- Ja, wir reden über die Zukunft. Jedoch reden wir bereits seit zehn Jahren - einige Zeit auch schon gemeinsam - über die Zukunft, Frau Ministerin.
Im Jahr 2000 gingen noch unter Sozialminister Ziel die Sozialindikatoren und auch die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 70 der Fraktion der PDS „Kinder im Land Brandenburg“ vom vergangenen Jahr, die PISA-Auswertungen wie auch die Gesundheitsberichterstattung - zum Beispiel über die Schulanfänger - in der Analyse längst weiter. Sie machten die Probleme in der Chancengleichheit, zunehmende gesundheitliche Risiken, Defizite bei der Kenntnis und Akzeptanz von Kinderrechten, fehlende Erziehungskompetenz und notwendige Elternbildung - kurzum Mängel in Gesellschaft und Infrastruktur - sehr deutlich. Ein Umlenken wäre demnach seit mindestens fünf Jahren möglich gewesen.
Jedoch sehe ich es so, dass die Grundlagen für punktuell kinderfreundliche Bedingungen und Initiativen im Land inzwischen durch diese falsche Regierungspolitik selbst schrittweise zerstört worden sind.
Ein Umlenken können wir nun nicht durch ein Programm, so schön es sich liest, ohne veränderte finanzielle Schwerpunkte bewirken. Sie haben die Aussage des Ministerpräsidenten, es müsse kein Geld kosten, gerade noch einmal bestätigt. Hier ist ohne die Veränderung der finanziellen Schwerpunkte im Rahmen der Werbekampagne des Ministerpräsidenten für mehr Kinder nichts zu erreichen. Damit werden nicht mehr Kinder herbeigeredet; das wissen Sie.
Natürlich ist die Entscheidung für ein Kind Privatsache. Auch die Erziehung soll es sein und bleiben. Aber es ist schon sehr politisch und eine Verdrehung des Subsidiaritätsprinzips, wenn ein Staat behauptet, auch Bildung, Ausbildung und Zukunft der Kinder, ihre gesundheitliche Betreuung und Freizeitmöglichkeiten lägen allein in der Verantwortung der Eltern. Das ist das Gegenteil von Chancengleichheit, die für uns als Linkspartei Maßstab ist.
Laut DJI-Kinderbetreuungsstudie von 2005 sind Eltern generell mit der Versorgung in Kinderbetreuungseinrichtungen sehr
viel zufriedener als mit der Förderung. Was leitet unsere Landesregierung nun daraus ab? Ist die Tagesmutter anstelle der Kita die richtige Antwort auf das Bedürfnis nach rechtzeitiger, stärkerer und besserer Förderung der Kinder? Sie fordern im Programm Bildung und Förderung für Kinder so früh wie möglich und unabhängig ihrer sozialen Herkunft. Ja, das ist richtig. Doch was tun Sie? Sie bauen in den Kitas Standards ab statt auf. Sie reduzieren qualitativ hochwertige Angebote. 1-Euro-Jobber werden in Kitas inzwischen in Größenordnungen zur Beaufsichtigung eingesetzt. Da kann von mehr Bildung und Qualität wirklich nicht die Rede sein.
Sie setzen mit Ihrem Vorhaben, Leistungs- und Begabungsklassen zu schaffen, die sechsjährige Grundschule aufs Spiel und realisieren nach wie vor eine frühzeitige Auslese, obwohl PISA wiederholt die Überholtheit dieser Politik nachgewiesen hat. Anstatt für einen Nachteilsausgleich zu sorgen, tragen Sie durch Ihre Politik zu einer Verfestigung der sozialen Benachteiligungen bei.
Ich erinnere an unsere Debatten von vor einem Monat. Wie kann von Chancengleichheit die Rede sein, wenn Kinder von Arbeitslosengeld-II-Empfängern nicht einmal die Ausstattung für ihre Einschulung und ihre Unterrichtsmaterialien bezahlt bekommen können - ganz zu schweigen von Exkursionen und Hobbys?
