, wie man damit umging.

(Klein [SPD]: Ich an Ihrer Stelle hätte das nicht erwähnt!)

Vor 1930 gab es viele Wissenschaftler - dabei schaue ich nicht nur auf Deutschland, sondern auch auf andere Länder -, die sich damit intensiv beschäftigt haben.

Die Landesregierung hat sich dieses Thema zu Eigen gemacht. Sie haben im letzten Jahr einen Bericht vorgelegt und in diesem auch. Am 1. Juni 2005 fand ein Demografiekongress statt. Wir haben im Parlament am 8. Juni intensiv darüber diskutiert. Das demografische Problem ist bekannt.

Meine Befürchtung ist, dass man sich, wenn wir eine Enquetekommission bilden, nur auf diese Kommission fokussieren würde. Aber das Thema Demografie ist ein grundsätzliches Problem, das in jeden Politikbereich hineinspielt. Sie haben hier erklärt, dass man sich in der Wirtschaft und in der Infrastruktur damit beschäftigen muss. Das tut die Landesregierung mit den neuen wirtschaftspolitischen Ansätzen, auch mit der Infrastruktur. Deswegen ist der vorliegende Antrag schlichtweg abzulehnen. - Danke.