Wir sind also wieder bei Hartz IV und sozialer Gerechtigkeit. Schon die erfundenen inhumanen Bedarfsgemeinschaften verletzen das Sozialstaatsgebot und sind, wie ich finde, ein schreckliches Wort für jede Familie. Es ist inzwischen wohl auch Ihnen deutlich, welche langfristigen Folgen der bisher größte Sozialabbau für die Gesellschaft der Bundesrepublik hat. Arbeitslosigkeit, Existenzangst, Angst vor dem sozialen Absturz machen Solidarität auch in den Familien schwerer lebbar. Finanzieller Druck belastet Familien, wenn man vom Staat praktisch per Verwandtschaft zur Unterstützung verpflichtet wird.
Zum Stichwort demografisches Problem Folgendes: Die Berliner Studie „Emanzipation oder Kindergeld“ von Grönert und anderen stellt fest: In allen westeuropäischen Ländern verzichten Frauen heute eher auf Kinder als auf Selbstständigkeit und berufliche Entwicklung und sie entscheiden sich deshalb dort eher für Kinder, wo sie die beste Möglichkeit haben, beides miteinander zu vereinbaren. Das heißt, in Westeuropa werden dort die meisten Kinder geboren, wo Gesellschaften die Gleichstellung der Geschlechter am besten gewährleisten, und das ist eben in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt wie auch in Brandenburg nicht der Fall. Fakt ist: Je größer die Emanzipation der Frauen, umso höher sind die Kinderzahlen. Deshalb schlagen die Autoren vor, das Problem nachwuchsarmer Länder - das wäre auch ein Vorschlag für unsere Regierung - unter einem neuen Aspekt zu diskutieren; denn um Menschen in modernen Industriegesellschaften zu höheren Kinderzahlen zu motivieren, scheint weniger die Höhe von Geburtenprämien, Kindergeld und sonstigen Transferleistungen entscheidend zu sein, sondern ausschlaggebend ist eher die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft. Ich nenne das nur als einen anderen Aspekt, eine andere Sicht.
Es steht also die Frage im Raum: Führt mehr Wohlstand in den westeuropäischen Nationen zu weniger Kindern? Die für manche vielleicht überraschende Antwort lautet: Nein.
Was leiten Sie daraus ab, Frau Ministerin, dass angesichts sichtbarer Folgen der Agenda 2010 erstmals in der bundesdeutschen Geschichte die Durchschnittseinkommen aller Beschäftigten nicht mehr steigen, sondern - wie für das nächste Jahr vorausgesagt wurde - sinken? Wenn wir die aktuellen Koalitionsverhandlungen in Berlin nehmen - Stichwort: Verschärfung von Hartz IV -, so ist zu fragen: Welches familienfreundliche Signal steckt hinter der Absicht, jungen Arbeitslosen bis 25 Jahren und deren Eltern die Zwangswohngemeinschaft zu verordnen?
Was dürfen die Menschen konkret erwarten, wenn ihnen immer wieder Kürzungen bei Hartz IV angedroht werden? Heute Morgen sind Kürzungen in Höhe von vier Milliarden Euro genannt worden.
Oder nehmen wir das Stichwort Mehrwertsteuererhöhung. Geplant ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 % auf 19 %! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident - hätte ich gesagt, wenn er da wäre. - Das war leider sein erstes bundespolitisches Signal nach seiner Ernennung zum führenden Sozialdemokraten. Er oder seine Kollegen mögen mir bitte erläutern: Was ist die familienfördernde, die familienfreundliche Absicht dieser Maßnahme? Damit treffen Sie genau einkommensschwache Familien mit Kindern, Alleinerziehende, all die, die ihr weniges Geld ganz ausgeben müssen für Essen, Wohnen, Kleidung und den täglichen Bedarf.
Genauso verwundert bin ich darüber, dass unser Landesvater die Abwanderung gut ausgebildeter junger Leute hinnimmt. Er beklagt sie, das Institut für Wirtschaft in Halle bestätigt ihn. Die aus Brandenburg Wegziehenden sind im Schnitt besser ausgebildet als die ostdeutsche Bevölkerung insgesamt; 32 % der Wegzügler besitzen ein Abitur oder die Fachhochschulreife; in der Gesamtbevölkerung sind es nur 18 %. Wie man angesichts dessen heute schon gegenüber Stoiber & Co devot auf jeglichen Ausgleich in der Zukunft über den nächsten Finanzausgleich verzichten kann, kann ich nicht verstehen. Wenn er sagt, einen Solidarpakt wird es nicht geben, weil die Wessis da nicht mitmachen, frage ich: Warum finden wir keinen Ausgleich für die Leistungen, die in diesem Land in Kinder und Jugendliche investiert werden? Ich denke, dass unser Landesvater kämpfen und die Abwanderung nicht einfach hinnehmen sollte.
Es geht nicht nur darum, ob das formulierte Ziel „Familienfreundlichkeit“ richtig ist. Es ist richtig und Sie haben uns an Ihrer Seite, wenn es darum geht, es gemeinsam umzusetzen und die Debatte zu dieser Frage weiter zu führen. Die Politik dieser Landesregierung war bisher jedoch nicht geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Es geht nämlich nicht nur darum, Geburten zu fördern, Nachwuchs zu fördern, wie der Ministerpräsident gesagt hat, sondern förderliche Rahmenbedingungen für Kinder, Familien, Bildung und Ausbildung im Land zu gestalten. Daran werden wir uns gern weiterhin beteiligen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kaiser! - Sie ist gerade nicht hier.
Ich glaube, dass gute Politik damit beginnt, auszusprechen, was ist. Das gehört sich so. Ich glaube, dass man mit Fug und Recht sagen kann, dass weder Deutschland noch Brandenburg kinderfeindlich sind. Man kann andererseits auch sagen: Wir sind mitunter nicht freundlich genug zu Familien mit Kindern.
Ich glaube, das ist der Punkt, um den es hierbei geht. Ich glaube, dass der Antrag, den die Koalitionsfraktionen an einem sonnigen Apriltag einbrachten, mit dem wir die Regierung beauftragten, uns zu berichten und Vorschläge zu unterbreiten, wie es weitergehen kann, unter dem Duktus stand, dies unter zwei Aspekten zu betrachten. Erstens haben wir gesagt, wir wollen Familien in Brandenburg stärken, ihnen den Rücken stärken, inhaltlich stärken, aber auch mehr Familien haben. Wir wollen zweitens dafür sorgen, dass es uns in Brandenburg besonders gut gelingt, kinder- und familienfreundlich zu sein.
Schon damals hieß es in der Begründung - ich kann mich gut entsinnen -: Wir wollen in Brandenburg kein Kind zurücklassen. Wir können uns dies - aus zweierlei Sicht - nicht leisten: erstens aus humanistischen Gründen, aus Gründen des Kinderschutzes, des Familienschutzes und zweitens aus demografischer Sicht. Das, denke ich, ist schon im Vorfeld deutlich geworden.
Wir haben - das steht auch in dem Bericht - eine Ziel-, aber auch eine Wegmarke. Das sind schlicht und ergreifend mehr Kinder. Wer daherkommt und sagt, wir machen das mit mehr Geld, der wird schlicht und ergreifend erkennen müssen, dass es in diesem Land so nicht funktioniert.
Frau Kaiser hat gesagt, wenn ich mich recht entsinne: Man kann Kinder nicht herbeireden. Dass es biologisch anders funktioniert, wissen wir alle. Es geht also nicht um das Herbeireden, sondern darum, familienfreundliche Bedingungen zu schaffen.
Familienfreundliche Bedingungen schafft man unter anderem nicht dadurch, dass man den Wahlkampf in Richtung Hartz IV fortsetzt und schon wieder so dummes Zeug erzählt. Von wegen, den Kindern würde das Geld für die Bücher oder für Klassenfahrten nicht erstattet! Natürlich bekommen sie das, wenn ihre Eltern Hartz-IV-Empfänger sind. Erzählen Sie doch nicht so etwas! Womöglich gehen die Eltern nicht zum Amt und sagen sich, sie kriegen die Unterstützung nicht, weil ihnen von Ihnen erzählt wurde, dass sie diese nicht bekommen. Solche Erscheinungen hatten wir des Öfteren.
Im Übrigen, weil wir gerade bei Hartz IV sind: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich, wenn meine Kinder in der Kita wären, zulassen würde - da spreche ich, glaube ich, für viele Brandenburger Eltern -, dass meine Kinder von 1-Euro-Jobbern beaufsichtigt werden. Ich würde schon darauf drängen, dass die Gebühren, die ich der Kita zahle, zusammen mit dem kommunalen Geld auch tatsächlich zur Finanzierung von Fachkräften verwendet werden.
Aber ich würde mich freuen, wenn aus der Gemeinde auch Leute, die ALG-II-Empfänger sind, Gelegenheit fänden, einen 1-Euro-Job zu bekommen, um dort unterstützend tätig zu werden.
Aber ich möchte die Kita-Träger deutlich von dem Vorwurf befreien, dass sie 1-Euro-Jobber flächendeckend oder wie auch immer zur Beaufsichtigung der Kinder einsetzen. Ergänzende Leistungen in den Kitas - ja, aber nicht als Ersatz für fest angestellte Kita-Erzieherinnen. Das hielte ich für Unsinn.
Auch das möchte ich im Zusammenhang mit Hartz IV noch sagen: Ich hielte es für extrem unvernünftig, junge Leute mit Geld nahezu zu zwingen, aus dem elterlichen Haushalt auszuziehen, ihnen zu sagen: Du bekommst eine frei finanzierte Wohnung, du bekommst Unterhalt in Höhe von 331 Euro im Monat, aber ausziehen musst du alleine. - Das macht für mich keinen Sinn und ist auch keine gute Sozialpolitik.
Ganz kurz möchte ich noch auf einige Dinge hinweisen. Den Königsweg gibt es nicht. Wenn man immer wieder hört, wir sollten bessere Kitas schaffen, kann ich nur sagen: 1993 hatten wir mit 0,8 Geburten pro Frau die geringste Geburtenrate, die es je in Brandenburg gab. Da hatten wir - es war zu Hildebrandts Hoch-Zeiten - die beste Kita-Ausstattung der Welt. Das allein bringt es also nicht. Wenn jetzt eine soziale Sicherung verlangt und gesagt wird, die Frauen müssten sicher sein, Arbeit zu haben, dann bekämen sie auch Kinder, kann ich nur entgegenhalten: Mindestens ein Drittel der Akademikerinnen - und die sind nicht arbeitslos - bekommt keine Kinder. Das heißt, wir müssen mehr an die Mentalität herangehen. Das erfordert einen Konsens, aber wenig Streit in dieser Frage. Dafür plädiere ich.
Ich möchte dafür werben, dass wir weiter eine gute Familienpolitik machen. Das wird nicht ganz ohne Geld gehen und muss mit viel Fantasie geschehen unter den Bedingungen, unter denen wir es tun müssen. - Ich danke Ihnen.
Ich bin wirklich stark beeindruckt von dem, was Herr Baaske hier gesagt hat. Ich bin der Meinung, dass Sie keinen Realitätssinn haben. Beim Lesen dieses Berichts der Landesregierung war ich zeitweise so gerührt, dass mir die Tränen kamen. Allein der Titel „Die Brandenburger Entscheidung: Familien und Kinder haben Vorrang!“, und das im Jahr 2005, ist doch pure Poesie! Dieses Programm für Kinder- und Familienfreundlichkeit gehört in die Kategorie „Erbauliche Schriften für die ganze Familie“.